Viktor Jantzen

Sozialdemokratischer Politiker und Gewerkschaftsfunktionär (1875-1956)

Tobias Kühne (Bonn)
Veröffentlicht am 05.02.2024, zuletzt geändert am 16.02.2024

Viktor Jantzen als Mitglied der Nationalversammlung, 1919. (Büro des Reichstages, Handbuch der verfassungsgebenden Nationalversammlung, Berlin 1919, S. 304.)

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Der So­zi­al­de­mo­krat Vik­tor Jant­zen war 1919 Mit­glied der Wei­ma­rer Na­tio­nal­ver­samm­lung und üb­te da­ne­ben klei­ne­re Par­tei­äm­ter im Rhein­land aus. Sein grö­ß­tes En­ga­ge­ment ent­fal­te­te er aber als Ge­werk­schaf­ter für den Zim­me­rer­ver­band für Rhein­land und West­fa­len.

Vik­tor Jant­zen wur­de am 17.10.1875 in Ham­burg ge­bo­ren. Von sei­nen El­tern ist le­dig­lich be­kannt, dass sein Va­ter Leh­rer war und die El­tern ihn evan­ge­lisch tau­fen lie­ßen. Wie un­ter so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Funk­tio­nä­ren üb­lich trat er aber spä­ter aus der Kir­che aus. Nach dem Be­such der Volks­schu­le in Ham­burg ging er in die Leh­re als Zim­me­rer im be­nach­bar­ten, zur preu­ßi­schen Pro­vinz Schles­wig-Hol­stein ge­hö­ren­den Lok­stedt (heu­te Stadt Ham­burg). Ver­mut­lich bei der an­schlie­ßen­den Ge­sel­len­wan­de­rung ver­schlug es ihn nach Düs­sel­dorf, wo er für den Rest sei­nes Le­bens ei­ne Hei­mat fand und zu­nächst bis 1903 als Zim­me­rer­ge­sel­le ar­bei­te­te. Ob­wohl er mehr­fach den Woh­nungs­stand­ort wech­sel­te, was zu­min­dest bis 1933 auf ei­nen ste­tig stei­gen­den Le­bens­stan­dard schlie­ßen lässt, be­fan­den sich sei­ne Woh­nun­gen doch stets in ei­nem über­schau­ba­ren Ge­biet, in et­wa dort, wo die Stadt­be­zir­ke 2, 3 und 8 an­ein­an­der­gren­zen. Die Um­zü­ge moch­ten auch Ver­än­de­run­gen der fa­mi­liä­ren Si­tua­ti­on ge­schul­det sein, doch dies­be­züg­lich ist le­dig­lich be­kannt, dass Jant­zen ver­hei­ra­tet war.

