Zu den Kapiteln
Paul Egon Hübinger verstand sich als Historiker, war aber zudem einer der wichtigsten Wissenschaftspolitiker der frühen Jahre der Bundesrepublik Deutschland.
Am 4.2.1911 wurde Paul Egon Hübinger in Düsseldorf als Sohn des Gymnasiallehrers Dr. phil. Anton Hübinger geboren. Seine Schulzeit fiel in die unruhige Zeit der Weimarer Republik. Als 1925 die tausendjährige Zugehörigkeit der Rheinlande zum Reich gefeiert wurde, machte Hübinger sich die damalige Begeisterung für das deutsche Vaterland zu eigen. Dennoch erkannte er schon früh, dass eine enge deutsch-französische Zusammenarbeit für die Zukunft Europas entscheidend sein würde und man sich auf das gemeinsame Erbe besinnen solle. Sein Interesse an Frankreich führte dazu, dass er sich nach seinem Abitur 1929 entschloss, Romanistik und Geschichte zu studieren. Da er zunächst Lehrer an einer Höheren Schule werden wollte, wählte er als weiteres Fach Deutsch hinzu. Bis auf ein Semester in München 1930 und ein Semester in Paris 1930/1931 verbrachte er die Hauptstudienzeit in Bonn. Dort gehörte er dem nichtfarbentragenden katholischen Studentenverein „Arminia“ im KV an. Auch sein Vater war KVer gewesen. Als akademische Lehrer beeinflussten Hübinger stark sein späterer Doktorvater, der Mittelalterhistoriker und renommierte Erforscher hagiographischer Quellen Wilhelm Levison und der Romanist Ernst Robert Curtius, der sich um ein Verständnis der französischen Kultur in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg bemühte.
1935 wurde Hübinger mit einer Arbeit über die „weltlichen Beziehungen der Kirche von Verdun zu den Rheinlanden“ promoviert. Ein Jahr später legte er das Staatsexamen für das Höhere Lehramt ab. Danach entschloss er sich, Archivar zu werden. Diese Laufbahn war als Refugium gedacht, da an eine Karriere als Hochschullehrer, die Hübinger inzwischen ins Auge gefasst hatte, als bekennender Katholik und Schüler eines jüdischen Professors nicht mehr zu denken war. 1937 ging er wie sein Freund Theodor Schieffer an das Institut für Archivwissenschaft nach Berlin-Dahlem. Dort legte er sein Zweites Staatsexamen ab und nahm 1939 die Tätigkeit als Archivar am Staatsarchiv Koblenz auf. Wegen eines Herzfehlers und eines Kniescheibenbruchs blieb er 1940 nach einer kurzen Etappe von zwei Monaten zunächst vom Militärdienst befreit. Trotz spürbarem Druck weigerte er sich, der NSDAP beizutreten.
1939/1940 hatte Hübinger die Schriftleitung der „Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein“ übernommen, denen Aufsätze mit nationalsozialistischer Ideologie erst gar nicht angeboten wurden, weil ihre Autoren fürchten mussten, dass sie abgelehnt worden wären. Für die Nationalsozialisten galt die Zeitschrift als „klerikales Organ“ (U. Pfeil).
1943 gelang es Hübinger, auf Grund einiger Aufsätze zur rheinischen und lothringischen Geschichte nach Einholung mehrerer positiver Gutachten, unter anderem von dem in Bonn lehrenden Max Braubach, den Grad eines Dr. phil. habil. an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu erwerben. Eine Dozentur wurde ihm freilich verwehrt, da er weder der NSDAP noch einer ihrer Untergliederungen angehörte. Die NS-Gauleitung „Moselland“ führte diese Abstinenz auf „seine starke konfessionelle Bindung“ zurück. Die NS-Dozentenschaft lehnte ihn aus gleichen Gründen ab. Als Mitarbeiter der „Annalen“, die von einem Verein mit vielen katholischen Priestern als Mitglieder herausgegeben würde, sei ein enges Verhältnis zur katholischen Kirche wahrscheinlich. Als der Bonner Universitätsrektor Karl Chudoba (1898-1976) ihn aufforderte, sich dazu zu äußern, entwickelte er „akrobatische Argumentationsstrategien, um sein Nichtmitgliedschaft in der NSDAP zu begründen“ (U. Pfeil). Chudoba zeigte sich beeindruckt und teilte der Gauleitung mit, eine Gegnerschaft Hübingers gegenüber dem Nationalsozialismus sei „nicht mehr feststellbar“ und beantragte erneut eine Dozentur für Hübinger. Dazu ist es nicht mehr gekommen, Hübinger musste ab Oktober 1943 in der Wehrmacht dienen.
