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Heinrich Schrörs gehört zweifellos zu den profiliertesten und in Bezug auf seine Persönlichkeit sperrigsten rheinischen Gelehrten seiner Zeit. 30 Jahre lang, von 1886 bis 1916, hatte er den Lehrstuhl für Kirchengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn inne und wirkte darüber hinaus stark prägend auf die rheinische (Kirchen-)Geschichtsschreibung, unter anderem auch als langjähriger Vorsitzender des „Historischen Vereins für den Niederrhein".
Die Wiege von Heinrich Schrörs stand in Krefeld, wo er am 26.11.1852 als Sohn der Eheleute Johann und Henriette Schrörs, geborene Schlösser geboren wurde. Die Geburtsurkunde bezeichnet den Beruf des Vaters als Seidenweber, andere Quellen nennen ihn Spezereihändler, Müller oder gar Mühlenbesitzer. Heinrich Schrörs hatte drei jüngere Geschwister: seine Schwester Maria (1855-1904) führte ihm lange Jahre den Haushalt, der Bruder Richard (1858-1884) starb jung, der jüngste Bruder (geboren 1860) betrieb eine Walzenmühle in Aachen. Aus Heinrich Schrörs Kindheit und Jugend liegen so gut wie keine Nachrichten vor.
Er besuchte zunächst Schulen in Krefeld, um dann 1872 auf dem Kölner Apostel-Gymnasium das Abitur zu bestehen. Noch im gleichen Jahr nahm er das Studium der katholischen Theologie an der Universität Bonn auf. Wer oder was ihn diesbezüglich motiviert hatte, ist unklar. Sein von ihm als kleinbürgerlich empfundenes Elternhaus und die mehrheitlich protestantische Industriestadt Krefeld waren es nach eigenem Bekunden jedenfalls nicht; intellektuelle Anregungen scheint er dort nur bedingt erhalten zu haben. Eine Rolle spielte möglicherweise die in weiten katholischen Kreisen herrschende Papstbegeisterung im Anschluss an das Erste Vatikanische Konzil und der aufziehende Kulturkampf, beides Faktoren, die eine weitere Festigung des ultramontan katholischen Milieus förderten. Nach nur einem Studienjahr wechselte Schrörs von Bonn, wo die Katholische Fakultät durch den sich etablierenden Altkatholizismus faktisch nicht mehr bestand, nach Würzburg, einem Zentrum papst- und romtreuer Theologie in Deutschland. Diese Studienjahre einschließlich seiner Promotion (1880) bei Franz Hettinger (1819-1890) haben Schrörs zeitlebens geprägt. Bereits am 29.7.1877 war Schrörs in Innsbruck zum Priester geweiht worden; das Kölner Priesterseminar war, bedingt durch den Kulturkampf, geschlossen.
1880 ging der junge Doktor nach München. Er blieb der Wissenschaft erhalten, immatrikulierte sich an der Juristischen Fakultät und verfasste eine zweite Dissertation, und zwar über den Kirchenpolitiker, Geschichtsschreiber und Erzbischof Hinkmar von Reims (Episkopat 845-882). Dieses zweite Studium finanzierte Schrörs durch die Übernahme gelegentlicher Seelsorgedienste und durch Zuwendungen von Freunden und Bekannten. Die Jahre als Privatgelehrter in der den Künsten und Wissenschaften aufgeschlossenen bayerischen Metropole haben Schrörs stark geprägt, zumal „ihm durch das juristische Studium eine ganze neue Welt aufgegangen sei" (Hermann H. Schwedt).
Während der Vorbereitungen für seine dogmengeschichtliche Habilitation wurde dem erst 32 Jahre alten Schrörs die Vertretung des Lehrstuhls für katholisches Kirchenrecht an der Universität Freiburg angeboten, eine Stelle, die er bereits nach anderthalb Jahren für den Lehrstuhl für Kirchengeschichte an der Bonner Universität aufgab. Eigenem Bekunden nach wäre Schrörs gerne in Freiburg geblieben, und dies, obwohl ihn Vieles fachlich wie menschlich von dem seinerzeit einflussreichsten Freiburger Theologen, dem Kirchenhistoriker Franz Xaver Kraus trennte.
