Leo Blech

Dirigent und Komponist (1871–1958)

Jutta Lambrecht (Bornheim-Sechtem)

Leo Blech im Jahr 1906, Photoatelier Oscar Brettschneider in Berlin. (Dokumentationszentrum der Staatsoper Prag)

Leo Blech, der aus ei­ner jü­di­schen Fa­mi­lie in Aa­chen stamm­te, war in der ers­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts ein Di­ri­gent von in­ter­na­tio­na­lem Rang, der sich auch als Kom­po­nist ei­nen Na­men mach­te. 1937 von der Ber­li­ner Staats­oper ent­las­sen, wirk­te er vor al­lem in Ri­ga und schlie­ß­lich Stock­holm. 1949 kehr­te er nach Ber­lin zu­rück, wo er bis 1953 an der Städ­ti­schen (Deut­schen) Oper di­ri­gier­te und er­neut das Ber­li­ner Pu­bli­kum be­geis­ter­te.

Leo wur­de am 21.(22.?)4.1871 in Aa­chen als sechs­tes Kind des jü­di­schen Bürs­ten- und Pin­sel­fa­bri­kan­ten Ja­cob Blech (1834-1921, ge­bo­ren als Ja­cob Bleeck) und des­sen Frau Ro­set­ta ge­bo­re­ne Har­tog (1836-1914) ge­bo­ren. Der Va­ter, die bei­den Brü­der Adolph (1863-1940) und Max (1865-1940) und Leo wer­den 1905 als Mit­glie­der der Syn­ago­gen­ge­mein­de Aa­chen auf­ge­führt. Im Adress­buch von 1889 wird der Va­ter zu­sätz­lich noch als In­ha­ber ei­ner Kla­vier­hand­lung ge­nannt. Die bei­den äl­te­ren Brü­der er­hiel­ten Kla­vier­un­ter­richt; die äl­te­re Schwes­ter Sel­ma (1866-1940) be­saß zu­min­dest ein Kla­vier, ob sie auch Un­ter­richt er­hielt, ist nicht be­kannt. Zwei wei­te­re Schwes­tern star­ben im Klein­kind­al­ter.[1] Blech er­zähl­te spä­ter in ei­nem sei­ner In­ter­views die Ge­schich­te, wie er als klei­ner Jun­ge sei­ne Brü­der bei de­ren Un­ter­richt be­lauscht und sich an­schlie­ßend ans Kla­vier ge­setzt und die Stü­cke nach­ge­spielt ha­be. Sein Ta­lent muss die El­tern so über­zeugt ha­ben, dass sie ei­nes Ta­ges mit dem knapp 5-jäh­ri­gen Sohn nach Köln fuh­ren, um ih­n Fer­di­nand Hil­ler (1811-1885), dem Städ­ti­schen Mu­sik­di­rek­tor und Di­rek­tor des Kon­ser­va­to­ri­ums, vor­zu­stel­len. Auf des­sen An­ra­ten er­hielt nun auch Leo Blech re­gel­mä­ßi­gen Kla­vier­un­ter­richt und trat be­reits als 7-Jäh­ri­ger öf­fent­lich in sei­ner Va­ter­stadt auf. Nach En­de der Schul­zeit muss­te der 16-Jäh­ri­ge ei­ne kauf­män­ni­sche Leh­re ab­sol­vie­ren.

 