Von 1898 bis 1903 am­tier­te Jant­zen eh­ren­amt­lich als Vor­sit­zen­der der Agit­kom­mis­si­on des Zim­me­rer­ver­bands für die Rhein­pro­vinz. Seit Mai 1903 bis zu der Zer­schla­gung der Ge­werk­schaf­ten 30 Jah­re spä­ter war er haupt­amt­li­cher Gau­lei­ter des Zim­me­rer­ver­bands für Rhein­land und West­fa­len mit Sitz in Düs­sel­dorf. Hier war er auch po­li­tisch in der SPD ak­tiv und ge­hör­te in der tra­di­tio­nell ra­di­ka­len Düs­sel­dor­fer Ar­bei­ter­be­we­gung zum re­for­mis­ti­schen Flü­gel. Für sei­ne Ge­werk­schaft nahm er an zahl­rei­chen reichs­wei­ten Ge­werk­schafts­kon­gres­sen teil. Nach­de­m Au­gust Be­bel am 28.11.1868 im „De­mo­kra­ti­schen Wo­chen­blat­t“ zur Grün­dung von be­rufs­stän­di­schen Ge­werk­schaf­ten auf­ge­ru­fen hat­te, ge­hör­ten die tra­di­ti­ons­rei­chen Zim­me­rer zu den ers­ten Be­rufs­grup­pen, die sich ge­werk­schaft­lich or­ga­ni­sier­ten. Der All­ge­mei­ne Deut­sche Zim­me­rer­ver­ein wur­de En­de De­zem­ber 1868 in Braun­schweig ge­grün­det, der 6.700 Zim­me­rer aus 77 Or­ten or­ga­ni­sier­te. Schon 1868 konn­te in Ber­lin der ers­te lo­ka­le Ta­rif­ver­trag im Zim­me­rer­ge­wer­be ab­ge­schlos­sen wer­den, ei­ner der wei­te­ren frü­hes­ten Ta­rif­ver­trä­ge in die­sem Ge­wer­be wur­de in Düs­sel­dorf aus­ge­han­delt. Die her­aus­ra­gen­de Fi­gur in der An­fangs­zeit die­ser Ge­werk­schaft war Au­gust Ka­pell (1844−1922). Nach ver­schie­de­nen Ver­bo­ten in der Zeit der So­zia­lis­ten­ge­set­ze wur­de die Ge­werk­schaft 1883 in Ber­lin wie­der­ge­grün­det und re­si­dier­te von 1887 bis 1933 in Ham­burg. 1897 folg­te die end­gül­ti­ge Um­be­nen­nung in Zen­tral­ver­band der Zim­me­rer und ver­wand­ter Be­rufs­ge­nos­sen Deutsch­lands.

Das Rhein­land zähl­te, im Ge­gen­satz zu Sach­sen, Ber­lin und den Han­se­städ­ten, nicht zu den Hoch­bur­gen der or­ga­ni­sier­ten Zim­mer­leu­te. Die Mit­glie­der­stär­ke in aus­ge­wähl­ten Städ­ten des Jah­res 1903 lau­tet: Bar­men-El­ber­feld (118), Bonn (23), Duis­burg (90), Es­sen (55), Köln (225), Ko­blenz (103), So­lin­gen (12) un­d Saar­brü­cken (32). In Aa­chen un­d Trier scheint es zu die­sem Zeit­punkt noch über­haupt kei­ne Ge­werk­schafts­or­ga­ni­sa­ti­on ge­ge­ben zu ha­ben. Im Ver­gleich zu so un­ter­schied­li­chen Städ­ten wie Kiel (650), Han­no­ver (466), Chem­nitz (350) oder Dres­den (2.084) je­den­falls war die Mit­glie­der­zahl re­la­tiv ge­ring, al­ler­dings ten­den­zi­ell hö­her als in den süd­deut­schen Städ­ten. Die­se eher mä­ßi­ge Mo­bi­li­sie­rung war si­cher auch auf die Kon­kur­renz der ka­tho­li­schen Ar­bei­ter­be­we­gung zu­rück­zu­füh­ren, zu­mal die­se in Be­rufs­grup­pen mit hand­werk­lich-zünf­ti­gen Wur­zeln tra­di­tio­nell stark war. Die Ver­bands­zeit­schrift „Der Zim­me­rer“ be­rich­te­te ge­le­gent­lich über Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen christ­lich und frei­ge­werk­schaft­lich or­ga­ni­sier­ten Zim­mer­leu­ten. Mit den iro­nisch als „Ka­me­ra­den in Chris­to“ be­zeich­ne­ten, im Zen­tral-Ver­band christ­li­cher Bau­ar­bei­ter Deutsch­lands or­ga­ni­sier­ten Kol­le­gen je­den­falls hat­ten Vik­tor Jant­zen und sei­ne Mit­strei­ter we­nig zu schaf­fen. Ein spe­zi­fi­sches Pro­blem im Bau­ge­wer­be, an­ders als et­wa im Berg­bau, lag dar­in, dass die christ­lich be­grün­de­te So­zi­al­part­ner­schaft bei der klein­be­trieb­li­chen Struk­tur durch­aus auf Wi­der­hall sto­ßen konn­te. Aus die­sem Grund wa­ren die Kon­flik­te zwi­schen bei­den Rich­tungs­ge­werk­schaf­ten im Zim­me­rer­ge­wer­be här­ter als in an­de­ren Bran­chen. Die­se zum Teil auch künst­lich auf­ge­bausch­ten Strei­te­rei­en soll­ten aber nicht dar­über hin­weg­täu­schen, dass die gro­ßen Streik­be­we­gun­gen 1910 und 1913 von al­len Rich­tun­gen ge­tra­gen wur­den.

