Die Rheinische Mission

Volkmar Wittmütz (Köln)

Haushaltsschülerinnen Sumatra/Indonesien, undatiert. (Archiv- und Museumsstiftung der VEM)

1. Entstehung

Der Be­griff „Mis­si­on“ für die Ver­brei­tung des christ­li­chen Glau­bens kam in der Zeit der Ent­de­ckun­gen im 16./17. Jahr­hun­dert auf, er wur­de zu­erst von den Je­sui­ten ver­wen­det. Die ka­tho­li­sche Kir­che ver­füg­te zu­nächst über kei­ne mis­sio­na­ri­schen Struk­tu­ren, die­se wur­den von ei­ni­gen Or­den ent­wi­ckelt und im 17. Jahr­hun­dert von Rom über­nom­men. Auf evan­ge­li­scher Sei­te hat die Mis­si­on ih­re geis­ti­gen Wur­zeln im Pie­tis­mus und vor al­lem in der Er­we­ckung des spä­ten 18. und des 19. Jahr­hun­derts. In der Be­geg­nung des ein­zel­nen Gläu­bi­gen mit Gott durch Ge­bet wie durch prak­ti­zier­te Nächs­ten­lie­be streb­ten die er­weck­ten Chris­ten da­nach, die dog­ma­ti­schen Gren­zen der Or­tho­do­xie zu über­win­den, den Glau­ben zu be­le­ben und das Reich Got­tes aus­zu­brei­ten. Zu die­ser Er­neue­rung der Kir­che von in­nen ka­men als An­stoß von au­ßen die viel­fäl­ti­gen Kennt­nis­se, die durch die Ent­de­ckun­gen von See­fah­rern wie Ja­mes Cook (1728-1779) ge­won­nen wor­den wa­ren. Auf frem­den Kon­ti­nen­ten und ent­fern­ten In­seln leb­ten ei­gen­tüm­li­che Men­schen mit merk­wür­di­gen Ge­wohn­hei­ten, die die christ­li­che Bot­schaft noch nie ver­nom­men hat­ten. Schon aus christ­li­cher Nächs­ten­lie­be muss­te ih­nen das Evan­ge­li­um ge­bracht wer­den.

Die­ser Auf­ga­be nah­men sich in Eng­land und in den Nie­der­lan­den, den bei­den See­fah­rer-Na­tio­nen, nicht die Kir­chen, son­dern bür­ger­li­che Ver­ei­ne an, die kurz vor der Wen­de zum 19. Jahr­hun­dert ge­grün­det wur­den. Ver­bin­dun­gen gibt es dar­über hin­aus zu den frü­hen Be­mü­hun­gen in bei­den Län­dern, die Aus­plün­de­rung ih­rer Ko­lo­ni­en zu kon­trol­lie­ren und die Skla­ve­rei ab­zu­schaf­fen.

In Deutsch­land, geis­tig ge­prägt von der Auf­klä­rung, fand die Mis­si­ons­be­we­gung zu­nächst kei­nen güns­ti­gen Bo­den. War­um soll­te der christ­li­che Gott hö­her­wer­tig sein als je­ne Gott­hei­ten, die die Na­tur­völ­ker an­be­te­ten und die ih­ren Be­dürf­nis­sen ent­spra­chen? Jo­hann Gott­fried Her­der (1744-1803) et­wa ver­trat die Auf­fas­sung, dass al­len Völ­kern der Glau­be, des­sen sie be­durf­ten, „ins Herz ge­schrie­ben“ sei. In der Fol­ge hiel­ten sich die Kir­chen und die Theo­lo­gie eben­falls fern von der Mis­si­on. Doch auch hier gab es Er­weck­te, die 1780 in Ba­sel ei­ne „Deut­sche Ge­sell­schaft zur Be­för­de­rung christ­li­cher Wahr­heit und Gott­se­lig­keit“, bes­ser be­kannt als „Deut­sche Chris­ten­tums­ge­sell­schaf­t“, 1804 ei­ne Bi­bel­ge­sell­schaft und 1815 ei­ne Mis­si­ons­ge­sell­schaft grün­de­ten. Rasch ent­stan­den über­all Zweig­ver­ei­ne, die in ei­ner „be­trü­ben­den kirch­li­chen Zeit­la­ge“ Im­pul­se zur Aus­brei­tung des Rei­ches Got­tes ge­ben und da­bei auch die be­ste­hen­den Mis­si­ons­ge­sell­schaf­ten un­ter­stüt­zen woll­ten. 

 

So rief ei­ne Grup­pe er­weck­ter El­ber­fel­der Kauf­leu­te 1799 die El­ber­fel­der Mis­si­ons­ge­sell­schaft ins Le­ben, an­fäng­lich ein Ge­bets­kreis, der sich re­gel­mä­ßig traf, In­for­ma­tio­nen über die „Aus­brei­tung des Rei­ches Got­tes“, al­so auch über die Mis­si­ons­tä­tig­kei­ten sam­mel­te und mit Zu­wen­dun­gen die be­ste­hen­den Mis­si­ons­ver­ei­ne un­ter­stütz­te. In die Öf­fent­lich­keit trat die­se klei­ne Grup­pe mit ge­druck­ten „Nach­rich­ten von der Aus­brei­tung des Rei­ches Je­su über­haupt und durch Mis­sio­na­ri­en un­ter den Hei­den ins­be­son­de­re“. 1814 stand sie Pa­te bei der Grün­dung der „Ber­gi­schen Bi­bel­ge­sell­schaf­t“ und seit 1817 ver­mit­tel­te sie Kan­di­da­ten, die Mis­sio­nar wer­den woll­ten, an be­ste­hen­de Mis­si­ons­ge­sell­schaf­ten. In Bar­men (heu­te Stadt Wup­per­tal) kon­sti­tu­ier­te sich 1818 ei­ne ver­gleich­ba­re „Hülfs-Mis­si­ons­ge­sell­schaf­t“, an der auch die Pfar­rer leb­haf­ten An­teil nah­men. Seit 1826 gab sie ein „Bar­mer Mis­si­ons­blat­t“ her­aus, das im ers­ten Jahr be­reits ei­ne Auf­la­ge von 7.000 Ex­em­pla­ren er­reich­te und Ab­neh­mer über­all in Deutsch­land fand. Wei­te­re „Mis­si­ons-Hülfs­ver­ei­ne“ ent­stan­den 1822 in Köln und in We­sel, und aus der be­gon­ne­nen „Ver­ei­ni­gung der Mis­si­ons­ge­sell­schaf­ten in den preu­ßi­schen Rhein-Pro­vin­zen“ kon­sti­tu­ier­te sich 1828 die „Ver­ei­nig­te rhei­ni­sche Mis­si­ons­ge­sell­schaft zur Aus­sen­dung von Bo­ten des Evan­ge­li­ums un­ter die Hei­den“, die Rhei­ni­sche Mis­si­on mit dem Sitz in Bar­men. Sie ver­an­lass­te die Grün­dung zahl­rei­cher Freun­des­krei­se, die, in Ver­eins­form ge­gos­sen, die fi­nan­zi­el­len Mit­tel für die Mis­si­on zur Ver­fü­gung stell­ten, die sie durch Kol­lek­ten und auf „Mis­si­ons­fes­ten“ in den Ge­mein­den ge­wan­nen.

2. Strukturen

Das Pfarrhaus in Mettmann, Gründungsort der Rheinischen Missionsgesellschaft, 1928. (Archiv- und Museumsstiftung der VEM)

 

2.1 Das Missionsseminar

Bei der Grün­dung der Rhei­ni­schen Mis­si­on stand von vorn­her­ein fest, dass die Ge­sell­schaft selbst Mis­sio­na­re aus­sen­den woll­te. Für jun­ge Män­ner war die­ser neue Be­ruf da­mals ei­ne der we­ni­gen Mög­lich­kei­ten des so­zia­len Auf­stiegs, ent­spre­chend hoch wa­ren die Be­wer­ber­zah­len. Meist be­war­ben sich Hand­wer­ker und Ar­bei­ter, die gern ge­nom­men wur­den, weil sie ne­ben ih­rer geist­li­chen Tä­tig­keit „pra­xis­taug­li­ch“ wa­ren. Es war den Ver­ant­wort­li­chen von An­fang an klar, dass die Mis­si­on ein­her­ge­hen muss­te mit ei­ner Art von frü­her „Ent­wick­lungs­hil­fe“. Da­ne­ben spiel­te das „kirch­li­che En­ga­ge­men­t“ der Be­wer­ber na­tur­ge­mäß ei­ne wich­ti­ge Rol­le. Die Aus­bil­dung zum Mis­sio­nar fand in ei­nem Se­mi­nar statt, das be­reits 1827 ein­ge­rich­tet und ur­sprüng­lich für „Schul­leh­rer für die Hei­den­welt“ be­stimmt war. Die Aus­bil­dung dau­er­te drei Jah­re, seit 1858 vier Jah­re und um­fass­te Kur­se in Bi­bel­kun­de, „Ge­schich­te des Rei­ches Got­tes“, Pas­to­ral­theo­lo­gie, Mis­si­ons­ge­schich­te, Geo­gra­phie, Na­tur­ge­schich­te, Spra­chen (Eng­lisch und Hol­län­disch) und Päd­ago­gik. Mit der Ver­län­ge­rung der Aus­bil­dung wur­de ei­ne Vor­schu­le ein­ge­rich­tet, in der die Aspi­ran­ten in den Ele­men­tar­fä­chern, in de­nen ih­re Kennt­nis­se häu­fig nur dürf­tig wa­ren, un­ter­rich­tet wur­den. Da­zu wur­de jetzt der Sprach­un­ter­richt in­ten­si­viert und Kennt­nis­se auch in den al­ten Spra­chen La­tein, Grie­chisch und He­brä­isch ver­mit­telt, da­mit die Mis­sio­na­re in der La­ge wa­ren, wich­ti­ge bib­li­sche Be­grif­fe in die Spra­che der „Hei­den“ zu über­tra­gen und de­ren Spra­che bes­ser zu er­ler­nen. Ei­ne Schu­le soll­te der ers­te „An­knüp­fungs­punk­t“ der Mis­sio­na­re sein, und um die­se her­um soll­te ei­ne Ge­mein­de ge­sam­melt wer­den. Seit 1873 galt die Re­gel, dass al­le Kan­di­da­ten die zwei­jäh­ri­ge Vor­schu­le und das vier­jäh­ri­ge Se­mi­nar ab­sol­vie­ren muss­ten, und bei der nächs­ten Re­form der Aus­bil­dung 1926 wur­de die­se so­gar auf sie­ben Jah­re ver­län­gert. Ei­ne letz­te Än­de­rung er­folg­te nach dem Zwei­ten Welt­krieg, als sich die Kirch­li­che Hoch­schu­le Wup­per­tal ne­ben den Ge­bäu­den der Rhei­ni­schen Mis­si­on eta­bliert hat­te und den Mis­si­ons­kan­di­da­ten er­mög­licht wur­de, zwei bis drei Se­mes­ter auch dort zu stu­die­ren. Der Se­mi­narab­schluss­prü­fung folg­te wie bei den aka­de­mi­schen Theo­lo­gen seit 1961 ei­ne Vi­ka­ri­ats­zeit und ein zwei­tes theo­lo­gi­sches Ex­amen, so dass die rhei­ni­schen Mis­sio­na­re, wenn sie nach zwei Ar­beits­pe­ri­oden (min­des­tens zehn Jah­re) in Über­see zu­rück­kehr­ten, in den Dienst ei­ner deut­schen Lan­des­kir­che tre­ten konn­ten.