Schrörs frei gehaltene Vorlesungen galten als Meisterleistungen. Vergleichsweise früh führte er Seminarübungen ein. Er war Mitherausgeber der seit 1891 erscheinenden „Kirchengeschichtlichen Studien", der ersten Zeitschrift ihrer Art in Deutschland. Auch die von ihm maßgeblich geförderte, im Zweiten Weltkrieg untergegangene, Seminarbibliothek galt als die bestausgestattete ihrer Art in Deutschland.
Fünfmal wählte in die Fakultät zu ihrem Dekan, 1904 wurde er als erster römisch-katholischer Theologe seit mehr als vier Jahrzehnten zum Rektor der Universität gewählt. Auch war es Schrörs, der 1905 für seine Fakultät – endlich – das Promotionsrecht durchsetzen konnte.
Die durchaus divergierenden Auffassungen von zeitgemäßer Priesterausbildung, einerseits die universitär-wissenschaftliche, andererseits die kirchlich-pastorale, kulminierten 1907 im „Fall Schrörs", als der Kölner Erzbischof, Kardinal Fischer, den Theologiestudenten den Besuch der Vorlesungen bei Schrörs verbot. Vorausgegangen war ein mehrjähriger Kleinkrieg zwischen Schrörs beziehungsweise der Fakultät und der Kölner Bistumsleitung. Schrörs Auffassung, dass seitens der Bistumsleitung „die eigentlich wissenschaftliche Ausbildung" (Schwedt) in Wahrheit nicht wirklich gewollt werde, brachte er in geharnischter Form in seinem 1907 erschienenen Büchlein „Kirche und Wissenschaft – Zustände einer katholisch-theologischen Fakultät" zum Ausdruck. Das Vorlesungsverbot wurde übrigens auf Drängen des Kulturministeriums bald wieder zurückgenommen. Der „Fall Schrörs" wurde auch außerhalb Bonns mit großem Interesse verfolgt und in den Medien thematisiert. Fälschlicherweise in den Geruch reformkatholischer Bestrebungen geriet Schrörs aufgrund seiner 1910 entstandenen Schrift „Gedanken über zeitgemäße Erziehung und Bildung der Geistlichen", in der er wie auch an anderen Stellen allergrößten Wert auf eine wahrhaft wissenschaftliche Ausbildung legte und gleichzeitig der universitären Lehre einen Vorrang vor der bischöflichen Seminarerziehung gab.
Zentrumsmann ist Schrörs Zeit seines Lebens nie gewesen. Er war Monarchist, dabei deutschnational, eine Haltung, die er mit seinen im Ersten Weltkrieg erschienenen Publikationen unterstrich. Sein hierin zum Ausdruck kommender rigoroser Nationalismus war weniger Ausdruck einer „Anbiederung der Katholiken an den Nationalstaat" als vielmehr „die Angst vor einer neueren Isolierung der Katholiken in der Gesellschaft wie auch der Kirche im Staat" (Schwedt). Auch nach 1918 sympathisierte der hyperorthodoxe Katholik Schrörs mit der DNVP und ihrem „Reichsausschuss der Katholiken".
Schrörs lebte ganz offenbar in der beständigen Furcht vor „Maßregelungen" und vor „Spionage…, die bis in den Hörsaal hineingetrieben wurde" (Norbert Trippen), wie er in seiner Autobiographie schreibt. Von daher erklärt sich, dass seine wichtigsten kirchengeschichtlichen Veröffentlichungen aus seinem letzten Lebensjahrzehnt, der Zeit nach seiner Emeritierung, stammen; bahnbrechend seine Arbeiten zum Hermesianismus, vor allem seine Studie über die „Kölner Wirren", in dem er dem Mythos des „Märtyrerbischofs" Droste zu Vischering ein Ende bereitete.
Bei der Beschreibung von Schrörs Leistungen zur Erforschung der rheinischen (Kirchen-) Geschichte muss auch seine Rolle im „Historischen Verein für den Niederrhein" erwähnt werden. Im Jubiläumsjahr 1904 des 1854 gegründeten Vereins wurde er dessen Vorsitzender, ein Amt, das er bis kurz vor seinem Tod im Jahre 1926 behielt. Charakterisierungen wie „Patriarch", „Herrschernatur" oder „Vereinsmonarch" (Norbert Schloßmacher) galten nicht nur für seine Tätigkeit als Hochschullehrer, sondern auch für seinen Führungsstil im Historischen Verein. Seine Verdienste waren davon unberührt. „Schrörs revolutionierte die Vereinsarbeit regelrecht, er brach mit betulichen Konventionen und Traditionen und führte … moderne Strategien, Verfahren, Geschäftsabläufe und Denkweisen ein, die insbesondere dem wissenschaftlichen Niveau der Vereinspublikationen zugute kamen" (Schloßmacher).