Nach dem Krieg wurde er von Juni bis Oktober 1945 Persönlicher Referent des Oberpräsidenten der Rheinprovinz Hans Fuchs. Nach dessen Entlassung durch die Briten im Oktober 1945 übernahm Hübinger ab dem Wintersemester 1945/1946 eine bezahlte Dozentur an der Universität Bonn. Von hier ging er von 1947 bis 1948 für ein Jahr an die englische Universität Cambridge. 1950 erhielt er in Bonn ein Extraordinariat und 1951 im westfälischen Münster einen ordentlichen Lehrstuhl. 1954 wechselte er in das Bundesinnenministerium, wo er die Leitung der Kulturabteilung übernahm. Dort widmete er sich neben anderem dem Auf- und Ausbau des Bundesarchivs in Koblenz, der Gründung des Instituts für Zeitgeschichte in München und des Centre allemand de recherches historiques in Paris, dem Vorläufer des heutigen Deutschen Historischen Instituts. Dessen Leitung zu übernehmen, lehnte er 1969 ab. Wegen seiner Verdienste um die deutsch-französische Aussöhnung wurde er mit der Mitgliedschaft in der französischen Ehrenlegion geehrt. 1986 erhielt er das Große Bundesverdienstkreuz.
Obgleich Hübinger im Ministerium erfolgreich Kulturpolitik betrieb, nahm er 1959 einen Ruf an die Universität Bonn auf einen Lehrstuhl für mittelalterliche und neuere Geschichte an, der durch den Tod von Willy Flach (1903-1958) frei geworden war. Hübinger hielt seine Vorlesungen, ohne von einem Manuskript abzulesen. Dadurch wurde sein Vortrag höchst lebendig. Dabei kam ihm seine Sprachgewandtheit zu gute. In seinen Seminaren leitete er die Teilnehmer, deren Zahl er bewusst klein hielt, an, wissenschaftliche Probleme zu erörtern und keine vorgefertigten Ausarbeitungen zu verlesen. Er war „ein begeisterter und begeisternder Lehrer“ (R. Kottje). Bei ihm wie anderen Kollegen am Historischen Seminar stand im Vordergrund, eine Führungsschicht für die Archiv-, Bibliotheks- und Hochschullaufbahn heranzubilden. Bekannt waren Hübingers „Postseminare“, zu denen man sich nach dem Seminar in einer Gaststätte traf und es recht fröhlich zuging. Hübinger glänzte dabei durch seine umfassende Allgemeinbildung und seine geistvollen Einfälle. Er liebte die Musen, die klassische Musik, die Dichtkunst und kannte „seinen Goethe“, in dessen Stil er „kunstvolle Distichen“ schreiben konnte (M. Pape).
Hübinger war verheiratet mit Jutta geborene Oehring (1912-1991). Aus der Ehe gingen vier Söhne hervor. Unter ihrem Mädchennamen publizierte Jutta Hübinger ab der Mitte der 1970er Jahre unter anderem Gedichte. Gut befreundet war sie mit der Journalistin und Schriftstellerin Vilma Sturm (1912-1995), einer der Mitbegründerinnen des Politischen Nachtgebetes in der Antoniterkirche in Köln.
Aufmerksam nahm Hübinger am politischen Leben teil. Nach 1945 verlangte er nachdrücklich eine „Revision des Gewissens“ und fühlte sich für eine Erziehung zur Demokratie verantwortlich. 1962 gehörte er zu den 63 Bonner Professoren, die sich an den Deutschen Bundestag wandten und sich „tief betroffen“ zeigten, über das, was im Zusammenhang mit den Maßnahmen gegen den ,Spiegel‛ über die damaligen innenpolitischen Zustände offenbar geworden sei.
Hübinger verstand sich zwar als Mediävist, war aber alles andere als fachlich einseitig. So beschäftigte er sich mit Grundsatzfragen der Geschichte und dem Geschichtsbild, schrieb eine stilistisch ausgefeilte Geschichte des Bonner Historischen Seminars und befasste sich in einer umfangreichen Untersuchung mit den Umständen, die zur Aberkennung der Ehrendoktorwürde Thomas Manns (1875-1955) durch die Bonner Universität am 19.12.1936 geführt hatten.