Sei­ne Lie­be ge­hör­te aber wei­ter­hin der Mu­sik, und so ent­stan­den wäh­rend der Aus­bil­dung ers­te Kom­po­si­tio­nen; die­se und die aus­drück­li­che Emp­feh­lung des Hil­ler-Nach­fol­gers Franz Wüll­ner (1832-1902) wa­ren aus­schlag­ge­bend da­für, dass die El­tern der Auf­nah­me ei­nes Mu­sik­stu­di­ums zu­stimm­ten, das er 1891 an der Hoch­schu­le für Mu­sik in Ber­lin auf­nahm. Sei­ne Leh­rer wa­ren Ernst Ru­dorff (1840-1916), bei dem er sein Kla­vier­spiel ver­voll­komm­ne­te und Wol­de­mar Bar­giel (1828-1897), der sei­nen Stu­den­ten für un­be­gabt hielt und des­sen Theo­rie­un­ter­richt eher ab­schre­ckend wirk­te. So nutz­te der jun­ge Blech je­de Ge­le­gen­heit, sich durch Opern- und Kon­zert­be­su­che au­to­di­dak­tisch wei­ter­zu­bil­den. Nach zwei Jah­ren brach er das Stu­di­um ent­täuscht ab und kehr­te zu den El­tern zu­rück. An­ge­regt durch den Aa­che­ner Mu­si­ka­li­en­händ­ler und Ver­le­ger Naus be­gann er mit der Kom­po­si­ti­on sei­ner ers­ten Oper „Agla­ja“ nach dem Li­bret­to des Aa­che­ner Li­te­ra­ten Da­vid Kun­hardt. Das Werk wur­de vom Aa­che­ner Thea­ter an­ge­nom­men, Blech 1893 als Zwei­ter Ka­pell­meis­ter en­ga­giert. Am 4.10.1893 de­bü­tier­te er als Di­ri­gent bei der Ur­auf­füh­rung sei­ner ei­ge­nen Oper. Das Pres­se­echo war groß und in­ter­na­tio­nal. Bis nach New York wur­de be­rich­tet, Kri­ti­ker ver­gli­chen ihn über­schwäng­lich mit Pie­tro Mas­ca­gni (1863-1945): „I am glad of the suc­cess of young Blech, who is the son of ra­ther poor peop­le, and I ho­pe for his sa­ke that one good com­po­ser at least will be born, bred and brought up at Aix-la-Cha­pel­le.”[2] Düs­sel­dorf und Augs­burg über­nah­men die Oper noch im glei­chen Jahr. Blech be­gann sei­ne zwei­te Oper „Che­ru­bi­na“, die am 21.12.1894 ur­auf­ge­führt wur­de. Bei­de be­zeich­ne­te er spä­ter als Ju­gend­sün­den.

Die Rol­le der Che­ru­bi­na sang die jun­ge So­pra­nis­tin Mar­tha Frank (1871-1962), Blechs spä­te­re Ehe­frau. Die Thea­ter­fe­ri­en 1894 ver­brach­te er grö­ß­ten­teils in Bay­reuth, wo er Ri­chard Wag­ners (1813-1883) Mu­sik­dra­men „Tann­häu­ser“, „Lo­hen­grin“ und „Par­si­fal“ hör­te, die ihn tief be­ein­druck­ten. Für die Sai­son 1894/1895 stu­dier­te er En­gel­bert Hum­per­dincks „Hän­sel und Gre­tel“ ein und be­schloss dar­auf­hin, den in Frank­furt am Main le­ben­den Kom­po­nis­ten um Un­ter­richt zu bit­ten. Die­ser war zwar nach Durch­sicht der ihm zu­ge­sand­ten Opern­par­ti­tu­ren der Mei­nung, Blech kön­ne nichts mehr von ihm ler­nen, ließ sich dann aber doch über­re­den. Die Thea­ter­fe­ri­en der Jah­re 1895 bis 1897 ver­brach­te Blech als Kom­po­si­ti­ons­schü­ler Hum­per­dincks in Frank­furt am Main.

Mitt­ler­wei­le war Blech zum Ers­ten Ka­pell­meis­ter auf­ge­stie­gen und hat­te be­reits ein gro­ßes Opern­re­per­toire di­ri­giert, als ihn An­ge­lo Neu­mann (1838-1910), Di­rek­tor des Neu­en Deut­schen Thea­ters in Prag, ein­lud, wäh­rend der Ers­ten Mai­fest­spie­le 1899 den „Lo­hen­grin“, „Tris­tan und Isol­de“ und „Die Meis­ter­sin­ger von Nürn­ber­g“ gast­wei­se zu di­ri­gie­ren; das tat er mit so gro­ßem Er­folg, dass Neu­mann ihn als Ers­ten Ka­pell­meis­ter ver­pflich­te­te.

