Die Bevölkerungsentwicklung Bonns im 18. Jahrhundert

Christian Schlöder (Halle)

Grundriss der kurfürstlichen Residenzstadt Bonn, Kupferstich von Matthäus Merian (1593-1650) aus der Topographia archiepiscopatum Moguntiensis, Trevirensis et Coloniensis, Frankfurt 1646. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

1. Einleitung

Bonns Ver­gan­gen­heit als Haupt­stadt der jun­gen Bun­des­re­pu­blik ist noch al­lent­hal­ben prä­sent. Die Stadt war aber be­reits ein­mal Haupt­stadt: im Kur­fürs­ten­tum Köln vom En­de des 16. Jahr­hun­derts bis zu des­sen Auf­lö­sung in fran­zö­si­scher Zeit. Seit dem Mit­tel­al­ter, vor­nehm­lich seit der zwei­ten Hälf­te des 13. Jahr­hun­derts, fun­gier­te die Stadt zu­neh­mend als Re­si­denz für die aus ih­rer Ka­the­dral- und Haupt­stadt Köln ver­dräng­ten Erz­bi­schö­fe und Kur­fürs­ten. 1597 ver­leg­te Kur­fürst Fer­di­nand von Bay­ern die kur­k­öl­ni­sche Lan­des­re­gie­rung von Brühl nach Bonn und nahm selbst ab 1601 Re­si­denz im Bon­ner Schloss. Seit­dem re­si­dier­ten die Köl­ner Kur­fürs­ten kon­ti­nu­ier­lich in ih­rer Haupt- und Re­si­denz­stadt Bonn. Als der letz­te Kur­fürst Max Franz vor den fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­ons­trup­pen am 3.10.1794 floh, en­de­te Bonns ers­te Zeit als Haupt- und Re­si­denz­stadt.

Wäh­rend die Stadt im 17. Jahr­hun­dert noch weit­ge­hend vom Wein­an­bau ge­prägt war, ent­wi­ckel­te sie sich un­ter den Kur­fürs­ten Jo­seph Cle­mens und ins­be­son­de­re Cle­mens Au­gust zu ei­ner be­deu­ten­den Re­si­denz­stadt im Nord­wes­ten des Al­ten Reichs. Die­se glanz­vol­le Epo­che der Stadt­ge­schich­te fin­det bis heu­te sicht­ba­ren Aus­druck im Stadt­bild: Ver­wie­sen sei nur auf das Bon­ner Schloss, seit 1818 Haupt­ge­bäu­de der Uni­ver­si­tät, den an­gren­zen­den Hof­gar­ten, Schloss Cle­mens­ru­he in Pop­pels­dorf oder die Pop­pels­dor­fer Al­lee, in der be­reits im 18. Jahr­hun­dert ein ex­klu­si­ves und in­ter­na­tio­na­les Pu­bli­kum fla­nier­te. Wäh­rend das kul­tu­rel­le Le­ben un­ter dem Nach­fol­ger von Cle­mens Au­gust, Max Fried­rich von Kö­nigs­egg, ei­nen Ein­bruch er­litt, blüh­te es un­ter dem letz­ten Kur­fürs­ten, dem Habs­bur­ger Max Franz, wie­der auf. Der Vor­läu­fer der heu­ti­gen Uni­ver­si­tät wur­de ge­grün­det. Füh­ren­de Köp­fe der Auf­klä­rung - ei­ner eu­ro­päi­schen Be­we­gung, die den gro­ßen Re­vo­lu­tio­nen in den USA und Frank­reich di­rekt vor­aus­ging - lehr­ten an ihr. Vor al­lem aber ent­wi­ckel­te sich Bonn zu ei­ner Hoch­burg von Thea­ter und Mu­sik - ein idea­ler Nähr­bo­den für das her­aus­ra­gen­de Ta­lent des jun­gen Lud­wig van Beet­ho­ven.

 

Die Ge­schich­te der in Bonn herr­schen­den und le­ben­den Fürst­bi­schö­fe, der Schlös­ser und Gär­ten, vor al­lem auch der in Bonn tä­ti­gen Ge­lehr­ten und Künst­ler bil­det seit je­her ein rei­ches und frucht­ba­res Be­tä­ti­gungs­feld für For­scher ver­schie­dens­ter Fach­rich­tun­gen. Da­ge­gen spiel­te die Er­for­schung des Le­bens der ein­fa­chen Leu­te in Bonn – bei­spiels­wei­se der klei­nen Hand­wer­ker, Ta­ge­löh­ner und Be­diens­te­ten – bis­her nur ei­ne un­ter­ge­ord­ne­te Rol­le. Aber auch die zah­len­mä­ßi­ge Ent­wick­lung der Be­völ­ke­rung, die Un­ter­su­chung der de­mo­gra­phi­schen Kom­po­nen­ten, die sich aus Ge­burt, Hei­rat, Tod und Ein- be­zie­hungs­wei­se Aus­wan­de­rung zu­sam­men­set­zen, wur­de bis­her kaum be­han­delt. Bis auf ver­ein­zel­te Auf­sät­ze[1]  und die ein­schlä­gi­gen Ka­pi­tel im drit­ten Band der Bon­ner Stadt­ge­schich­te[2]  wur­de die Be­völ­ke­rungs­ent­wick­lung Bonns im 18. Jahr­hun­dert nicht the­ma­ti­siert. Dies ist um­so er­staun­li­cher, als für die an­de­ren geist­li­chen Re­si­denz­städ­te im Rhein­land – Ko­blenz, Mainz und Trier[3]  – grö­ße­re his­to­risch-de­mo­gra­phi­sche Un­ter­su­chun­gen vor­lie­gen.

Die­ser Bei­trag soll ei­nen Über­blick über die Be­völ­ke­rungs­ent­wick­lung Bonns im 18. Jahr­hun­dert bie­ten. Da die de­mo­gra­phi­schen Kom­po­nen­ten ma­ß­geb­lich von wirt­schaft­li­chen Fak­to­ren be­ein­flusst wur­den, rei­che­re Men­schen in der Re­gel mehr Kin­der be­ka­men, bie­tet die Ana­ly­se der De­mo­gra­phie auch ei­nen Bei­trag zur Wirt­schafts- und So­zi­al­ge­schich­te der Stadt. Zen­tra­le Be­deu­tung soll da­bei auch die Fra­ge ha­ben, in­wie­fern die Funk­ti­on als Re­si­denz­stadt sich auf die Be­völ­ke­rungs­ent­wick­lung aus­wirk­te.[4]

Bonner Residenz und Hofgarten mit Hauptwasserkunst vor 1777. Unsigniertes Bild. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

 

2. Die Entwicklung der Einwohnerzahl

Quel­len, die über die zah­len­mä­ßi­ge Grö­ße der Be­völ­ke­rung im vor­sta­tis­ti­schen Zeit­al­ter Auf­schluss ge­ben, sind rar ge­sät. An­ge­sichts der De­bat­ten um Volks­zäh­lun­gen im spä­ten 20. und im 21. Jahr­hun­dert ver­wun­dert das nicht, schlie­ß­lich moch­ten es die Men­schen auch frü­her nicht, wenn sich der Staat zu vie­le In­for­ma­tio­nen be­schaff­te, dien­ten die­se doch zu häu­fig als Grund­la­ge für neue Be­steue­run­gen. Des­halb schei­ter­te auch ein Vor­ha­ben Cle­mens Au­gusts im Jahr 1759, die Be­völ­ke­rung sei­ner Re­si­denz­stadt zäh­len zu las­sen. Die mit der Auf­ga­be be­trau­ten Be­am­ten wur­den von den Bon­nern teils wüst be­schimpft oder gleich des Hau­ses ver­wie­sen, so­dass ei­ne Zäh­lung der Be­völ­ke­rung nicht ge­lang. Erst un­ter Max Franz, der un­ter dem Ein­druck der im Zu­ge der Auf­klä­rung stark ge­wach­se­nen Be­deu­tung der Sta­tis­tik stand, konn­te die Be­völ­ke­rung im Jahr 1790 voll­stän­dig ge­zählt wer­den. Dem­nach leb­ten 10.487 Men­schen in 2.668 Haus­hal­ten in der Stadt am Rhein. Für die Zeit vor 1790 lie­gen kei­ne voll­stän­di­gen Be­völ­ke­rungs­zäh­lun­gen vor, je­doch zahl­rei­che an­de­re Quel­len, die zu­min­dest fun­dier­te Schät­zun­gen zu­las­sen.