Hübinger hinterließ kein riesiges Oeuvre. Oft betonte er, nicht alles, was er an Vorträgen gehalten habe, müsse auch im Druck erscheinen. Er machte sich keine Illusionen darüber, wie schnell Veröffentlichungen überholt waren und lehnte ausdrücklich eine Festschrift für sich ab.
Bis 1985 hat Hübinger, obgleich Emeritus seit 1979, noch gelesen. Am 26.6.1987 starb er in Bonn. Damit endete das Leben „eines der bedeutendsten deutschen Wissenschaftspolitikers und Mediävisten“ der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg (U. Pfeil).
Schriften (Auswahl)
Die weltlichen Beziehungen der Kirche von Verdun zu den Rheinlanden, Bonn 1935.
1100 Jahre Stift und Essen (Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen 68), Essen 1952.
Spätantike und frühes Mittelalter, Darmstadt 1959, 4. Auflage 1977.
Das Historische Seminar der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn 1861-1961. Vorläufer - Gründung - Entwicklung. Ein Wegstück deutscher Universitätsgeschichte, Bonn 1963.
Die letzten Worte Papst Gregors VII., Opladen 1973.
Thomas Mann, die Universität Bonn und die Zeitgeschichte. Drei Kapitel deutscher Vergangenheit aus dem Leben eines Dichters 1905-1955, München/Wien 1974.
Libertas imperii - Libertas ecclesiae im Widerstreit. Ein bewegtes Kapitel aus der Geschichte von Maastricht, Lüttich und Aachen in den Tagen Kaiser Friedrichs II. und König Heinrichs, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 84/85 (1977/78), Teil 1, S. 71-128.
Gründung und Stifter des Vereins Beethoven-Haus, in: Divertimento für Hermann J. Abs, Bonn 1981, S. 135-228.
Ausgewählte Aufsätze und Vorträge. Beiträge zur Geschichte Europas und der Rheinlande in Mittelalter und Neuzeit, hg. von Magnus Ditsche und Raymund Kottje, Bonn 1990.
**_Nachrufe
** Ewig, Eugen, in: Jahrbuch der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, 1988, S. 40-44.
Kottje, Raymund, in: Bonner Universitäts-Nachrichten 170, November 1987, S. 33-34.
Kottje, Raymund, in: Historisches Jahrbuch 108 (1989), S. 512-515.
Lepper, Herbert, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 94/95 (1987/88), S. 535-537.
Repgen, Konrad [u .a.], In memoriam Paul-Egon Hübinger (Alma Mater. Beiträge zur Geschichte der Universität Bonn 68), Bonn 1988.
Schieffer, Theodor, in: Der Archivar 40 (1987), Sp. 637-639.** _**
Literatur
Kottje, Raymund, Paul-Egon Hübinger. Zu Lebensweg und-werk, in: Paul Egon Hübinger, Ausgewählte Aufsätze und Vorträge, S. XIII-XIX.
Pape, Michael, Von Preußen nach Westeuropa. Stephan Skalweit und die Bonner Geschichtswissenschaft 1947-1982, Bonn 2010.
Paul Egon Hübinger, in: Petersohn, Jürgen (Hg.), Der Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterische Geschichte. Die Mitglieder und ihr Werk. Eine bio-bibliographische Dokumentation, Stuttgart 2001, S. 199-203.
Pfeil, Ulrich, Die „Generation 1910“. Rheinisch-katholische Mediävisten vom „Dritten Reich“ zur Bundesrepublik, in: Geschichte im Westen 26 (2011), S. 61-87.
Pfeil, Ulrich, Paul Egon Hübinger. Vom Umgang mit dem Anpassungsdruck, in: Pfeil, Ulrich (Hg.), Das deutsche Historische Institut Paris und seine Gründungsväter. Ein personengeschichtlicher Ansatz, München 2007, S. 235-271.
Stump, Wolfgang, Hübinger, Paul Egon, in: Biographisches Lexikon des KV, Bd. 2, Schernfeld 1993, S. 63-64.
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Löhr, Wolfgang, Paul Egon Hübinger, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/paul-egon-huebinger/DE-2086/lido/57c8348427bfe2.18403696 (abgerufen am 04.10.2024)