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Der Sozialdemokrat Johannes Meerfeld verbrachte den Großteil seines politischen Wirkens in Köln. Ursprünglich ein scharfer Kritiker des politischen Katholizismus, arbeitete er andererseits in Köln, wo er 1920-1933 Beigeordneter und Dezernent für Kultur und Volksbildung war, vertrauensvoll mit Oberbürgermeister Konrad Adenauer zusammen. Er war Mitglied des (alten) Reichstags 1917-1919 für den Wahlkreis Köln-Stadt.
Johannes Meerfeld wurde am 16.10.1871 in Euskirchen als Sohn eines Gärtners geboren. Die Familie stammte wohl ursprünglich aus der Vulkaneifel. Über die familiäre Herkunft und frühen Jahre ist jedoch wenig bekannt. Nach dem Abschluss der Volksschule erlernte er das Sattlerhandwerk. Wanderjahre führten ihn unter anderem nach Hannover, Berlin, Süddeutschland und Österreich.
Im Januar 1917 rückte Meerfeld für seinen verstorbenen Parteifreund Adolf Hofrichter (1857−1916) in den Reichstag nach, wo er den Wahlkreis Köln-Stadt vertrat. Die Ereignisse um die Wahl im Januar 1912 verdeutlichen, in welch angespannter politischen Atmosphäre sich Meerfeld auf der lokalen Ebene bewegte. Nach dem ersten Wahlgang meldete der sozialdemokratische „Vorwärts“ am 14.1.1912 triumphierend: „Das Ergebnis der Wahl in Köln-Stadt ist ein geschichtliches Ereignis. Im deutschen Rom, im Reiche des Generalstabes der Zentrumspartei und der christlichen Gewerkschaften ist die Sozialdemokratie die stärkste Partei geworden.“ Im zentrumsnahen „Kölner Local-Anzeiger“ vom 13.1.1912 hingegen wurde an die ansonsten ungeliebten Liberalen appelliert: „Helft lieber den Zentrumsdamm stärken, ehe ihr die roten Wogen über euch hereinbrechen laßt – zum Schaden für Stadt und Vaterland.“ Hofrichter und sein Konkurrent vom Zentrum, Karl Trimborn, zogen schließlich mit 18.666 beziehungsweise 17.342 Stimmen in die Stichwahl. Bei der Wahl fünf Jahre zuvor hatte Trimborn noch mit 2.198 Stimmen Vorsprung vor Hofrichter gelegen und die anschließende Stichwahl deutlich gewonnen. Am 22.1.1912 jedoch konnten die Sozialdemokraten Köln-Stadt klar mit 54,3 Prozent der Stimmen gewinnen – eine weit über Köln oder das Rheinland beachtete politische Sensation. Im „Kölner Local-Anzeiger“ wurde daraufhin heftig gegen alle politischen Gegner polemisiert. „Köln“, so war dort am 23. Januar in großen Lettern auf Seite eins zu lesen, „von den Nationalliberalen der Sozialdemokratie ausgeliefert!“ Die Freudenfeiern der Sozialdemokraten und wohl auch einiger Liberaler hingegen wurde mit der Schlagzeile „Der Mob beherrschte die Straße“ kommentiert.[1] Der „Vorwärts“ rechnete nicht weniger voreingenommen und mit antikatholischer Spitze mit dem „deutschen Rom“ ab, dem nach der Niederlage auf Reichsebene nun nur noch auf der kommunalen Ebene der Stachel gezogen werden müsse, da dort das Zentrum mit einem „Mehrheitsterrorismus […] der nichtultramontanen Mehrheit der Kölner Bevölkerung in allen Fragen der Ethik und Kultur“ seinen Willen aufgezwungen habe.[2]