Zu­vor hei­ra­te­te er am 20.5.1899 Mar­tha Frank, die eben­falls jü­di­scher Ab­stam­mung war. Sie be­ka­men zwei Kin­der, Wolf­gang (1904-1988) und Lui­se („Lis­l“, 1913-2006). Wolf­gang emi­grier­te 1936 nach Los An­ge­les, Lisl 1936 (1938?) nach Stock­holm, wo sie in zwei­ter Ehe den Ka­pell­meis­ter Her­bert Sand­berg (1902-1966) hei­ra­te­te. Bei Wolf­gangs Tau­fe im Jahr 1904 wur­de die Kon­fes­si­on bei­der El­tern als evan­ge­lisch an­ge­ge­ben. Wäh­rend Mar­tha be­reits evan­ge­lisch ge­tauft wor­den war, ließ sich Leo erst im Früh­jahr 1904, kurz vor der Ge­burt sei­nes Soh­nes, in Prag tau­fen.

Leo Blech als Schüler im Jahr 1880. (Archiv der Walter A. Berendsohn Forschungsstelle für Exilliteratur, Hamburg)

 

Blech trat sein En­ga­ge­ment in Prag im Sep­tem­ber 1899 mit sei­ner Ehe­frau Mar­tha an, die als So­pra­nis­tin an­ge­stellt wur­de. Dort blieb er bis 1906; wäh­rend die­ser Zeit setz­te er sich für die Wer­ke zeit­ge­nös­si­scher Kom­po­nis­ten ein; nicht zu­letzt wa­ren drei sei­ner ei­ge­nen Opern im Re­per­toire, dar­un­ter „Aschen­brö­del“ (Ur­auf­füh­rung 26.12.1905), auch zwei sei­ner Or­ches­ter­wer­ke wur­den un­ter sei­ner Lei­tung in Prag ur­auf­ge­führt. In Prag ent­stan­den die Opern „Das war ich!“ (Ur­auf­füh­rung 6.9.1902) und „Al­pen­kö­nig und Men­schen­fein­d“ (Ur­auf­füh­rung 1.10.1903), bei­de in Dres­den un­ter Ernst von Schuch (1846-1914) ur­auf­ge­führt und bei­de durch­schla­gen­de Büh­nen­er­fol­ge, die sich in den fol­gen­den Jah­ren rasch über die deut­schen Büh­nen ver­brei­te­ten und im Re­per­toire hiel­ten. Blechs An­se­hen als Kom­po­nist und Di­ri­gent stieg und mit ihm der Ruf der Pra­ger Oper und des Pra­ger Or­ches­ters.

1906 warb ihn die Ber­li­ner Hof­oper (heu­te Staats­oper Un­ter den Lin­den) ab – in Prag ließ man ihn nur un­gern ge­hen. Sein Ber­li­ner De­büt gab er mit ei­ner völ­li­gen Neu­ein­stu­die­rung von Ge­or­ge Bi­zets (1838-1875) „Car­men“ (die er im Lau­fe sei­nes Di­ri­gen­ten­le­bens fast 700-mal di­ri­gie­ren soll­te). Die­se und al­le sei­ne Auf­füh­run­gen wa­ren glän­zen­de Er­fol­ge bei Pu­bli­kum, Pres­se und beim En­sem­ble – die­ser Er­folg zog sich durch sein gan­zes Di­ri­gen­ten­le­ben, egal wo er auf­trat. Sein Kol­le­ge Ri­chard Strauss (1864-1949), den er schon in Prag ken­nen­ge­lernt hat­te, ließ bis weit in die 1920er Jah­re al­le Ber­li­ner Pre­mie­ren sei­ner Wer­ke von Blech di­ri­gie­ren. In Ber­lin ent­stand der ko­mi­sche Ein­ak­ter „Ver­sie­gel­t“ (Ur­auf­füh­rung 1908 in Ham­burg). Im Jahr 1913 er­nann­te ihn Kai­ser Wil­helm II. (Re­gent­schaft 1888-1918) zum Kö­nig­lich Preu­ßi­schen Ge­ne­ral­mu­sik­di­rek­tor auf Le­bens­zeit, ei­ne Aus­zeich­nung, auf die er zeit­le­bens stolz war, und die ihm ver­mut­lich in den 1930er Jah­ren das Le­ben ge­ret­tet hat.

Von Ja­nu­ar bis April 1923 un­ter­nahm er zu­sam­men mit Ge­org Hart­mann (1862-1936) mit ei­ner 200-köp­fi­gen Wag­ner Ope­ra Fes­ti­val Com­pa­ny die ers­te USA-Tour­nee ei­nes deut­schen Or­ches­ters, künst­le­risch ein Er­folg, fi­nan­zi­ell eher ein De­sas­ter.