Zu der Ge­samt­zahl von 29.905 Mit­glie­dern des Zen­tral­ver­bands im Jahr 1903 trug das Rhein­land un­ter der Lei­tung von Vik­tor Jant­zen je­den­falls nur sehr be­dingt bei. Dies hat­te er­heb­li­che Aus­wir­kun­gen auf die ört­li­chen Lohn- und Ar­beits­be­din­gun­gen. In Kiel et­wa lag der durch­schnitt­li­che Jah­res­ver­dienst im sel­ben Jahr bei 1.639 Reichs­mark, in Köln bei 1.492 Reichs­mark bei 138 zu­sätz­li­chen Jah­res­ar­beits­stun­den. Aber bis zum Aus­bruch des Ers­ten Welt­kriegs konn­te die Ge­werk­schaft er­heb­lich ex­pan­die­ren, 1913 wa­ren reichs­weit ins­ge­samt 59.831 Zim­me­rer or­ga­ni­siert, 2.345 da­von im Rhein­land. Dass dies im­mer noch ver­gleichs­wei­se we­ni­ge wa­ren, zeigt ein Ver­gleich mit den we­sent­lich be­völ­ke­rungs­är­me­ren preu­ßi­schen Pro­vin­zen Sach­sen (3.809), Han­no­ver (2.759) und Schles­wig-Hol­stein (2.409). 

Bei all die­sen Zah­len ist aber zu be­rück­sich­ti­gen, dass der Or­ga­ni­sa­ti­ons­grad im Zen­tral­ver­band un­ter den Zim­mer­leu­ten ins­ge­samt enorm hoch war. Nach ei­ner Er­he­bung des Ver­bands selbst aus dem Jahr 1911 wa­ren fast 80 Pro­zent der Zim­me­rer frei­ge­werk­schaft­lich or­ga­ni­siert. Im Rhein­land al­ler­dings war dies „nur“ bei gut 60 Pro­zent der Fall, dies war im­mer­hin hö­her als in West­fa­len, aber die drei Han­se­städ­te führ­ten mit je­weils weit über 90 Pro­zent. Die mit 110 Neu­mit­glie­dern ver­gleichs­wei­se ho­he Zahl an Ein­trit­ten im Rhein­land im Jahr 1913 über­traf zah­len­mä­ßig al­le preu­ßi­schen Pro­vin­zen au­ßer Schle­si­en, deu­tet aber dar­auf hin, dass hier ein Nach­ho­lef­fekt ein­setz­te. Die­ser wur­de durch den Aus­bruch des Ers­ten Welt­kriegs ge­stoppt. Durch Ein­be­ru­fun­gen und spä­ter auch auf­grund von fi­nan­zi­el­len Nö­ten hat­te sich der Mit­glie­der­be­stand von 1913 im Jahr 1917 um zwei Drit­tel re­du­ziert, auch wenn der Mit­glie­der­ver­lust im Rhein­land we­ni­ger als die Hälf­te be­trug und die Mit­glie­der­zahl im Ver­gleich zu 1916 so­gar er­heb­lich stieg, nicht zu­letzt auf­grund vie­ler Wie­der­ein­trit­te. Zu­sam­men­ge­fasst könn­te man sa­gen, dass es im rhei­ni­schen Teil von Vik­tor Jant­zens Gau ei­ne mit­tel­gro­ße, da­für aber um­so loya­le­re Ge­werk­schafts­ba­sis gab. Dass das auch sein ganz per­sön­li­cher Ver­dienst war, ist of­fen­kun­dig. 