Warum die politische Kultur in Köln, insbesondere zwischen Zentrum und Sozialdemokratie, während des Kaiserreichs so angespannt und bisweilen vergiftet war, kann aus sozialdemokratischer Perspektive anhand der Person Johannes Meerfeld verdeutlicht werden. Meerfeld selbst, obwohl später als Reichstagsabgeordneter als „Dissident“ bezeichnet, wurde im katholischen Arbeitermilieu sozialisiert. Bevor er 1893 der SPD beitrat, war er Mitglied des Katholischen Gesellenvereins. Meerfelds Bruch mit dem politischen Katholizismus, der offenbar mit einem persönlich gefärbten Gefühl der Verbitterung einherging, wird schon in seinen frühen Schriften deutlich. „Es ist“, so Meerfeld im sozialdemokratischen Theorieorgan „Die Neue Zeit“, „kein Zweifel: der Katholizismus leistet dem Vormarsch der Sozialdemokratie stärkeren Widerstand als der Protestantismus.“ Und dies eben nicht, weil er dem Katholizismus Gegnerschaft im „Klassenkampf“ unterstellte, sondern vielmehr, weil er der katholischen Kirche eine religiös begründete Verwischung des Klassengegensatzes vorwarf: „die deutschen Katholiken haben in der harten Schule des Kulturkampfes Organisation und Disziplin gelernt, der Kampf gegen die Bismarksche Unterdrückungspolitik hat sie zusammengeschweißt und das Gefühl geistiger Gemeinsamkeit rege werden lassen. Aber noch ein anderes kam hinzu, sie eher zum Widerstand gegen den Ansturm der modernen Arbeiterbewegung zu befähigen, der Umstand nämlich, daß die Wiege der sozialistischen Arbeiterbewegung in Deutschland stand und darum den katholischen Führern frühzeitig das Verständnis geschärft wurde für die sozialen Forderungen unseres industriellen Zeitalters.“[3] Der „Klassenkampf in der Zentrumspartei“[4], so wie Johannes Meerfeld in wahrnahm, lag in vieler Hinsicht quer zu seinen marxistisch begründeten Grundannahmen von Wirtschaft und Gesellschaft. Meerfeld war jedoch kein sozialdemokratischer Parteisoldat, der aufgrund seiner rheinländischen Prägung lediglich auf den politischen Gegner und Konkurrenten Zentrum einschlug. Durchaus kritisch und selbstkritisch setzte er sich 1913, als die SPD scheinbar unaufhaltsam zur stärksten politischen Kraft in Deutschland zu werden schien, mit dem Problem der organisatorischen Erstarrung der Partei einerseits, und einem zur Routine erstarrten Verbalradikalismus andererseits auseinander: „Hüten wir uns vor einer Überschätzung unserer Macht! Man halte Umschau im rheinisch-westfälischen Industriegebiet, wo wir nur mühsam vorwärtskommen und die aufreibendste Tätigkeit manchmal nur Sisyphusarbeit zu sein scheint.“[5]
Meerfelds prinzipielle und weltanschauliche Ablehnung des politischen Katholizismus wurde aber von einem politischen, nicht zuletzt lokalpolitischen Pragmatismus überlagert, der spätestens im Ersten Weltkrieg zutage trat. Mit Konrad Adenauer arbeiteten er und die Kölner Sozialdemokratie schon 1917 stillschweigend zusammen, wenn es um die Linderung von Versorgungsengpässen ging. Durchaus weitsichtig stellte er fest, dass der Krieg und die künftige Nachkriegsordnung die katholische „Volkspartei“ Zentrum und die sie tragenden Schichten zu prinzipiellen Entscheidungen zwingen würde, an denen auch eine mögliche Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie hing.