Leo Blech, Aglaja, Aachen 1893. Titelseite des Klavierauszugs. (Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt am Main, Sammlung Humperdinck 269)

 

Nach Span­nun­gen mit dem In­ten­dan­ten Max von Schil­lings (1868-1933) ver­ließ er im Jahr 1923 vor­über­ge­hend die Ber­li­ner Staats­oper, an die er 1926 nach Zwi­schen­sta­tio­nen als Ge­ne­ral­mu­sik­di­rek­tor des Deut­schen Opern­hau­ses Ber­lin (1923-1924), als Di­ri­gent an der Ber­li­ner Volks­oper, an der Wie­ner Volks­oper (1925) und der Kö­nig­li­chen Oper Stock­holm (1925/1926) – auf Be­trei­ben Erich Klei­bers (1890-1956) um­ju­belt zu­rück­kehr­te. An der Staats­oper Ber­lin blieb er bis 1937 – bei dau­er­haf­ten Ver­pflich­tun­gen an der Städ­ti­schen Oper Char­lot­ten­burg, bei den Stutt­gar­ter Phil­har­mo­ni­kern, meh­re­ren Kon­zer­ten in Mos­kau so­wie ein­zel­nen Auf­trit­ten an fast al­len gro­ßen Häu­sern in Deutsch­land. Über 2.600 Aben­de hat er an „sei­ner“ Oper di­ri­giert.

Die Macht­über­nah­me der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten am 30.1.1933 wirk­te sich auch auf die pro­gram­ma­ti­sche und per­so­nel­le Aus­stat­tung der Staats­oper aus. Im Ge­gen­satz zu den meis­ten sei­ner jü­di­schen Kol­le­gen, die ent­las­sen wur­den, hat­te Blech zu­nächst Glück: Da Her­mann Gö­ring (1893-1946) als preu­ßi­scher Mi­nis­ter­prä­si­dent den in­ter­na­tio­na­len Ruf der Ber­li­ner Staats­oper be­kräf­ti­gen woll­te, war er auf über­ra­gen­de Mu­si­ker an­ge­wie­sen und ließ Blech, un­ge­ach­tet der Tat­sa­che, dass er jü­di­scher Ab­stam­mung war, im Amt. Auch das Ver­hand­lungs­ge­schick des In­ten­dan­ten Heinz Ti­et­jen (1881-1967) spiel­te hier­bei ei­ne ent­schei­den­de Rol­le. Im Jahr 1937 wur­de Blech dann doch, auf Druck an­de­rer NS-Grö­ßen, ent­las­sen, of­fi­zi­ell als Pen­sio­nie­rung ka­schiert. Noch im Som­mer un­ter­zeich­ne­te er ei­nen Ver­trag mit der Na­tio­nal­oper Ri­ga, die ihn ab Ja­nu­ar 1938 für vier Mo­na­te als Di­ri­gent ver­pflich­te­te. Ob die Ab­rei­se mit sei­ner Frau nach Ri­ga be­reits zu die­sem Zeit­punkt als be­wuss­te Emi­gra­ti­on ge­plant war, ist frag­lich. Wahr­schein­li­cher ist, dass er we­gen War­nun­gen aus Ber­lin nicht mehr dort­hin zu­rück­kehr­te. Ins­ge­samt vier Sai­sons di­ri­gier­te er, auch wäh­rend der so­wje­ti­schen Be­sat­zung Lett­lands, an der Ri­ga­er Oper und sorg­te für vol­les Haus und en­thu­si­as­ti­sches Pu­bli­kum. Zwi­schen­durch be­geis­ter­te er das Kon­zert­pu­bli­kum in Tal­linn, Mos­kau und Le­nin­grad. Er un­ter­rich­te­te am Ri­ga­er Kon­ser­va­to­ri­um, ei­ner sei­ner Schü­ler war der Di­ri­gent Ar­vid Jan­sons (1914-1984).

