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Hans Jonas war ein Religions- und Wertphilosoph und Vertreter einer antizipierenden Zivilisationsethik. Er gehört zu den bedeutendsten Naturethikern und Denkern des 20. Jahrhunderts und gilt als Mitbegründer des Umweltbewusstseins.
Hans Jonas wurde am 10.5.1903 als Sohn des Textilfabrikanten Gustav Jonas in Mönchengladbach geboren. Seine Mutter Rosa, geborene Horowitz, war die Tochter des Krefelder Oberrabiners Jakob Horovitz. Wie der Großteil seiner Generation bezeichnet auch er in seiner Autobiographie den Ausbruch des Ersten Weltkrieges als eines der prägendsten Ereignisse seiner Mönchengladbacher Jugendzeit. Nach dem Ende des Krieges wandte sich der junge Jonas – gegen den Willen des Vaters – dem Zionismus zu und trat einem zionistischen Zirkel in seiner Heimatstadt bei. Da der Vater großen Wert auf Bildung legte, konnte sein Sohn Hans seine Studienrichtungen frei und unabhängig von der Aussicht auf späteren Broterwerb wählen. Die Wahl fiel auf die Fächer Theologie, Philosophie und Kunstgeschichte. Dafür ging Jonas 1921 nach Freiburg, wo er bei Edmund Husserl (1859-1938) und Martin Heidegger (1989-1976) sein Philosophiestudium begann. Zeitgleich wurde er Mitglied in der zionistischen Studentenverbindung IVRIA.
Schon zum Wintersemester desselben Jahres immatrikulierte er sich in Berlin, und zwar gleichzeitig an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums und an der Friedrich-Wilhelms-Universität. Er hörte in dieser Zeit vor allem bei Eduard Spranger (1882-1963), aber auch bei Ernst Troeltsch (1865-1923). 1923 zog es ihn erneut nach Freiburg und 1924 weiter nach Marburg, wo neben Heidegger vor allem der protestantische Theologe Rudolf Karl Bultmann (1884-1976) prägend für seine philosophische Entwicklung werden sollte. Jonas begegnete in dieser Zeit nicht nur Karl Löwith (1897-1973) und Hans-Georg Gadamer (1900-2002), hier begann auch seine lebenslange – ungeachtet eines zwei Jahre dauernden Zerwürfnisses wegen ihrer Position im Prozess gegen Adolf Eichmann – Freundschaft mit Hannah Arendt (1906-1975). Im Jahr 1928 schließlich folgte die Promotion bei Heidegger zum Thema „Der Begriff der Gnosis".
Die „Machtergreifung" 1933 erlebte Jonas in Köln, wo er, wie auch in Heidelberg, Frankfurt und Paris, seine Dissertation für die Veröffentlichung vorbereitete. Er ging zunächst nach London, emigrierte aber schon ein Jahr später nach Palästina. Sein bereits in London abgeschlossener erster Teil zur Gnosis erschien 1934 unter dem Titel „Gnosis und spätantiker Geist. Erster Teil: Die mythologische Gnosis" – dank des Engagements Bultmanns sogar in Göttingen.
Die Existenzanalyse Heideggers nutzend, zeigte er auf, dass die Mythen in der spätantiken Gnosis nicht wörtlich, sondern als Ausdruck existentieller Erfahrungen verstanden werden müssen, die durch ihre sprachliche Einkleidung transportiert und transponiert werden. Jonas zufolge kann nur ein Betrachter, der in der Lage ist, seine (zum Beispiel von psychologischen oder soziologischen Motiven geprägte) eigene Deutung zurückzunehmen (ganz im Sinne der phänomenologischen epoché) das transportierte Daseinsverständnis freilegen. Jonas meint damit zu einem gnostischen Welt- und Selbstverständnis vorzudringen, das sich durchaus mit in die abendländische Tradition der Innerlichkeit von Augustinus (354-430) bis Sören Kierkegaard (1813-1855) einordnen lasse und genau nicht auf andere antike Ansätze zurückzuführen sei.
