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Aus der vom Hunsrück stammenden Familie Stumm leiteten sich zwei herausragende Unternehmerdynastien ab, der jüngste Sohn von Johann Christian Stumm (1640-1719) begründete eine Orgelbauerfamilie, der älteste eine Hüttenfamilie, die im 19. Jahrhundert ein führendes deutsches Unternehmen aufbaute.
Bei letzterem handelte es sich um Johann Nikolaus Stumm (1669-1743) aus Rhaunen-Sulzbach, der im Jahre 1715 eine Mühle im Amt Hottenbach (heute Kreis Birkenfeld) erwarb und sie als Hammerwerk nutzte. Mit zwei Söhnen, dem gleichnamigen Johann Nikolaus (1694-1769) und mit Johann Heinrich (1699-1783), kaufte er im Jahre 1738 den Sensweiler Hammer. Beide Söhne expandierten 1742, ein Jahr vor dem Tod des Vaters, durch den Erwerb der Asbacher Hütte. Johann Heinrich, der Stammvater der saarländischen Dynastie, heiratete im gleichen Jahr Maria Barbara Gienanth (1724-1781) in Lambsheim, deren Familie sich gleichfalls dem Hüttenwesen verschrieben hatte. Ihr Vater Johann Nikolaus Gienanth (1680-1750) pachtete 1729 eine Eisenschmelze des Grafen von Leiningen, ihr Bruder Johann Jakob (1713-1777) im Jahre 1753 das wasserbetriebene Hammerwerk in der Nähe von Eisenberg. Dessen Sohn Johann Ludwig (1767-1848) wurde mit seinen Eisenwerken zum größten Arbeitgeber in der Pfalz. Der bayerische König erhob ihn 1817 in den persönlichen, 1835 unter Verleihung des Freiherrntitels in den erblichen Adelsstand.
In der unternehmerischen Expansion glichen sich die Familien Gienanth und Stumm. Johann Heinrich kaufte im Jahre 1763 die Hütte Abentheuer. Im Jahre 1785 ersteigerten zwei seiner vier Söhne die Gräfenbacher Hütte bei Spabrücken. Nach 1800 ließen sich die Söhne Friedrich Philipp (1751-1835) und Johann Ferdinand (1760-1839) in Saarbrücken nieder. Ersterer bezog das Mandelsche Palais am Ludwigsplatz, letzterer residierte im Saarbrücker Schloss. Zusammen mit ihrem in Mannheim lebenden Bruder Christian Philipp (1758-1828) erwarben sie im Jahre 1808 die Eisenhütte in Neunkirchen, 1809 die Halberger und die Fischbacher Hütte zusammen mit weiteren saarländischen Industriellen. Im Jahre 1817 besaßen sie ferner zwei Fünftel der Aktien der Dillinger Hütte, und im Jahre 1828 gelangte noch die Hütte Geislautern in ihren Besitz. Zwischen den Brüdern gab es eine Aufgabenteilung, nach der Johann Ferdinand hauptsächlich für Zoll- und Handelsfragen, der Mannheimer Hofrat Christian für juristische Angelegenheiten und Friedrich Philipp für den technischen Bereich zuständig war.
Im Jahre 1824 schied Friedrich Philipps kinderloser Bruder Johann Ferdinand aus dem Unternehmen aus, während sein Sohn Karl Friedrich (1798-1848) eintrat. In deren Händen konzentrierte sich das Familieneigentum, da ihnen auch die Anteile der Mannheimer Linie zufielen. Karl Friedrich führte im Jahre 1829 nach einer Englandreise den Puddelofen ein, ab 1833 im Dauerbetrieb. Eine weitere Innovation stellte die 1836 zum Einsatz kommende Dampfmaschine dar. Zu diesem Zeitpunkt war sein Vater Friedrich Philipp gestorben. Den Söhnen seines Schwiegersohns Heinrich Böcking, Bergrat und Bürgermeister in Saarbrücken, hinterließ Friedrich Philipp die Hunsrückwerke. Sein Sohn Karl Friedrich erhielt die Werke an der Saar, darunter das Neunkirchener Werk, das eine stürmische Phase der technischen Entwicklung erlebte. So wurde die Holzkohle endgültig durch Steinkohlenkoks ersetzt.
Mit dem Württemberger Ferdinand Steinbeis (1807-1893) wurde ab 1842 ein besonders tüchtiger Direktor gewonnen, der technische Neuerungen maßgeblich initialisierte, aber auch Reformen in Gang setzte, die die Wohlfahrt der Arbeiter betrafen: Förderung der Berufsausbildung, betriebliche Sozialeinrichtungen, Wohnungsfürsorge, Einrichtung einer Invalidenkasse, Bestellung eines Werksarztes. Die Ära des industriellen Aufbruchs erlitt eine schroffe Zäsur durch den Selbstmord Karl Friedrichs im Jahre 1848. Seine Witwe, Marie Luise Böcking (1813-1864), übertrug die Werksleitung ihrem Bruder Bernhard August (1818-1861), Steinbeis wurde entlassen und avancierte in der Folgezeit zum „Vater der württembergischen Industrie". Die Geschäftsführung des Neunkirchener Werks lief in den von ihm abgesteckten Bahnen weiter.