Heinrich Schrörs starb am 6.11.1928, nachdem er bereits seit Herbst 1927 kränkelte. Trotz der ihm nachgesagten und wohl auch tatsächlichen Schwächen, er galt als unnahbar, kleinkariert, uneinsichtig, rechthaberisch, wenig oder gar nicht kompromissbereit, war er doch seinerzeit zweifellos „der brillanteste Lehrer und angesehenste Forscher der Bonner Fakultät" (Trippen 1985). An sich konservativ, in mancher Hinsicht ängstlich, war er doch ein vehementer Verfechter „moderner" wissenschaftlicher Methoden und Freiheiten, eine Haltung, mit der er zu seiner Zeit in kirchlichen Kreisen eine Minderheitenmeinung vertrat. Aufgrund dieser Haltung „entstand das prononcierte Bild eines ‚Liberalen’, der er [Schrörs] letzten Endes doch nicht war" (Christoph Weber).
Nachlass
Archiv der Abtei St. Matthias, Trier.
Werke (Auswahl)
Das christliche Gewissen im Weltkriege, Freiburg 1916.
Der Krieg und der Katholizismus, Kempten 1915.
Deutscher und französischer Katholizismus in den letzten Jahrzehnten, Freiburg 1917.
Die Kölner Wirren (1837). Studien zu ihrer Geschichte, Berlin und Bonn 1927.
Ein vergessener Führer aus der rheinischen Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts. Johann Wilhelm Josef Braun (1801-1863), Professor der Theologie in Bonn, Bonn 1925.
Gedanken über zeitgemäße Erziehung und Bildung der Geistlichen, Paderborn 1910.
Geschichte der katholisch-theologischen Fakultät zu Bonn 1818-1931, Köln o. J.
Hinkmar, Erzbischof von Reims. Sein Leben und seine Schriften, Freiburg 1884.
Kirche und Wissenschaft. Zustände an einer katholisch-theologischen Fakultät. Eine Denkschrift, Bonn 1907.
Kriegsziele und Moral, Freiburg 1917.
Außerdem zahlreiche Aufsätze in den Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein.
Literatur
Borengässer, Norbert M., „Schrörs, Johann Heinrich", in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 15 (1999), Sp. 1259-1264.
Jedin, Hubert, Heinrich Schrörs 1852-1928, in: 150 Jahre Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn 1818-1968. Bonner Gelehrte. Beiträge zur Geschichte der Wissenschaften in Bonn. Katholische Theologie, Bonn 1968, S. 67-77.
Schloßmacher, Norbert, Von „Würde und Bürde". Zum Rücktritt vom Rücktritt des Bonner Kirchenhistorikers Heinrich Schrörs (1852-1928) als Vorsitzender des historischen Vereins für den Niederrhein im Jahre 1907, in: Rehm, Gerhard (Hg.), Adel, Reformation und Stadt am Niederrhein. Festschrift Leo Peters, Bielefeld 2009, S. 223-239.
Schnütgen, Alexander, Nachruf, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 114 (1929), S. 10-19.
Schwedt, Hermann H., Heinrich Schrörs (1852-1928), Kirchenhistoriker, in: Schein, Karl (Hg.), Christen zwischen Niederrhein und Eifel – Lebensbilder aus drei Jahrhunderten, Band 3, Mönchengladbach 1993, S. 31-52.
Trippen, Norbert, Fakultät und Erzbischof. Der Konflikt um den Bonner Kirchenhistoriker Heinrich Schrörs im Jahre 1907, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 177 (1975), S. 232-262.
Trippen, Norbert, Heinrich Schrörs (1852-1928), in: Rheinische Lebensbilder 10 (1985), S. 179-198.
Weber, Christoph, Kirchengeschichte, Zensur und Selbstzensur, Köln/Wien 1984.
Online
Geschichte der Katholisch-Theologischen Fakultät (Information auf der Homepage der Universität Bonn). [Online]
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Schloßmacher, Norbert, Heinrich Schrörs, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/heinrich-schroers/DE-2086/lido/57c94a685047b8.89827988 (abgerufen am 09.12.2024)