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Peter Wust war ein in Münster lehrender katholischer Existenzphilosoph und Metaphysiker.
Peter Wust wurde am 28.8.1884 als das älteste von elf Kindern eines Siebmachers im saarländischen Rissenthal geboren. Er absolvierte zunächst die Volksschule, schaffte aber dank der Unterstützung seines Dorfpfarrers später den Sprung aufs Gymnasium und Ostern 1900 die Aufnahmeprüfung für das Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Trier. 1907 legte er das Abitur ab, nachdem er bis 1905 im Bischöflichen Konvikt unterrichtet worden war, da anfangs das Ziel bestand, Theologie zu studieren.
Er studierte ab 1907 zunächst zwei Semester in Berlin Philosophie, Germanistik und Anglistik. Dass sich der junge Wust nicht der Theologie zuwandte, verweist in mehrerer Hinsicht auf sein Selbstverständnis als „verlorener Sohn": Zum einen hatte der Vater die Hoffnung gehegt, dass der Sohn katholischer Priester werde, zum anderen aber war es auch der Ausdruck einer tiefen Glaubenskrise.
Friedrich Paulsen (1846-1908), überzeugter Vertreter des Neukantianismus, weckte in Berlin Wusts Liebe zur Philosophie, auch wenn er schon damals der zeitgenössischen Philosophie vorwarf, sie betreibe einen „oberflächlichen Subjektivismus", der für das Objektive keinen Raum lasse. Mit dieser Ausrichtung auf die Vorgaben menschlichen (Da)seins stand Wust nicht allein: Wie bei vielen Intellektuellen seiner Generation, die wesentlich durch die Erschütterung des Ersten Weltkrieges geprägt wurden, bezeugt auch bei Wust letztlich die Frage nach dem Sein ein sowohl im Anspruch als auch im Fragen ein von Ganzheitlichkeit bestimmtes Denken, das versucht, die menschliche Existenz und Vernunft an Zugrundeliegendes zurückzubinden.
1908 wechselte er zum Studium nach Straßburg, wo er den katholischen Philosophen Clemens Baeumker (1853-1924) hörte, der sich vor allem als Philosophiehistoriker einen Namen gemacht hatte. Zwei Jahre später, dem Jahr seines Staatsexamens für das höhere Lehramt, heiratete er Käthe Müller. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor: Sohn Benno (geboren 1911) sowie die Töchter Else (geboren 1914) und Charlotte (geboren 1919). Seinen Wunsch zu promovieren, erfüllte er sich 1914 mit einer Arbeit bei Oswald Külpe (1862-1915) in Bonn zum Thema „John Stuart Mills logische Grundlegung der Geisteswissenschaften".
Die folgenden Jahre wurden durch seinen höheren Schuldienst in Trier und Köln bestimmt, zunächst als Oberlehrer am Kaiser-Wilhelm-Gymnasium in Trier. Zugleich leiteten mehrere Begegnungen allmählich die geistige Wende ein: In Trier traf er seinen alten Gymnasiallehrer als Direktor der Stadtbibliothek wieder. In den vielen Gesprächen, die folgten, erkannte Wust allmählich die Möglichkeit, über und in der Philosophie doch einen Zugang zur Metaphysik des Seins zu finden. Wirklich entscheidend aber wurde ein Gespräch mit Ernst Troeltsch (1865-1923). Es war die Aufforderung Troeltschs, „etwas über die Ehrenrettung der Metaphysik" zu schreiben, die er selbst als das „Damaskus meines bisherigen Liberalismus und meiner kantianischen Metyphysikscheu" bezeichnete und ihn nach eigenen Angaben zurück zum Glauben an einen persönlichen Gott führte. Seine durch Troeltsch angestoßenen Überlegungen mündeten 1920 in der Schrift „Auferstehung der Metaphysik". Der zentrale Fokus des Werkes ist die Auseinandersetzung mit dem Neukantianismus: Wust rollt die Frage nach dem Sein und der Beziehung des Menschen zu ihm neu auf. Ziel ist es, ein substantiales Geistprinzip geltend machen, das wiederum nur durch eine Metaphysik des gesamten Seins, eine ontologische Metaphysik erreicht werden kann. Von der These ausgehend, dass das Sein als das Objektive, das heißt als eine vorgegebene Ordnung betrachtet werden müsse, plädiert Wust für die Rückkehr zu einer schauenden, demütig verehrenden Vernunft. Mit dieser „großen Achsendrehung des Geistes vom Subjekt zum Objekt" will er die Wiederaufnahme der Metaphysik einleiten. Allerdings hat er dabei eine aus den Klammern einer „Intellektualisierung" gelösten Metaphysik in Sinn, die zugleich leisten kann, Termini wie Wissenschaft aus rein funktionalen und mathematischen Bedeutungsstrukturen zu befreien.
Wust sieht diesen Durchbruch, der für ihn den Abschlusspunkt einer denkerischen Wende darstellt, aber nicht als Neuerung, sondern als Rückwendung auf eine philosophische Tradition, die schon immer nach dem Sein gefragt habe und in Platon (428-347 vor Christus) und Aristoteles (384-322 vor Christus) das erste Mal machtvoll in Erscheinung getreten sei. Diese gleichsam „natürliche Art" zu philosophieren suche immer schon nach einem sicherheitsgebenden Ursprung, der außerhalb des Fragenden liege. Erst die abendländische Neuzeit habe die Wende vollzogen, diese Sicherheit nicht mehr in der Vorgabe des Seins, sondern in der Innerlichkeit, im Subjektiven zu suchen.