Ei­ne ers­te Schät­zung ist an­hand ei­nes He­be­re­gis­ters für das Jahr 1620 mög­lich. Dem­nach leb­ten et­wa 4.500 Men­schen in Bonn. Im Ver­lauf des 17. Jahr­hun­derts ver­grö­ßer­te sich die Be­völ­ke­rung nicht; ins­be­son­de­re wäh­rend der Pest­wel­le Mit­te der 1660er Jah­re ver­lor die Stadt vie­le Ein­woh­ner. 1689 wur­de Bonn wäh­rend des Spa­ni­schen Erb­fol­ge­krie­ges fast voll­stän­dig zer­stört, so­dass es in den fol­gen­den Jah­ren wie­der auf­ge­baut wer­den muss­te.

Aus dem Jahr 1720 lie­gen Lis­ten der Pfarr­mit­glie­der der drei klei­ne­ren Bon­ner Stadt­pfar­rei­en – St. Gan­golf, St. Mar­tin in­ner­halb Bonns und St. Pe­trus zu Diet­kir­chen – vor. Der Pfar­rer der Bon­ner Haupt­pfar­rei St. Re­mi­gius, de­ren Ge­mein­de­mit­glie­der et­wa drei Vier­tel der Stadt­be­völ­ke­rung in­ner­halb der Mau­ern aus­mach­ten, wei­ger­te sich al­ler­dings, ei­ne sol­che um­fang­rei­che Lis­te für den Kur­fürs­ten an­zu­fer­ti­gen und be­schwer­te sich statt­des­sen dar­über, dass der Kirch­turm der Pfarr­kir­che seit dem Bom­bar­de­ment von 1689 im­mer noch nicht wie­der auf­ge­baut sei.

Trotz des Feh­lens der Lis­ten der Pfarr­mit­glie­der der Haupt­pfar­rei ist die Ein­woh­ner­zahl recht ex­akt zu be­rech­nen, weil der An­teil der drei klei­ne­ren Pfar­rei­en an der Ge­samt­be­völ­ke­rung durch die An­zahl der Tau­fen an al­len Tau­fen, die für al­le Pfar­rei­en voll­stän­dig in den Kir­chen­bü­chern re­gis­triert sind, be­stimmt wer­den kann. Die jü­di­schen und pro­tes­tan­ti­schen Min­der­hei­ten wa­ren zah­len­mä­ßig so un­be­deu­tend, dass sie für die Be­stim­mung der Ein­woh­ner­zah­len im 18. Jahr­hun­dert ge­trost zu ver­nach­läs­si­gen sind. Nach der als ziem­lich ex­akt zu wer­ten­den Schät­zung hat­te Bonn im Jahr 1720 rund 6.535 Ein­woh­ner.
Aus dem Jahr 1732 ist die Zahl der Abend­mahl­emp­fän­ger – al­so der Ein­woh­ner, die die Kom­mu­ni­on emp­fan­gen durf­ten – für drei der vier Bon­ner Pfar­rei­en über­lie­fert. Un­ter Be­rück­sich­ti­gung der Kin­der und der Ge­mein­de­mit­glie­der der feh­len­den Pfar­rei – in die­sem Fal­le St. Pe­trus zu Diet­kir­chen – leb­ten 1732 et­wa 8.015 Men­schen in­ner­halb des Mau­er­gür­tels.

Taufregister der Pfarrei St. Gangolf, Bonn, 1702-1751, S. 138-139. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

 

Für die Jah­re bis zur Volks­zäh­lung von 1790 lie­gen kei­ne wei­te­ren Teil­zäh­lun­gen vor, die zu­ver­läs­si­ge Schät­zun­gen zu­las­sen. Die ein­zi­ge Mög­lich­keit zur Un­ter­su­chung der Be­völ­ke­rungs­ent­wick­lung be­steht dar­in, die in den Kir­chen­bü­chern re­gis­trier­ten Tau­fen - al­ter­na­tiv auch die Ehe­schlie­ßun­gen und Ster­be­fäl­le - hoch­zu­rech­nen und so­mit die Ein­woh­ner­zahl zu be­stim­men. Das Ver­hält­nis der Tau­fen zur Ein­woh­ner­zahl be­trug 1790 – eben­so im 17. Jahr­hun­dert – cir­ca 1:29. Dem­nach kam auf 29 Ein­woh­ner ei­ne Tau­fe, oder um­ge­kehrt 29 Ein­woh­ner ka­men auf ei­ne Tau­fe. Die ne­ben­ste­hen­de Ta­bel­le zeigt die Be­völ­ke­rungs­grö­ße Bonns an­hand der Hoch­rech­nung der Tau­fen mit dem Mul­ti­pli­ka­tor 29 in Zehn­jah­res­ab­stän­den.

Die Gren­zen die­ser Me­tho­de sind je­doch er­reicht, wenn die Zahl der Tau­fen, bei­spiels­wei­se auf­grund ei­nes Hei­rats­booms, stark zu­nahm oder in Kri­sen­zei­ten zu­rück­ging. So leb­ten nach der recht ex­ak­ten Schät­zung auf der Grund­la­ge der 1720 ver­zeich­ne­ten Pfarr­mit­glie­der et­wa 6.535 Men­schen in Bonn, fast 3.000 we­ni­ger als nach der Hoch­rech­nung der Tau­fen! Da­her liegt die tat­säch­li­che Be­völ­ke­rungs­grö­ße in den Jah­ren des Auf­schwungs und Zu­wach­ses un­ter Cle­mens Au­gust ten­den­zi­ell hö­her und in den Jah­ren zwi­schen 1770 und 1780 eher nied­ri­ger als in der Ta­bel­le dar­ge­stellt. Das hängt di­rekt mit der Al­ters­struk­tur und der Zu­wan­de­rungs­bi­lanz zu­sam­men, wor­auf im Ein­zel­nen hier nicht wei­ter ein­ge­gan­gen wer­den kann.
Je­den­falls wan­der­ten nach der Zer­stö­rung von 1689 zwi­schen 1690 und 1750 vie­le jun­ge Men­schen in die Stadt ein, die be­son­ders vie­le Kin­der be­ka­men. Nach 1761 ging die Zahl der Zu­wan­de­rer zu­rück, wäh­rend die der Aus­wan­de­rer zu­nahm – eben­falls über­wie­gend jun­ge Men­schen. Dar­in liegt der Grund, dass die Be­völ­ke­rungs­grö­ße nach der Hoch­rech­nung der Tau­fen in die­sen Jah­ren stark von der tat­säch­li­chen Be­völ­ke­rungs­grö­ße ab­weicht. In den 1750er Jah­ren wur­de je­doch der Hö­he­punkt der Zu­wan­de­rung be­reits über­schrit­ten, wes­halb die Hoch­rech­nung für 1760 nied­ri­ger liegt als für 1750, ob­wohl 1760 si­cher­lich mehr Men­schen in Bonn leb­ten als 1750.

Auch in ei­ner his­to­risch-to­po­gra­phi­schen Be­schrei­bung von 1783 wer­den 11.000 Ein­woh­ner für Bonn an­ge­ge­ben, wo­bei aus­drück­lich an­ge­merkt wird, dass in frü­he­ren Jah­ren die Ein­woh­ner­zahl hö­her lag.[5]  Die­se Quel­le be­legt so­mit die an­hand der Hoch­rech­nung der Tau­fen ge­trof­fe­ne An­nah­me, dass die Ein­woh­ner­zahl Bonns in den 1750er Jah­ren mehr als 13.000 Ein­woh­ner be­trug und da­mit deut­lich hö­her lag als bis­her an­ge­nom­men.