Eine solche Interpretation legt nahe, nun umgekehrt die neuzeitliche Philosophie von der Gnostik her auszulegen; eine Lesung, die gerade auch in den dualistischen und später in nihilistischen und naturphilosophischen Strömungen (bis hin zu den Naturwissenschaften) eine Verwandtschaft zur Gnosis aufspürt, die darin besteht, den Menschen als einen verlassenen Fremdling in der Welt zu interpretieren, der angesichts eines unendlichen und mechanistisch funktionierenden (und damit indifferenten) Universums von Entsetzen gepackt wird.
Im Jahr 1938 nahm Jonas eine Dozentur in Jerusalem an, unterbrach jedoch seine Lehrtätigkeit, um von 1940-1945 als Soldat in der britischen Armee zu dienen. Während dieser Zeit, 1943, heiratete er Lore Weiner in Haifa. Erst nach Kriegsende erfuhr er von der Ermordung seiner Mutter in Auschwitz. 1946 kehrte er nach Jerusalem zurück und nahm seine Lehrtätigkeit wieder auf. Drei Jahre später siedelte Jonas nach Kanada über, wo er bis 1950 zunächst Fellow an der McGill-Universität in Montreal war, bevor er 1950-1954 eine Professur in Ottawa innehatte. In dieser Zeit erfolgten auch Rufe nach Jerusalem und Kiel, die er jedoch ablehnte. Von 1955-1976 lehrte Jonas in New York und unternahm währenddessen viele Vortragsreisen, unter anderem nach Deutschland. 1964, hielt er seinen Vortrag „Heidegger and the Theology", der vor allem wegen seiner Heidegger-Kritik Aufsehen erregte.
1966, veröffentlichte er die Schrift „Phenomenon of life. Toward a Philosophical Biology", die erst 1973 unter dem Titel „Organismus und Freiheit. Ansätze zu einer philosophischen Biologie" auf deutsch erschien. In den darin vorgetragenen Überlegungen versuchte er, der sich in seiner ersten denkerischen Phase eher geschichtlichen Problemen zugewandt hatte, nun in einer zweiten gegenwartsorientierten Phase mit einem lebensphilosophischen Ansatz die Einsamkeit und Abgetrenntheit des Menschen von und in der Welt zu überwinden. Zentral sind dabei die Grundnahmen der Selbstsorge als Merkmal aller Naturwesen und die unumstößliche Überzeugung, dass die Psyche nicht auf physikalische oder biochemische Prozesse rückführbar sei. Es ist diese Bestimmung des Lebens als etwas, das als Lebendiges immer schon Träger seiner eigene Sterblichkeit ist und die daraus gezogene Schlussfolgerung, die Sorge, dem eigenen Tod zu entgehen, als existentiellen Urzustand alles lebendigen Seienden zu interpretieren, die Jonas trotz aller Differenzen als Heidegger-Schüler ausweist. Nur der Mensch ist Jonas zufolge fähig, sich über den „Adel des Sehens" von diesen Strukturen zu distanzieren und so einen sorgefreien Blick, ein Weltbild im ursprünglichen Sinn des Wortes, zu entwickeln.