Wie in die­ser Zeit der Ar­beits­all­tag von Vik­tor Jant­zen aus­sah, geht aus zahl­rei­chen lo­ka­len Be­rich­ten her­vor, die in „Der Zim­me­rer“ ver­öf­fent­licht wur­den. Von Op­la­den (heu­te Stadt Le­ver­ku­sen) bis Ko­blenz war er re­gel­mä­ßig un­ter­wegs, um an ört­li­chen Ver­samm­lun­gen teil­zu­neh­men oder die Kol­le­gen bei Ta­rif­aus­ein­an­der­set­zun­gen zu un­ter­stüt­zen. Dies be­deu­te­te ei­nen er­heb­li­chen Zeit­auf­wand, al­lein 1913 fan­den in Köln bei nur 321 Mit­glie­dern 87 Ver­an­stal­tun­gen statt, da­von fünf Ge­ne­ral­ver­samm­lun­gen. Aus den Be­rich­ten kann man schlie­ßen, dass die Ba­sis vor Ort min­des­tens ei­nen Auf­tritt als Haupt­red­ner pro Jahr von Gau­lei­ter Jant­zen er­war­te­te. Auf­grund der per­ma­nen­ten ta­rif­li­chen Kon­flik­te und in­ner­ge­werk­schaft­li­cher Zwis­tig­kei­ten wird er aber we­sent­lich häu­fi­ger un­ter­wegs ge­we­sen sein. Bei 21 Zahl­stel­len − so nann­ten sich die lo­ka­len Or­ga­ni­sa­ti­ons­ein­hei­ten − im Rhein­land und 23 in West­fa­len war dies ein er­heb­li­cher Ar­beits­auf­wand. Wo­mög­lich konn­te oder woll­te Vik­tor Jant­zen auch aus die­sem Grund kei­ne her­aus­ge­ho­be­nen po­li­ti­schen Äm­ter oder Man­da­te wahr­neh­men.

Die Or­ga­ni­sa­ti­on von Ta­rif­aus­ein­an­der­set­zun­gen und Streiks war beim Zen­tral­ver­band die wich­tigs­te und zeit­auf­wen­digs­te Auf­ga­be, weil ih­re Mit­glie­der, eben­so wie an­de­re Ar­bei­ter im Bau­ge­wer­be, als be­son­ders streik- und kon­flikt­freu­dig gal­ten. Ei­ni­ge Grün­de wur­den be­reits an­ge­deu­tet. Das aus­ge­präg­te Stan­des­be­wusst­sein und nicht zu­letzt die Ge­sel­len­wan­de­rung der Zim­me­rer för­der­te die für ei­ne Streik­be­reit­schaft not­wen­dig So­li­da­ri­tät un­ge­mein, glei­ches galt für den un­ge­wöhn­lich ho­hen Or­ga­ni­sa­ti­ons­grad. Hin­zu kam, dass es im Bau­ge­wer­be und ins­be­son­de­re im Zim­merer­hand­werk kei­ne Ar­bei­te­rin­nen und nur we­ni­ge Ju­gend­li­che oder Un­ge­lern­te gab, Grup­pen, die sich nur schwer mo­bi­li­sie­ren lie­ßen und Ar­beits­kämp­fe un­ter­lau­fen konn­ten. Dar­über hin­aus blieb die Ver­hand­lungs­macht der Ar­beit­ge­ber, al­so in der Re­gel der zahl­rei­chen Meis­ter, auf­grund der klein­be­trieb­li­chen Struk­tur des Ge­wer­bes und der feh­len­den Zen­tra­li­sie­rung be­grenzt. Im Jahr 1907 ar­bei­te­ten reichs­weit 124.917 Zim­mer­leu­te in 30.070 Be­trie­ben und nur 8.036 in Be­trie­ben mit mehr als 50 Mit­ar­bei­tern. Die Ver­tei­lungs­kämp­fe wur­den zu­dem noch durch die star­ke Ab­hän­gig­keit von Kon­junk­tur und Wit­te­rung ver­schärft. Durch die er­neu­te Hoch­kon­junk­tur seit 1909 wuchs das Selbst­be­wusst­sein und die Streik­be­reit­schaft in der Ar­bei­ter­schaft er­heb­lich. In Es­sen et­wa ka­men auf 23.731 be­set­ze Stel­len im Bau­ge­wer­be 47.425 of­fe­ne Stel­len, was die Pra­xis des Streik­bre­chens un­mög­lich mach­te.