3. Die Siedlungsentwicklung

Mit der Be­völ­ke­rungs­ent­wick­lung kor­re­spon­dier­te die Sied­lungs­ent­wick­lung, die An­la­ge von neu­en Stra­ßen und Häu­sern: Zwi­schen et­wa 1715 und 1754 wur­den in Bonn vie­le neue Stra­ßen in­ner­halb des Mau­er­gür­tels an­ge­legt, vor al­lem aber zahl­rei­che Häu­ser auf Grund­stü­cken ge­baut, die noch im Jahr­hun­dert zu­vor als Ge­mü­se- oder Wein­gär­ten ge­nutzt wor­den wa­ren.

Plan der Stadt Bonn, 1773. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

 

Im Nord­os­ten der Stadt ent­stand ein neu­es Stadt­vier­tel für die är­me­re Be­völ­ke­rung, wäh­rend Ade­li­ge und rei­che Bür­ger im Ge­biet der heu­ti­gen Oper und der Ber­li­ner-Frei­heit auf­wen­di­ge Stadt­pa­lais be­zo­gen. Die Bö­gen in den Stadt­mau­ern wur­den von der Stadt an die Ärms­ten der Ar­men ver­mie­tet, bis Mit­te des Jahr­hun­derts war dort kein Platz mehr frei. Un­ter Jo­seph Cle­mens gab es Plä­ne für ei­nen neu­en Vor­ort im Sü­den der Stadt, die je­doch nicht ver­wirk­licht wur­den und nach dem Tod von Cle­mens Au­gust in Ver­ges­sen­heit ge­rie­ten.
So­mit wan­del­te sich die noch im 17. Jahr­hun­dert stark land­wirt­schaft­lich ge­präg­te Stadt mit viel Frei­raum zu ei­ner dicht be­bau­ten Stadt, in der auch die Zahl von drei- und vier­stö­cki­gen Häu­sern zu­nahm. Ein Ver­gleich der Stadt­plä­ne von 1646 und 1773,[6]  in de­nen die ein­zel­nen Häu­ser ab­ge­bil­det sind, er­laubt die­sen Rück­schluss. Auf dem Stadt­plan von 1773 ist so­gar je­des Haus mit ei­ner Num­mer ver­se­hen, de­ren Haus­halts­vor­stän­de in ei­nem se­pa­ra­ten Ver­zeich­nis re­gis­triert sind.

Nach 1754 bis weit ins 19. Jahr­hun­dert hin­ein wur­den we­der neue Stra­ßen an­ge­legt noch neue Häu­ser er­rich­tet. Im Jahr 1795, ein Jahr nach der fran­zö­si­schen Be­set­zung und der Flucht des kur­k­öl­ni­schen Ho­fes, stan­den so­gar mehr als 100 Häu­ser in­ner­halb der Stadt leer - fast ein Zehn­tel der ins­ge­samt et­wa 1.125 Häu­ser. Auf­grund von Ver­glei­chen mit an­de­ren Städ­ten ist au­ßer­dem an­zu­neh­men, dass die Ein­woh­ner­zahl pro Haus in den 1730er bis 1750er Jah­ren hö­her lag als 1790.

Bonn von Nordwesten. Kupferstich von Johann Georg Ringlin nach Friedrich Bernhard Werner, um 1710. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

 

Fest­zu­hal­ten bleibt, dass der enor­me Be­völ­ke­rungs­zu­wachs zwi­schen 1689 und 1761, dem To­des­jahr Cle­mens Au­gusts, eng mit der Ent­wick­lung Bonns zu ei­ner glanz­vol­len und be­deu­ten­den Ba­rock­re­si­denz zu­sam­men­hing. Das war kei­ne sin­gu­lä­re Ent­wick­lung, son­dern durch­aus ty­pisch für die mehr als 300 deut­schen Re­si­denz­städ­te im 18. Jahr­hun­dert. Doch war­um nahm die Be­völ­ke­rung zwi­schen cir­ca 1761 und 1780 um rund ein Drit­tel ab? Bis­her wur­de an­ge­nom­men, dass die Be­völ­ke­rung Bonns – ähn­lich wie die an­de­rer Re­si­denz­städ­te – kon­ti­nu­ier­lich im Ver­lauf des 18. Jahr­hun­derts zu­nahm. Gab es ei­ne Aus­wan­de­rungs­wel­le? Ver­lie­ßen Scha­ren von Hofan­ge­hö­ri­gen und Ade­li­gen die Stadt? Die­se Fra­gen gilt es zu be­ant­wor­ten.

4. Die Regierungswechsel 1761 und 1784 und ihre Folgen

Das glanz­vol­le ba­ro­cke Hof­le­ben un­ter den bei­den Kur­fürs­ten Jo­seph Cle­mens und Cle­mens Au­gust aus dem Hau­se Wit­tels­bach wur­de ganz er­heb­lich durch die Auf­nah­me von Schul­den und Geld­zah­lun­gen von Gro­ß­mäch­ten, vor al­lem Frank­reichs, fi­nan­ziert. Da­her ent­spra­chen we­der die Bau­tä­tig­keit die­ser Kur­fürs­ten noch der Um­fang ih­res Hof­staa­tes ih­ren wirt­schaft­li­chen Mög­lich­kei­ten. Es ver­wun­dert da­her nicht, dass Cle­mens Au­gust bei sei­nem Tod ei­nen gro­ßen Schul­den­berg hin­ter­ließ. Auch die Stadt Bonn war stark ver­schul­det, nicht zu­letzt, weil sie zu Ver­schö­ne­rungs­ar­bei­ten – wie das Pflas­tern der Stra­ßen und das Er­rich­ten von La­ter­nen – von Cle­mens Au­gust ge­ra­de­zu ge­nö­tigt wor­den war.

Übersicht über die Geburten, Heiraten und Sterbefälle 1718-1797.

 

Mit dem Re­gie­rungs­an­tritt von Kur­fürst Max Fried­rich 1761 soll­te sich die­se Po­li­tik grund­le­gend än­dern. Er über­ließ die Re­gie­rungs­ge­schäf­te weit­ge­hend sei­nem Pre­mier­mi­nis­ter Kas­par An­ton von Bel­der­busch, dem es un­ter an­de­rem bin­nen ver­gleichs­wei­se kur­zer Zeit ge­lang, durch ei­ne äu­ßerst re­strik­ti­ve Hand­ha­bung des Fi­nanz­ge­ba­rens den Haus­halt des Kur­staa­tes zu sa­nie­ren. Bel­der­busch war gleich­zei­tig Po­li­zei­meis­ter der Stadt Bonn und ver­such­te auch de­ren Haus­halt zu sa­nie­ren. Das ver­ord­ne­te ei­ser­ne Spa­ren führ­te da­zu, dass so­gar gro­ße Tei­le des Nach­las­ses von Cle­mens Au­gust ver­stei­gert wur­den, vor al­lem aber wur­den der Hof­staat ver­klei­nert, die Bau­tä­tig­keit ge­dros­selt, Eh­ren­ge­häl­ter ge­kürzt und an vie­len an­de­ren Stel­len ge­spart. Das ging so weit, dass die Bon­ner Be­völ­ke­rung sich die Zei­ten un­ter Cle­mens Au­gust her­bei­sehn­te, wie es ein zeit­ge­nös­si­scher Vers aus­drückt: Bei Cle­mens Au­gust trug man blau und weiß, Da leb­te man wie im Pa­ra­deis. Bei Max Fried­rich trug man schwarz und roth, Da litt man Hun­ger wie die schwe­re Noth.[7]

Der Hof­staat und die Zen­tral­be­hör­den - die Re­gie­rungs­or­ga­ne des Kur­fürs­ten­tums - um­fass­ten un­ter Cle­mens Au­gust nach dem Hof­ka­len­der von 1759 1.226 Per­so­nen, wäh­rend es 1762 un­ter dem Nach­fol­ger Max Franz nur noch 627 wa­ren. Die­se Zah­len sind je­doch rich­tig zu le­sen, denn die zu Zei­ten von Cle­mens Au­gust auf­ge­führ­ten Per­so­nen wa­ren nicht al­le am Hof und da­mit in Bonn tä­tig, ein Gro­ß­teil wa­ren le­dig­lich ade­li­ge Trä­ger von Ti­tu­laräm­tern, die we­der ein Ge­halt be­zo­gen noch in Bonn tat­säch­lich ein Amt aus­üb­ten. Un­ter Max Fried­rich nahm de­ren Zahl ra­pi­de ab, wa­ren sol­che Ti­tu­laräm­ter doch vor al­lem an die Per­son des Fürs­ten ge­bun­den.