Nach einer Interimszeit von zehn Jahren nahm Karl Ferdinand (1836-1901), der älteste Sohn von acht Geschwistern und der bekannteste Namensträger der Familie, im Jahre 1858 mit 22 Jahren das Heft in die Hand und entwickelte das Unternehmen zu einem Großbetrieb.
Karl Ferdinand legte mit 16 Jahren in Siegen die Reifeprüfung ab, absolvierte eine zweijährige Lehre im Neunkirchener Familienbetrieb und studierte von 1854 bis 1858 in Bonn und Berlin Rechts- und Staatswissenschaft sowie Eisenhüttenkunde. Seine drei Brüder beteiligte er in der Folgezeit nicht an der Leitung des Unternehmens. Während diese den Status stiller Gesellschafter besaßen, wurden seine vier Schwestern finanziell abgefunden. In seiner mehr als 40jährigen Schaffenszeit profilierte sich Karl Ferdinand in Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Im Zentrum seines Lebens stand dabei die Neunkirchener Hütte.
Das Stummsche Unternehmen stellte Roheisen her und kaufte solches zur Weiterverarbeitung (Herstellung von Achsen) auf. In der Take-Off-Phase der Industrialisierung wuchs der Bedarf an Eisen und Stahl schier unermesslich an. Dazu trug der Ausbau des Schienennetzes bei, der seinerseits die Transportbedingungen für Massengüter ganz erheblich erleichterte. Die Entwicklung erfasste auch die Saarregion. Im Jahre 1860, zwei Jahre nach Karl Ferdinands Eintritt in die Firma, wurden die Rhein-Nahe-Bahn und die Saarbahn von Saarbrücken nach Trier fertig gestellt. Der Transport des Lahnerzes konnte dadurch kostengünstiger erfolgen. Für den Bezug der heimischen Kohle reichte ein Nahverkehrsnetz. 1870 begann das Stummsche Unternehmen mit dem Bau eigener Koksöfen. Der Siegeszug der lothringischen Minette konnte erst nach Einführung des Thomasstahlverfahrens im Jahre 1880 in Neunkirchen beginnen. Karl Ferdinand erwarb Erzgruben und baute ein Hüttenwerk in Uckange nahe Thionville auf.
Innerbetrieblich legte Karl Ferdinand von Anfang an größten Wert auf Disziplin und die Einhaltung von Vorschriften. Seit 1873 wurden die Verhaltensmaßregeln für die Beschäftigten in Zirkularen festgehalten und bekannt gemacht. Sie reichten bis in den Privatbereich hinein. So ließ er keinen Arbeiter vor Erreichung des 24. Lebensjahres heiraten, und auch bei der Wahl des Ehepartners beanspruchte er ein Zustimmungsrecht. Den betrieblichen Führungsstil entlehnte er der militärischen Dienstauffassung. In der Saarregion war er der wichtigste private Arbeitgeber. Die Zahl der Arbeiter stieg in Neunkirchen von 1.260 im Jahre 1861 auf 4.200 im Jahre 1900. Zu diesem Zeitpunkt kamen noch weitere 4.000 Beschäftigte in der Hütte von Uckange, in den lothringischen Erzgruben und auf der Zeche Minister Achenbach in Brambauer bei Dortmund hinzu.
Seine Arbeiter waren im Saarrevier wirtschaftlich am besten gestellt. Nur in der Gründerkrise Mitte der 1870er Jahre sah er sich zu Entlassungen gezwungen, die er auch in schwierigen Zeiten zu vermeiden suchte. Zukunftsweisend waren seine betrieblichen Sozialeinrichtungen, die Hilfs-, Unterstützungs- und Krankenkassen, bei denen er sich an der Knappschaft des saarländischen Staatsbergbaus orientierte. Er förderte den Bau von Eigenheimen der Stammbelegschaft. Etliche Arbeitergenerationen hielten dem Unternehmen die Treue. Karl Ferdinand war grundsätzlich für jeden zu sprechen. Die andere Seite seines patriarchalisch-autoritären Führungsstils war eine unerbittliche Härte gegenüber sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Forderungen. Mit dieser Thematik befasste er sich auch als Politiker.