Ei­ner der här­tes­ten Ta­rif­kämp­fe in der deut­schen Ge­schich­te fand im Bau­ge­wer­be im Jahr 1910 statt. In die­sem Jahr lie­fen et­wa 90 Pro­zent der Ta­rif­ver­trä­ge im Bau­ge­wer­be aus und ein Teil der Ar­beit­ge­ber, ins­be­son­de­re der Ar­beit­ge­ber­bund mit 22.000 or­ga­ni­sier­ten Mit­glieds­be­trie­ben, nahm dies zum An­lass, die Ge­werk­schaf­ten rück­sichts­los un­ter Druck zu set­zen. Er­geb­nis­of­fe­ne Ver­hand­lun­gen wur­den ab­ge­lehnt, ei­ge­ne For­de­run­gen den Ge­werk­schaf­ten als Dik­tat vor­ge­legt. 

Be­son­ne­ne Stim­men in den ei­ge­nen Rei­hen wur­den ein­ge­schüch­tert und be­droht. Als sich die Ge­werk­schaf­ten die­ser Vor­ge­hens­wei­se ver­wei­ger­ten kam es seit dem 15.4.1910 reichs­weit zu mas­sen­haf­ten Aus­sper­run­gen, be­trof­fen wa­ren rund 190.000 Ar­bei­ter. Auch im Rhein­land kam die Bau­tä­tig­keit fast voll­stän­dig zum Er­lie­gen, so wa­ren im Raum Köln et­wa 4.000 Ar­bei­ter in 180 Be­trie­ben be­trof­fen. Selbst die christ­li­che Ge­werk­schafts­zei­tung „Die Bau­ge­werk­schaf­t“ be­zeich­ne­te die­ses Vor­ge­hen als „Un­ter­neh­mer-Ter­ro­ris­mus“, in ei­ner Ka­ri­ka­tur im Sim­pli­cis­si­mus wur­de ein kli­schee­haf­ter Ka­pi­ta­list bei dem Ver­such dar­ge­stellt, ei­nen Ar­bei­ter von ei­nem Bau­ge­rüst zu wer­fen.

Aber die Ar­beit­ge­ber­sei­te hat­te sich bei ih­rem Ver­such, die Ar­bei­ter und ih­re Ge­werk­schaf­ten mit ih­rem mi­li­tan­ten Kurs fi­nan­zi­ell aus­zu­trock­nen und zur Ka­pi­tu­la­ti­on zu zwin­gen, ma­ß­los über­schätzt. Die Streik­kas­sen der Ver­bän­de der Mau­rer und Zim­me­rer wa­ren üp­pig ge­füllt, ers­te­re hat­ten in ih­rer Haupt­kas­se über 5 Mil­lio­nen Reichs­mark an­ge­sam­melt, letz­te­re über 1 Mil­li­on. Dies war an­ge­sichts der je­wei­li­gen Mit­glieds­zah­len und Jah­res­ein­nah­men ei­ne enor­me Sum­me und über­traf zum Bei­spiel den Ver­mö­gens­be­stand des Me­tall­ar­bei­ter­ver­bands mit sei­ner grö­ße­ren Mit­glied­schaft fast um das Dop­pel­te, zu­sätz­li­ches Geld kam durch kurz­fris­tig er­höh­te Bei­trä­ge in die Kas­sen. Dar­über hin­aus wur­de die Streik­be­we­gung auch von den christ­li­chen und li­be­ra­len Ge­werk­schaf­ten mit­ge­tra­gen und ver­zich­te­te auf Ma­xi­mal­for­de­run­gen und ei­ne klas­sen­kämp­fe­ri­sche Spra­che, so dass die öf­fent­li­che Mei­nung und die po­li­ti­schen Eli­ten an­ge­sichts der hals­star­ri­gen Un­ter­neh­mer­ver­bän­de im­mer mehr mit den For­de­run­gen der Strei­ken­den sym­pa­thi­sier­ten oder doch we­nigs­tens Kom­pro­mis­se an­mahn­ten. Auch klei­ne­re Hand­werks­meis­ter und re­gio­na­le Ar­beit­neh­mer­ver­bän­de, so et­wa in Bonn, dis­tan­zier­ten sich teil­wei­se von der ag­gres­si­ven Po­li­tik ih­res Ver­bands und nah­men Aus­sper­run­gen zu­rück oder führ­ten sie gar nicht erst durch, was wie­der­um die fi­nan­zi­el­le Un­ter­stüt­zung der Strei­ken­den er­leich­ter­te. Über­haupt war die Be­reit­schaft zum Ar­beits­kampf auf bei­den Sei­ten stark von den lo­ka­len Ge­ge­ben­hei­ten ab­hän­gig. Im un­ru­hi­gen Köln et­wa flos­sen von 1885 bis 1918 mehr als 20 Pro­zent der Ge­samt­ein­nah­men der Zahl­stel­le in die Streik­un­ter­stüt­zung, in Duis­burg hin­ge­gen we­ni­ger als 4 Pro­zent.