Der tat­säch­li­che Rück­gang an in Bonn le­ben­den Hof­be­diens­te­ten lag zwi­schen 200 und 300 Per­so­nen. Im We­sent­li­chen wur­de in drei Be­rei­chen Per­so­nal ab­ge­baut: bei der mi­li­tä­risch un­be­deu­ten­den Leib­gar­de, der Reit­schu­le und im Jagd-Amt. An­de­re Äm­ter – so hie­ßen die Stel­len am Hof – wur­den un­ter der Fe­der­füh­rung des en­er­gi­schen und spar­sa­men Mi­nis­ters Bel­der­busch je­doch aus­ge­baut. So wur­den bei­spiels­wei­se zahl­rei­che Zoll­be­am­te ein­ge­stellt, da­mit mehr Staats­ein­nah­men ein­ge­trie­ben wer­den konn­ten. Auch wur­den im Hof­rat – ne­ben der Hof­kam­mer das zen­tra­le Re­gie­rungs­or­gan – zu­neh­mend ju­ris­tisch aus­ge­bil­de­te Be­am­te aus dem Bür­ger­tum be­schäf­tigt. Dies dien­te ins­ge­samt der Pro­fes­sio­na­li­sie­rung von Re­gie­rung und Ver­wal­tung – durch­aus ty­pisch für auf­ge­klär­te Staa­ten in der zwei­ten Hälf­te des 18. Jahr­hun­derts.

Median des Heiratsalters.

 

Die Ver­klei­ne­rung und Pro­fes­sio­na­li­sie­rung des Hof­staa­tes und der Zen­tral­be­hör­den kann al­so nicht di­rekt ur­säch­lich für den enor­men Be­völ­ke­rungs­rück­gang der 1760er/1770er Jah­re ge­we­sen sein, selbst nicht un­ter der An­nah­me, dass 200 bis 300 Hofan­ge­stell­te samt Fa­mi­li­en aus­ge­wan­dert sind. Ei­ne Un­ter­su­chung von zwei Steu­er­lis­ten für den Bei­trag der Bon­ner Bür­ger zur Un­ter­hal­tung der in der Stadt be­find­li­chen kur­k­öl­ni­schen Ka­ser­nen lie­fert ein er­staun­li­ches Er­geb­nis: Die Zahl der Steu­er­zah­ler aus dem Bür­ger­tum, das haupt­säch­lich aus Hand­wer­kern, Händ­lern und An­ge­hö­ri­gen frei­er Be­ru­fe – et­wa Gast­wir­te, An­wäl­te, Apo­the­ker – be­stand, nahm zwi­schen 1763 und 1777 um 13,5 Pro­zent ab. Die Zahl der Tau­fen ins­ge­samt ging im glei­chen Zeit­raum um 16,6 Pro­zent zu­rück. Dies be­deu­tet, dass der Be­völ­ke­rungs­rück­gang vor al­lem auf den Rück­gang der bür­ger­li­chen Stadt­be­woh­ner und eben nicht der Hofan­ge­hö­ri­gen, die nicht zum Bür­ger­tum ge­hör­ten, zu­rück­ge­führt wer­den muss!

Si­cher­lich wa­ren für den Be­völ­ke­rungs­rück­gang un­ter der bür­ger­li­chen Ein­woh­ner­schaft eben­falls wirt­schaft­li­che Grün­de aus­schlag­ge­bend. Die ade­li­gen Ab­neh­mer von Lu­xus­wa­ren, die über­wie­gend au­ßer­halb Bonns auf ih­ren Land­sit­zen leb­ten, ka­men sel­te­ner und we­ni­ger zahl­reich in die Stadt. Au­ßer­dem wur­den die Ar­bei­ten an den Schlös­sern in der Stadt und im Um­land fast voll­stän­dig ein­ge­stellt. Un­ter Cle­mens Au­gust wa­ren in den 1740er/1750er Jah­ren bis zu 1.500 Hand­wer­ker und Ar­bei­ter an den Bon­ner Schlös­sern und am nicht fer­tig­ge­stell­ten Jagd­schloss Her­zogs­freu­de in Rött­gen vor den To­ren Bonns be­schäf­tigt. Dar­un­ter be­fan­den sich vor al­lem Bon­ner Hand­wer­ker, wie aus den Hof­bau­rech­nun­gen her­vor­geht.

Jährliche Kindersterblichkeit in Absolutzahlen und in % der jährlichen Gesamtsterblichkeit.

 

Un­ter Max Fried­richs Nach­fol­ger, Kur­fürst Max Franz, wur­de die­se wirt­schaft­li­che und kul­tu­rel­le Ab­wärts­be­we­gung ge­stoppt. So wur­den das Thea­ter und die Hof­ka­pel­le wie­der mas­siv ge­för­dert, so­dass sie in den 1780er Jah­ren zu den bes­ten ih­rer Art im Reich zähl­ten. Auch die Fei­er­lich­kei­ten am Hof, et­wa zu Kar­ne­val, wur­den wie­der pom­pö­ser und lock­ten Ade­li­ge aus ganz Eu­ro­pa nach Bonn. Be­reits 1780 fei­er­ten an­läss­lich der Er­nen­nung von Max Franz zum Ko­ad­ju­tor mehr als 2.000 Men­schen im Bon­ner Schloss.

Die 1786 of­fi­zi­ell ein­ge­weih­te Uni­ver­si­tät trug eben­falls zum neu­er­li­chen Auf­schwung der Re­si­denz­stadt bei. De­ren di­rek­ter Vor­läu­fer, die Ma­xi­sche Aka­de­mie, wur­de be­reits 1774 ge­grün­det. An der Uni­ver­si­tät lehr­ten im gan­zen Reich be­rühm­te Pro­fes­so­ren. Schon bald nach ih­rer Grün­dung stu­dier­ten mehr als 250 jun­ge Män­ner in der Re­si­denz­stadt. Au­ßer­dem wur­de eben­falls 1786 das kur­k­öl­ni­sche Oberap­pel­la­ti­ons­ge­richt in Bonn an­ge­sie­delt, an dem zahl­rei­che Ad­vo­ka­ten tä­tig wa­ren. Nicht zu­letzt dank die­ser Ein­rich­tun­gen nahm die Ein­woh­ner­zahl Bonns seit den 1780er Jah­ren wie­der zu. Die­se Ent­wick­lung wur­de aber mit der Ok­ku­pa­ti­on durch die Fran­zo­sen und der Her­ab­stu­fung Bonns zu ei­ner un­be­deu­ten­den Pro­vin­zi­al­stadt im 1798 neu ge­grün­de­ten De­par­te­ment Rhi­ne-et-Mo­sel­le jäh un­ter­bro­chen.

5. Die Komponenten der Bevölkerungsentwicklung

Um die­se für Re­si­denz­städ­te im 18. Jahr­hun­dert un­ty­pi­sche Be­völ­ke­rungs­ent­wick­lung zu er­klä­ren, sind die de­mo­gra­phi­schen Pa­ra­me­ter Frucht­bar­keit, Sterb­lich­keit und Mi­gra­ti­on zu un­ter­su­chen.

