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Die „Klosterfrau“, wie man Maria Clementine Martin noch nannte, als die säkularisierte Nonne längst eine erfolgreiche Unternehmerin war, legte mit Schläue und einer gewissen, wenig frommen ökonomischen Härte die Grundlage für die Kölner Firma „Klosterfrau Melissengeist“, die heute als „Healthcare Group“ den Melissengeist als "rezeptfreies Arzneimittel“ immer noch vertreibt.
Maria Clementine Martin wurde am 5.5.1775 als Tochter des Königlich-Kaiserlichen Offiziers Johann Heinrich Martin (1739-1819) und seiner Ehefrau Christine von Mergenthal (1739-1812) in Brüssel geboren und auf den Namen Wilhelmine getauft. Um 1778 trat der Vater in die Dienste des Fürsten Friedrich August von Anhalt-Zerbst (Regierungszeit 1734-1793) und nahm für diesen im Sold der englischen Krone am amerikanischen Unabhängigkeitskrieg teil. 1782 ließ er sich mit seiner Familie in der zum Fürstentum Anhalt-Zerbst gehörenden Garnisonsstadt Jever nieder. Zählte die Familie dort zunächst zur gesellschaftlichen Oberschicht, änderte sich das schon bald, als sie in schwierige finanzielle Verhältnisse geriet.
1779 hatte der Fürst in Jever eine katholische Gemeinde gründen lassen, der auch die Familie Martin angehörte.
1792 trat Wilhelmine Martin in das Kloster der Annuntiatinnen in Coesfeld ein und nahm den geistlichen Namen Maria Clementine an, den sie zeitlebens beibehielt. Im Kloster St. Anna lebte sie bis 1803, ehe sie mit ihren Mitschwestern infolge geltend gemachter Besitzansprüche des Fürstenhauses Salm-Grumbach in das nahe Gronau gelegene Tertiarinnen-Kloster Marienflucht in Glane zog, wo sie bis zu dessen Auflösung im Zuge der Säkularisation im Jahr 1811 blieb.
Nach der Klosteraufhebung begab sich Maria Clementine auf behördliche Anweisung an ihren Geburtsort Brüssel, ließ sich aber schon bald in der kleinen, flämisch-brabantischen Stadt Tirlemont (Tienen) nieder. Über ihre Lebensumstände in den Jahren von 1811 bis 1815 ist nichts bekannt. Erst nach der Schlacht bei Waterloo am 18.6.1815 taucht ihr Name im Zusammenhang mit der Versorgung verwundeter preußischer Soldaten auf, die sie als Lazarettschwester leistete. Aufgrund dieser Verdienste zeichnete König Friedrich Wilhelm III. (Regentschaft 1797-1840) sie mit einer Leibrente von jährlich 160 Talern aus.
Wiederum ist über die ehemalige Ordensfrau einige Jahre nichts zu erfahren. Erst 1821 gibt es den Hinweis, dass sie sich in der Stadt Münster niedergelassen hatte. Jahre später, etwa ab 1826, behauptete sie, sie habe sich nach der Schlacht bei Waterloo acht Jahre im Kloster der Karmelitinnen in Brüssel aufgehalten und dort die "Verfeinerung der Kunst zur Herstellung eines Karmelitergeistes erlernt" – doch dafür fehlt jeder Beweis. Weder gibt es im Brüsseler Frauenkarmel einen Hinweis auf ein Ordensmitglied ihres Namens noch für die Behauptung, dort sei ein Karmelitengeist hergestellt worden beziehungsweise, dass dieser Frauenorden jemals ein solches Wasser produziert hat. Anzuzweifeln sind auch Maria Clementine Martins Behauptungen, sie sei bereits im Coesfelder Annuntiatinnen-Kloster mit der Herstellung eines Melissenwassers befasst gewesen und dessen Verkauf habe den Haupterwerbszweig ausgemacht.
1821 sollte für die ehemalige Nonne Martin von besonderer Bedeutung werden. Sah sie sich doch in dem Jahr einem Verfahren wegen Quacksalberei ausgesetzt, welches die in Münster ansässigen Ärzte und Wundärzte gegen sie wegen des von ihr unerlaubten "Curirens von Fistel- und Krebsschäden" angestrengt hatten. Die preußischen Behörden erteilten ihr schließlich ein striktes "Praxisverbot". Unbekannt ist, wie und wovon sie in dieser Zeit – abgesehen vom Ehrensold des preußischen Königs – ihren Lebensunterhalt bestritt.
1825 zog Maria Clementine Martin von Münster nach Köln. Kaum dort angekommen, überraschte die mittlerweile 50-Jährige mit einer Anzeige in der Kölnischen Zeitung vom 6.11.1825, in der sie für ein von ihr hergestelltes Eau de Cologne warb, das im Haus des Domvikars Gumpertz, Auf der Litsch 1, wo sie untergekommen war, „für 6 Sgr. 3 Pf. die Große Flasche“ zu haben sei. Im Herbst 1826 nahm sie von dort aus die Produktion eines "echten Karmelitergeistes" auf. Auffallend ist, dass sie bis dahin nicht behauptet hatte, sie verfüge über die Kenntnis, wie ein Karmeliter- oder Melissen-Geist herzustellen sei. Das geschah erst ab 1826, also dem Zeitpunkt ihrer Firmengründung in Köln.