Leo Blech im Jahr 1925, Porträt von Nicola Perscheid. (Gemeinfrei/Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, https://sammlungonline.mkg-hamburg.de/de/object/Leo-Blech---Generalmusikdirektor-und-Komponist-/P1976.857.931/mkg-e00136643?s=perscheid+blech&h=0)

 

1941 be­setz­ten deut­sche Trup­pen das Bal­ti­kum. Dem Ehe­paar Blech droh­te der Um­zug ins Ri­ga­er Ghet­to. Wie­der mit Un­ter­stüt­zung aus Ber­lin durch Heinz Ti­et­jen ge­lang ihm die Flucht. Auch über die­se Flucht gibt es wi­der­sprüch­li­che Dar­stel­lun­gen. Fest steht, dass bei­de (über Ber­lin?) nach Stock­holm emi­grier­ten, wo die Toch­ter Lui­se und der Schwie­ger­sohn Her­bert Sand­berg mit der neu­ge­bo­re­nen En­ke­lin leb­ten. Blech, der seit 1925 fast je­de Sai­son an der Stock­hol­mer Oper di­ri­giert hat­te und be­reits 1935 zum Hof­ka­pell­meis­ter er­nannt wor­den war, wur­de in Stock­holm mit of­fe­nen Ar­men emp­fan­gen und lei­te­te bis zu sei­ner Rück­kehr nach Ber­lin knapp 500 glanz­vol­le Vor­stel­lun­gen im Opern­haus. Aber das Heim­weh nach Ber­lin war stark, und so folg­te er im Jahr 1949 dem Ruf Ti­et­jens an die Städ­ti­sche Oper (Deut­sche Oper) – „sei­ne“ Lin­den­oper lag im Ost­teil der Stadt – wo er bis 1953 di­ri­gier­te. Die Ber­li­ner be­rei­te­ten ihm wie­der­um ei­nen be­geis­ter­ten Emp­fang. Die Schre­cken der NS-Zeit, die Um­stän­de des Exils, blen­de­te er in Ge­sprä­chen aus, ein­mal nann­te er sie „die feh­len­den zehn Jah­re“.

Die letz­ten Jah­re sei­nes Le­bens ver­brach­te er mit sei­ner Frau in ei­ner Neu­bau­woh­nung im Ber­li­ner Han­sa­vier­tel. Er wid­me­te sich wei­ter dem Par­ti­tur­stu­di­um und „ließ vor sei­nen treu­en Be­su­chern den tro­cke­nen Witz ei­nes welt­män­ni­schen Geis­tes und den me­lo­di­schen Hu­mor sei­ner rhei­ni­schen Hei­mat leuch­ten.“[3] Zeit­zeu­gen be­rich­ten, dass mit zu­neh­men­dem Al­ter sein „Öcher“ Ton­fall stär­ker wur­de. Leo Blech starb am 25.8.1958 in sei­ner Woh­nung; er wur­de in ei­nem Eh­ren­grab auf dem Wald­fried­hof Heer­stra­ße bei­ge­setzt; sei­ne 1962 ver­stor­be­ne Frau Mar­tha wur­de dort ne­ben ihm be­stat­tet.

Je­mand schrieb ein­mal, dass Leo Blech rhei­ni­schen Hu­mor mit preu­ßi­scher Stren­ge kom­bi­nie­re. Er stell­te ho­he An­sprü­che an sich, aber auch an sei­ne Mu­si­ker. Sei­ne Pro­ben wa­ren Mus­ter­bei­spie­le kon­zen­trier­ten ge­straff­ten Ar­bei­tens. Wenn ein Mu­si­ker oder ei­ne Sän­ge­rin nicht sei­nen Vor­stel­lun­gen ent­sprach, schick­te er in der Pau­se klei­ne Zet­tel („Bil­let­te“) in die Künst­ler­gar­de­ro­be; dar­auf konn­te nur ein ein­zi­ges Wort ste­hen, zum Bei­spiel „PFUI !!!“. Er wird als be­gna­de­ter Or­ches­ter­erzie­her ge­schil­dert. Das Er­geb­nis die­ser stren­gen Er­zie­hung sind Auf­nah­men von ei­ner Le­ben­dig­keit und Fri­sche, die selbst auf über 100 Jah­re al­ten Auf­nah­men noch „rü­ber­komm­t“. „Er di­ri­gier­te nicht nur, was in der Par­ti­tur steht, er ließ auch das, was nicht in den No­ten steht, auf die Büh­ne her­über­strah­len. Er ge­hört in die Rei­he der Ka­pell­meis­ter von in­ter­na­tio­na­lem Ruf.“[4] 