Fruchtbarkeit

Heu­te bringt in Deutsch­land ei­ne Frau durch­schnitt­lich 1,3 Kin­der zur Welt. Wie vie­le Kin­der ei­ne Frau im 18. Jahr­hun­dert in Bonn durch­schnitt­lich be­kam, ist für die Ge­samt­po­pu­la­ti­on nicht er­mit­tel­bar. Es gibt den­noch meh­re­re We­ge, um für re­prä­sen­ta­ti­ve Stich­pro­ben die An­zahl der Kin­der mit­hil­fe der An­ga­ben in den Kir­chen­bü­chern zu be­stim­men. Im Fol­gen­den wird ei­ne Me­tho­de vor­ge­stellt, die es er­laubt, re­la­tiv gro­ße Stich­pro­ben zu be­rück­sich­ti­gen. Auf die An­zahl der Kin­der kann zwar nur mit­tel­bar ge­schlos­sen wer­den, aber es geht auch nur dar­um, Ver­än­de­run­gen der Frucht­bar­keit auf­zu­zei­gen. Hier­zu wer­den zu­nächst ei­ni­ge An­nah­men ge­trof­fen, die als Grund­la­ge für die Me­tho­de die­nen.

In der Re­gel wur­den Kin­der in der Frü­hen Neu­zeit nur in­ner­halb ei­ner Ehe ge­zeugt, wes­halb die Zahl der Hei­ra­ten und die Zahl der Kin­der pro Ehe ma­ß­geb­lich die Frucht­bar­keit be­stimm­ten. Dies gilt zu­min­dest, so­lan­ge die Zahl der au­ßer­halb der Ehe ge­bo­re­nen Kin­der nied­rig und die Zahl der dau­er­haft Le­di­gen kon­stant blieb. Bei­des ist für Bonn im 18. Jahr­hun­dert zu be­ja­hen: Die Quo­te der au­ßer­halb ei­ner Ehe Ge­bo­re­nen be­weg­te sich bei cir­ca 2 Pro­zent und nahm erst in den 1790er Jah­ren si­gni­fi­kant zu. Der An­teil der dau­er­haft le­di­gen Frau­en lag 1720 und 1790 bei et­wa 16 Pro­zent. In ka­tho­li­schen Re­gio­nen wur­den im 18. Jahr­hun­dert kei­ne Ver­hü­tungs­prak­ti­ken an­ge­wandt, wes­halb gilt: In ei­ner Ehe wur­den so vie­le Kin­der ge­bo­ren, wie es mög­lich war.

Aus die­sen An­nah­men folgt, dass das Hei­rats­al­ter ma­ß­geb­lich die Zahl der Kin­der und da­mit die Frucht­bar­keit be­stimm­te. Mit der Un­ter­su­chung soll die Hy­po­the­se über­prüft wer­den, dass das Hei­rats­al­ter nach dem Re­gie­rungs­wech­sel 1761 auf­grund der schlech­te­ren wirt­schaft­li­chen La­ge zu­nahm. Hier­zu wur­den al­le Hei­ra­ten in den Kir­chen­bü­chern zwi­schen 1731 und 1740, 1761 und 1770 so­wie zwi­schen 1781 und 1790 mit den Tauf­re­gis­tern ver­gli­chen, um das Al­ter der Ehe­frau­en be­zie­hungs­wei­se Ehe­män­ner bei der Erst­hei­rat zu be­stim­men. Ins­ge­samt konn­ten auf die­se Wei­se meh­re­re hun­dert Al­ters­an­ga­ben Ehe­schlie­ßen­den zu­ge­ord­net wer­den. Für de­mo­gra­phi­sche Fra­gen ist al­ler­dings le­dig­lich das Hei­rats­al­ter der Frau­en re­le­vant.

Die Un­ter­su­chung bringt fol­gen­des Er­geb­nis: Das Hei­rats­al­ter der Frau­en nahm von 22,17 Jah­ren im Durch­schnitt zwi­schen 1731 und 1740 über 25,73 Jah­ren in den 1750er Jah­ren auf 27,54 Jah­ren in den 1780er Jah­ren zu! Dies be­deu­tet, dass ei­ne Frau bei der Ehe­schlie­ßung in den 1780er Jah­ren in et­wa fünf Jah­re äl­ter war als noch in den 1730er Jah­ren! Da in et­wa al­le zwei Jah­re ein Kind in­ner­halb ei­ner Ehe ge­bo­ren wur­de, die Zwan­zi­ger zu­dem die frucht­bars­ten Jah­re ei­ner Frau sind, wur­den in den 1780er Jah­ren et­wa zwei Kin­der pro Ehe we­ni­ger ge­bo­ren als noch in den 1730er Jah­ren. Auf­grund von Ver­glei­chen mit an­de­ren ka­tho­li­schen Städ­ten kann da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass ei­ne 22 Jah­re al­te Braut in ih­rem Le­ben et­wa acht Kin­der ge­bar, ei­ne 27-jäh­ri­ge Braut dem­nach nur et­wa sechs. Ein Hei­rats­al­ter von 27 Jah­ren war aber kei­nes­wegs un­ge­wöhn­lich hoch für ei­ne ka­tho­li­sche Frau im 18. Jahr­hun­dert, es ent­sprach in et­wa dem Durch­schnitt im deutsch­spra­chi­gen Raum, ein Hei­rats­al­ter von 22 Jah­ren war viel­mehr sehr nied­rig!
Dies be­stä­tigt die aus­ge­spro­chen gu­ten wirt­schaft­li­chen Mög­lich­kei­ten un­ter den Wit­tels­ba­cher Kur­fürs­ten, denn die Ehe­schlie­ßung war in der Re­gel an ei­ne fes­te Stel­le ge­bun­den. So­mit kann fest­ge­stellt wer­den, dass der Be­völ­ke­rungs­rück­gang zu­min­dest von ei­nem Rück­gang der Frucht­bar­keit be­glei­tet, mög­li­cher­wei­se auch ver­ur­sacht wur­de. Je­doch müs­sen die Sterb­lich­keit und die Mi­gra­ti­on un­ter­sucht wer­den, be­vor die Kom­po­nen­ten ge­wich­tet wer­den kön­nen.

Entwicklung der Säuglingssterblichkeit.

 

Sterblichkeit

Ein Be­völ­ke­rungs­rück­gang kann auch durch ei­ne hö­he­re Sterb­lich­keit ver­ur­sacht wer­den. Das ge­eig­ne­te Maß, um ei­ne Ver­än­de­rung der Sterb­lich­keit ins­ge­samt zu mes­sen, ist die Sterb­lich­keits­ra­te – der An­teil der Ver­stor­be­nen pro 1.000 Ein­woh­ner. Die­se lag in Bonn im Jahr 1790 bei 30 ‰ und im Jahr 1720 bei 31 ‰, legt man die Be­völ­ke­rungs­schät­zung von 1720 zu­grun­de. Dem­nach blieb das Ni­veau der Sterb­lich­keit kon­stant hoch. Da die­se bei­den Mo­ment­auf­nah­men nicht re­prä­sen­ta­tiv für das ge­sam­te Jahr­hun­dert sein müs­sen, soll die Sterb­lich­keit dif­fe­ren­zier­ter be­trach­tet wer­den. Ge­fragt wird, ob sich die Sterb­lich­keit oder ein­zel­ne Kom­po­nen­ten der Sterb­lich­keit im Ver­lauf des 18. Jahr­hun­derts si­gni­fi­kant ver­än­dert ha­ben. Hier­zu wer­den die Le­bens­er­war­tung, Sterb­lich­keits­kri­sen und die Säug­lings­sterb­lich­keit nä­her un­ter­sucht.

Die Le­bens­er­war­tung ist ne­ben der Al­ters­struk­tur der Be­völ­ke­rung ent­schei­dend für die Hö­he der Sterb­lich­keits­ra­te. Lei­der kön­nen auf­grund feh­len­der Al­ters­an­ga­ben der Ver­stor­be­nen in den Ster­be­re­gis­tern vor 1784 kei­ne di­rek­ten Aus­sa­gen zur Le­bens­er­war­tung ge­trof­fen wer­den. Da­mit ist auch ei­ne Un­ter­su­chung der Ent­wick­lung der Le­bens­er­war­tung im Ver­lauf des 18. Jahr­hun­derts nicht mög­lich, be­zie­hungs­wei­se un­ter Her­an­zie­hung mo­der­ner de­mo­gra­phi­scher Me­tho­den sehr er­schwert.

