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Hildegard Domizlaff war Bildhauerin, Medailleurin, Holzschnitt- und Schmuckkünstlerin, seit 1926 in Köln ansässig. Ihre profanen, figurativen Plastiken und die für rheinische Kirchen und kirchliche Würdenträger geschaffenen sakralen Objekte vereinen auf einzigartige Weise die künstlerischen und theologischen Diskurse des 20. Jahrhunderts. Ihr Atelierhaus in Köln-Müngersdorf war ein wichtiger Treffpunkt und Ort des Austauschs für viele rheinische Künstler und Geistliche.
Hildegard Natalie Martha Helene Domizlaff wurde am 26.1.1898 in Erfurt geboren. Ihr Vater Georg Domizlaff (1855-1937) war Präsident der Oberpostdirektion in Leipzig, während des Ersten Weltkriegs Feld-Oberpostmeister, die Mutter, Anna Catharina geborene Boeter (1866-1944), stammte aus Hamburg. Das Leben im Elternhaus war kulturell aufgeschlossen, Treffpunkt für Künstler, Schriftsteller und Gelehrte. Georg Büchners (1813-1837) "Woyzek" wurde hier in einer Privatvorstellung aufgeführt, bevor er ab 1913 die Bühnen der Welt eroberte.
Seit 1904 lebte die Familie in Leipzig und Hildegard besucht die Mädchenschule. Die kunstaffine Mutter veranlasste eine umfassende musische Ausbildung ihrer Kinder. Ein Schüler des Leipziger Kunstgeschichtsprofessors August Schmarsow (1853-1936), der Schweizer Kunsthistoriker Karl-Friedrich Suter (1884-1952), begleitete sie auf mehrtägigen, ausgiebigen Studien durch die Berliner Museen. Hildegard Domizlaffs erste künstlerische Zeichnungen entstanden um 1916 nach einer einjährigen Ausbildung für Gartenbau in Berlin. Zusätzlich modellierte sie die Porträts ihrer beiden Brüder Hans (1892-1971), später Werbeberater bei Reemstma in Hamburg, und Helmuth (1902-1983), später Antiquar in München.
Domizlaff begann, sich mit dem Katholizismus auseinanderzusetzen und schloss sich dem Leipziger Kreis um die Dichterin Ilse von Stach (1879-1941) und dem Schweizer Kunsthistoriker Martin Wackernagel (1881-1962) an. 1918 entstand eine Porträtbüste von Ilse von Stach. Martin Wackernagel, Leiter des Leipziger Kunstvereins, nahm die Büsten sofort in eine Ausstellung auf. Der dem Elternhaus freundschaftlich verbundene Leipziger Bildhauer Max Klinger (1857-1920) begutachtete ihre ersten Arbeiten und riet ihr zu einer künstlerischen Ausbildung.
Ab Mitte 1918 studierte sie – für eine Frau außergewöhnlich – an der Hochschule für bildende Kunst in Weimar in der Bildhauerklasse Richard Engelmanns (1868-1966), der ein Schüler Auguste Rodins (1840-1917) war. Sie gehörte zur ersten Generation von Künstlerinnen in Deutschland, die offiziell eine Kunsthochschule besuchen durften. Zu ihren Freunden zählten der Maler Max Schwimmer (1895-1960), Will Semm (1888-1964), der Bildhauer Fritz Peretti (1895-1978) und Helen Louise Wiehen (verheiratete Laschinsky, 1899-1969). Ihren Aufenthalt erlebte Hildegard Domizlaff in einer Phase des Umbruchs: Walter Gropius (1883-1969) übernahm die Leitung der Hochschule für bildende Kunst einschließlich der ehemaligen Kunstgewerbeschule in Weimar und das Staatliche Bauhaus. Die ersten Ausstellungen fanden 1919 in Leipzig und Weimar statt. Die Kriegserfahrung führte zu einer Neuorientierung der Künstlerin. Ihre Suche und Hoffnung auf eine künstlerisch bessere Zeit spiegelte sich in verschiedenen Texten und stilistisch unterschiedlichen Werken. Sie konvertierte am 19.4.1919 offiziell zum katholischen Glauben. Seitdem verweigerten die protestantischen Eltern ihrer Tochter jede Unterstützung zum weiteren Studium.
Max Klinger verhalf ihr daraufhin zu einem Platz bei dem aus der Wiener Secession stammenden Professor Richard Luksch (1872-1936) an der Kunstgewerbeschule Hamburg. Hildegard Domizlaff erhielt dort ein Atelier als außergewöhnliche Studentin. Martin Wackernagel, Privatdozent an der Universität Leipzig, und der Museumsdirektor aus Stettin, Otto Holtze (1892-1944), förderten ihr Talent und begleiteten sie bei ihren ersten Schritten in die Öffentlichkeit. Von letzterem schuf sie eine Porträtbüste. Die ersten Holzschnitte aus dieser Phase um 1920 wurden von den expressiven Arbeiten Edvard Munchs (1863-1944) und Oskar Kokoschkas (1886-1980) inspiriert. Bildhauerisch fand sie neben Wilhelm Lehmbruck (1881-1919) formalen Rückhalt in den Werken von Aristide Maillol (1881-1944), Charles Despiau (1874-1946) und Alexander Archipencko (1887-1964).