Im Jahr 1921 wurde Wust Studienrat in Trier, wechselt dann aber nach Köln, wo er den Phänomenologen und Anthropologen Max Scheler (1874-1928) kennenlernte, mit dem er bis zu dessen Tod befreundet blieb und der seine geistige Entwicklung, die im Jahr 1923 in der endgültigen Rückkehr zur katholischen Kirche mündete, entscheidend prägte. In den folgenden Jahren entwickelte sich das Denken Wusts mehr und mehr zu einem christlichen Existentialismus, der Erkennen immer auch als ein Bekennen verstanden wissen will. Das Wesentliche dieses Ansatzes besteht darin, das menschliche Denken in seinem Bestreben, die Wurzeln der Existenz freizulegen, (worauf zum Beispiel der Existentialismus ziele) an höhere Werte zurückzubinden, um nicht das der Vernunft inhärente zerstörerische Potential freizusetzen. Fast zeitgleich mit Heidegger entwarf er damit eine Existenzphilosophie, die sich allerdings in ihrer christlichen Prägung wesentlich von Heidegger unterschied und in ihren praktischen Konsequenzen auch auf eine Einheit Europas zielte.
Der enge Zusammenhang, den Wust zwischen seinen philosophischen Erkenntnissen und seinen persönlichen Überzeugungen sah, hatte zudem zur Folge, dass er sich auch in seinen Vorlesungen offen gegen das 1933 an die Macht gekommene NS-Regime aussprach. Weitere Vertiefungen dieses Denkansatzes erfolgten mit „Dialektik des Geistes" (1928) und „Ungewißheit und Wagnis", das 1937 erschien und sowohl als sein Hauptwerk als auch als Zusammenfassung seiner wesentlichsten Gedanken gilt.
Die folgenden Jahre waren unter anderem von Reisen nach Paris geprägt, auf denen er mit führenden Denkern der „Renouveau Catholique" wie dem französischen Schriftsteller Paul Claudel (1868-1955), aber auch mit den Philosophen Jacques Maritain (1882-1973) und Gabriel Marcel (1889-1973), der ebenfalls einen christlichen Existentialismus vertritt, bekannt wurde. 1930 erfolgte die Ernennung zum ordentlichen Professor an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Wust sollte die Nachfolge von Max Ettlinger (1877-1929) antreten, allerdings ohne vorher habilitiert worden zu sein – eine Tatsache, die dazu führte, dass viele Kollegen diese Berufung zunächst mit großer Skepsis aufnahmen.
Bereits ein Jahr nach der Veröffentlichung von „Ungewißheit und Wagnis" erkrankte Wust an Oberkieferkrebs. Es war diese Zeit kurz vor seinem Tod, in der er nicht nur seine Lebenserinnerungen „Gestalten und Gedanken" vollendete, sondern auch an seine Studenten schrieb, nicht die philosophische Reflexion, sondern erst das Gebet ermögliche es dem Menschen, die von ihm zeitlebens gesuchte Objektivität zu erschließen.
Peter Wust starb am 3.4.1940 im Alter von nur 55 Jahren.
Während aufgrund der politischen Verhältnisse die Würdigung Wusts durch die deutschen Medien ausblieb, bewies das Echo in der ausländischen Presse bis hin nach Japan die internationale Anerkennung seiner philosophischen Leistung. Im Rheinland sind zahlreiche Straßen und Schulen nach Peter Wust genannt. Die Peter-Wust-Gesellschaft mit Sitz in Merzig-Hilbringen widmet sich seinem geistigen Erbe. So ediert sie eine Gesamtausgabe und vergibt alle zwei Jahre den Peter-Wust-Preis an Denker „aus dem altlotharingischen Herzland europäischer Kultur", die sich um „die Erhellung menschlichen Daseins aus christlichem Verstehen" verdient gemacht haben.
Werke (Auswahl)
Die Auferstehung der Metaphysik, Leipzig 1920.
Die Dialektik des Geistes, Augsburg 1928.
Gestalten und Gedanken, München 1940.
John Stuart Mills Grundlegung der Geisteswissenschaften, Dissertationsschrift, Bonn 1914.
Naivität und Pietät, Tübingen 1925.
Ungewißheit und Wagnis, München 1937.
Weisheit und Heiligkeit. Vorträge und Aufsätze 1922-1934, Regenburg 1966.
Gesamtausgabe
Gesammelte Werke, hg. von Wilhelm Vernekohl, 10 Bände, Münster 1963-1969.
Literatur
Blattmann, Ekkehard (Hg), Peter Wust – Aspekte seines Denkens, Münster 2004.
Osmanski, Maximilian, Mensch, Geschichte und Gesellschaft im Denken des Philosophen Peter Wust, Köln 1982.
Schüßler, Werner, Artikel "Wust, Peter", in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 14 (1998), Sp. 193-200.
Veauthier, Frank Werner, Kulturkritik als Aufgabe der Kulturphilosophie. Peter Wusts Bedeutung als Kultur- und Zivilisationskritker, Heidelberg 1998.
Vernekohl, Wilhelm, Der Philosoph von Münster. Peter Wust, ein Lebensbild, Münster 1950.
Online
Peter Wust Gesellschaft (Homepage der Peter-Wust-Gesellschaft e.V.). [Online]
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Gottlöber, Susan, Peter Wust, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/peter-wust/DE-2086/lido/57c93651c9ff23.70652676 (abgerufen am 12.12.2024)