An­hand der An­ga­ben zum Al­ter der Ver­stor­be­nen in den „Bön­ni­schen In­tel­li­genz­blät­tern“ kann die Le­bens­er­war­tung seit 1772 für ei­ne re­prä­sen­ta­ti­ve An­zahl be­stimmt wer­den. Dem­nach lag die Le­bens­er­war­tung bei Ge­burt zwar un­ter 30 Jah­re, aber ein 25-jäh­ri­ger Mann konn­te da­mit rech­nen, durch­schnitt­lich 58,5 Jah­re alt zu wer­den. Auf­grund der ho­hen Kind­betts­terb­lich­keit lag die Le­bens­er­war­tung der Frau­en im Ge­gen­satz zu heu­te nied­ri­ger als die der Män­ner: Ei­ne 25-jäh­ri­ge Frau wur­de durch­schnitt­lich 57,7 Jah­re alt.[8]

Die Sterb­lich­keit konn­te durch die Me­di­zin kaum be­ein­flusst wer­den. Die Ärz­te stan­den den meis­ten Krank­hei­ten, vor al­lem den In­fek­ti­ons­krank­hei­ten, macht­los ge­gen­über. Da­her wur­den Sterb­lich­keits­kri­sen – Jah­re mit ei­ner ex­trem er­höh­ten Sterb­lich­keit – im Ver­lauf des 18. Jahr­hun­derts häu­fig durch In­fek­ti­ons­krank­hei­ten ver­ur­sacht. Der Hun­ger­tod blieb bis auf die Zeit der Re­vo­lu­ti­ons­krie­ge in den 1790er Jah­ren und die gro­ße eu­ro­päi­sche Ern­te­kri­se 1770-1772 ei­ne ab­so­lu­te Aus­nah­me.

Vie­le To­te for­der­ten die drei das 18. Jahr­hun­dert in West­eu­ro­pa be­stim­men­den In­fek­ti­ons­krank­hei­ten: die Po­cken, das Fleck­fie­ber und die Ruhr, ei­ne In­fek­ti­ons­krank­heit des Ver­dau­ungs­trak­tes, die vor­zugs­wei­se im Spät­som­mer auf­trat. Zwar ver­lie­fen die Po­cke­ne­pi­de­mi­en in der zwei­ten Hälf­te des 18. Jahr­hun­derts glimpf­li­cher als in der ers­ten, aber die Häu­fig­keit von Fleck­fie­ber und Ruhr-Epi­de­mi­en nahm in der zwei­ten Hälf­te des Jahr­hun­derts deut­lich zu. Zum ei­nen lag dies an den ver­mehr­ten Trup­pen­durch­zü­gen im Sie­ben­jäh­ri­gen Krieg und wäh­rend der Re­vo­lu­ti­ons­krie­ge, die die Aus­brei­tung der Klei­der­laus – dem Über­trä­ger des Fleck­fie­bers – be­güns­tig­te, zum an­de­ren an den schlech­te­ren wirt­schaft­li­chen Be­din­gun­gen im letz­ten Drit­tel des Jahr­hun­derts, denn die Ruhr brei­te­te sich be­son­ders gut un­ter schlech­ten hy­gie­ni­schen Be­din­gun­gen und in Hun­ger­jah­ren aus. Ins­ge­samt dürf­ten sich die Aus­wir­kun­gen der drei In­fek­ti­ons­krank­hei­ten auf die Sterb­lich­keit im Ver­lauf des 18. Jahr­hun­derts un­ge­fähr die Waa­ge ge­hal­ten ha­ben.
Bis ins 20. Jahr­hun­dert hin­ein star­ben in Deutsch­land vie­le Le­bend­ge­bo­re­ne in­ner­halb des ers­ten Jah­res. Auch Klein­kin­der wie­sen ei­ne deut­lich hö­he­re Sterb­lich­keit auf als heu­te. Dem­nach hat die Säug­lings- und Kin­der­sterb­lich­keit ei­ne gro­ße Be­deu­tung. Un­ter­schie­de in der Sterb­lich­keit be­stan­den in der Frü­hen Neu­zeit be­son­ders in der Säug­lings­sterb­lich­keit, da die der Er­wach­se­nen und Kin­der – mit Aus­nah­me von Krie­gen und Hun­gers­nö­ten – we­ni­ger stark durch den Men­schen be­ein­flusst wer­den konn­te. Da­her stellt sich die Fra­ge, ob sich die Hö­he der Säug­lings­sterb­lich­keit im Ver­lauf des 18. Jahr­hun­derts in Bonn ver­än­der­te.

Die ho­he Säug­lings­sterb­lich­keit war auch ein be­lieb­tes The­ma der auf­ge­klär­ten Bon­ner In­tel­lek­tu­el­len in den 1780er Jah­ren, un­ter de­nen sich vie­le Ärz­te be­fan­den. Sie be­män­gel­ten den Um­gang der Müt­ter mit ih­ren Säug­lin­gen und pu­bli­zier­ten in Bon­ner Zei­tun­gen zahl­rei­che Ar­ti­kel mit Tipps für die Er­näh­rung und Pfle­ge. Dar­un­ter wa­ren über­wie­gend me­di­zi­nisch sinn­vol­le Rat­schlä­ge, zum Bei­spiel Säug­lin­gen kei­nen Brannt­wein zu ver­ab­rei­chen – ei­ne of­fen­sicht­lich gän­gi­ge Pra­xis, um Ba­bies ru­hig zu­stel­len. Ins­be­son­de­re for­der­ten die Ärz­te die Müt­ter auf, die Ba­bies so­lan­ge wie mög­lich, min­des­tens je­doch ein Jahr lang, zu stil­len. Dies er­höh­te die Über­le­bens­chan­cen ganz enorm, schlie­ß­lich wur­de die Er­satz­nah­rung häu­fig für meh­re­re Ta­ge im Vor­aus her­ge­stellt. Da es kei­ne Kühl­mög­lich­kei­ten gab, war die Nah­rung ins­be­son­de­re im Som­mer mit Kei­men durch­setzt, was zu ei­ner deut­lich er­höh­ten Sterb­lich­keit führ­te. Gleich­zei­tig wur­de seit Mit­te des 18. Jahr­hun­dert die Heb­am­men-Aus­bil­dung kon­ti­nu­ier­lich pro­fes­sio­na­li­siert.

Frag­lich ist, ob die­se Maß­nah­men und Rat­schlä­ge zum ge­wünsch­ten Er­folg führ­ten und die Säug­lings­sterb­lich­keit im Ver­lauf des 18. Jahr­hun­derts ab­nahm. Mit­hil­fe der Kir­chen­bü­cher wur­den die Ster­be­fäl­le der Bon­ner Haupt­pfar­rei St. Re­mi­gius mit den Tauf­ein­trä­gen ab­ge­gli­chen, um den An­teil der in­ner­halb des ers­ten Le­bens­jah­res ver­stor­be­nen Säug­lin­ge zu be­stim­men, und zwar an­hand der vier De­ka­den – 1730-1739, 1750-1759, 1760-1769 und 1780-1789.