Anfang 1922 übersiedelte sie von Hamburg in die Geburtsstadt ihres Vaters, nach Soest. Ihre ersten Ausstellungserfolge verhalfen ihr zu wirtschaftlicher Unabhängigkeit. Es entstanden abstrakte Arbeiten in Holz.
In Soest durchlebte sie die Zeit des starken inneren Ringens um ihr künstlerisches Ambitionen. Es folgten 1922/1923 Reisen durch Deutschland, Italien und Griechenland. In Hiddensee aquarellierte sie Landschaften und illustrierte Kinderbücher. Gemeinsam mit Helen Wiehen besuchte sie 1923 Paris und zog nach Münster in Westfalen um. Martin Wackernagel übernahm die Stelle als Ordinarius für Kunstgeschichte an der dortigen Westfälischen Wilhelms-Universität. Der Freund der Familie Domizlaff, der expressionistische Schriftsteller und Kunstkritiker Theodor Däubler (1876-1934), schloss sich dem Kreis um Wackernagel und Ilse von Stach in Münster an. Es entstanden expressionistisch anmutende Holzschnitte, Metalltreibarbeiten und liturgisches Gerät.
1924 begegnete sie dem kunstinteressierten Prälaten Franz Xaver Münch (1883-1940), Generalsekretär des Katholischen Akademikerverbandes Deutschlands, aus Köln. Sein Einfluss aus dem Gedankengut der ökumenischen Öffnung und der Liturgischen Bewegung war groß. Es wirkte hinein in ihre stilistische Entwicklung. Zu ihm, dem Münsteraner Philosophieprofessor Peter Wust, dem Paderborner Domprobst Paul Simon (1882-1946) sowie zu Johannes Pinsk (1891-1957) - Geistliche, die die liturgische Bewegung maßgeblich beeinflussten - pflegte sie regen Kontakt. Von ihnen schuf sie Porträtbüsten. Es begann eine langjährige fruchtbare Auseinandersetzung um Fragen der Liturgiegestaltung. Erste Großplastiken für kirchliche Auftraggeber entstanden, 1925 das Kriegerdenkmal für die Kirche zu Köln-Esch, 1926 der Herz-Jesu-Altar in der Kirche zu Köln-Weiler. 1926/1927 verlegte Hildegard Domizlaff ihren Lebensmittelpunkt nach Köln, wo sie eine Wohnung mit Helen Wiehen bezog. 1929/1930 ließ sie sich mit ihr in dem von Theodor E. Merrill (1891-1978) im Stil des Neuen Bauens entworfenen Atelierhaus in Köln-Müngersdorf, Belvedere Straße nieder. Zum Freundeskreis gehörten die Religionsphilosophen Oskar Bauhofer (1897-1976), Bernhard Rosenmöller (1883-1974), die Paramentenstickerin Elisabeth Ellendt, der Spezialist für frühes Christentum Wolfgang Fritz Vollbach (1892-1988), der christliche Archäologe Theodor Klauser (1894-1984). Einige von ihnen verewigte sie im Porträt. In unzähligen Aktstudien perfektionierte sie ihre Fähigkeiten und arbeitete in Stein.
1932 heiratete die Freundin. Domizlaff lebte fortan zurückgezogen. Sie widmete sich dem Holzschnitt, schuf kleine, reduzierte Illustrationen zur Bibel, die sie später veröffentlichte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt sie erste Aufträge für liturgisches Gerät, bischöfliche Insignien und Innenräume von Kirchen, zum Beispiel von St. Engelbert in Köln-Riehl und für die Münsterkirche in Essen. In ihrem Atelierhaus trafen sich bedeutende Theologen - ein Kreis, der wesentliche Impulse für die Reform des Zweiten Vatikanischen Konzils in seiner ersten Phase ausarbeitete. Ihr tiefes theologisches Interesse fand sich formal in deutlicher Nähe zu spätantiken und mittelalterlichen Tradition. Mit den Forschungen Theodor Klausers, Leiter des Franz Dölger-Institutes zur Erforschung der Spätantike in Bonn, war sie bestens vertraut. Die in den 1950er Jahren geschaffenen Madonnen, Messingkreuze und Altäre sind Frühchristliches und Frühromanisches in zeitgenössischer Adaption. Sie benutzte eine Doppelkodierung christlicher-antiker Motive, formal eine Rückkehr zu den Urformen des Christentums.