In den innerparteilichen Auseinandersetzungen um Burgfriedenspolitik und Kriegskredite stellte sich Meerfeld auf die Seite der Parteiführung. Wie Thomas Mergel anmerkt, war die Kölner Sozialdemokratie „stramm rechts, und früher noch als ihre nationale Parteispitze schwenkte sie auf die Kriegslinie ein. […] Insofern ist es kein Wunder, dass Köln eine Hochburg des Burgfriedens wurde, und dass hier die Liberalen, die Zentrumskatholiken und die Sozialdemokraten in seltener Einigkeit zusammenarbeiteten. […] Einen Widerstand gegen diese Politik gab es in Köln kaum, und er wurde von der Parteileitung auch erfolgreich an den Rand gedrängt.“[6] Diese Betrachtung muss allerdings darum ergänzt werden, dass es auch in Köln während des Prozesses der Spaltung der Sozialdemokratie 1917 heftige Auseinandersetzungen gab. Die der USPD nahestehende „Bergische Stimme“ berichtete: „Die Unabhängige Partei macht auch im schwarzen Köln, das äußerlich noch eine Stütze des Regierungssozialismus ist, schöne Fortschritte. […] Köln war unter der Führung von Meerfelds von jeher eine Hochburg des Opportunismus. […] Daß auch die Kölner denken lernen, zeigte die Versammlung der Unabhängigen Partei am vergangenen Sonntag. Der Saal war dicht gefüllt, so daß sich viele mit einem Stehplatz begnügen mußten. Sicher waren 500 Personen anwesend.“[7] Doch bei aller Kritik konnten sich die Unabhängigen Sozialdemokraten in Köln nicht durchsetzen und die Mehrheits-SPD schon gar nicht ablösen oder verdrängen, wie es etwa im benachbarten Düsseldorf der Fall war. Dies war einerseits auf die starke Position von „rechten“ Sozialdemokraten wie Meerfeld zurückzuführen, und andererseits, wie wenigstens seitens der USPD beklagt wurde, auf Schikanen der Behörden.
Bei der Wahl zur Nationalversammlung am 19.1.1919, in der auch Johannes Meerfeld als Abgeordneter gewählt wurde, lag die SPD in Köln zwar knapp hinter dem Zentrum, konnte aber Abwanderungen zur USPD weitgehend begrenzen. Auch bei der Reichstagswahl 1920 blieb die SPD, im Unterschied zum Trend im Reich, mehr als doppelt so stark wie die USPD, die in den kommenden zwei Jahren zwischen der SPD und der KPD zerrieben wurde.
Die überschaubaren Redebeiträge von Meerfeld in der Nationalversammlung und im Reichstag drehten sich häufig um Probleme, die auf das Engste mit seiner rheinischen Heimat und Herkunft verknüpft waren. Dazu gehörte die Neugestaltung des Verhältnisses von Staat und Kirche, welches er im Kaiserreich so hart kritisiert hatte. Dabei gehörte er nicht zu den radikalen Kirchenkritikern, sondern setzte sich für einen abgewogenen Ausgleich ein. Das zeigt einen demokratischen Lernprozess an, den zu Beginn der Republik nicht nur die Sozialdemokratie durchmachen musste. Zugleich eine Brücke zu einer Zusammenarbeit mit dem politischen Katholizismus im Reich und im Rheinland.
Ein weiteres zentrales Problem, in dem sich rheinische und reichsweite Interessen überschnitten, war die „Rheinlandfrage“ um den rheinischen Separatismus, die im Jahr 1923 mit gewalttätigen Auseinandersetzungen ihren Höhepunkt fand. Hier vertraten Johannes Meerfeld und die Sozialdemokratie - Meerfeld selbst war als Vertreter der rheinischen SPD und Mitglied des preußischen Staatsrats (1920-1933) in den politischen Prozess eingebunden − eindeutig und nachdrücklich gesamtstaatliche Interessen.