In dem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass um 1826 sowohl Kölnisch-Wasser als auch Melissengeist- Rezepturen und die diesbezüglichen Produktionsverfahren längst bekannt waren, so dass die Herstellung solcher Elixiere nichts mehr Besonderes war. So gedieh beispielsweise vom 17.-19. Jahrhundert im Thüringer Wald das Olitätenwesen. Der Kölner Unternehmerin Martin dürfte es daher nicht schwer gefallen sein, auch ohne besondere Vorkenntnisse ihren Melissengeist zu fabrizieren. Nach den damals geltenden gesetzlichen Bestimmungen war es jedoch verboten, Melissen- oder Karmelitergeist als Arzneimittel, anzupreisen. Daher war es, um gesetzlichen Sanktionen zu entgehen, nur gestattet, diese Wässer als "Parfümwaaren", nämlich als “Wasch-und Riechmittel” zu bewerben. Nach dem Tod des Generalvikars Gumpertz im Jahr 1827 zog Maria Clementine Martin in das Haus Domhof 19, das sie zunächst mietete und das sie Mitte der 1830er Jahre käuflich erworben haben soll. Um ihren unternehmerischen Erfolg abzusichern, unternahm Maria Clementine Martin mehrere Schritte. Zunächst erbat sie von König Friedrich Wilhelm III. die Erlaubnis, ihre Waren mit dem Preußenadler schmücken zu dürfen und hatte damit, wie schon zuvor andere Kölner Kaufleute, Erfolg, indem sie am 28.11.1829 das entsprechende Privileg erhielt.
In einem nächsten Schritt soll sie dann 1831 ihre Fabrikzeichen beim Rat der Gewerbeverständigen hinterlegt haben, womit sie sich, weit vor dem 1875 in Kraft tretenden Markengesetz, einen gewissen Wettbewerbsschutz gegenüber der Konkurrenz sichern konnte. Bemerkenswert ist, dass es sich bei den ihr zum Schutz angemeldeten Zeichen nicht um eigene, originäre Fabrikzeichen handelte. Vielmehr beanspruchte sie Schutz für das preußische Wappen und das Ordenssiegel der Karmeliter, wobei auffallend ist, dass das von der Unternehmerin Martin angemeldete Karmeliterwappen eine gravierende Abweichung gegenüber dem Original des Ordenszeichens aufwies, enthielt es doch an Stelle der drei nur zwei Sternsymbole. Das dürfte ein weiteres Indiz dafür sein, dass die ehemalige Annuntiatin Martin niemals dem Orden der Karmelitinnen angehört hat.
Entgegen der oft zu lesenden Annahme, Maria Clementine Martins geschäftlicher Erfolg resultiere vornehmlich aus dem ihr durch Anmeldung der Zeichen beim Rat der Gewerbeverständigen gegenüber der Konkurrenz gewährten "Markenschutz", ist eher davon auszugehen, dass sich ihr Unternehmen vor allem deshalb so gut entwickelte, weil sie mit ihrem Produkt „Melisengeist" nahezu konkurrenzlos war. Denn während unter den Kölnisch-Wasser-Produzenten ein heftiger Wettbewerb bestand, so soll es zeitweise mehr als 60 Fabrikanten gegeben haben, hatte sie so gut wie keine Mitbewerber, die Melissengeist anboten. In Köln existierte in der Mitte der 1830er Jahre nur noch eine Gewerbetreibende namens Therese Sturm, die den aus dem Königreich Bayern importierten Regensburger Karmelitengeist verkaufte.
Therese Sturm war ursprünglich Haushälterin des ehemaligen Prokurators des Kölner Karmeliterordens gewesen, der sich nach Aufhebung des Klosters im Jahr 1802 am Waidmarkt Nr. 1 niedergelassen hatte und unter seinem bürgerlichen Namen Johann Schmitz mehr als 30 Jahre von seinen ehemaligen Ordensbrüdern aus Bayern den Regensburger Karmelitengeist bezog und in Köln verkaufte. Vor seinem Tod 1834 hatte er die Weiterbelieferung an Therese Sturm vertraglich gesichert.