Die Aus­bil­dung der Auf­ge­nom­me­nen fand zu­erst an drei Ta­gen in der Wo­che statt, in der üb­ri­gen Zeit üb­ten die Zög­lin­ge ih­ren er­lern­ten Be­ruf wei­ter aus. Mit der Re­form in der Mit­te des 19. Jahr­hun­derts fie­len die „Be­rufs­ta­ge“ fort. 1832 er­rich­te­te die Rhei­ni­sche Mis­si­on ihr ers­tes Mis­si­ons­haus, in dem die zu­künf­ti­gen Mis­sio­na­re mit ei­ni­gen ih­rer Leh­rer ge­mein­sam leb­ten. Zu Di­rek­to­ren und Leh­rern des Se­mi­nars be­rief man aus­ge­bil­de­te Theo­lo­gen. Ne­ben­amt­lich un­ter­rich­te­ten da­zu ei­ni­ge Wup­per­ta­ler Pfar­rer.

Missionsgebäude und Seminar auf der Hardt, undatiert. (Archiv- und Museumsstiftung der VEM)

 

Das Se­mi­nar be­gann sei­nen Be­trieb mit we­ni­gen Schü­lern, sei­ne grö­ß­te Be­legs­tär­ke er­reich­te es in den spä­ten 1920er Jah­ren mit 95 Zög­lin­gen. Ei­nen Tief­punkt mit 24 Schü­lern gab es di­rekt nach dem Ers­ten Welt­krieg, als die Zu­kunft der Rhei­ni­schen Mis­si­on über­haupt un­si­cher war.

Im Lau­fe sei­ner Ge­schich­te hat das Se­mi­nar auch im­mer für die Aus­bil­dung von Aus­lands­pre­di­gern an­de­rer Ge­mein­den und Ver­ei­ne of­fen ge­stan­den. Zum Bei­spiel wur­de 1837 in Lan­gen­berg (heu­te Stadt Vel­bert) ei­ne „Evan­ge­li­sche Ge­sell­schaft für die pro­tes­tan­ti­schen Deut­schen in Nord­ame­ri­ka“ ge­grün­det und 1865 kon­sti­tu­ier­te sich in Bar­men ein ent­spre­chen­des Co­mité für Süd­ame­ri­ka, das 1881 mit dem Lan­gen­ber­ger Ver­ein fu­sio­nier­te. Bei­de Ver­ei­ne nah­men, eben­so wie deut­sche Ge­mein­den in Süd­ru­ß­land oder im da­ma­li­gen Os­ma­ni­schen Reich, das Mis­si­ons­se­mi­nar für die Aus­bil­dung ih­rer Pre­di­ger in An­spruch.

Die Ent­wick­lung in den über­see­ischen Kir­chen, in de­nen zu­neh­mend ein­hei­mi­sche Pfar­rer die eu­ro­päi­schen Mis­sio­na­re ab­lös­ten, führ­te da­zu, dass das Se­mi­nar seit 1970 kei­ne neu­en Schü­ler mehr auf­nahm. Die letz­te Ab­schluss­prü­fung fand 1975 statt. Für die „re­li­giö­se At­mo­sphä­re“ des Wup­per­tals ist das Se­mi­nar von gro­ßer Be­deu­tung ge­we­sen. Die rhei­ni­schen Se­mi­na­ris­ten gin­gen mit ih­rer er­weck­li­chen Fröm­mig­keit in die Ge­mein­den und un­ter­stütz­ten die Pfar­rer in ih­rer Ar­beit, be­treu­ten Kin­der­got­tes­diens­te, Jüng­lings­ver­ei­ne, Frau­en­grup­pen und an­de­re Ge­mein­de­krei­se. Durch ih­re Bi­bel­ar­beit in Dön­berg, ei­nem Dorf im Nor­den des Wup­per­tals, sam­mel­ten sie Chris­ten je­den Al­ters um sich und reg­ten sie an, ei­ne ei­ge­ne Ge­mein­de zu grün­den.

Seminar auf der Hardt, undatiert. (Archiv- und Museumsstiftung der VEM)

 

2.2 Die Organisation der Rheinischen Mission

Die Mis­si­ons­ge­sell­schaft war recht­lich ein Ver­ein. Sei­ne Mit­glie­der – Ein­zel­per­so­nen, Kir­chen­ge­mein­den und spä­ter auch Lan­des­kir­chen – ka­men in re­gel­mä­ßi­gen Ab­stän­den zu ei­ner „Haupt­ver­samm­lun­g“ (spä­ter Ge­ne­ral­ver­samm­lung) zu­sam­men, be­stimm­ten den  Vor­stand, bis 1962 „De­pu­ta­ti­on“, da­nach Mis­si­ons­lei­tung ge­nannt und ent­schie­den in wich­ti­gen Fra­gen, et­wa bei der Er­öff­nung ei­nes neu­en Mis­si­ons­ge­bie­tes. Der De­pu­ta­ti­on stand ein Prä­ses vor, die Ge­schäf­te führ­te ein Se­kre­tär. Die Po­si­tio­nen von Prä­ses und Se­kre­tär wur­den zu­erst von be­nach­bar­ten Bar­mer Pfar­rern wahr­ge­nom­men, seit 1842 stell­ten sich auch „Lai­en“, meist Kauf­leu­te aus dem Wup­per­tal, da­für zur Ver­fü­gung. Seit 1960 fin­den sich Ver­tre­ter der rhei­ni­schen und/oder der west­fä­li­schen Kir­chen­lei­tung in den Lei­tungs­gre­mi­en der Mis­si­ons­ge­sell­schaft.

Da al­le Mit­glie­der der De­pu­ta­ti­on eh­ren­amt­lich tä­tig wa­ren, wuchs der Di­rek­tor des Se­mi­nars – In­spek­tor ge­nannt - fast au­to­ma­tisch in die Po­si­ti­on des ei­gent­li­chen Lei­ters, der im Auf­trag der De­pu­ta­ti­on han­del­te. Seit 1906 lag die Lei­tung der Rhei­ni­schen Mis­si­on bei ei­nem Kol­le­gi­um, das von der Ge­ne­ral­ver­samm­lung ge­wählt wur­de und dem ein „ers­ter In­spek­tor“, seit 1910 Di­rek­tor ge­nannt, vor­stand. 1886 wur­de in Ber­lin ei­ne Mis­si­ons­ge­sell­schaft für Deutsch-Ost­afri­ka ge­grün­det. In ih­ren Vor­stand wur­de der an­ge­se­he­ne Pfar­rer Fried­rich von Bo­del­schwingh (1831-1910), der Lei­ter der dia­ko­ni­schen An­stal­ten in Be­thel bei Bie­le­feld, be­ru­fen. Die Rhei­ni­sche Mis­si­on re­agier­te dar­auf mit vor­sich­ti­ger Kri­tik, weil die neue Mis­si­ons­ge­sell­schaft Spen­den­mit­tel re­kru­tier­te, die bis­lang nach Bar­men ge­flos­sen wa­ren. Der neu­en Ge­sell­schaft war durch­aus be­wusst, dass sie sich auf ein Ar­beits­ge­biet be­gab, das die Rhei­ni­sche Mis­si­on für sich be­an­spruch­te. Schon vor der Jahr­hun­dert­wen­de rich­te­te des­halb von Bo­del­schwingh an die Rhei­ni­sche Mis­si­on die An­fra­ge, ob man sich nicht ver­ei­ni­gen kön­ne. Nach man­cher­lei Schwie­rig­kei­ten und Hin­der­nis­sen kam es nach dem Ers­ten Welt­krieg zu ei­ner zag­haf­ten Zu­sam­men­ar­beit, die nach dem Zwei­ten Welt­krieg mit der Zu­sam­men­le­gung der bei­den Mis­si­ons­blät­ter in­ten­si­viert wur­de und 1971 in ei­ne Fu­si­on bei­der Ge­sell­schaf­ten un­ter dem Na­men „Ver­ei­nig­te Evan­ge­li­sche Mis­si­on“ mün­de­te. Als die Zai­re-Mis­si­on da­zu stieß, wur­de der Na­me 1996 noch ein­mal in „Ver­ein­te Evan­ge­li­sche Mis­si­on“ (VEM) ge­än­dert. Die VEM stellt sich heu­te dar als ein Bund von 38 Kir­chen in Afri­ka, Asi­en und Deutsch­land (Stand 2019) so­wie der Dia­ko­nie Be­thel. Sei­ne Mit­glie­der tre­ten al­le zwei Jah­re zu ei­ner Voll­ver­samm­lung zu­sam­men, die je­weils acht Ver­tre­ter und Ver­tre­te­rin­nen aus den drei Re­gio­nen Afri­ka, Asi­en und Eu­ro­pa in den Rat der VEM wählt. Die­ser tagt ein­mal jähr­lich und be­stimmt ei­nen Exe­ku­tiv­aus­schuss aus fünf Per­so­nen, ge­lei­tet von ei­nem Ge­ne­ral­se­kre­tär. Der Aus­schuss or­ga­ni­siert die Ta­ges­ar­beit. Die VEM ver­tritt ein „ganz­heit­li­ches“ Ver­ständ­nis von Mis­si­on, ver­bin­det al­so mis­sio­na­ri­sche Ver­kün­di­gung mit me­di­zi­ni­scher, öko­no­mi­scher und so­zia­ler Hil­fe.

Statuten zur Gründung der Rheinischen Missionsgesellschaft, Protokoll. (Archiv- und Museumsstiftung der VEM)

 

2.3 Die Missionshandelsgesellschaft

Bei der An­kunft der Mis­sio­na­re er­ga­ben sich fast au­to­ma­tisch Han­dels­ge­schäf­te mit den in­di­ge­nen Völ­kern. Prak­tisch je­de Mis­si­ons­sta­ti­on un­ter­hielt ein La­ger mit eu­ro­päi­schen Pro­duk­ten, die ge­gen Wa­ren aus den Mis­si­ons­ge­bie­ten ein­ge­tauscht wur­den. Auch trie­ben vie­le Mis­sio­na­re ei­gen­mäch­tig Han­del, um den hei­mi­schen Be­darf zu de­cken, aber auch, um zwie­lich­ti­gen eu­ro­päi­schen Händ­lern das Was­ser ab­zu­gra­ben, wenn sie Brannt­wein ge­gen El­fen­bein und Strau­ßen­fe­dern ein­tausch­ten. Als der Mis­si­ons­han­del um­fang­rei­cher wur­de, ent­wi­ckel­te man in Bar­men Plä­ne zur Grün­dung ei­ner se­pa­ra­ten Mis­si­ons­han­dels­ge­sell­schaft, um die Mis­si­ons­ar­beit von den kauf­män­ni­schen Ge­schäf­ten zu tren­nen. 1870 er­hielt die „Wup­pertha­ler Ak­ti­en­ge­sell­schaft für Han­del in Ar­beits­ge­bie­ten der Rhei­ni­schen Mis­si­ons­ge­sell­schaf­t“ ih­re staat­li­che Ge­neh­mi­gung.

Die Ge­sell­schaft be­gann mit ei­nem Start­ka­pi­tal von 60.000 Ta­lern, das im We­sent­li­chen von ka­pi­tal­kräf­ti­gen Mis­si­ons­freun­den ge­zeich­net wor­den war. Die Rhei­ni­sche Mis­si­on, die dem Un­ter­neh­men ih­ren gu­ten Na­men ge­ge­ben und sich über die Be­den­ken ei­ni­ger Mis­sio­na­re hin­weg­ge­setzt hat­te, hoff­te, mit zahl­rei­chen ihr über­las­se­nen Ge­win­nen das in­zwi­schen auf­ge­lau­fe­ne „nor­ma­le“ De­fi­zit zu­min­dest teil­wei­se de­cken zu kön­nen.

