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Aleydis Raiscop lebte in der Zeit des Übergangs vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit als Nonne im Benediktinerinnenkloster Rolandswerth (Nonnenwerth), einer Rheininsel, die heute zu Remagen gehört. Dort wirkte die herausragend gebildete Nonne als Schulmeisterin und betätigte sich literarisch. Johannes Butzbach nahm sie in sein Schriftstellerlexikon auf.
Das Kloster Rolandswerth war der Bursfelder Reformkongregation angeschlossen. Die Hauptquelle zu Leben und Wirken der Aleydis sind Schriften der Laacher Benediktiner Johannes Butzbach (1478-1516/17) und Jakob Siberti (1485-1519), literarisch aktive Gelehrte, die im Jahr nach Aleydis Tod Zugang zur Gruppe der Humanisten um den Sponheimer Abt Johannes Trithemius (1462-1516) fanden. Beide standen nach 1500 mit Aleydis in Verbindung.
Über Aleydis Lebensweg ist wenig bekannt. Sie selbst nannte sich „von ländlicher Herkunft“. Butzbach gibt an, dass sie aus der Stadt Goch stammte. Wieweit ein Verwandtschaftsverhältnis zur Familie des aus Uedem stammenden Heinrich Raiskop (gestorben 1455), der an der päpstlichen Kurie Karriere machte und schließlich Propst des Utrechter Domstifts wurde sowie seines gleichnamigen Neffen (um 1417/18-1483/84), Kanoniker des Stifts Xanten, bestand, muss offen bleiben.
Butzbach bezeichnet die Nonne als eine Jungfrau frommer Konversion und von Kindheit an Gott geweiht. Demnach hatten die Eltern, deren Namen nicht bekannt sind, den Klostereintritt schon früh angebahnt. Das Mädchen stimmte zu, als es herangewachsen war. Dem Rolandswerther Nekrolog ist zu entnehmen, dass Aleydis ihr Klosterleben nicht auf der Insel, sondern im Kloster St. Servatius in Hagenbusch bei Xanten begann. Nach Rolandswerth sei sie der Reform halber gekommen, gemeinsam mit einer gewissen Guda von dem Kamp, die das Amt der Priorin übernahm, während Aleydis Schulmeisterin wurde. Aleydis Raiscop starb am 15.12.1507 in Rolandswerth, wo sie auch begraben wurde.
Das Datum der erwähnten Reform, die für Aleydis nicht nur eine biographische Zäsur bedeutete, sondern auch einen Anhaltspunkt zur Schätzung ihres Lebensalters und ihrer Verweildauer in Hagenbusch böte, lässt sich nicht mehr sicher bestimmen. Da das Klosterarchiv von Rolandswerth im Neusser Krieg 1474/75 und noch später durch Brand, Kriegseinwirkung und Säkularisation große Verluste erlitten hat, ist man auf unpräzise Nachrichten aus Nekrologen und Klosterchroniken angewiesen. Deren Schreiberinnen bemühten sich im 17. und 18. Jahrhundert, die Geschichte ihres Klosters nach bestem Wissen zu rekonstruieren. Die Klosterhistoriographie datiert die Reform, die Aleydis Raiscop als Mitglied einer vierköpfigen Reformgruppe von Nonnen aus Hagenbusch und dem Kölner Kloster St. Agatha nach Rolandswerth brachte, auf 1465 oder 1466. Dazu passt die Angabe im Rolandswerther Nekrolog, dass der 1499 gestorbene Abt Adam Meyer von Groß St. Martin, der für die Reform verantwortlich war, ungefähr 35 Jahre geistlicher Kommissar von Rolandswerth gewesen sei. Dagegen stehen Quellen des Klosters Hagenbusch, die für die Reform in Rolandswerth das Jahr 1477 angeben.