Da­nach zeigt sich: Die Säug­lings­ster­be­ra­te – der An­teil der im ers­ten Le­bens­jahr ver­stor­be­nen Säug­lin­gen pro 1.000 Le­bend­ge­bur­ten – lag in den 1730er mit 174,9 ‰ nied­ri­ger als in der zwei­ten Hälf­te des Jahr­hun­derts, als die Ra­te bis auf 241,2 ‰ an­stieg. Zwar nahm die Säug­lings­ster­be­ra­te zwi­schen 1750 und 1789 kon­ti­nu­ier­lich ab, aber das nied­ri­ge Ni­veau der 1730er Jah­re er­reich­te sie nicht mehr. Es ist al­so fest­zu­stel­len, dass die Säug­lings­sterb­lich­keit nicht si­gni­fi­kant durch die Maß­nah­men der Re­gie­rung und die Rat­schlä­ge der auf­ge­klär­ten Ärz­te be­ein­flusst wur­de und über das ge­sam­te Jahr­hun­dert hin­weg re­la­tiv kon­stant blieb: In­ner­halb des ers­ten Le­bens­jah­res starb in et­wa je­des fünf­te le­bend­ge­bo­re­ne Ba­by - im Ver­gleich zu an­de­ren Re­gio­nen und Städ­ten war dies ei­ne durch­aus gu­te Quo­te!
Ins­ge­samt bleibt fest­zu­hal­ten, dass die Sterb­lich­keit zwar star­ken Schwan­kun­gen un­ter­lag, ge­ra­de im Hin­blick auf Kri­sen­jah­re, aber auf lan­ge Sicht re­la­tiv kon­stant auf ei­nem ho­hen Ni­veau blieb: Et­wa je­des vier­te bis fünf­te Neu­ge­bo­re­ne starb vor Er­rei­chen des ers­ten Le­bens­jah­res und et­wa je­der zwei­te vor sei­nem 14. Le­bens­jahr. Hat­te ein Bon­ner die Kind­heit je­doch über­stan­den, konn­te er da­mit rech­nen, 55-60 Jah­re alt zu wer­den. Die Brü­che in der Ent­wick­lung der Be­völ­ke­rungs­grö­ße im Ver­lauf des 18. Jahr­hun­derts kön­nen je­den­falls nicht auf ei­ne ver­än­der­te Sterb­lich­keit zu­rück­ge­führt wer­den.

Migration

Ne­ben der Frucht­bar­keit und der Sterb­lich­keit be­ein­flus­sen Zu- und Ab­wan­de­run­gen die Ent­wick­lung der Be­völ­ke­rungs­grö­ße. Lei­der lie­gen für ei­ne sys­te­ma­ti­sche Aus­wer­tung der Aus­wan­de­rung in kaum ei­ner Stadt ge­eig­ne­te Quel­len aus der Frü­hen Neu­zeit vor, wes­halb nur in­di­rekt auf die Aus­wan­de­rung ge­schlos­sen wer­den kann. Der Ver­gleich der Steu­er­lis­ten von 1763 und 1777 hat et­wa ge­zeigt, dass die Zahl der bür­ger­li­chen Steu­er­zah­ler um 13,5 Pro­zent zu­rück­ging – ein deut­li­ches In­diz für Aus­wan­de­rung brei­ter Per­so­nen­grup­pen, da sich der Kreis der Steu­er­zah­ler und die Kri­te­ri­en für die Steu­er­er­he­bung nicht ver­än­dert hat­ten. Auf die Ver­klei­ne­rung des Ho­fes wur­de be­reits hin­ge­wie­sen, so­dass ei­ne grö­ße­re Aus­wan­de­rungs­wel­le zwi­schen 1761 und 1777 un­strit­tig ist. Nach der Flucht des Kur­fürs­ten 1794 und der fran­zö­si­schen Be­set­zung ver­lie­ßen eben­falls vie­le Bon­ner ih­re Hei­mat.

Die Hö­he der Zu­wan­de­rung kann ex­ak­ter be­stimmt wer­den, weil neue Bür­ger in den Rats­pro­to­kol­len und den Stadt­rech­nun­gen re­gis­triert wur­den. Sie muss­ten den Bür­ge­reid ab­le­gen und das Bür­ger­geld ent­rich­ten, des­sen Hö­he stark va­ri­ier­te und da­her Aus­künf­te über den so­zia­len Sta­tus des Neu­bür­gers zu­lässt. Es ist je­doch zu be­rück­sich­ti­gen, dass nur ein klei­ner Teil der Ein­woh­ner­schaft Bonns das Bür­ger­recht ge­noss. So­wohl Hof­be­diens­te­te und Ade­li­ge als auch un­ter­bür­ger­li­che Schich­ten – dar­un­ter et­wa Knech­te und Mäg­de so­wie Ta­ge­löh­ner – wa­ren kei­ne Bür­ger. Re­gis­triert wur­den in der Re­gel au­ßer­dem nur Män­ner, we­der Frau­en noch Kin­der. Den­noch er­mög­licht die Aus­wer­tung der Neu­bür­ger­auf­nah­men ei­nen gu­ten Über­blick über die Ver­än­de­run­gen der Zu­wan­de­rung im Ver­lauf des 18. Jahr­hun­derts.

Die Söh­ne von Bür­gern muss­ten eben­falls ei­gens das Bür­ger­recht er­wer­ben. Das Ver­hält­nis der An­zahl der Bür­ger­söh­ne zu den Zu­wan­de­rern un­ter den Neu­bür­gern gibt Auf­schluss über die Hö­he der Zu­wan­de­rung in Re­la­ti­on zur Ein­woh­ner­zahl ei­ner Stadt. Der An­teil der Zu­wan­de­rer un­ter den Neu­bür­gern lag nach der Rück­kehr Jo­seph Cle­mens‘ 1715 aus sei­nem fran­zö­si­schen Exil bis zum To­de Cle­mens Au­gusts 1761 auf ei­nem ho­hen Ni­veau, re­la­tiv be­trach­tet so­gar hö­her als in den meis­ten an­de­ren pros­pe­rie­ren­den Re­si­denz­städ­ten. Nur in Ber­lin und Karls­ru­he lag das Ver­hält­nis von aus­wär­ti­gen Neu­bür­gern zu Bür­ger­söh­nen so hoch wie in Bonn. Dies al­lei­ne ist schon ein deut­li­cher Be­leg für die be­son­de­re At­trak­ti­vi­tät Bonns zu­zei­ten der letz­ten bei­den Wit­tels­ba­cher Kur­fürs­ten.
Die An­zahl der aus­wär­ti­gen Neu­bür­ger ins­ge­samt nahm zwi­schen den gleich lan­gen Zeit­räu­men 1726-1753 und 1766-1793 von 1.016 auf 734 ab. Zwar stamm­te die Mehr­zahl der Zu­wan­de­rer aus ei­nem Ort im Um­kreis von 25 Ki­lo­me­tern von Bonn, aber er­staun­li­cher­wei­se ka­men auch un­ter den bei­den letz­ten Kur­fürs­ten Max Franz und Max Fried­rich vie­le Zu­wan­de­rer aus weit ent­fern­ten Re­gio­nen nach Bonn. Selbst aus Ita­li­en und Frank­reich zo­gen es nach wie vor vie­le Men­schen in die kur­k­öl­ni­sche Re­si­denz­stadt. Le­dig­lich die Zu­wan­de­rung aus Bay­ern brach voll­stän­dig zu­sam­men. Au­ßer­dem ka­men auch deut­lich we­ni­ger Zu­wan­de­rer aus der be­nach­bar­ten Reichs­stadt Köln.