Missionsstation Otjimbingue in Namibia, 1866. (Archiv- und Museumsstiftung der VEM)

 

An­fangs lie­fen die Ge­schäf­te gut, doch schon 1875 ver­schwan­den die Han­dels­ge­win­ne aus den Jah­res­rech­nun­gen. Der Han­del mit El­fen­bein und Strau­ßen­fe­dern ging zu­rück und hör­te bald ganz auf. Die Tie­re selbst wa­ren in­zwi­schen fast aus­ge­rot­tet wor­den. Der Han­del mit Vieh er­wies sich als zu müh­se­lig, eben­so wie die Aus­beu­tung ei­ni­ger Erz­la­ger­stät­ten. Als 1880 neue Kämp­fe zwi­schen den ver­schie­de­nen Völ­kern Süd­afri­kas aus­bra­chen, zer­sto­ben al­le Hoff­nun­gen auf ei­ne Bes­se­rung der La­ge, die Han­dels­ge­sell­schaft muss­te li­qui­diert wer­den. Die Rhei­ni­sche Mis­si­on selbst er­litt kei­ne grö­ße­ren Ver­lus­te, doch die Freun­de der Mis­si­on ver­lo­ren ihr Geld und, was mehr wog, ihr Ver­trau­en in die Mis­si­on. Das Ge­schäft in Bor­neo war von dem De­ba­kel in Süd­afri­ka nicht be­trof­fen. Es wur­de ab­ge­trennt, und ein neu ge­grün­de­ter „Rhei­nisch-Bor­ne­si­scher Han­dels­ver­ein“ setz­te die Ar­beit im da­ma­li­gen Nie­der­län­disch-In­di­en bis zum Aus­bruch des Zwei­ten Welt­kriegs fort. 

Missionsstation Berseba Namibia, um 1903. (Archiv- und Museumsstiftung der VEM)

 

2.4 Die Missionare

Die Rhei­ni­sche Mis­si­on hat bis zum Jah­re 1971, dem Zeit­punkt ih­rer Ver­ei­ni­gung mit der Be­thel-Mis­si­on, et­wa 950 Mis­sio­na­re, Schwes­tern, Ärz­te und Leh­rer in au­ßer­eu­ro­päi­sche Ge­bie­te aus­ge­sandt und über 100 Pfar­rer für den Dienst vor­wie­gend in Nord- und Süd­ame­ri­ka aus­ge­bil­det. Sie al­le wur­den vor ih­rer Ab­rei­se auf­ge­for­dert, ih­re Bio­gra­phie in das „Le­bens­lauf­buch“ der Mis­si­on ein­zu­tra­gen. Sie ta­ten dies im­mer in dem Be­wusst­sein, dass ih­re Rei­se in das Mis­si­ons­ge­biet ei­ne Fahrt ins Un­ge­wis­se war. Es war kei­nes­wegs si­cher, ob sie je­mals wie­der nach Bar­men zu­rück­kom­men wür­den.

Die Le­bens­läu­fe der Mis­sio­na­re bis et­wa zum Ers­ten Welt­krieg glei­chen sich in vie­ler­lei Hin­sicht. Für sie al­le war die ei­ge­ne Kon­fir­ma­ti­on ein wich­ti­ges Da­tum in der Ent­wick­lung ih­res Glau­bens. Im­mer er­wäh­nen sie ihr En­ga­ge­ment in den Hei­mat­ge­mein­den und fast im­mer kön­nen sie, oft in ei­ner heu­te fremd an­mu­ten­den er­bau­li­chen Spra­che, die Um­stän­de und so­gar den Zeit­punkt ih­rer re­li­giö­sen Er­we­ckung, ih­rer Be­keh­rung und Er­ret­tung von der Sün­de, an­ge­ben.

Sprachaufnahmen in Namibia, undatiert. (Archiv- und Museumsstiftung der VEM)

 

Beim Ein­tritt in das Se­mi­nar wa­ren die Mis­si­ons­kan­di­da­ten nicht ver­hei­ra­tet. Ei­ne Ver­lo­bung wäh­rend ih­rer Aus­bil­dung be­deu­te­te de­ren En­de. Vor ih­rer Aus­sen­dung wur­den die meis­ten Mis­sio­na­re or­di­niert. Ih­re In­struk­ti­on ver­pflich­te­te sie zu un­be­ding­tem Ge­hor­sam ge­gen­über der Mis­si­ons­lei­tung. Zü­ge ei­nes Mönchs­or­dens, den die Ge­mein­schaft der Mis­sio­na­re bil­de­te, weist auch die Ehe­lo­sig­keit der Mis­sio­na­re auf, die an­fangs durch­aus in Be­tracht ge­zo­gen wur­de, doch nicht durch­ge­hal­ten wer­den konn­te. Wenn ein Mis­sio­nar hei­ra­ten woll­te, konn­te er dies erst nach ei­ni­gen Jah­ren Mis­si­ons­dienst tun. Die Rhei­ni­sche Mis­si­on über­nahm dann die Aus­wahl sei­ner Ehe­frau. Auch sie muss­te stren­gen Kri­te­ri­en ge­nü­gen, re­li­giö­se Über­zeu­gung, stren­ge Sitt­lich­keit und die Be­reit­schaft zu Hin­ga­be und Op­fer spiel­ten ei­ne gro­ße, Ge­füh­le von Zu­nei­gung und Sym­pa­thie gar kei­ne Rol­le. Der ge­mein­sa­me Dienst an der Mis­si­on soll­te die Ehe­part­ner ver­bin­den, das muss­te ge­nü­gen.  

Denn auch die Mis­sio­nars­frau­en ar­bei­te­ten mit am Auf­bau der Ge­mein­de, dar­in den Pfarr­frau­en ver­gleich­bar. Sie lei­te­ten Näh­ver­ei­ne, Sing- und Schul­stun­den und pfleg­ten Kran­ke. Be­las­tend und mit ho­hem Ri­si­ko ver­bun­den wa­ren die häu­fi­gen Kind­ge­bur­ten mit­ten in der Wild­nis. Ver­mut­lich das grö­ß­te Op­fer, das die Mis­sio­nars­fa­mi­li­en auf sich nah­men, be­stand dar­in, dass sie ih­re Kin­der, wenn die­se das schul­pflich­ti­ge Al­ter er­reicht hat­ten, zur Aus­bil­dung nach Deutsch­land zu­rücksand­ten.

Missionsknabenheim Johanneum in Gütersloh, undatiert. (Archiv- und Museumsstiftung der VEM)

 

Zu­nächst be­schäf­tig­te sich die Rhei­ni­sche Mis­si­on nicht mit den Kin­dern ih­rer Mis­sio­na­re. 1849 kam die ers­te An­fra­ge, ob sie die Söh­ne von Mis­sio­na­ren zur Aus­bil­dung nach Deutsch­land zu­rück­ho­len und für sie sor­gen kön­ne. Als in den 1850er Jah­ren wei­te­re Kin­der un­ter­zu­brin­gen wa­ren, er­rich­te­te die Mis­si­on 1856 ein ei­ge­nes Kin­der­heim ne­ben dem Mis­si­ons­se­mi­nar, das vor al­lem für die Söh­ne be­stimmt war – die Töch­ter, so glaub­te man, könn­ten den Bil­dungs­stand ih­rer Müt­ter in der Fa­mi­lie er­wer­ben. Das Schick­sal der Mis­sio­nars­kin­der wur­de den zahl­rei­chen Spen­dern und Un­ter­stüt­zern na­he­ge­legt und mit ei­nem ei­ge­nen Or­gan, dem „Klei­nen Mis­si­ons­freun­d“, er­folg­reich um Spen­den für de­ren Schul­be­such ge­be­ten.

So ka­men die Jun­gen in das Heim in Bar­men und be­such­ten von dort die am Ort ge­le­ge­nen Schu­len, wäh­rend für die Mäd­chen ein Pen­sio­nat in Süd­afri­ka ein­ge­rich­tet wur­de. Als in Gü­ters­loh dem evan­ge­li­schen Gym­na­si­um ein Alum­nat an­ge­glie­dert wur­de, sand­te man die Jun­gen dort­hin. Spä­ter grün­de­te die Mis­si­on ein ei­ge­nes Kin­der­heim im Ort, 1891 ein wei­te­res in Mo­ers und 1919 ein klei­ne­res „Kna­ben­heim“ in Bad Kreuz­nach. Be­sucht wur­den die je­wei­li­gen Schu­len am Ort.

An­ge­sichts ei­ner der­art um­fang­rei­chen Für­sor­ge für die Söh­ne muss­ten auch die Töch­ter bes­ser ver­sorgt wer­den. So ent­stand das ers­te „Töchter­heim“ in Gü­ters­loh, spä­ter wur­de es nach Bie­le­feld ver­legt. Ge­gen En­de des 19.Jahr­hun­derts kauf­te die Rhei­ni­sche Mis­si­on ein Haus in Mett­mann und rich­te­te dort ein Töchter­heim ein. 1928 wur­de es nach Kai­sers­werth (heu­te Stadt Düs­sel­dorf), 1939 nach Bar­men ver­legt. Au­ßer­dem nah­men im­mer wie­der Mis­sio­na­re im Ru­he­stand die Töch­ter von Mis­sio­na­ren in ih­ren Fa­mi­li­en auf und er­mög­lich­ten auf die­se Wei­se den Be­such ei­ner Schu­le in Deutsch­land. Nach dem Zwei­ten Welt­krieg wur­den die Mis­si­ons­diens­te in Über­see zu­neh­mend zeit­lich be­grenzt, die El­tern kehr­ten dann ge­mein­sam mit ih­ren Kin­dern nach Deutsch­land zu­rück.

Der Kon­flikt zwi­schen der El­tern­rol­le und der Be­ru­fung so­wie dem Be­ruf des Mis­sio­nars hat im­mer wie­der zu Be­las­tun­gen und zu ei­ner Ver­un­si­che­rung im Ver­hält­nis der Mis­sio­na­re zu ih­rem Ar­beit­ge­ber ge­führt. Der lang­jäh­ri­ge Heim­auf­ent­halt der Mis­sio­nars­kin­der hat aber an­de­rer­seits ein Ge­fühl von Zu­sam­men­ge­hö­rig­keit und Ver­bun­den­heit in ei­ner „Mis­si­ons­fa­mi­lie“ ent­ste­hen las­sen, das von der Rhei­ni­schen Mis­si­on mit be­son­de­rer Ge­nug­tu­ung be­trach­tet und ge­pflegt wur­de, et­wa in re­gel­mä­ßi­gen „Mis­sio­nars­tref­fen“.