Ins­ge­samt zeig­te sich, dass die Un­ter­neh­mer um­so nach­gie­bi­ger wa­ren, des­to hö­her der Or­ga­ni­sa­ti­ons­grad der Mau­rer und Zim­mer­leu­te war. Ins­be­son­de­re in den Han­se­städ­ten und Ber­lin wi­der­setz­ten sich die ört­li­chen Ver­bän­de dem Aus­sper­rungs­be­schluss der Ge­ne­ral­ver­samm­lung des Ar­beit­ge­ber­bunds. Die Ar­beit­ge­ber­ver­tre­ter des Rhein­lands hin­ge­gen, bei der Ver­samm­lung mel­de­ten sich je­ne aus Köln und Es­sen zu Wort, setz­ten zu­meist auf Kon­fron­ta­ti­on. Bei der kurz dar­auf­fol­gen­den au­ßer­or­dent­li­chen Ge­ne­ral­kon­fe­renz des Zen­tral­ver­bands der Zim­me­rer am 4.4.1910 in Ber­lin, bei der die Ge­werk­schaf­ter den Feh­de­hand­schuh auf­nah­men, hielt auch Vik­tor Jant­zen als letz­ter Red­ner ei­ne kämp­fe­ri­sche Re­de.

Letzt­lich war der Ar­beits­kampf für die Ge­werk­schaf­ten er­folg­reich. Nach­dem die Un­ter­stüt­zung für die Aus­sper­run­gen in­ner­halb der Ar­beit­ge­ber­schaft im­mer mehr ab­brö­ckel­te und kom­mu­na­le und staat­li­che Stel­len auf ein Schieds­ver­fah­ren dräng­ten, wur­de schlie­ß­lich im Ju­ni 1910 un­ter Fe­der­füh­rung des Reichs­mi­nis­te­ri­ums des In­nern ein neu­er Ver­trags­ab­schluss er­reicht, der von den Ge­werk­schafts­ver­tre­tern fast ein­stim­mig an­ge­nom­men wur­de. 