Der neu­en Tech­nik und den neu­en Me­di­en ge­gen­über war Leo Blech stets auf­ge­schlos­sen. Be­reits 1911 spiel­te er ei­ge­ne Kla­vier­be­ar­bei­tun­gen von Aus­zü­gen aus Opern von Bi­zet, Wag­ner und Hum­per­dinck auf No­ten­rol­len für me­cha­ni­sches Kla­vier ein (La­bel Vir­tuo­la). Im Som­mer 1916, mit­ten im Ers­ten Welt­krieg, nahm er mit der Ber­li­ner Kö­nig­li­chen Ka­pel­le die ers­ten Schall­plat­ten für die Deut­sche Gram­mo­phon AG auf. Rund 1.200 wei­te­re Auf­nah­men mit un­ter­schied­li­chen Or­ches­tern las­sen sich bis heu­te nach­wei­sen.

Reklame der Schallplattenfirma Electrola aus dem Jahr 1931. (Anzeige in verschiedenen Programmheften und Festschriften)

 

Auch im neu­en Me­di­um Rund­funk war er zu hö­ren: 1926 wur­de Jac­ques Of­fen­bachs „Or­pheus in der Un­ter­welt“ un­ter der Lei­tung von Blech in der Funk­stun­de über­tra­gen. Für den Jah­res­be­ginn 1927 stu­dier­te er „Die Fle­der­maus“ von Jo­hann Strauß (1825-1899) für die Über­tra­gung ein, 1929 spielt er sei­ne Ope­ret­te „Die Stroh­wit­we“ für die Süd­deut­sche Rund­funk AG (SÜR­AG) in Stutt­gart ein. Und 1932 ist er mit sei­nem Or­ches­ter in ei­nem Ton­film bei der Auf­füh­rung der Meis­ter­sin­ger-Ou­ver­tü­re zu se­hen. Er stell­te sich auch als Wer­be­ge­sicht zum Bei­spiel für Gram­mo­pho­ne oder Au­to­mo­bi­le zur Ver­fü­gung, eben­so für ein Zi­ga­ret­ten­sam­mel­bild.

We­gen sei­ner jü­di­schen Her­kunft ver­schwan­den sei­ne Auf­nah­men En­de der 1930er Jah­re aus den Schall­plat­ten­ka­ta­lo­gen und sei­ne Wer­ke von den Büh­nen und aus den Kon­zert­pro­gram­men. Sie wur­den fast lü­cken­los in das 1940 er­schie­ne­ne „Le­xi­kon der Ju­den in der Mu­si­k“ auf­ge­nom­men.

Un­ter zahl­rei­chen Eh­run­gen sind der Pro­fes­so­ren­ti­tel an der Hoch­schu­le für Mu­sik Ber­lin (an­läss­lich des 80. Ge­burts­tags 1951), das Gro­ße Ver­dienst­kreuz der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land (1953) und das Gro­ße Bun­des­ver­dienst­kreuz mit Stern (an­läss­lich des 85. Ge­burts­ta­ges 1956) her­vor­zu­he­ben. An­sons­ten tun sich Leo Blechs Ge­burts­stadt Aa­chen und sei­ne Wahl­hei­mat Ber­lin schwer mit dem An­denken an den gro­ßen Künst­ler. In Ber­lin er­in­nert ein schä­bi­ger Platz an ihn, die Pla­ket­te an sei­nem Wohn­haus in der Momm­sen­stra­ße trägt das fal­sche Ge­burts­da­tum. Die Deut­sche Oper er­wähnt ihn nicht ein­mal auf ih­rer Web­sei­te. In Aa­chen trägt ei­ne Sack­gas­se in ei­nem Au­ßen­be­zirk sei­nen Na­men. Der Rat der Stadt Aa­chen be­schloss im März 2012, dass „in­ner­halb der Räum­lich­kei­ten von Thea­ter und Mu­sik­di­rek­ti­on […] nach ei­ner ge­eig­ne­ten Mög­lich­keit für ei­ne Eh­rung des Aa­che­ner Kom­po­nis­ten und Di­ri­gen­ten Leo Blech ge­sucht wer­den“ müs­se. Die­se sucht man bis heu­te ver­ge­bens (Stand Ja­nu­ar 2021).