Un­ter den rhei­ni­schen Mis­sio­na­ren wa­ren zahl­rei­che nam­haf­te Wis­sen­schaft­ler. Ih­re mis­sio­na­ri­sche Ar­beit führ­te sie oft in noch weit­ge­hend un­be­kann­te Ge­bie­te, da war es fast selbst­ver­ständ­lich, dass sie über ih­re Er­leb­nis­se und Er­fah­run­gen be­rich­te­ten. Für eu­ro­päi­sche Geo­gra­phen, Eth­no­lo­gen, Re­li­gi­ons­wis­sen­schaft­ler, Bio­lo­gen und Lin­gu­is­ten sind ih­re Be­rich­te von gro­ßer Be­deu­tung ge­wor­den. Der Mis­sio­nar Ernst Fa­ber (1839-1899) mach­te sich ei­nen Na­men als Si­no­lo­ge und der He­re­ro­mis­sio­nar Hein­rich Pe­ter Brincker (1836-1904) ge­hör­te bei sei­nem Tod zu den bes­ten Ken­nern der Ban­tu­spra­chen, sein Wör­ter­buch der He­re­ro­spra­che wur­de ein Stan­dard­werk. Jo­hann Ge­org Krön­lein (1826-1892) schrieb ein Na­ma-Wör­ter­buch und über­setz­te das Al­te Tes­ta­ment in die Na­ma-Spra­che, das erst nach dem Zwei­ten Welt­krieg durch ei­ne mo­der­ne­re Über­set­zung von Fried­rich Pön­nig­haus (1885-1975), eben­falls rhei­ni­scher Mis­sio­nar, ab­ge­löst wur­de. Pön­nig­haus er­hielt dar­auf den Eh­ren­dok­tor der Uni­ver­si­tät Bonn. Der Mis­sio­nar Hein­rich Ve­d­der (1876-1972) gilt noch heu­te als ei­ner der bes­ten Ken­ner Na­mi­bi­as, und für Su­ma­tra gilt dies von Pe­ter Hin­rich Jo­hann­sen (1839-1898).

Al­le rhei­ni­schen Mis­sio­na­re bil­de­ten ei­ne Bru­der­schaft. Zu­nächst durch die ge­mein­sa­me Ar­beit und die Be­ru­fung zwar in­ner­lich fest, aber or­ga­ni­sa­to­risch nur lo­cker ver­bun­den, sam­mel­te sie sich seit 1888 um ein Pu­bli­ka­ti­ons­or­gan, den „Bru­der­gru­ß“. Im Ers­ten Welt­krieg wur­de sein Er­schei­nen ein­ge­stellt, da­nach aber wie­der­be­lebt und in die Trä­ger­schaft ei­nes neu ge­grün­de­ten „Ver­eins rhei­ni­scher Mis­sio­na­re“ ge­führt. Die­ser Ver­ein ver­ab­schie­de­te nach dem Zwei­ten Welt­krieg ein Schuld­be­kennt­nis ähn­lich dem Stutt­gar­ter Schuld­be­kennt­nis, lös­te sich je­doch 1975 auf.

Das Johanneum in Moers, undatiert. (Archiv- und Museumsstiftung der VEM)

 

2.5 Die Schwesternschaft

Die so­zia­le Not in den tief­grei­fen­den Um­brü­chen am Be­ginn des 19. Jahr­hun­derts wur­de kaum von den Kir­chen, wohl aber von ei­ni­gen ih­rer Pfar­rer und Glie­der wahr­ge­nom­men. Auf evan­ge­li­scher Sei­te ge­hört da­zu der Kai­ser­wer­t­her Pfar­rer Theo­dor Flied­ner (1800-1864), der 1836 in sei­ner Ge­mein­de ei­ne An­stalt grün­de­te, um dar­in Pfle­ge­rin­nen für kran­ke und schwa­che Men­schen, so­ge­nann­te „Dia­ko­nis­sen“, aus­zu­bil­den. Re­for­mier­ter Tra­di­ti­on ent­spre­chend war es sein Ziel, die­sen Frau­en ein ge­nau um­ris­se­nes dia­ko­ni­sches Amt in ih­rer kirch­li­chen Ge­mein­de zu ge­ben. Sei­ne Plä­ne führ­ten zur Grün­dung ei­ner or­den­s­ähn­li­chen Ge­mein­schaft von Frau­en, den Dia­ko­nis­sen. Für Män­ner wur­de 1844 ei­ne „Brü­der­an­stal­t“ in Duis­burg ein­ge­rich­tet, die ei­ne Aus­bil­dung zum „Dia­kon“ ver­mit­tel­te und bald eben­falls or­den­s­ähn­li­che Cha­rak­te­ris­ti­ka ent­wi­ckel­te.

Die Rhei­ni­sche Mis­si­on hat den da­von aus­ge­hen­den Im­puls, die Ar­beit der Mis­sio­na­re durch Dia­ko­nis­sen zu un­ter­stüt­zen, nur sehr zö­gernd auf­ge­nom­men. Die Äu­ße­re Mis­si­on schien ein an­de­res, här­te­res Feld zu sein als die In­ne­re Mis­si­on, nicht ge­eig­net für die Ar­beit von Dia­ko­nis­sen. Wenn man un­ver­hei­ra­te­te jun­ge Frau­en von Wup­per­tal nach Über­see ent­sand­te, dann ge­schah dies vor al­lem, um sie un­ver­hei­ra­te­ten Mis­sio­na­ren als Ehe­frau­en zu­zu­füh­ren. Doch ein fa­mi­liä­res Schick­sal führ­te zu ei­nem Um­den­ken. Als ein Mis­sio­nar kurz nach sei­ner An­kunft in Süd­afri­ka starb, blieb sei­ne Wit­we dort, leis­te­te Ar­men- und Kran­ken­pfle­ge und be­treu­te bis zu ih­rem Tod 1871 ein Haus der Rhei­ni­schen Mis­si­on. 

Schwestern in Pearadja, Sumatra/Indonesien, um 1911. (Archiv- und Museumsstiftung der VEM)

 

Gleich­wohl wur­de das Bei­spiel die­ser Frau erst ei­ni­ge Jah­re spä­ter auf­ge­grif­fen. 1889 ent­sand­te die Rhei­ni­sche Mis­si­on die eng­li­sche Schwes­ter Hes­ter Nee­d­ham als Dia­ko­nis­se auf de­ren ei­ge­ne Kos­ten nach Su­ma­tra. Schwes­ter Nee­d­ham ar­bei­te­te wie ein Mis­sio­nar un­ter dem Volk der Ba­tak, blieb bis zu ih­rem Tod ei­ne Ein­zel­gän­ge­rin und fand kei­ne Nach­fol­ge. 1891 wur­den er­neut vier Schwes­tern nach Su­ma­tra und Bor­neo ent­sandt, wie­der­um nicht, um ver­hei­ra­tet zu wer­den, son­dern mit der Ab­sicht, als „Mis­si­ons­dia­ko­nis­sen“ Frau­en und Mäd­chen, Kran­ke und Ar­me in den christ­li­chen Ge­mein­den, die be­reits ge­grün­det wor­den wa­ren, zu be­treu­en. Die männ­li­chen Mis­sio­na­re sei­en für den weib­li­chen Teil ei­ner Ge­mein­de nur be­dingt ge­eig­net und ih­re Ehe­frau­en sei­en durch häus­li­che Ar­bei­ten zu sehr in An­spruch ge­nom­men.

Die Zahl der Schwes­tern, die sich der Rhei­ni­schen Mis­si­on zur Ver­fü­gung stell­ten, nahm in den fol­gen­den Jah­ren ste­tig zu, 1939 wa­ren es be­reits über 50 und 1970 et­wa 60, da­von war die Hälf­te im süd­li­chen Afri­ka tä­tig. Ih­re theo­lo­gi­sche Aus­rich­tung er­fuh­ren sie, die aus un­ter­schied­li­chen Aus­bil­dungs­stät­ten ka­men, in ei­ner Bi­bel­schu­le der Rhei­ni­schen Mis­si­on in Bar­men, fi­nan­zi­ell un­ter­stützt wur­den sie von zahl­rei­chen kirch­li­chen Frau­en­ver­ei­nen und Frau­en­grup­pen des „Frau­en­bun­des der Rhei­ni­schen Mis­si­on“. Im Ru­he­stand kehr­ten die Schwes­tern in ein Schwes­tern­heim ins Wup­per­tal zu­rück, ähn­lich dem „Mut­ter­haus“ der Dia­ko­nis­sen. Da­mit ge­wann die Schwes­tern­schaft der Rhei­ni­schen Mis­si­on den Cha­rak­ter ei­nes ei­gen­stän­di­gen Ver­ban­des, wie er auch den Ver­bän­den der Dia­ko­nis­sen zu ei­gen war.

Haushaltsschülerinnen Sumatra/Indonesien, undatiert. (Archiv- und Museumsstiftung der VEM)

Christiane Kähler, sie wurde als Ehefrau nach Südafrika ausgesandt und arbeitete dort schließlich als Schwester, undatiert. (Archiv- und Museumsstiftung der VEM)

 

2.6 Ärzte und Lehrer

Ei­ne me­di­zi­ni­sche Grund­aus­bil­dung er­hiel­ten die Mis­si­ons­kan­di­da­ten nicht, gleich­wohl wa­ren zahl­rei­che Mis­sio­na­re in der La­ge, ein­fa­che me­di­zi­ni­sche Hil­fe zu leis­ten und da­durch auch mis­sio­na­risch zu wir­ken. Erst ge­gen En­de des 19. Jahr­hun­derts wur­de die An­re­gung, die Mis­si­on der Ver­kün­di­gung durch Ärz­te und Kran­ken­häu­ser zu er­gän­zen, in Bar­men auf­ge­nom­men und 1888 die ers­ten rhei­ni­schen Mis­si­ons­ärz­te in das heu­ti­ge In­do­ne­si­en ent­sandt. Als nach der Jahr­hun­dert­wen­de die me­di­zi­ni­sche Ar­beit dort und in Chi­na grö­ße­re Aus­ma­ße an­nahm, er­rich­te­te die Rhei­ni­sche Mis­si­on Kran­ken­häu­ser und ent­sand­te Kran­ken­schwes­tern und Dia­ko­ne ne­ben den Ärz­ten. Al­ler­dings blieb die Grup­pe der Mis­si­ons­ärz­te klein und über­stieg 20 nicht, und auch die Schwes­tern un­d  Dia­ko­ne wa­ren kaum mehr. In Süd- und Süd­west­afri­ka hat die Rhei­ni­sche Mis­si­on kei­ne Ärz­te ge­habt, weil dort die staat­li­chen Be­hör­den die me­di­zi­ni­sche Ver­sor­gung der ein­hei­mi­schen Be­völ­ke­rung selbst in ih­re Hän­de nah­men. Mit der po­li­ti­schen Un­ab­hän­gig­keit der ehe­ma­li­gen eu­ro­päi­schen Ko­lo­ni­al- und Mis­si­ons­ge­bie­te setz­te der Pro­zess der Ver­selb­stän­di­gung auch auf die­sem Feld ein, nach 1970 hat die Rhei­ni­sche Mis­si­on kei­ne spe­zi­el­len Mis­si­ons­ärz­te mehr ent­sandt.

An­ge­hö­ri­ge an­de­rer Be­rufs­grup­pen, ins­be­son­de­re Leh­rer, aber auch Bau­ern, Hand­wer­ker und Kauf­leu­te wur­den eben­falls von der Rhei­ni­schen Mis­si­on en­ga­giert und in die Mis­si­ons­ge­bie­te ent­sandt. Wie al­le un­ter der Ver­ant­wor­tung der Rhei­ni­schen Mis­si­on aus­ge­sand­ten Per­so­nen wur­den sie mit ei­ner aus­führ­li­chen In­struk­ti­on ver­se­hen, die ne­ben ih­ren be­ruf­li­chen ih­re mis­sio­na­ri­schen Auf­ga­ben be­schrieb.