Karl Ferdinand war Mitglied der 1867 gegründeten Freikonservativen Partei und erhielt in diesem Jahr sowohl ein Mandat für die Zweite Preußische Kammer als auch für den Norddeutschen Reichstag. Nach 1871 war er nicht mehr Abgeordneter der preußischen Kammer, wurde jedoch 1882 auf Vorschlag Otto von Bismarcks (1815-1898) Mitglied des Herrenhauses. Abgesehen von den Jahren 1881 bis 1889, in denen er sich grollend aus der Parlamentsarbeit zurückzog, nahm er ständig ein Reichstagsmandat wahr. In einer Enquêtekommission setzte er sich mit einer Vorlage 1879 für einen mäßigen Schutzzoll ein, der nicht zuletzt der Eisenindustrie den heimischen Markt sichern sollte. An der Erstellung der Gewerbeordnung von 1879 nahm er tätigen Anteil. Er engagierte sich stark für das Verbot der sozialdemokratischen Partei und stimmte 1890 gegen die Aufhebung des Sozialistengesetzes.
Darüber hinaus engagierte er sich in Selbstverwaltungsorganisationen: in der Industrie- und Handelskammer Saarbrücken, in der „Südwestlichen Gruppe des Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller" und im „Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen der Saarindustrie" (beides Gründungen von 1882). Eine Reihe von staatlichen Ehrungen wurden ihm zuteil, angefangen mit der Verleihung des Titels eines Geheimen Kommerzienrates (1874), der oben erwähnten Berufung in das Preußische Herrenhaus (1882), der Erhebung der Familie in den erblichen Freiherrenstand (1888) und der Bestellung zum Mitglied des Staatsrats (1890). Nach seinem bei Saarbrücken gelegenen Besitz, auf dem er sich ein repräsentatives Schloss erbauen ließ, durfte er sich Karl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg nennen.
In der Öffentlichkeit kursierten weitere, zumeist ironisch verwandte Namen, die in seinen zahlreichen und heftigen publizistischen Fehden geprägt wurden und auf seinen autoritären Führungsstil anspielten: König Stumm, König von Saarabien, Scheich von Saarabien. Er selbst zog es vor, sich schlicht als Hammerschmied zu definieren. Der Anhänger einer starken monarchischen Autorität gehörte in den 1890er Jahren zeitweise zu den engsten Ratgebern Kaiser Wilhelms II. (Regentschaft 1888-1918) – danach benannt die „Ära Stumm". Nach kurzer schwerer Krankheit starb er, nachdem er sich auf vielen Seiten Feinde gemacht hatte, politisch isoliert im Jahre 1901. Trotz seiner Umstrittenheit erwiesen ihm Tausende die letzte Ehre.
Nach dem Tod Karl Ferdinands führten die Generaldirektoren Theodor Zilliken und Fritz Horn, die als persönlich haftende Gesellschafter in das Werk eintraten, das Unternehmen weiter, nicht die Mitbesitzer oder die erbenden Töchter beziehungsweise seine Schwiegersöhne. Die Brüder Friedrich Adolf (1838-1914), Ferdinand Eduard (1843-1925) und Hugo (1845-1910) überlebten den Patriarchen, ebenso die vier Töchter Ida Henriette Charlotte (1861-1916), Elisabeth Maria (1863-1911), Helene Karoline (1865-1933) und Bertha Hedwig (1876-1949). Für ihren Anteil hafteten die Brüder bereits seit 1892 nur im Rahmen des GmbH-Gesetzes. Die Unternehmensform war ab 1903 gänzlich die einer GmbH. Der Bruder Ferdinand stand an der Spitze des Aufsichtsrats.
Im Laufe der kommenden Jahrzehnte wurde der Einfluss der Familie immer schwächer. Der Unternehmer Otto Wolff aus Köln erwarb frei gewordene Anteile und bestimmte ab 1926 das Schicksal des Betriebes. Im Jahre 1977 geriet der Stumm-Konzern in der großen Krise der Montanindustrie in Konkurs, und 1982 wurden der letzte Hochofen und auch die Kokerei in Neunkirchen abgeschaltet.
Literatur
Dülmen, Richard van, Jacob, Joachim (Hg.), Stumm in Neunkirchen. Unternehmerherrschaft und Arbeiterleben im 19. Jahrhundert. Bilder und Skizzen aus einer Industriegemeinde, St. Ingbert 1993.
Hellwig, Fritz, Carl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg, in: Saarländische Lebensbilder, Band 3, Saarbrücken 1986, S. 153-198.
Online
Die Familie Stumm und das Werk zum 100jährigen Todesjahr von Freiherr Carl Ferdinand (Bilder zur Stumm Genealogie auf der Homepage des Historischen Vereins Stadt Neunkirchen von Klaus Dufner). [Online]
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Burg, Peter, Familie Stumm I, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/familie-stumm-i/DE-2086/lido/57c958bac0d772.40188700 (abgerufen am 03.10.2024)