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Paul Röhle war einer der zahlreichen Funktionäre der Sozialdemokratie und der Freien Gewerkschaften, von dem außer einigen Reden und Zeitungsartikeln kaum etwas überliefert ist. Jedoch lenken seine Spitzeltätigkeit für die Gestapo unter den Deckbezeichnungen „S 17“ und „S 18“ und vor allem die fehlende und verhinderte Aufarbeitung dieses Falles in der Nachkriegszeit den Blick auf ein dunkles Kapitel der deutschen und der sozialdemokratischen Geschichte vor und nach 1945.
Der politische Lebensweg des am 29.4.1885 in Barmen (heute Stadt Wuppertal) als Sohn eines kleinen Bauunternehmers geborenen Paul Röhle war erfolgreich, aber unspektakulär. Nach dem Besuch der Volksschule 1891−1899 und einer sich anschließenden Dekorationsmalerlehre in Barmen ging er auf Wanderschaft und arbeitete bis 1912 als Malergeselle. In die SPD war er schon 1902 eingetreten, ein Jahr später in die Gewerkschaft, vermutlich ist er in diesem Zeitraum auch aus der evangelischen Kirche ausgetreten. Seit 1913 war er verheiratet, der Name der Ehefrau ist jedoch unbekannt. Von 1906 bis 1911 war er Vorsitzender der Filiale des Malerverbands in Düsseldorf und wechselte danach als hauptamtlicher Angestellter des Malerverbands nach Plauen in Sachsen, wo er gleichzeitig Vorstandsmitglied des Gewerkschaftskartells war und dem Arbeiter- und Soldatenrat angehörte. Von 1919 bis 1933 fungierte er als Bezirksparteisekretär der SPD in Hessen-Nassau mit Sitz in Frankfurt a.M., wo er intern als autoritärer Parteibürokrat galt. 1919 wurde er als Abgeordneter in die Weimarer Nationalversammlung gewählt. Dort beschäftigte er sich vor allem mit dem wichtigen Bereich der Lebensmittelbewirtschaftung. Von 1924 bis 1933 war er sowohl Mitglied des Preußischen Landtags als auch des Reichstags, trat dort aber kaum in Erscheinung.
Für die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 fand Paul Röhle markige Worte und hielt Anfang Februar die Arbeiterbewegung „für den Augenblick des faschistischen Staatsstreichs [für] gerüstet“. Das erwies sich ebenso wie sein vor allem gegen die KPD gerichteter Wahlkampf als fatale Fehleinschätzung, denn auch in Hessen-Nassau wurden Parteien und Gewerkschaften nach der Reichstagswahl im März 1933 mühelos zerschlagen. Röhle selbst musste sich im April an den Preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring (1893-1946) wenden und teilte ihm 14 Fälle von Misshandlungen politischer Freunde mit. Auch diese Maßnahme blieb wirkungslos, im Juni wurde er kurzzeitig in Schutzhaft genommen und schlug sich danach als Arbeitsloser und später als Handelsvertreter durch. Ob er bereits in der Schutzhaft von der Gestapo „umgedreht“ worden ist, lässt sich rückblickend nicht belegen. Jedoch liegen Dokumente aus dem Jahr 1938 vor – Röhle wohnte mittlerweile in Berlin-Schöneberg –, in denen er die Gestapo ausgiebig über illegale und halblegale Treffen von Sozialdemokraten und Gewerkschafter informierte. Die detaillierte Auflistung von Treffen und Vorgängen lässt nur den Schluss zu, dass seine Zusammenarbeit mit der Gestapo nicht oder nicht nur unter Druck zustande kam, sondern auch auf eigener, womöglich antikommunistisch motivierter Initiative beruhte. Seine Kooperation wurde ihm durchaus vergolten, im Februar 1938 erhielt er 20 Reichsmark Kostenaufwandsentschädigung.
Nach Kriegsende 1945 beteiligte sich Paul Röhle an der Wiedergründung der SPD in Rheinland-Pfalz und wurde dort Arbeitsminister der provisorischen, von den französischen Besatzungsbehörden eingesetzten Landesregierung unter dem Christdemokraten Wilhelm Boden (1890-1961) vom 3.12.1946 bis zum 13.7.1947. Im selben Jahr wurde er in den ersten rheinland-pfälzischen Landtag und dort zum Vizepräsidenten gewählt. Daneben amtierte er bis 1951 als Präsident des Landesarbeitsamtes Rheinland-Pfalz mit Sitz in Koblenz. Schon früh, im Jahr 1949, wurden die inkriminierenden Dokumente von der kommunistischen Zeitung „Neues Leben“ publiziert und kommentiert. Doch Folgen hatte dieser Skandal für Röhle nicht, sondern für die Redakteure von „Neues Leben“, gegen die das Landgericht in Frankenthal ein Verfahren eröffnete. Dieses Gericht hatte vorher einer Unterlassungsklage Röhles stattgegeben. Ein Verfahren gegen Röhle hingegen wurde seitens der CDU und SPD verhindert, indem ein Antrag der KPD auf Aufhebung seiner Immunität im Landtag abgeschmettert wurde. Diese Episode zeigt, dass es nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Sozialdemokratie erhebliche und heute nicht mehr verständliche Widerstände bei der Aufarbeitung und strafrechtlichen Verfolgung nationalsozialistischer Verbrechen gab. Das Verhalten der rheinland-pfälzischen Sozialdemokratie ist rückblickend nicht erklärbar und kaum zu entschuldigen, hatten doch auch hier zahlreiche Genossinnen und Genossen unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gelitten.
Paul Röhle zog nach seiner Pensionierung zunächst nach Trier und später nach Wiesbaden, wo er am 13.1.1958 verstarb.
Literatur
Ulrich, Axel, Konrad Arndt. Ein Wiesbadener Gewerkschafter und Sozialdemokrat im Kampf gegen den Faschismus, Wiesbaden 2001. [Online]
Wiegand, Richard, „Wer hat uns verraten…“. Die Sozialdemokratie in der Novemberrevolution. Mit einem Vorwort von F.E. Hoevels und zahlreichen ergänzenden Materialien, Freiburg 1999.
Online
BIOSOP-Online [Online]
Datenbank der deutschen Parlamentsabgeordneten [Online]
Rheinland-Pfälzische Personendatenbank [Online]
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Kühne, Tobias, Paul Röhle, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/paul-roehle/DE-2086/lido/65e702ee00eb52.45625064 (abgerufen am 05.12.2024)