In der Wei­ma­rer Re­pu­blik dau­er­te es ei­ni­ge Jah­re, bis sich der Zen­tral­ver­band nach den Mit­glie­der­ver­lus­ten im Ers­ten Welt­krieg und wäh­rend der wirt­schaft­li­chen Wir­ren wie­der er­ho­len konn­te. Als die Re­pu­blik 1924 in ru­hi­ge­res Fahr­was­ser ge­riet, wa­ren in Vik­tor Jant­zens Gau mehr als 5.500 Zim­me­rer or­ga­ni­siert, knapp 4.000 da­von al­lein im Rhein­land. In den Jah­ren wirt­schaft­li­cher Er­ho­lung stieg die Zahl im Rhein­land lang­sam, aber ste­tig auf rund 4.600 im Jahr 1927 an. Das Bau­ge­wer­be war wei­ter­hin die mit Ab­stand am häu­figs­ten von Ar­beits­kämp­fen be­trof­fe­ne Bran­che, al­lei­ne 1925 streik­ten über 162.000 Ar­bei­ter wäh­rend knapp 90.000 aus­ge­sperrt wur­den, aber für die Ar­bei­ter­schaft zahl­te sich die Kampf­be­reit­schaft und der ho­he Or­ga­ni­sa­ti­ons­grad durch­aus aus, wie sich et­wa an der fast flä­chen­de­cken­den Ta­rif­bin­dung und der Ver­tei­di­gung des hart um­kämpf­ten Acht­stun­den­tags ab­le­sen lässt. Ins­ge­samt scheint die Si­tua­ti­on der Zim­me­rer im Rhein­land und in West­fa­len in den wirt­schaft­lich gu­ten Jah­ren von 1924 bis 1928 po­si­tiv ge­we­sen zu sein, denn nur für Vik­tor Jant­zens Gau er­schien in „Der Zim­me­rer“ mehr­fach der Hin­weis: „Zu­zug ist fern­zu­hal­ten“, die hier er­kämpf­ten Zu­ge­win­ne soll­ten al­so nicht durch po­ten­ti­el­le Streik­bre­cher aus kon­junk­tur­schwä­che­ren Re­gio­nen in Ge­fahr ge­bracht wer­den. Ex­em­pla­risch für die Ar­beits­kämp­fe die­ser Zeit war die mo­na­te­lan­ge Aus­ein­an­der­set­zung 1925 in Es­sen, die in der Aus­ga­be 27 der Ver­bands­zei­tung aus­führ­lich do­ku­men­tiert ist.

Doch die Wirt­schafts­kri­se ab 1929 wirk­te sich auch auf das Bau­ge­wer­be ver­hee­rend aus, 1931 wa­ren nur noch et­was mehr als 3.000 rhei­ni­sche Zim­me­rer im Zen­tral­ver­band or­ga­ni­siert, fast 90 Pro­zent da­von wa­ren ar­beits­los. Ne­ben der Wirt­schafts­kri­se wirk­te sich auch die ge­werk­schafts­feind­li­che Po­li­tik der Prä­si­di­al­ka­bi­net­te seit 1930 läh­mend auf die Ge­werk­schaf­ten aus. Mit der Zer­schla­gung der Ge­werk­schaf­ten am 2.5.1933 durch die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten en­de­te auch vor­läu­fig die Ge­schich­te der frei­ge­werk­schaft­lich or­ga­ni­sier­ten Zim­mer­leu­te, die heu­te von der In­dus­trie­ge­werk­schaft Bau­en-Agrar-Um­welt (IG BAU) ver­tre­ten wer­den.

Seit der „Macht­er­grei­fung“ trat Vik­tor Jant­zen öf­fent­lich nicht mehr in Er­schei­nung. Nach 1945 leb­te er als Rent­ner in Neuss und Düs­sel­dorf, wo er am 18.5.1956 ver­starb. 

Literatur

Bern­stein, Edu­ard, Ein Be­deu­tungs­vol­ler Ge­werk­schafts­sieg, in: So­zia­lis­ti­sche Mo­nats­hef­te 16 (14), 1910, S. 879-885. [On­line]

Wol­gast, Wil­helm, Zen­tral­ver­band der Zim­me­rer und ver­wand­ter Be­rufs­ge­nos­sen Deutsch­lands, in: Heyde, Lud­wig (Hg.), In­ter­na­tio­na­les Hand­wör­ter­buch des Ge­werk­schafts­we­sens, Band 2, Frank­furt a.M., S. 2111-2112. [On­line]

Online

Da­ten­bank der deut­schen Par­la­ments­ab­ge­ord­ne­ten [On­line]

Der Zim­me­rer [On­line

 
Zitationshinweis

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Kühne, Tobias, Viktor Jantzen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/viktor-jantzen/DE-2086/lido/65c0ee52e02535.83173170 (abgerufen am 17.01.2025)