Trotz seines Reichstagsmandats blieb Meerfeld vor allem rheinischer Lokalpolitiker. Von 1920 bis 1933 war er in Köln Beigeordneter und Dezernent für Kultur und Volksbildung unter Oberbürgermeister Konrad Adenauer. Die Gründung der Universität Köln geht maßgeblich auf sein Betreiben zurück, wofür er schon im Oktober 1919 die Ehrendoktorwürde verliehen bekam. Die Zusammenarbeit mit Adenauer und dem Zentrum funktionierte bei allen parteipolitischen Gegensätzen weitgehend harmonisch und war vor allem auf das Vertrauensverhältnis der beiden so unterschiedlich sozialisierten Persönlichkeiten zurückzuführen.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Meerfeld am 25.7.1933 aus seinem Amt entfernt, nachdem er schon im März kurzzeitig in Haft genommen worden war. Nach einer kurzen Zeit des Exils in der Schweiz kehrte er 1934 in das Rheinland zurück und lebte zurückgezogen in Bonn und der Eifel. Über seine Zeit im „Dritten Reich“ ist wenig bekannt, über informelle Kontakte mit anderen Sozialdemokraten hinaus dürfte er aber keine politische oder gar widerständige Tätigkeit entfaltet haben. Trotzdem wurde er als „rheinische Prominenz“ mehrfach von der Gestapo verhört und befand sich 1944 im Arbeitserziehungslager/Messelager Köln. Nach Kriegsende 1945 war er an der Wiedergründung der SPD beteiligt und kurzeitig Vorsitzender des Bezirks Mittelrhein, nahm danach aber keine hervorgehobene Position mehr ein. Er starb am 20.6.1956 in Bonn.
Die grundlegende Frage seines politischen Wirkens, die er wohl letztlich selbst nie abschließend beantworten konnte, zeigt sich in dem Titel einer seiner letzten Publikationen, die er in der Zeitschrift „Geist und Tat“ des ethischen Sozialisten Willi Eichler (1896-1971) veröffentlichte: „Katholische Kirche und Sozialismus.“ An Johannes Meerfeld und seine Verdienste erinnert heute eine Straße in Köln-Longerich.
Schriften (Auswahl)
Beiträge zur klerikalen Arbeiterpolitik, in: Die Neue Zeit 23 (17), 1904/05, S. 555-562.
Katholische Kirche und Sozialismus, in: Geist und Tat 2 (8), 1947, S. 12-15.
Quellen
1914-1918: Ein rheinisches Tagebuch [Online]
Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik [Online]
Datenbank der Deutschen Parlamentsabgeordneten [Online]
Literatur
Brand, Gregor, Johannes Meerfeld. Politiker und Journalist aus Euskirchen, in: Eifelzeitung [Online]
Mergel, Thomas, Köln im Ersten Weltkrieg, in: Portal Rheinische Geschichte [Online]
Nonn, Christoph, „Die Krone des Zentrumsturms ist ausgebrochen“. Die Reichstagswahlen von 1912 in Köln und der politische Katholizismus, in: Geschichte in Köln 36 (1994), S. 83-113.
- 1: Kölner Local-Anzeiger vom 23.1.1912, online: https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/zoom/364637
- 2: Vorwärts vom 25.1.1912, online: http://fes.imageware.de/fes/web/index.html?open=VW29020
- 3: Meerfeld, Jean [Johannes], Beiträge zur klerikalen Arbeiterpolitik, in: Die Neue Zeit 23 (17), 1904/05, S. 555-562, online: http://library.fes.de/cgi-bin/nz_mktiff.pl?year=1904-05a
- 4: Meerfeld, J[ohannes], Klassenkampf in der Zentrumspartei, in: Die Neue Zeit 25 (13), 1905/06, S. 423-431, online: http://library.fes.de/cgi-bin/nz_mktiff.pl?year=1905-06a
- 5: Meerfeld, J[ohannes], Nachdenkliche Betrachtungen, in: Die Neue Zeit 31 (38), 1912/13, S. 398-401, online: http://library.fes.de/cgi-bin/nz_mktiff.pl?year=1912-13b
- 6: Mergel, Thomas, Köln im Ersten Weltkrieg, online: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/koeln-im-ersten-weltkrieg/DE-2086/lido/57d1365e54c212.59206620
- 7: Bergische Arbeiterstimme vom 7.11.1917, online: https://archivewk1.hypotheses.org/43970
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Kühne, Tobias, Johannes (Jean) Meerfeld, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/johannes-jean-meerfeld/DE-2086/lido/64006d4bae1ea4.97222844 (abgerufen am 05.12.2024)