3. Historische Entwicklung

Sprechstunde im Hospital Tungkun, China, undatiert. (Archiv- und Museumsstiftung der VEM)

 

3.1 Die ersten Missionsunternehmen

1829 wur­den die ers­ten vier rhei­ni­schen Mis­sio­na­re ins süd­afri­ka­ni­sche Ka­pland aus­ge­sandt, wo ei­ne noch nicht 200-jäh­ri­ge Be­sied­lung vor al­lem aus den Nie­der­lan­den die Bu­ren zu Her­ren des Lan­des ge­macht hat­te. Die ein­hei­mi­sche Be­völ­ke­rung war meist ver­sklavt, sel­ten aber chris­tia­ni­siert wor­den. 1744 wa­ren die ers­ten Mis­sio­na­re der Herrn­hu­ter ge­kom­men, 1799 die Lon­do­ner Mis­si­ons­ge­sell­schaft, in de­ren Auf­trag wur­den zwei der Wup­per­ta­ler Mis­sio­na­re ein­ge­setzt zur Be­treu­ung von Skla­ven, die auf den Far­men ar­bei­te­ten. Es ist auch dem En­ga­ge­ment der rhei­ni­schen und an­de­rer Mis­sio­na­re zu ver­dan­ken, dass die Skla­ve­rei in Süd­afri­ka auf Wi­der­stand stieß und 1838 of­fi­zi­ell ver­bo­ten wur­de.

Die bei­den an­de­ren Mis­sio­na­re aus dem Rhein­land grün­de­ten et­wa 300 Ki­lo­me­ter nörd­lich von Kap­stadt die ers­te rhei­ni­sche Mis­si­ons­sta­ti­on, in­mit­ten ei­nes von dem Stamm der Na­ma (Hot­ten­tot­ten) be­wohn­ten Ge­bie­tes. Sie er­war­ben ei­ne fast 4000 Mor­gen gro­ße Farm, ga­ben ihr den Na­men „Wup­pert­hal“, be­schäf­tig­ten die Ein­ge­bo­re­nen mit land­wirt­schaft­li­chen und hand­werk­li­chen Ar­bei­ten, er­rich­te­ten ei­ne Schu­le und mach­ten sie zum Kern der Mis­si­ons­sta­ti­on und der neu­en Ge­mein­de. An­de­re Mis­sio­na­re ta­ten es ih­nen nach und grün­de­ten wei­te­re Sta­tio­nen, aus de­nen sich Sied­lun­gen und heu­ti­ge Städ­te ent­wi­ckel­ten.

Hafenplatz Banjermassin auf Borneo, Indonesien, undatiert. (Archiv- und Museumsstiftung der VEM)

 

1842 über­quer­ten rhei­ni­sche Mis­sio­na­re den Oran­je-Fluss im Nor­den des Ka­plan­des und er­rich­te­ten Mis­si­ons­sta­tio­nen im Sü­den des heu­ti­gen Na­mi­bia. Es kam vor, dass die Stam­me­s­häupt­lin­ge die Mis­sio­na­re zum „Schu­le­hal­ten“ und zur Mis­sio­nie­rung ge­ra­de­zu ein­lu­den. Wenn ein Häupt­ling für die christ­li­che Re­li­gi­on ge­won­nen wer­den konn­te, trat meist der gan­ze Stamm über.

Doch im Sü­den Afri­kas ar­bei­te­ten da­mals zahl­rei­che Mis­si­ons­ge­sell­schaf­ten, und nicht im­mer ge­lang es, die „claim­s“ der ein­zel­nen Ge­sell­schaf­ten ge­nau ab­zu­ste­cken. Schon in den frü­hen 1830er Jah­ren sah sich die Rhei­ni­sche Mis­si­on des­halb nach ei­nem neu­en Wir­kungs­kreis um und fand ihn auf Bor­neo, in „Nie­der­län­disch-In­dien“. 1834 wur­den die ers­ten Mis­sio­na­re dort­hin ent­sandt. Als die­se sich an Ort und Stel­le in­for­miert hat­ten, be­gann 1836 die Bor­neo-Mis­si­on.

Die Ar­beit im Lan­des­in­ne­ren Bor­ne­os un­ter den ein­ge­bo­re­nen Stäm­men war we­sent­lich schwie­ri­ger als im Sü­den Afri­kas, für et­li­che Tei­le der in­di­ge­nen Be­völ­ke­rung be­deu­te­te die Be­geg­nung mit ei­nem Mis­sio­nar den ers­ten Kon­takt zur eu­ro­päi­schen Zi­vi­li­sa­ti­on. Nach 20 Jah­ren zähl­te man erst acht Mis­si­ons­sta­tio­nen und 261 Ge­tauf­te. 1859 brach zu­dem ein Auf­stand der Ein­ge­bo­re­nen ge­gen die hol­län­di­schen Her­ren und über­haupt die Wei­ßen aus. In sei­nem Ver­lauf wur­den vier rhei­ni­sche Mis­sio­na­re, da­zu drei Frau­en und zwei Kin­der er­mor­det. Die Rhei­ni­sche Mis­si­on zog sich zu­rück, erst 1866 be­tra­ten Mis­sio­na­re aus Bar­men wie­der das Land. Kurz zu­vor hat­te man die Ar­beit auf Su­ma­tra, bei dem Stamm der Ba­tak im Nor­den der In­sel und auf der Su­ma­tra vor­ge­la­ger­ten In­sel Ni­as be­gon­nen.

Die Rhei­ni­sche Mis­si­on mach­te früh die Er­fah­rung, dass man­che Mis­sio­na­re das Kli­ma der Tro­pen nicht ver­tru­gen. Für sie schien die Mis­si­on von In­dia­nern in Nord­ame­ri­ka ge­eig­net zu sein. So be­schloss man 1836, Mis­sio­na­re nach Ame­ri­ka zu ent­sen­den. Doch das Un­ter­neh­men wur­de nach we­ni­gen Jah­ren ein­ge­stellt. Die we­ni­gen Mis­sio­na­re, die man ent­sandt hat­te, hat­ten Ge­mein­den un­ter den wei­ßen, oft deutsch­stäm­mi­gen Sied­lern an­statt un­ter den In­dia­nern ge­grün­det.

1845 er­reich­te die Rhei­ni­sche Mis­si­on ein Hin­weis auf Chi­na und im fol­gen­den Jahr nahm sie die Ar­beit dort auf. Da­zu such­te sie ei­nen Part­ner und fand ihn in der Bas­ler Mis­si­ons­ge­sell­schaft. Dem „Kur­hes­si­schen Mis­si­ons­ver­ein“ wur­de da­ge­gen die Mit­ar­beit ver­wehrt, an­geb­lich, weil die Re­for­mier­ten im Wup­per­tal und in der Schweiz die Hes­sen ver­däch­tig­ten, ei­nen be­tont kon­fes­sio­nell-lu­the­ri­schen Cha­rak­ter in die Mis­si­ons­ar­beit ein­zu­brin­gen. Man schlug statt­des­sen vor, ei­ne Kon­fe­renz zur „Er­zie­lung von grö­ße­rer Ge­mein­sam­keit in der Mis­si­on“ ein­zu­be­ru­fen. 1847 fand die­se Kon­fe­renz in Bar­men statt, doch erst 1866 die Nach­fol­ge­kon­fe­renz in Bre­men, die dann zu ei­ner stän­di­gen Ein­rich­tung wur­de. Mit der An­kunft von Mis­sio­na­ren in Hong­kong 1847 be­gann dann die Mis­si­on in Chi­na.  

Die erste Missionsstation 'Wupperthal' der Rheinischen Missiongesellschaft in Südafrika, undatier. (Archiv- und Museumsstiftung der VEM)

 

3.2 Die Rheinische Mission während des 19. Jahrhunderts

Ers­ter „In­spek­tor“ der Rhei­ni­schen Mis­si­on nach ih­rer Grün­dung wur­de Hein­rich Rich­ter (1799-1847). Rich­ter hat­te Theo­lo­gie in Hal­le stu­diert und war da­nach Ober­leh­rer an ei­nem Se­mi­nar für Volks­schul-Leh­rer in Hal­ber­stadt ge­wor­den. In Bar­men leb­te er mit den Mis­si­ons­kan­di­da­ten zu­sam­men, die er mit sei­nem Bru­der Wil­helm, eben­falls ein Theo­lo­ge, un­ter­rich­te­te. Rich­ters Nach­fol­ger Jo­hann Chris­ti­an Wall­mann (1811-1865) - ein stren­ger Lu­the­ra­ner, der meh­re­re Jah­re als Haus­leh­rer ge­wirkt hat­te und von 1848 bis 1857 die Rhei­ni­sche Mis­si­on lei­te­te – leg­te das Schwer­ge­wicht sei­ner Ar­beit auf die Mis­si­ons-Pu­bli­zis­tik, die wich­tig war, um die Spen­den­be­reit­schaft im „Hin­ter­lan­d“ zu er­hal­ten oder gar aus­zu­wei­ten. Un­ter an­de­rem ge­stal­te­te er die Mo­nats­be­rich­te der Mis­si­on neu und gab ei­nen po­pu­lä­ren Sam­mel­band „Lei­den und Freu­den rhei­ni­scher Mis­sio­na­re“ her­aus. Un­ter sei­ner Di­rek­ti­on konn­te das fi­nan­zi­el­le De­fi­zit, das sich in­zwi­schen an­ge­sam­melt hat­te, voll­stän­dig ge­tilgt wer­den. Bei sei­nem Aus­schei­den zähl­te die Rhei­ni­sche Mis­si­on in Süd­afri­ka (ein­schlie­ß­lich Na­mi­bia), Bor­neo und Chi­na 41 Mis­sio­na­re auf 28 Sta­tio­nen, und im Mis­si­ons­se­mi­nar be­rei­te­ten sich zehn Schü­ler auf ih­re Aus­rei­se vor.

Heinrich Richter, der erste Inspektor der Rheinischen Missionsgesellschaft, undatiert. (Archiv- und Museumsstiftung der VEM)

 

Zu den mar­kan­tes­ten In­spek­to­ren der Mis­si­on ge­hört Fried­rich Fa­bri (1824-1891). Im baye­ri­schen Schwein­furt ge­bo­ren, muss­te der Theo­lo­ge erst „na­tu­ra­li­sier­t“ wer­den, be­vor er in Bar­men be­gin­nen konn­te. Fa­bri war wäh­rend sei­nes Stu­di­ums in Er­lan­gen von der Er­we­ckung ge­prägt wor­den, Kon­fes­sio­na­li­tät war ihm fremd. Er be­ton­te die es­cha­to­lo­gi­sche Be­deu­tung der Mis­si­on, die Aus­brei­tung des Rei­ches Got­tes wer­de die Welt an ihr En­de und Got­tes Ge­richt her­bei­füh­ren. Fa­bri trat auch so­zi­al­po­li­tisch her­vor, so be­schäf­tig­te ihn die Ar­bei­ter-Woh­nungs­fra­ge, de­ren ver­hee­ren­des Aus­maß er im Wup­per­tal ken­nen ge­lernt hat­te. Zur Lö­sung der So­zia­len Fra­ge in Deutsch­land schlug er die Aus­wan­de­rung in die Ko­lo­ni­en vor, de­ren Er­wer­bung er eif­rig be­für­wor­te­te. In ko­lo­ni­al­po­li­ti­schen Fra­gen be­riet er so­gar Ot­to von Bis­marck (1815-1898).

Für die wach­sen­de Zahl der Kan­di­da­ten or­ga­ni­sier­te Fa­bri ei­nen Neu­bau des Mis­si­ons­hau­ses, das 1862 er­öff­net wur­de und ge­nau wie sein Vor­gän­ger sich zu ei­ner Art von „geist­li­chem Zen­trum“ des Wup­per­tals ent­wi­ckel­te. In ihm fan­den Pfarr­kon­fe­ren­zen, Ver­samm­lun­gen und Fes­te der zahl­rei­chen christ­li­chen Ver­ei­ne statt, die in ei­ner „Wup­per­ta­ler Fest­wo­che“ kul­mi­nier­ten, die bis zum Zwei­ten Welt­krieg ge­fei­ert wur­de.