Kaum war jedoch der ehemalige Karmelitermönch verstorben, veranlasste die Unternehmerin Martin die Behörden, gegen Therese Sturm vorzugehen, so dass sich diese mehreren Verfahren wegen illegalen Verkaufs von Geheimmitteln ausgesetzt sah. Dabei zeigte sich die ehemalige Ordensfrau Martin alles andere als zimperlich. Bei der Auseinandersetzung spielten die dem Regensburger Karmelitengeist beigelegten Gebrauchszettel eine entscheidende Rolle. So wies die Unternehmerin Martin die Kölner Polizeibehörde darauf hin, ihre Konkurrentin Sturm böte unter Beifügung verbotener Gebrauchszettel den Karmelitengeist als Universalmittel an, verschwieg jedoch, dass sie selbst verbotenerweise ihrem Melissengeist Gebrauchszettel beilegte, in denen sie ihr Produkt als Arznei anpries. Hinzu kam, dass sie Gebrauchsbeschreibungen verwandte, die nichts anderes als eine sklavische Nachahmung der „Beipackzettel“ des Regensburger Karmelitengeistes waren. Darauf machte Therese Sturm die Kölner Medizinalbehörde aufmerksam, die daraufhin eine polizeiliche Untersuchung gegen Maria Clementine Martin einleitete. Diese verlief jedoch letztlich im Sande. Dagegen kam Therese Sturm erst nach langwierigen Prozessen viele Jahre später zum Erfolg, denn erst 1839 wurde das gegen sie verhängte Verkaufsverbot endgültig aufgehoben.
Noch während die Auseinandersetzungen mit Therese Sturm andauerten, trat Maria Clementine Martin im Februar 1835 mit der Bitte an den preußischen König heran, ihr das Alleinvertriebsrecht für ihren Melissengeist einzuräumen und diesen endlich als Arznei anzuerkennen. Damit hatte sie allerdings keinen Erfolg.
Es sollte weitere fünf Jahre dauern, bis die "Klosterfrau" auf einem völlig anderen Feld von sich reden machte, und zwar trat sie im Zusammenhang mit den „Kölner Wirren“ und der Verhaftung des Kölner Erzbischofs Clemens August Droste zu Vischering durch die preußischen Behörden am 20.11.1837 als glühende Kämpferin für die katholische Sache auf. Das jedenfalls ist in Briefen, die sie 1839 und 1840 an Joseph Görres schrieb, nachzulesen. Ihre Haltung als ultramontane Katholikin blieb der Regierung allerdings nicht verborgen. Der Kölner Polizeidirektor verdächtigte sie sogar, Verfasserin einer Reihe von Schmähschriften gegen den preußischen Staat zu sein, ohne sie jedoch überführen zu können. Der gegen die Katholikin Martin geäußerte Verdacht könnte durchaus berechtigt gewesen sein. Damit wandelt sich das Bild der ehemaligen Ordensschwester, die sich selbst gern als "armes Nönnchen" bezeichnete, nachhaltig. Obwohl sie ihren Geschäftserfolg zu einem großen Teil der Protektion durch den preußischen Staates verdankte, zeigte sie sich wenig dankbar und zog gegen diesen Staat zu Felde.
Maria Clementine Martin starb am 9.8.1843 in Köln und fand ihre letzte Ruhestätte auf dem Friedhof Melaten, wo ihr Grab bis heute besteht.
Kurz vor ihrem Tod hatte sie ihren Gehilfen Peter Gustav Schaeben (1815-1885) als Nachfolger eingesetzt, der als Alleininhaber die Firma, dem ausdrücklichen Wunsch seiner ehemaligen Prinzipalin folgend, unverändert unter der bekannten Bezeichnung "Maria Clementine Martin Klosterfrau“ höchst erfolgreich fortsetzte. Sein Enkel Wilhelm Schaeben (1888-1972) meldete übrigens schon in den 1920iger Jahren eine Bildmarke mit "Drei Nonnen" an, die als Vorläufer des heute von der Firma als Marke benutzen bekannten blauen Logos mit den "Drei Nonnen in einem der Gotik nachempfundenen Fenster" gelten darf.
Die Stadt Köln hat die „Klosterfrau“ Maria Clementine Martin mit dem nach ihr benannten Platz im Rheinauhafen und mit der 1989 von der Bildhauerin Elisabeth Perger (geboren 1960) geschaffenen Figur am Kölner Rathausturm gewürdigt.
Literatur
Heckelmann, Helmut, Maria Clementine Martin (1775-1843). Ordensfrau, „Quacksalberin“, Unternehmerin. Eine rechtshistorische Untersuchung aus neuen Quellen, Münster 2015.
Herres, Jürgen, Köln in preußischer Zeit 1815-1871, Köln 2012.
Potthoff, Marie-Theres, [Artikel] Coesfeld–Annunziatinnen, in: Hengst, Karl (Hg.), Westfälisches Klosterbuch. Lexikon der vor 1815 errichteten Stifte und Klöster von ihrer Gründung bis zur Aufhebung, Teil 1, Münster 1992, S. 199.
Rosenbohm, Ernst, Kölnisch Wasser. Ein Beitrag zur europäischen Kulturgeschichte, Berlin [u.a.] 1951.
Witting, Petra, Die Klosterfrau Maria Clementine Martin, Köln, in: Symposion über Unternehmerinnen. Referate eines Symposions an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen im November 1988, hg. v. Francesca Schinzinger u. Angelika Müller-Thomas in Verbindung mit der Industrie- und Handelskammer zu Aachen, Aachen 1988, S. 101-112.
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Heckelmann, Helmut, Maria Clementine Martin, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/maria-clementine-martin/DE-2086/lido/57c948599a8770.53132119 (abgerufen am 06.10.2024)