Im Jahr 1979 erschien sein Hauptwerk „Das Prinzip Verantwortung", für das er 1987 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt und mit dem eine denkerische Phase einsetzte, in der sich Jonas der Zukunft und der praktischen Philosophie zuwandte. In dieser Schrift versuchte er, eine Phänomenologie ethischen Handelns zu entwerfen, die sich in Auseinandersetzung und Abgrenzung von Ernst Blochs (1885-1977) „Prinzip Hoffnung" versteht. Von der Beziehungsdynamik zwischen Natur und Mensch ausgehend fordert Jonas, mit zunehmender Machterweiterung der Technik müsse auch eine Erweiterung einer an Zukunft orientierten Ethik vollzogen werden. Das Bild des „endgültig entfesselten Prometheus" steht bei ihm für eine von Wissenschaft und Technik dominierte Zivilisation, die eine neue Ethik unabdingbar mache, wenn verhindert werden soll, dass das Bestreben, die Natur zum Wohl des Menschen zu unterwerfen, nicht nur aus der bisherigen Verheißung in Drohung umschlägt – was längst geschehen ist – sondern darüber hinaus ihr zerstörerisches Potential voll zur Entfaltung gelangt. Denn zum ersten Mal, so die Ausgangsthese des Buches, stehe der Mensch einer Situation gegenüber, in der er die Macht habe, die Welt zu zerstören, für die aber bisher keine Ethik verfügbar sei, also Niemandsland betreten werde: Der Mensch müsse erstmalig die Verantwortung dafür übernehmen, die Welt als Gesamtheit zu bewahren. Dabei stehe aber mehr als nur das bloße Überleben auf dem Spiel, denn letztlich gehe es darum, die Würde von Mensch und Natur zu bewahren. Damit entwirft Jonas die ontologische Fundierung einer Ethik der Verantwortung, die seinen Ansatz wesentlich von bisherigen Verantwortungsethiken abgrenzt.
1988 erhielt Jonas das Große Bundesverdienstkreuz. Gleichzeitig wurde er Ehrenbürger der Stadt Mönchengladbach. Es folgten Ehrendoktorwürden und –promotionen in Bamberg, Konstanz und Berlin.sowie bis zu seinem Tod immer wieder eine aktive Teilnahme am gesellschaftspolitischen Diskurs zum Thema Zukunftsverantwortung, wie seine Diskussion mit Karl-Otto Apel (geboren 1922), Hans Küng (geboren 1928) und Reinhard Löw (1949-1994) auf der Kieler Konferenz „Ethik und Politik heute" im Jahr 1990.
Am 5. 2.1993 starb Hans Jonas in New Rochelle bei New York.
Seine Heimatstadt Mönchengladbach errichtete am 3.6.1998 ein Hans-Jonas-Denkmal, bei dessen Übergabe der damalige Bundespräsident Johannes Rau eine Ansprache hielt. Außerdem ehrte die Stadt Mönchengladbach Hans Jonas zu seinem 100. Geburtstag 2003 mit einem Hans-Jonas-Jahr.
Werke (Auswahl)
Erinnerungen, Frankfurt a. M. 2003.
Gnosis und spätantiker Geist, Göttingen 1954.
Das Prinzip Leben. Ansätze zu einer philosophischen Biologie, Frankfurt a. M. 1973.
Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt a. M. 1979.
Der Gottesbegriff nach Auschwitz: eine jüdische Stimme, Frankfurt a. M. 1987 .
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Gesamtausgabe _
Kritische Gesamtausgabe der Werke von Hans Jonas (KGWHJ), hg. von Dietrich Böhler und Walther Ch. Zimmerli, 11 Bände, Freiburg (Breisgau) 2006-2012.
Literatur
Endruweit, Meiken / Seidel, Ralf (Hg.), Prinzip Zukunft: Im Dialog mit Hans Jonas, Paderborn 2007.
Fasching, Wolfgang, Artikel "Jonas, Hans", in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 15 (1998), Sp. 763-773.
Müller, Wolfgang Erich (Hg.), Hans Jonas – von der Gnosisforschung zur Verantwortungsethik, Stuttgart 2003 .
Müller, Wolfgang Erich (Hg.), Hans Jonas. Philosoph der Verantwortung, Darmstadt 2008.
Wetz, Franz Josef, Hans Jonas zur Einführung, Hamburg 1994.
Online
Hans Jonas 1903-1993 (Information auf der Homepage des Hans Jonas-Zentrum e.V.). [Online]
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Gottlöber, Susan, Hans Jonas, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hans-jonas/DE-2086/lido/57c92f7c84a021.82498306 (abgerufen am 10.12.2024)