In den frü­hen 1880er Jah­ren müh­te sich die Rhei­ni­sche Mis­si­on in Süd­west­afri­ka, zwi­schen den He­re­ro und den Na­ma zu ver­mit­teln. Sie be­grü­ß­te des­halb, wenn auch zu­rück­hal­tend, die ko­lo­nia­le Er­wer­bung des Lan­des durch Deutsch­land, mach­te aber deut­lich, dass die Ko­lo­ni­sa­ti­on we­sens­ver­schie­den sei von der Mis­si­on und dass die Rech­te der Ein­ge­bo­re­nen auch von den Ko­lo­ni­sa­to­ren zu be­ach­ten sei­en. Als Deutsch­land ei­ne Ko­lo­nie in Neu­gui­nea er­warb, be­schloss man in Bar­men, auch dort zu mis­sio­nie­ren. Die Auf­for­de­rung, Mis­sio­na­re auf die Mar­schal­l­in­seln zu ent­sen­den, wur­de dann al­ler­dings ab­ge­lehnt. 1890 be­gann die Mis­si­on un­ter den Ovam­bo im nörd­li­chen Na­mi­bia und kurz nach der Jahr­hun­dert­wen­de auf den Men­ta­wai-In­seln im Wes­ten Su­ma­tras.  Zu dem Zeit­punkt er­reich­te die Mis­si­on ih­re grö­ß­te Aus­deh­nung. Sie un­ter­hielt 117 Sta­tio­nen mit 683 Fi­lia­len, 839 Schu­len, zwei Kran­ken­häu­ser und zwei Hilfs­kran­ken­häu­ser. 207 Mis­sio­na­re, 19 Ärz­te und Leh­rer und 22 Schwes­tern wa­ren dar­in tä­tig. Hin­zu ka­men 27 ein­hei­mi­sche Pas­to­ren und 66 Evan­ge­lis­ten. Den Un­ter­halt be­stritt die Rhei­ni­sche Mis­si­on aus­schlie­ß­lich aus Spen­den. In vie­len tau­send Gast­stät­ten wa­ren Spen­den­büch­sen auf­ge­stellt und über 40 Un­ter­stüt­zungs­ver­ei­ne sam­mel­ten und über­wie­sen re­gel­mä­ßig ih­re Spen­den­er­trä­ge. 

Der Missionar Diehl mit seinen Schülern in Bogadjim, Neu-Guinea, undatiert. (Archiv- und Museumsstiftung der VEM)

 

3.3 Der Aufstand der Herero und der Nama in Deutsch-Südwestafrika (1904-1907)

Durch die Er­wer­bung des Schutz­ge­bie­tes Süd­west­afri­ka wur­den die Deut­schen in die Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen den Na­ma („Hot­ten­tot­ten“) und den He­re­ro ver­wi­ckelt. Nach ei­ner Dür­re 1830 hat­ten die He­re­ro (im mitt­le­ren Na­mi­bia) ih­re Wei­de­ge­bie­te aus­zu­deh­nen ver­sucht und wa­ren da­bei an die Na­ma ge­ra­ten. In jahr­zehn­te­lan­gen Krie­gen ge­lang es den Na­ma, nach Nor­den in das Ge­biet der He­re­ro vor­zu­drin­gen. Nur mit Mü­he konn­ten die Deut­schen zwi­schen den bei­den Stäm­men ver­mit­teln.

Die He­re­ro wa­ren Vieh­züch­ter, doch deut­sche Sied­ler kauf­ten zu­neh­mend grö­ße­re Tei­le ih­rer Wei­de­grün­de. Da­zu trieb die Dis­kri­mi­nie­rung der Schwar­zen durch die deut­schen Ko­lo­ni­sa­to­ren, die tech­nisch über­le­gen wa­ren und sich kul­tu­rell über­le­gen fühl­ten, die He­re­ro in ei­ne Er­he­bung ge­gen die deut­schen Her­ren. Der von lan­ger Hand ge­plan­te Auf­stand brach am 12.1.1904 los, et­wa 8.000 He­re­ro stan­den 2.000 Mann der deut­schen Schutz­trup­pe ge­gen­über. Zu­nächst wa­ren die He­re­ro über­le­gen, sie tö­te­ten al­le wei­ßen Sied­ler und brann­ten Far­men, Han­dels­sta­tio­nen und Ver­wal­tungs­ge­bäu­de nie­der. Frau­en und Kin­der blie­ben weit­ge­hend ver­schont.

Gefangene Herero in einem Lager in Namibia, undatiert. (Archiv- und Museumsstiftung der VEM)

 

Mit der Er­nen­nung des Ge­ne­rals Adri­an Diet­rich Lo­thar von Tro­tha (1848-1920) zum Ober­be­fehls­ha­ber der in­zwi­schen auf 15.000 Mann an­ge­wach­se­nen deut­schen Schutz­trup­pe ge­wann der Krieg ei­nen neu­en Cha­rak­ter. Tro­tha streb­te da­nach, die He­re­ro zu ver­nich­ten. Dies ge­lang ihm nicht voll­stän­dig in der Schlacht am Wa­ter­berg (Au­gust 1904), doch trieb er die Über­le­ben­den in die was­ser­lo­se Wüs­te, wo sie ver­durs­te­ten. Von et­wa 80.000 He­re­ro über­leb­ten nur et­wa 15.000 den Ge­no­zid. Sie wur­den in Kon­zen­tra­ti­ons- und Ar­beits­la­ger über­führt.

Die mit­leid­lo­se Krieg­füh­rung der Deut­schen be­wog die bis­her mit ih­nen ver­bün­de­ten Na­ma un­ter ih­rem Füh­rer Hen­drik Wit­booi (et­wa 1830-1905), die Sei­te zu wech­seln. Ihr Auf­stand wur­de ein lang­wie­ri­ger Gue­ril­la-Krieg, der erst 1907 be­en­det wer­den konn­te. Ge­fan­ge­ne Na­ma wur­den ent­we­der in Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger ge­bracht oder meh­re­re Jah­re in die deut­schen Afri­ka-Ko­lo­ni­en To­go und Ka­me­run de­por­tiert.

Hererogottesdienst im Waterbergreservat, Namibia, undatiert. (Archiv- und Museumsstiftung der VEM)

 

Die Rhei­ni­sche Mis­si­on stand zwi­schen den Fron­ten. Da sie im­mer für die Rech­te der Schwar­zen ein­ge­tre­ten war, be­geg­ne­te man ihr in Deutsch­land jetzt mit Hä­me und Ab­leh­nung, be­zich­tig­te sie so­gar der Zu­sam­men­ar­beit mit dem „Raub­ge­sin­del“. Der deut­sche Reichs­kanz­ler Bern­hard von Bü­low (1849-1929, Reichs­kanz­ler 1900-1909) warf ihr vor, die „ro­he Bar­ba­rei“ der Schwar­zen nicht scharf ge­nug zu ver­ur­tei­len. Nur die so­zi­al­de­mo­kra­ti­sche Pres­se brach­te ihr Ver­ständ­nis ent­ge­gen. Die Rhei­ni­sche Mis­si­on ging je­doch nicht so weit wie Au­gust Be­bel (1840-1913), der die ge­sam­te deut­sche Ko­lo­ni­al­po­li­tik ver­ur­teil­te und den Schwar­zen das Recht zum Auf­stand ein­räum­te. Die Mis­sio­na­re da­ge­gen rie­fen die Ein­ge­bo­re­nen zum Ge­hor­sam ge­gen­über ih­rer deut­schen Ob­rig­keit auf. Nach der Nie­der­schla­gung der Auf­stän­de tru­gen sie da­zu bei, ein grö­ße­res Blut­bad zu ver­hin­dern. Dass die He­re­ro und die Na­ma in ih­nen mehr ge­se­hen ha­ben als nur Agen­ten des un­ge­lieb­ten Staa­tes, geht auch dar­aus her­vor, dass die Zah­len der Ge­mein­de­glie­der, die wäh­rend der Auf­stän­de ein­ge­bro­chen wa­ren, da­nach wie­der rasch an­stie­gen, von fast 14.000 vor dem Auf­stand auf 13.000 im Jah­re 1908.

Am Vor­abend des Ers­ten Welt­krie­ges streb­te die Mis­si­on ei­nem Hö­he­punkt ent­ge­gen: 1913 wur­den 34 Mis­sio­na­re neu, 18 zum zwei­ten Mal aus­ge­sandt. Das Se­mi­nar be­such­ten 62 Schü­ler. Da­zu ver­zeich­ne­te die Ar­beit in der Hei­mat gro­ße Er­fol­ge. Ei­ne völ­ker­kund­li­che Aus­stel­lung in der Bar­mer Stadt­hal­le wur­de in­ner­halb von 14 Ta­gen von mehr als 30.000 Men­schen be­sucht, 126.000 Mis­si­ons­schrif­ten wur­den ver­kauft, 31.000 Merk­blät­ter und 50.000 Flug­blät­ter un­ent­gelt­lich ver­sandt. Da­zu die re­gel­mä­ßig er­schei­nen­den Pu­bli­ka­tio­nen wie die Mo­nats­blät­ter, das Mis­si­ons­blatt, das Frau­en­blatt „Des Meis­ters Ruf“, der „Klei­ne Mis­si­ons­freun­d“ – es ist er­rech­net wor­den, dass die Rhei­ni­sche Mis­si­on im Jahr mehr als 2 Mil­lio­nen Pu­bli­ka­tio­nen ver­teil­te. Als be­red­ter Aus­druck die­ser Hoch­stim­mung kann der Neu­bau des Mis­si­ons­hau­ses be­trach­tet wer­den, des­sen Grund­stein im Ju­li 1914 ge­legt wur­de.

Abteilung Sumatra auf der Völkerkundlichen Ausstellung, 1913. (Archiv- und Museumsstiftung der VEM)

 

3.4 Die Mission im Ersten Weltkrieg

Von den über­wäl­ti­gen­den Ge­füh­len ei­ner „na­tio­na­len Er­he­bun­g“, die das deut­sche Volk beim Aus­bruch des Ers­ten Welt­krie­ges pack­te, wur­de die Rhei­ni­sche Mis­si­on nicht ver­schont. Auch die Mis­sio­na­re wa­ren von der ge­rech­ten Sa­che der Deut­schen über­zeugt und ent­täuscht über das Ver­hal­ten Eng­lands. Doch ha­ben die Ver­ant­wort­li­chen im Wup­per­tal den Krieg nicht ver­herr­licht, son­dern sich in ih­ren Ver­laut­ba­run­gen eher er­schro­cken ge­zeigt, dass un­ter den eu­ro­päi­schen Mäch­ten ein Krieg über­haupt aus­bre­chen konn­te, der die Mis­si­ons­ar­beit mas­siv ge­fähr­de­te. Im Lau­fe des Krie­ges wur­den die deut­schen Se­mi­na­ris­ten grö­ß­ten­teils zum Mi­li­tär ein­ge­zo­gen oder in ver­wais­te Pfarr­stel­len ein­ge­wie­sen. Nur vier Hol­län­der konn­ten blei­ben, spä­ter ka­men ei­ni­ge ver­wun­de­te deut­sche Kan­di­da­ten hin­zu.