Die Be­ru­fe der aus­wär­ti­gen Neu­bür­ger sind eben­falls auf­schluss­reich für die Be­ur­tei­lung der Po­pu­la­ri­tät und wirt­schaft­li­chen La­ge der Stadt. So wa­ren et­wa die meis­ten der nie­der­län­di­schen Zu­wan­de­rer als Tuch­händ­ler tä­tig. Sie ver­kauf­ten über­wie­gend fei­ne Tu­che, de­ren Ab­satz nach dem Re­gie­rungs­wech­sel 1761 stark ein­brach. Da­her wan­der­ten nach 1761 kaum noch nie­der­län­di­sche Händ­ler nach Bonn ein. Glei­ches gilt für ita­lie­ni­sche Kauf­leu­te, die als Mo­tor des Bon­ner Han­dels im 18. Jahr­hun­dert an­ge­se­hen wer­den.
Ins­ge­samt wa­ren die meis­ten aus­wär­ti­gen Neu­bür­ger als Hand­wer­ker tä­tig. Sie stamm­ten in der Re­gel aus dem un­mit­tel­ba­ren Um­land Bonns, mit ei­ni­gen Aus­nah­men: So wan­der­ten bei­spiels­wei­se vie­le Zinn­gie­ßer aus Ober­ita­li­en in Bonn ein. Of­fen­sicht­lich ge­nos­sen sie über die Lan­des­gren­zen hin­aus ei­nen gu­ten Ruf. Hand­wer­ker aus dem Bau­ge­wer­be fan­den sich ver­ständ­li­cher­wei­se be­son­ders häu­fig un­ter den frem­den Neu­bür­gern, als die Stadt in den ers­ten Jah­ren nach der Ka­ta­stro­phe von 1689 wie­der auf­ge­baut wer­den muss­te.
Es gab je­doch auch Be­rufs­grup­pen, die erst un­ter Max Fried­rich und vor al­lem un­ter Max Franz häu­fi­ger un­ter den Ein­wan­de­rern ver­tre­ten wa­ren. Ver­wie­sen sei nur auf die Pe­rü­cken­ma­cher, die vor al­lem zwi­schen 1776 und 1784 ein­wan­der­ten. Of­fen­sicht­lich konn­te die­se fran­zö­si­sche Mo­de erst in je­nen Jah­ren in Bonn Fuß fas­sen, als sie in an­de­ren Re­gio­nen schon au­ßer Mo­de ge­ra­ten war.

Das ra­san­te Be­völ­ke­rungs­wachs­tum bis 1761 ist im We­sent­li­chen auf Zu­wan­de­rung zu­rück­zu­füh­ren. An­ders wä­re der enor­me Be­völ­ke­rungs­zu­wachs zwi­schen 1689 und 1761 nicht mög­lich ge­we­sen. Doch er­staun­li­cher­wei­se zo­gen auch noch in der zwei­ten Hälf­te des 18. Jahr­hun­derts – trotz der Aus­wan­de­rungs­wel­le in den 1760er Jah­ren – vie­le Men­schen nach Bonn. Da­her kann der Be­völ­ke­rungs­rück­gang in den 1760er und 1770er Jah­ren nicht al­lei­ne auf ein ne­ga­ti­ves Wan­de­rungs­sal­do zu­rück­ge­führt wer­den.

6. Fazit

Im Ge­gen­satz zu al­len an­de­ren Re­si­denz­städ­ten im 18. Jahr­hun­dert im Reich nahm in Bonn die Ein­woh­ner­zahl nach dem Re­gie­rungs­wech­sel von Cle­mens Au­gust zu sei­nem Nach­fol­ger stark ab, ob­wohl kei­ne Ver­le­gung der Re­si­denz oder Ähn­li­ches er­folgt war. Den­noch kön­nen die Ver­klei­ne­rung der Re­si­denz und die strik­ten Spar­maß­nah­men der Re­gie­rung un­ter Max Fried­rich als ur­säch­lich für den mas­si­ven Be­völ­ke­rungs­rück­gang in den 1760er und 1770er Jah­ren an­ge­se­hen wer­den. Un­ter sei­nem Nach­fol­ger Max Franz nahm die Ein­woh­ner­zahl Bonns zwi­schen 1784 und 1794 zwar wie­der zu, konn­te aber den Höchst­stand von et­wa 13.000 Ein­woh­nern in den 1750er Jah­ren nicht ein­mal an­nä­hernd wie­der er­rei­chen.

Die Ana­ly­se der de­mo­gra­phi­schen Pa­ra­me­ter Frucht­bar­keit, Sterb­lich­keit und Mi­gra­ti­on er­gibt ein kom­ple­xes Bild der Be­völ­ke­rungs­ent­wick­lung Bonns im 18. Jahr­hun­dert. Es war nicht al­lei­ne ei­ne ne­ga­ti­ve Wan­de­rungs­bi­lanz für den Be­völ­ke­rungs­rück­gang ver­ant­wort­lich, son­dern auch ei­ne deut­lich nied­ri­ge­re Frucht­bar­keit. Die­se er­gibt sich aus dem um et­wa drei bis vier Jah­re hö­he­ren Hei­rats­al­ter der Frau­en, wes­halb in den 1760er und 1780er Jah­ren et­wa ein bis zwei Kin­der pro ver­hei­ra­te­te Frau we­ni­ger auf die Welt ka­men als noch in den 1730er Jah­ren. Zwar kann der Frucht­bar­keits­rück­gang nicht ex­akt quan­ti­fi­ziert wer­den, aber die Aus­wir­kun­gen auf die Be­völ­ke­rungs­zahl dürf­ten groß ge­we­sen sein und sich bis ins 19. Jahr­hun­dert hin­ein aus­ge­wirkt ha­ben: Bonns Ein­woh­ner­zahl er­reich­te erst nach 1818 wie­der den Stand von 1760.

Das deut­lich hö­he­re Hei­rats­al­ter der Frau­en im letz­ten Drit­tel des Jahr­hun­derts war der schlech­te­ren wirt­schaft­li­chen La­ge ge­schul­det. Durch die Ver­klei­ne­run­gen des Ho­fes wa­ren vie­le Be­diens­te­te fort­ge­zo­gen. Au­ßer­dem fie­len vie­le der pom­pö­sen ba­ro­cken Fei­er­lich­kei­ten und Zu­sam­men­künf­te, an de­nen vie­le Ade­li­ge aus dem ge­sam­ten Reich, ja so­gar aus Eu­ro­pa teil­ge­nom­men hat­ten, fort. Die Ade­li­gen stell­ten die Haupt­ab­neh­mer von Lu­xus­gü­tern, wes­halb Han­del und Hand­werk nach 1761 star­ke Ein­bu­ßen er­lit­ten und mehr als ein Zehn­tel der Bür­ger die Stadt ver­ließ. Das er­schwer­te es jun­gen Bon­nern – aber auch Zu­wan­de­rern –, ei­ne Stel­le im Hand­werk oder im Han­del zu er­hal­ten. Das ver­zö­ger­te wie­der­um die Ehe­schlie­ßung, die in der Re­gel an ei­ne Stel­le ge­bun­den war. Der An­teil der Un­ver­hei­ra­te­ten, der für die 1760er und 1770er Jah­re we­gen feh­len­der Be­stands­lis­ten lei­der nicht be­stimmt wer­den kann, war ver­mut­lich auch hö­her als noch in den 1730er Jah­ren oder auch 1790.

Am Bei­spiel Bonns, ei­ner klei­nen, aber durch­aus be­deu­ten­den geist­li­chen Re­si­denz­stadt im Reich, zeigt sich ex­em­pla­risch die Be­deu­tung der wirt­schaft­li­chen La­ge ei­ner Stadt für die Be­völ­ke­rungs­ent­wick­lung: Be­völ­ke­rungs­wachs­tum war an wirt­schaft­li­che Res­sour­cen ge­kop­pelt, die in ei­ner Re­si­denz­stadt aufs engs­te mit der Ent­wick­lung des Ho­fes ver­bun­den wa­ren.

Quellen

Un­ge­druck­te Quel­len
 
Die Zu­stands­lis­ten der Be­völ­ke­rung und die Kir­chen­bü­cher be­fin­den sich bis auf we­ni­ge Aus­nah­men im Stadt­ar­chiv Bonn, Son­der­be­stand 20: Kir­chen­bü­cher (KB): Diet­kir­chen (1/11), St. Gan­golf (2/13 - 2/19), St. Re­mi­gius (4/30 – 4/41, 5/5 – 5/6) und Ku 34/2, Ta­bel­len zum Be­völ­ke­rungs­zu­stand 1790.

Ge­druck­te Quel­len

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Literatur

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Bonner Marktplatz mit Rathaus und Fontaine. Kolorierter Kupferstich als (seitenverkehrtes) Guckkastenbild von Balthasar Friedrich Leizel nach Franz Rousseau, nach 1777. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

 
Zitationshinweis

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Schlöder, Christian, Die Bevölkerungsentwicklung Bonns im 18. Jahrhundert, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/die-bevoelkerungsentwicklung-bonns-im-18.-jahrhundert/DE-2086/lido/57d12389ba9361.35947824 (abgerufen am 19.03.2024)