Telegramm von Erich Kleiber an Leo Blech in Stockholm, Foto: Jutta Lambrecht. (Privatbesitz)

 

Im Jahr 2013 ließ die Se­nats­ver­wal­tung Ber­lin das Eh­ren­grab Blechs auf­he­ben, sein Grab­stein wur­de ab­ge­sägt und das Grab neu be­legt. Dank der In­itia­ti­ve ei­ni­ger Mu­sik­freun­de wur­de der Grab­stein auf ei­nem ge­gen­über lie­gen­den Ra­sen­stück wie­der auf­ge­rich­tet und wird nun re­gel­mä­ßig ge­pflegt. Die durch die Ak­ti­on „Ble­chen für Blech“ fi­nan­zier­te Jü­di­sche Mi­nia­tur über Leo Blech (2015) führ­te zu ei­nem neu­en In­ter­es­se an dem Kom­po­nis­ten und Di­ri­gen­ten. Sein von Bernd Alois Zim­mer­mann in­stru­men­tier­tes Kla­vier­lied „Wie ist die Er­de doch schön“ wur­de 2017 vom WDR Sin­fo­nie­or­ches­ter Köln un­ter der Lei­tung von Heinz Hol­li­ger (ge­bo­ren 1939) ein­ge­spielt. Das Aa­che­ner Thea­ter hat an­läss­lich sei­nes 150. Ge­burts­tags vier Kon­zer­te mit Wer­ken von Blech in den Spiel­plan 2020/2021 auf­ge­nom­men, fer­ner ei­ne kon­zer­tan­te Auf­nah­me von „Al­pen­kö­nig und Men­schen­fein­d“ ge­plant. Ge­plant ist eben­falls die Wie­der­her­stel­lung der Eh­ren­mit­glied­schaft des Thea­ters, die Blech von 1931-1937 in­ne­hat­te.

Ei­ne spä­te post­hu­me Eh­rung er­fuhr Blech im Som­mer 2020, als Mit­glie­der „sei­nes Or­ches­ter­s“, die Blech­blä­ser der Ber­li­ner Staats­ka­pel­le, ih­rem Chef in ei­ner Rei­he von Hof­kon­zer­ten wäh­rend der Co­ro­na-Pan­de­mie im In­nen­hof sei­nes ehe­ma­li­gen Wohn­hau­ses in der Momm­sen­stra­ße ein Ständ­chen brach­ten.

Werke (Auswahl)

Opern

Agla­ja (Ur­auf­füh­rung 1893)
Che­ru­bi­na (Ur­auf­füh­rung 1894)
Das war ich (Ur­auf­füh­rung 1902)
Al­pen­kö­nig und Men­schen­feind (Ur­auf­füh­rung 1903)
Aschen­brö­del (Ur­auf­füh­rung 1905)
Ver­sie­gelt (Ur­auf­füh­rung 1908)
Rap­pel­kopf (Ber­li­ner Fas­sung von „Al­pen­kö­nig und Men­schen­fein­d“, Ur­auf­füh­rung 1917)

Ope­ret­te
 
Die Stroh­wit­we (Ur­auf­füh­rung 1920)

Da­ne­ben schrieb Blech Or­ches­ter­wer­ke und ei­ne drei­stel­li­ge Zahl von Lie­dern, von de­nen be­son­ders die „Lied­chen, gro­ßen und klei­nen Kin­dern vor­zu­sin­gen“ (sechs Fol­gen, 1913-1926) her­vor­zu­he­ben sind. Da­nach kom­po­nier­te er nicht mehr, weil er „nichts mehr zu sa­gen hat­te“. 1932 in­stru­men­tier­te und voll­ende­te er Eu­gen d’Al­berts (1864-1932) Oper „Mis­ter Wu“. Bei­na­he hät­te Blech auch als Film­kom­po­nist re­üs­siert; so wur­de zum Bei­spiel der Wunsch an ihn her­an­ge­tra­gen, die Mu­sik zu dem Film „Das Weib des Pha­rao“ (1922) von Ernst Lubitsch (1892-1947) zu kom­po­nie­ren. Blech muss­te aus Zeit­man­gel ab­leh­nen. Den Auf­trag er­hielt dann Edu­ard Kün­ne­ke. 