Die Ein­nah­men aus Spen­den san­ken be­trächt­lich, da­für er­hielt die Mis­si­on zum ers­ten­mal Gel­der aus kirch­li­chen Kas­sen. Durch die schon wäh­rend des Krie­ges spür­ba­re Ent­wer­tung des Gel­des konn­ten an­de­rer­seits vie­le Schul­den pro­blem­los ge­tilgt wer­den. Da­für stock­te der Geld­fluss aus Deutsch­land in die Mis­si­ons­ge­bie­te, so dass die Mis­sio­na­re vor Ort spar­sam wirt­schaf­ten und auf Er­trä­ge aus Mis­si­ons­far­men und Mis­si­ons­be­trie­ben an­ge­wie­sen wa­ren. Da­zu ka­men Spen­den der ein­hei­mi­schen Chris­ten.

In den Mis­si­ons­ge­bie­ten un­ter nie­der­län­di­scher Herr­schaft (Su­ma­tra, Ni­as) konn­te die Ar­beit un­ge­hin­dert wei­ter­ge­hen. Al­ler­dings sei „die Ach­tung vor dem wei­ßen Mann er­heb­lich ge­sun­ken“, wie ein Mis­sio­nar schrieb. In den eng­li­schen Ge­bie­ten wie dem Ka­pland und Hong­kong wur­den die Mis­sio­na­re zu­nächst in­ter­niert, aber rasch wie­der frei­ge­las­sen. Im deut­schen Süd­west­afri­ka ka­pi­tu­lier­te die Trup­pe 1915, un­ter der frem­den Be­set­zung nor­ma­li­sier­te sich dann die La­ge. Die Ar­beit wur­de mit grö­ß­ter Spar­sam­keit fort­ge­führt und be­freun­de­te Kir­chen aus Süd­afri­ka wie die „Re­for­mier­te Bu­ren­kir­che“ stell­ten Dar­le­hen zur Ver­fü­gung, für die die Rhei­ni­sche Mis­si­on ih­re Far­men als Pfand ein­setz­te.  

3.5 Weimarer Republik und „Drittes Reich“

In den un­ru­hi­gen Nach­kriegs­jah­ren litt die Ar­beit der Rhei­ni­schen Mis­si­on stär­ker als in der Kriegs­zeit. Die In­fla­ti­on führ­te zu ei­nem Ein­bruch der Spen­den, so dass sich die Mis­si­on aus fi­nan­zi­el­len Grün­den aus ei­ni­gen ih­rer Ar­beits­ge­bie­te, et­wa der Ar­beit mit den Ovam­bo im Nor­den des heu­ti­gen Na­mi­bia, da­zu dem Ka­pland und aus Bor­neo zu­rück­zie­hen muss­te. An­de­re eu­ro­päi­sche Mis­si­ons­ge­sell­schaf­ten, zum Bei­spiel aus Finn­land, füll­ten die Lü­cke. Die rhei­ni­schen Ge­mein­den im Ka­pland wur­den in die Selb­stän­dig­keit ent­las­sen und auf­ge­for­dert, sich der far­bi­gen Re­for­mier­ten Kir­che Süd­afri­kas an­zu­schlie­ßen. Die deut­sche Ko­lo­nie in Neu-Gui­nea war Aus­tra­li­en als Man­dats­ge­biet des Völ­ker­bun­des zu­ge­wie­sen wor­den, und weil sich die aus­tra­li­schen Lu­the­ra­ner für die Rhein­län­der ein­setz­ten, konn­ten die­se im Lan­de blei­ben.

Der Ver­zicht auf ei­ni­ge er­folg­rei­che Ar­beits­ge­bie­te fiel der Rhei­ni­schen Mis­si­on schwer. Noch mehr litt sie aber un­ter dem häu­fi­gen Di­rek­to­ren­wech­sel. In den 90 Jah­ren bis zum En­de des Ers­ten Welt­kriegs hat­te sie nur sechs Di­rek­to­ren ge­habt, in den fol­gen­den 15 Jah­ren muss­te fünf­mal ei­ne neue Lei­tung ge­wählt wer­den. Dar­un­ter wa­ren be­deu­ten­de Män­ner wie der 1921 ge­wähl­te Edu­ard Fries (1877-1923), der vie­le Jah­re auf Ni­as mis­sio­niert und rei­ches völ­ker­kund­li­ches Ma­te­ri­al nach Hau­se ge­bracht hat­te. Deut­li­cher als je­mals zu­vor ver­kün­de­te er 1922, dass das Ziel der eu­ro­päi­schen Mis­si­on dar­in be­ste­hen müs­se, die Toch­ter­kir­chen in die Un­ab­hän­gig­keit zu ent­las­sen und die Mis­si­on über­flüs­sig zu ma­chen. Fries starb im Al­ter von 46 Jah­ren. Auch ei­nen sei­ner Nach­fol­ger, den Theo­lo­gen Ru­dolf Schmidt (1877-1929), raff­te der Tod im Al­ter von 52 Jah­ren da­hin. Ihm war in sei­ner kur­zen Amts­zeit von drei Jah­ren ei­ne Be­le­bung des Mis­si­ons­ge­dan­kens so­wie ei­ne Ge­sun­dung der durch die In­fla­ti­on arg mit­ge­nom­me­nen Rück­la­gen ge­lun­gen. Des­sen Nach­fol­ger Fried­rich Kepp­ler (1890-1954) ver­ließ die Mis­si­on schon 1932, weil sich zwi­schen ihm, ei­nem vom schwä­bi­schen Pie­tis­mus ge­präg­ten Pfar­rer und dem für das Se­mi­nar ver­ant­wort­li­chen In­spek­tor theo­lo­gi­sche Kon­flik­te und un­über­brück­ba­re Ge­gen­sät­ze zeig­ten, die ein Ver­blei­ben bei­der Män­ner un­mög­lich mach­ten.

Trotz die­ser Pro­ble­me und trotz der wirt­schaft­li­chen Schwie­rig­kei­ten, die die Welt­wirt­schafts­kri­se mit sich brach­te, er­freu­te sich die Rhei­ni­sche Mis­si­on ei­nes gro­ßen Zu­laufs von Kan­di­da­ten. 1929/1930 zähl­te das Se­mi­nar 96 Schü­ler. Pas­send zu die­ser Ent­wick­lung konn­te 1929 der 1914 be­gon­ne­ne Neu­bau des Mis­si­ons­hau­ses end­lich fer­tig­ge­stellt wer­den.

Missionar Schütz mit seinen Gehilfen auf Neu-Guinea, 1919. (Archiv- und Museumsstiftung der VEM)

 

In den frü­hen 1930er Jah­ren hielt die dia­lek­ti­sche Theo­lo­gie Ein­zug in das Se­mi­nar. Ei­ner ih­rer Ex­po­nen­ten war der Se­mi­nar­leh­rer Eber­hard De­li­us (1903-1945), der seit 1930 in Bar­men lehr­te und auch die Pres­se­ar­beit der Mis­si­on be­treu­te. De­li­us emp­fand das Stre­ben sei­ner Vor­gän­ger und vie­ler sei­ner Zeit­ge­nos­sen, mit Hil­fe der Mis­si­on die „Ge­win­nung von Völ­kern“ für das Chris­ten­tum vor­an­zu­brin­gen und „mög­lichst gro­ße Volks­krei­se in den christ­li­chen Kir­chen­be­reich ein­zu­brin­gen, so daß die Kir­che in je­dem Vol­ke ein volks­tüm­li­ches Ge­prä­ge trägt und daß das ge­sam­te Volks­le­ben christ­lich be­ein­flu­ßt wir­d“, als pro­ble­ma­tisch. Die Mis­si­ons­pra­xis kön­ne – so der jun­ge Leh­rer – nicht „volk­haf­t“ ge­stal­tet wer­den, sie kön­ne we­der gan­ze in­di­ge­ne Stäm­me und Völ­ker mis­sio­nie­ren noch das christ­li­che Heil so all­ge­mein an­bie­ten, dass „al­len Glie­dern al­ler Völ­ker die An­nah­me er­mög­lich­t“ wer­de. Das „Vol­k“ sei eben­so we­nig wie der „Staa­t“ oder die “Ras­se“ Be­stand­teil ei­ner gött­li­chen Ord­nung, es sei­en im Ge­gen­teil Ord­nun­gen, die sich in der Ge­schich­te Eu­ro­pas ent­wi­ckelt hät­ten. Ein heils­ge­schicht­li­cher Rang kom­me ih­nen auf kei­nen Fall zu. Die Mis­si­on müs­se statt­des­sen den ein­zel­nen Men­schen mit dem Evan­ge­li­um kon­fron­tie­ren und ihn leh­ren, sei­ne Be­keh­rung als exis­ten­zi­el­le Neu­ori­en­tie­rung zu be­grei­fen. Der jun­ge Theo­lo­ge for­der­te für die Mis­si­on al­so ei­ne neue bi­bli­zis­ti­sche Grund­la­ge. Er kri­ti­sier­te die bis­he­ri­ge Mis­si­ons­theo­lo­gie, weil sie ei­nem „In­kul­tu­ra­ti­ons­stre­ben“ ver­haf­tet sei und sich ei­ner exis­ten­zi­el­len Aus­rich­tung der Mis­si­on nicht öff­ne.

In der Aus­ein­an­der­set­zung um die dia­lek­ti­sche und über­haupt die wis­sen­schaft­li­che Theo­lo­gie und ih­ren Stel­len­wert für die Aus­bil­dung von Mis­sio­na­ren wer­den die Kon­flik­te, die die Rhei­ni­sche Mis­si­on wäh­rend des „Drit­ten Rei­ches“ er­schüt­ter­ten, schon vor 1933 er­kenn­bar. Dem from­men Pie­tis­mus des Di­rek­tors Kepp­ler stan­den jun­ge Theo­lo­gen ge­gen­über, die die Er­kennt­nis­se der uni­ver­si­tä­ren Theo­lo­gie auch für die Aus­bil­dung der Mis­sio­na­re nutz­bar ma­chen woll­ten. Be­ein­flusst von Karl Barth (1886-1968) for­der­ten ei­ni­ge von ih­nen ei­ne neue, in­di­vi­du­el­le und exis­ten­zi­el­le Mis­si­ons­theo­lo­gie. Die­se Dif­fe­ren­zen führ­ten zu mensch­li­chen Ver­let­zun­gen bei al­len Be­tei­lig­ten. Es ging da­bei theo­lo­gisch um die Fra­ge, wie weit die Mis­si­on sich auf au­ßer­eu­ro­päi­sche, auch auf zeit­ge­nös­si­sche Hand­lungs- und Ver­hal­tens­mus­ter, Be­grif­fe, Wer­te und Nor­men ein­las­sen durf­te. Die dia­lek­ti­sche Theo­lo­gie ant­wor­te­te da­mals mit dem Ver­weis auf die Bi­bel als der ein­zi­gen Grund­la­ge des christ­li­chen Glau­bens und der Ab­leh­nung al­ler kul­tu­rel­len und zi­vi­li­sa­to­ri­schen „Im­plan­ta­te“ der Mo­der­ne. In der be­gin­nen­den Aus­ein­an­der­set­zung mit den Deut­schen Chris­ten war die­ser bi­bli­zis­ti­sche Fun­da­men­ta­lis­mus si­cher­lich hilf­reich, für die Mis­si­on war er da­ge­gen um­strit­ten.