Mit dem Bildhauer Gerhard Marcks (1889-1981) verband sie seit 1938 eine intensive Freundschaft, belegt von einem regen Briefwechsel der bis 1953 reicht, als sich Marcks mit seiner Frau aufgrund ihrer Bemühungen in einem Atelierhaus ebenfalls in Müngersdorf niederließ. Der Sammler Josef Haubrich (1889-1961) und der Generaldirektor der Kölner Museen Leopold Reidemeister (1900-1987) schufen die Rahmenbedingungen, den Bildhauerkollegen Gerhard Marcks dauerhaft nach Köln zu holen. Inspiriert durch den intensiven Austausch mit Gerhard Marcks widmete sie sich erneut Aktzeichnungen und schaffte rundplastische Figuren, die Bewegungen einfrieren. Ihr "Narziß" befindet sich in der Sammlung des Kölner Museums Ludwig. Der Auftrag für die Kapellengestaltung des Pavillons des Heiligen Stuhls zur Weltausstellung in Brüssel 1958 war der Höhepunkt dieser künstlerischen Neuorientierung.
In den 1960er Jahren war ihr bevorzugtes Arbeitsmaterial Elfenbein. Sie gestaltete Altäre, Reliquiare und Tabernakel für viele rheinische Kirchenräume zusammen mit den Architekten Emil Steffann und Rudolf Schwarz Wesel und Dortmund. Porträts von Gerhard Marcks, Rudolf Schwarz, Prälat Robert Grosche und dem Philosophen Josef Pieper (1904-1997) belegen die Bedeutung der Freundschaft mit diesen Menschen. Mitte der 1960er Jahre hielt sich Hildegard Domizlaff aus gesundheitlichen Gründen für zwei Jahre in der Nähe von Aachen auf. Sie arbeitete im Kleinplastischen weiter. Seitdem war sie befreundet mit den Kunsthistorikern Wolfgang Braunfels (1911-1987) und seiner Frau Sigrid Esche-Braunfels (geboren 1914). In Aachen entstanden Naturstudien von Gräsern, Insekten und Vögeln, die nach ihrer Rückkehr Eingang in ihre Elfenbeinschnitzerei in kleinformatige Reliefs und Schmuckstücken fanden.
Den rheinischen Bildhauern wie Elmar Hillebrand (1925), Jochem Pechau (1929 –1989) und Karl Burgeff (1928 -2005) stand sie beratend zur Seite. Für Joachim Kardinal Meisner (Episkopat als Bischof von Berlin 1980-1989, seit 1989 als Erzbischof von Köln) gestaltete sie kurz vor ihrem Tod in seinem Berliner Amtssitz eine Kapelle.
Hildegard Domizlaff machte eine sehr interessante Entwicklung durch. In den bewegten 1920er Jahren reifte die junge Künstlerin vom Expressionismus über die Abstraktion zum Gegenständlichen. "Die Schönheit der Welt hat mich immer becirct", bekannte sie, "die Schönheit einer Pflanze, eines Tieres, eines menschlichen Körpers". Hildegard Domizlaff starb 89-jährig am 22.2.1987 in ihrem Atelierhaus in Köln Müngerdorf.
Werkverzeichnisse
Katalog, Hildegard Domizlaff, Schmuck einer Bildhauerin. Hildegard Domizlaff zum Gedächtnis 1898-1987; Ausstellung SMPK Kunstgewerbemuseum Berlin, 4. Dezember 1987 bis 21. Februar 1988.
Katalog, Hildegard Domizlaff – 1898-1987, mit Texten von Bischof Hubert Luthe, Joachim Kardinal Meisner, Joachim M. Plotzek und Ingrid L. Severin, Köln 1998.
Nachlass
Historisches Archiv des Erzbistums Köln: Erzbistum Köln, Schriftwechsel. Kolumba. Erzbischöfliches Kunstmuseum: Kunstwerke.
Literatur
Severin, Ingrid Leonie, Die Bischofsstäbe der Bildhauerin Hildegard Domizlaff, in: Kölner Domblatt 1988, S. 153-170.
Severin, Ingrid Leonie, Hildegard Domizlaff 1898-1987, Hrsg. Erzbischöfliches Diözesanmuseum Köln, 1998, Katalog und Ausstellung.
Willen, Susanne, Köln – Das Wohn- und Atelierhaus Domizlaff und Wiehen, in: Denkmalpflege im Rheinland, Rheinisches Amt für Denkmalpflege, 7. Jg. (1991).
Hildegard Domizlaff. Eine Künstlerin im Spannungsfeld zwischen katholischem Glauben und Selbstbehauptung, in: Sumerer, Peter/Zotta, Carmen,, Mühlrad, Schulbank, Carrière, Geschichte und Familienüberlieferungen der Domizlaff aus Pommern und Preußen, Tübingen 2003, S. 475-484.
Online
Hans-Domizlaff Archiv. [Online]
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Severin, Ingrid Leonie, Hildegard Domizlaff, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hildegard-domizlaff-/DE-2086/lido/57c696384797c5.41051994 (abgerufen am 06.10.2024)