Nachlass

Tei­le des Nach­las­ses be­fin­den sich im Ar­chiv der Kö­nig­li­chen Oper Stock­holm, der Staats­bi­blio­thek zu Ber­lin, der Aka­de­mie der Küns­te in Ber­lin und im Fa­mi­li­en­be­sitz.
 
Der Ver­fas­ser ei­ner Dis­ser­ta­ti­on über Blech hat in den 1980er Jah­ren von der Toch­ter wert­vol­le Quel­len wie Di­ri­gier­par­ti­tu­ren, Be­leg­par­ti­tu­ren ei­ge­ner Kom­po­si­tio­nen, Ur­kun­den und ei­ne drei­stel­li­ge An­zahl von hand­schrift­li­chen Brie­fen Leo Blechs zur Ver­fü­gung ge­stellt be­kom­men, die er der Fa­mi­lie nicht zu­rück­gab. Sie tauch­ten vor ei­ni­ger Zeit im An­ti­qua­ri­ats­han­del auf. Nach län­ge­ren Ver­hand­lun­gen wur­den zu­min­dest die Brie­fe und ein Ta­ge­buch auf An­ord­nung der Blech-En­ke­lin An­fang No­vem­ber 2020 der Ver­fas­se­rin die­ses Bei­trags über­ge­ben. Die Par­ti­tu­ren wa­ren schon ver­kauft. Die eng­ge­schrie­be­nen Brie­fe aus­zu­wer­ten, bleibt Auf­ga­be für ei­ne spä­te­re Pu­bli­ka­ti­on. 

Literatur (Auswahl)

Ja­cob, Wal­ter (Hg.), Leo Blech: ein Bre­vier an­lä­ß­lich des 60. Ge­burts­ta­ges, Ham­burg 1931. 
 
Blech, Leo, Ich war Ka­pell­meis­ter des Kö­nigs, in: Ra­dio-Re­vue 1955, Heft 13–22, Ber­lin. 
 
Poch, Wolf­gang, Leo Blech: ein Bei­trag zur Ber­li­ner Thea­ter­ge­schich­te un­ter be­son­de­rer Be­rück­sich­ti­gung der mu­sik­dra­ma­tur­gi­schen Ein­rich­tun­gen und der Spiel­plan­po­li­tik Leo Blechs, Diss. Freie Uni­ver­si­tät Ber­lin, 1985. Lam­brecht, Jut­ta (Hg.), Leo Blech. Kom­po­nist – Ka­pell­meis­ter – Ge­ne­ral­mu­sik­di­rek­tor, Ber­lin, 2015.

(In Vor­be­rei­tung) Lam­brecht, Jut­ta, Leo Blech, in: Deut­sche Bio­gra­phie 2021 (on­line Deut­sche-Bio­gra­phie.de)

(In Vor­be­rei­tung) Lam­brecht, Jut­ta, Leo Blech, Mün­chen 2025.

Online

Seit 2014 hat Leo Blech ei­nen ei­ge­nen Face­book Ac­count mit In­ter­es­san­tem und Wis­sens­wer­tem rund um sei­ne Per­son.

Grabstein von Leo und Martha Blech auf dem Friedhof Heerstraße, Berlin, Dezember 2020, Foto: Jutta Lambrecht.

 
Anmerkungen
  • 1: Eine ehemaligen Nachbarin (92 J.), die als Kind mit ihrer Familie auf der selben Etage wie Selma Blech und ihrer Haushälterin wohnte (im Holzgraben), durfte das Klavier benutzen und hat es später übernommen. Sie kann sich aber aber nicht erinnern, daß Selma Blech selbst Klavier gespielt hat. (Interview vom 12.03.2021). Das Auftauchen neuer Quellen macht es erforderlich, diesen Artikel knapp vier Wochen nach seiner Veröffentlichung zu aktualisieren. Es wird vermutlich nicht die letzte Aktualisierung bleiben. (20.03.2021)
  • 2: The Musical Courier 27, Nr. 18, 1.11.1893.
  • 3: Josef Müller-Marein, Nachruf in: Die Zeit, August 1958.
  • 4: J.S., Leo Blech zum Gedenken, in: Breslauer Nachrichten, Nr. 16, Folge 3, 1961, [S. 2].
Zitationshinweis

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Lambrecht, Jutta, Leo Blech, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/leo-blech/DE-2086/lido/6024fc518fd2d0.01069382 (abgerufen am 04.06.2023)