Das Missionsfest auf der Hardt in Wuppertal, 1937. (Archiv- und Museumsstiftung der VEM)

 

Der Ein­fluss der Deut­schen Chris­ten (DC) zeig­te sich zu­erst im Win­ter 1932/1933. Die star­ken volks­mis­sio­na­ri­schen Im­pul­se, die von der Be­we­gung aus­gin­gen, wur­den zu­nächst po­si­tiv auf­ge­nom­men. Ei­ner der In­spek­to­ren wur­de Mit­glied der DC. Sei­ne Kol­le­gen stan­den der Be­we­gung al­ler­dings zu­neh­mend kri­tisch ge­gen­über. Die Schü­ler am Se­mi­nar je­doch tra­ten fast al­le der SA bei, die Mit­ar­bei­ter in der Ver­wal­tung der NS­DAP. Das Per­so­nal der Rhei­ni­schen Mis­si­on spal­te­te sich in An­hän­ger und Geg­ner des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus. Die­se Ent­wick­lung hat­te ei­ne po­si­ti­ve Fol­ge: die Par­tei be­hel­lig­te die Mis­si­on nur we­nig. Sie hat­te aber vor al­lem ne­ga­ti­ve Kon­se­quen­zen, denn die bei­den La­ger ver­kehr­ten im­mer we­ni­ger mit­ein­an­der. Die Kom­mu­ni­ka­ti­on in Wup­per­tal wur­de auf ein Min­dest­maß re­du­ziert.

Zu den theo­lo­gi­schen Dif­fe­ren­zen tra­ten wirt­schaft­li­che Pro­ble­me in­fol­ge der welt­wei­ten Wirt­schafts­kri­se. Das Se­mi­nar ver­füg­te ei­nen Auf­nah­me­stopp, und die fer­ti­gen Se­mi­na­ris­ten konn­ten nicht aus­ge­sandt wer­den, weil das Geld da­für fehl­te. Die frü­he Ab­leh­nung der DC in Tei­len der Rhei­ni­schen Mis­si­on hielt die­se nicht von ei­ner kon­ser­va­ti­ven und na­tio­na­len po­li­ti­schen Ein­stel­lung ab. Man war dank­bar für die neue Re­gie­rung, weil sie dem „un­se­li­gen Par­la­men­ta­ris­mus“ der Wei­ma­rer Re­pu­blik ein En­de be­rei­te. Die ei­ge­ne Un­ab­hän­gig­keit ge­gen­über der Kir­che woll­te man je­doch nicht auf­ge­ben und re­agier­te des­halb ab­leh­nend auf die Plä­ne des Reichs­bi­schofs, al­le 27 deut­schen Mis­si­ons­ge­sell­schaf­ten in die Deut­sche Evan­ge­li­sche Kir­che ein­zu­glie­dern. Vor­sich­tig nä­her­te sich die Rhei­ni­sche Mis­si­on der Be­ken­nen­den Kir­che, lehn­te aber ei­nen Bei­tritt ab, weil sie sich je­der „Ver­kirch­li­chun­g“ wi­der­setz­te. Die Schü­ler des Se­mi­nars hat­ten eben­falls in­zwi­schen Zwei­fel be­kom­men, vor al­lem durch die Aus­fäl­le ra­di­ka­ler Deut­scher Chris­ten. 1935 trenn­te sich der letz­te Se­mi­na­rist von der SA. Die Mis­sio­na­re in Über­see ha­ben viel­fach die kir­chen­po­li­ti­schen Kon­flik­te in Deutsch­land kaum ver­stan­den.     Der Krieg brach­te Ein­schrän­kun­gen und Ent­beh­run­gen für die Mis­si­on vor al­lem in Deutsch­land. Die Bom­bar­die­rung Wup­per­tals im Mai und Ju­ni 1943 zer­stör­te ei­ni­ge Ge­bäu­de, aber nicht das neue Haupt­haus. In den au­ßer­eu­ro­päi­schen Ar­beits­ge­bie­ten wur­den die meis­ten Mis­sio­na­re und ih­re An­ge­hö­ri­gen in­ter­niert, ih­re Ar­beit aber durch ein­ge­bo­re­ne Evan­ge­lis­ten und Pre­di­ger fort­ge­führt. 

Gottesdienst zum Missionsfest in der Unterbarmer Hauptkirche, 1937. (Archiv- und Museumsstiftung der VEM)

 

3.6 Die Nachkriegszeit

Trotz der un­vor­stell­ba­ren Ver­bre­chen, mit de­nen Deutsch­land be­las­tet war, gab es be­reits seit dem Herbst 1945 Kon­tak­te an­gel­säch­si­scher Mis­sio­nen zu deut­schen Ge­sell­schaf­ten, auch nach Wup­per­tal. Die Öku­me­ne half den deut­schen Mis­si­ons­un­ter­neh­men auch fi­nan­zi­ell. So konn­te das Mis­si­ons­se­mi­nar in Wup­per­tal 1946 mit 15 Schü­lern sei­ne Ar­beit wie­der­auf­neh­men, und in 1.600 deut­schen Ge­mein­den wur­den bald schon wie­der Mis­si­ons­fes­te zur Un­ter­stüt­zung der Rhei­ni­schen Mis­si­on ge­fei­ert. An­de­rer­seits ge­riet die christ­li­che Mis­si­on über­haupt in ei­ne fun­da­men­ta­le Kri­tik. War sie nicht zu stark mit der ko­lo­nia­len Ver­gan­gen­heit be­las­tet? Muss­te sie nicht auf das Un­ab­hän­gig­keits­stre­ben der Ko­lo­ni­en ei­ne Ant­wort fin­den?

Museum auf der Hardt, Innenansicht, undatiert. (Archiv- und Museumsstiftung der VEM)

 

Für die Rhei­ni­sche Mis­si­on be­deu­te­te dies, dass sie die in ih­ren Mis­si­ons­ge­bie­ten ent­stan­de­nen Ge­mein­den in die Selb­stän­dig­keit ent­las­sen und sie zur Grün­dung ei­ner ei­ge­nen, von der Mis­si­on un­ab­hän­gi­gen Kir­che füh­ren muss­te. So ent­stan­den in den rhei­ni­schen Mis­si­ons­ge­bie­ten die Evan­ge­lisch-Lu­the­ri­sche Kir­che in Na­mi­bia, die Kir­che der Ba­tak auf Su­ma­tra, aus de­ren Ver­band sich spä­ter die Si­ma­lun­gun-Kir­che lös­te, die Kir­chen auf den Men­ta­wai-In­seln und auf Ni­as und die Chi­ne­sisch-Rhei­ni­sche Kir­che. In den 1960er Jah­ren un­ter­stütz­te die Rhei­ni­sche Mis­si­on zwei Mis­si­ons­un­ter­neh­men in In­do­ne­si­en, die von an­de­rer Sei­te be­reits be­gon­nen wor­den wa­ren und aus de­nen eben­falls selb­stän­di­ge Kir­chen er­wuch­sen, in Iri­an-Ja­ya und auf Su­ma­tra, im Ka­ro-Ba­tak-Land. Zu all die­sen und zu wei­te­ren neu­en Kir­chen in Afri­ka und Asi­en knüpf­te die Rhei­ni­sche Mis­si­on part­ner­schaft­li­che Be­zie­hun­gen. Die­ser Ent­wick­lung ent­spre­chend fand ei­ne „Ver­kirch­li­chung der Mis­si­on“ auch in Deutsch­land statt. Vor al­lem die Evan­ge­li­sche Kir­che im Rhein­land und die Evan­ge­li­sche Kir­che von West­fa­len be­gan­nen, mit der Rhei­ni­schen Mis­si­on in­ten­si­ver als bis­her zu­sam­men­zu­ar­bei­ten und de­ren Ver­bin­dun­gen zu den neu­en Kir­chen als ei­ne ih­rer ge­nui­nen Auf­ga­ben zu ver­ste­hen. Die Rhei­ni­sche Mis­si­on, die 1971 mit der Be­thel-Mis­si­on fu­sio­nier­te und seit 1996 Ver­ein­te Evan­ge­li­sche Mis­si­on hei­ßt, wird heu­te von 15 Kir­chen in Afri­ka, 17 in Asi­en, sechs in Deutsch­land und von den von Bo­del­schwingh­schen An­stal­ten Be­thel ge­tra­gen. Sie stellt sich dar als Zen­trum ei­nes welt­wei­ten Kir­chen­bun­des, der sei­ne Mit­glie­der zum Aus­tausch von Er­fah­run­gen ein­lädt und re­gio­na­le Pro­gram­me zu kirch­li­chen, aber auch so­zia­len und öko­lo­gi­schen The­men  in­iti­iert und ko­or­di­niert. Bei­spie­le der letz­ten Jah­re sind Men­schen­rechts­pro­ble­me in der Ar­beits­welt, die Bil­dung und Aus­bil­dung von Kin­dern und Ju­gend­li­chen, die Be­kämp­fung von Ar­mut und Aus­beu­tung, die Für­sor­ge für Stra­ßen­kin­der oder die Auf­klä­rung über Ge­bur­ten­kon­trol­le und Aids.

Literatur

Ge­ne­rell hin­zu­wei­sen ist auf die Pu­bli­ka­ti­ons­rei­hen „In­ter­Cul­tu­ra“ (bis­her zehn Bän­de) und „Mis­si­on und Ge­gen­war­t“ (bis­her acht Bän­de) der Ar­chiv- und Mu­se­ums­stif­tung der Ver­ein­ten Evan­ge­li­schen Mis­si­on. Bei­de Rei­hen wid­men sich The­men und Pro­ble­men der Ge­schich­te der Rhei­ni­schen Mis­si­on, der Be­thel-Mis­si­on und der VEM.
Bes­ten, Ju­lia/Mohr, Jean­net­te, Von Wup­per­tal in die Welt – Die An­fän­ge der Rhei­ni­schen Mis­si­ons­ge­sell­schaft, in: Ge­schich­te im Wup­per­tal 18 (2009), S. 170-179.
Braun, Tho­mas, Die Rhei­ni­sche Mis­si­ons­ge­sell­schaft und der Mis­si­ons­han­del im 19. Jahr­hun­dert. Er­lan­gen 1992 [Diss. Univ. Kiel 1991].
Gils­bach, Ste­fan, Mis­sio­na­re aus dem Ber­gi­schen Land, in: Ge­schich­te im Wup­per­tal 8 (1999). S. 30-88.
Glo­cke, Ni­co­le, Zur Ge­schich­te der Rhei­ni­schen Mis­si­ons­ge­sell­schaft in Deutsch-Süd­west­afri­ka un­ter be­son­de­rer Be­rück­sich­ti­gung des Ko­lo­ni­al­krie­ges 1904-1907. Diss. Univ. Bo­chum 1997.
Men­zel, Gus­tav: Die Rhei­ni­sche Mis­si­on. Wup­per­tal 1978.
Pan­zer­grau, Kurt, Die Bil­dung und Er­zie­hung der Ein­ge­bo­re­nen Süd­west­afri­kas durch die Rhei­ni­sche Mis­si­ons­ge­sell­schaft von 1842-1914. Mün­chen 1998.
Witt­mütz, Volk­mar, Die Rhei­ni­sche Mis­si­on, in: Con­rad, Joa­chim [u.a.] (Hg.), Evan­ge­lisch am Rhein. Wer­den und We­sen ei­ner Lan­des­kir­che, Düs­sel­dorf 2007, S. 207-211.
Witt­mütz, Volk­mar, „Wer­fet eu­re Net­ze aus!“ Die Rhei­ni­sche Mis­si­on 1932-1937, in: Schmidt­sie­fer, Pe­ter/Siek­mann, Bir­git (Hg.), Ge­schich­te als Ver­un­si­che­rung. Nord­hau­sen 2008. S. 477-512.

Museum auf der Hardt, Innenansicht, undatiert. (Archiv- und Museumsstiftung der VEM)

 
Zitationshinweis

Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Wittmütz, Volkmar, Die Rheinische Mission, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/die-rheinische-mission/DE-2086/lido/5e565056e7a506.35216030 (abgerufen am 03.10.2024)