Im Zuge von Reformvorhaben pflegte Abt Adam Meyer einige Klosterfrauen aus zuvor von ihm selbst reformierten und beaufsichtigten Klöstern zu berufen, damit diese die Reform in das nächste Kloster weitertrügen, indem sie den Konvent in die neue Lebensweise und Liturgie der Bursfelder Observanz einwiesen. Wie eine Urkunde belegt, führte Adam Meyer am 5.3.1465 eine solche Reformgruppe in Hagenbusch ein, wo damals nur sechs Benediktinerinnen lebten. Eine offene Frage ist, wann Aleydis Raiscop dort aufgenommen worden ist. Sollte sie tatsächlich schon kurze Zeit nach März 1465 von Hagenbusch nach Rolandswerth gewechselt sein, müsste sie damals bereits über eine mehrjährige Klosterausbildung verfügt haben. Andernfalls wäre sie kaum in der Lage gewesen, die Rolandswerther Nonnen zu schulen. Aleydis Biograph Karl Kossert vermutete, sie sei erst nach der Reform in Hagenbusch eingetreten. Ihr Geburtsjahr setzte er auf 1449 an, ging aber bei seiner Berechnung irrtümlich von einem Mindestalter von 16 Jahren für den Klostereintritt aus. Diese Altersgrenze war jedoch erst seit 1563 durch das Konzil von Trient vorgeschrieben.
In Bursfelder Nonnenklöstern galt für die Einkleidung zum Noviziat ein Mindestalter von 14 Jahren, denn unmündige Mädchen sollten keine bindenden Gelübde ablegen. Es war in der Epoche jedoch selbst in Reformklöstern üblich, Mädchen, die von ihren Familien zum geistlichen Leben bestimmt waren, mindestens zwei bis drei Jahre vor dem Noviziat aufzunehmen. Sie wurden in der Klosterschule erzogen, denn Mädchen war der Zugang zu Stadt- und Pfarrschulen verwehrt. Künftige Nonnen benötigten Kenntnisse der lateinischen Sprache, liturgischer Texte und der Evangelien, damit sie ihr liturgisches Offizium erfüllen konnten. Nach den Vorstellungen der Bursfelder sollten sie sogar lateinisch sprechen können, also ein hohes Niveau an Sprachkenntnissen erreichen. Den Rolandswerther Benediktinerinnen diente als Richtschnur für einen regelgetreuen Vollzug der Liturgie und des klösterlichen Lebens eine 1497 entstandene deutschsprachige Handschrift der Bursfelder Caeremoniae für Frauenklöster. Der Umstand, dass man in Rolandswerth eine Übersetzung benutzte, bedeutet indes nicht, dass es den Nonnen an lateinischen Sprachkenntnissen gemangelt hätte. Immerhin beherrschte ihre Schulmeisterin Aleydis Raiscop die Sprache so gut, dass sie fromme Schriften ins Lateinische übersetzen konnte, selbst lateinische Texte schrieb, mit gebildeten Männern korrespondierte und deren Bewunderung genoss. Sie muss überdies eine exegetische und theologische Ausbildung erfahren haben, da sie Homilien verfasste. Der Gewährsmann für ihr Schaffen ist Johannes Butzbach, der Aleydis in sein „Auctarium“ zu „De scriptoribus ecclesiasticis“ aufnahm. Es handelt sich um einen 1508 abgefassten Katalog mit Nachträgen bis 1513, der als Ergänzung des Katalogs kirchlicher Schriftsteller von Johannes Trithemius angelegt ist. Wie sehr Butzbach Aleydis Fähigkeiten und Schrifttum bewunderte, ist daran ablesbar, dass er sie in eine Reihe mit Hrotsvith von Gandersheim (um 935-nach 973), Hildegard von Bingen (um 1098-1179) und Elisabeth von Schönau (1129-1164) stellte. Da Aleydis Schriften fast alle verschollen sind, lässt sich die Qualität ihrer literarischen Arbeiten nicht mehr beurteilen. Dass Butzbach sie mit den genannten Autorinnen verglich, hängt wohl in erster Linie mit seiner Vorlage zusammen. Trithemius hatte die drei großen Autorinnen des 10. beziehungsweise 12. Jahrhunderts als Erster in den erwähnten, 1494 im Druck erschienenen Katalog aufgenommen - übrigens die einzigen Frauen unter 963 Autoren. Erst kurz vorher hatte der Humanist Konrad Celtis (1459-1508) die Dichtungen der Kanonisse Hrotsvith in der Bibliothek von St. Emmeram in Regensburg wieder aufgefunden. Ihre Texte waren Trithemius vor der Drucklegung seines Katalogs noch nicht zugänglich, während er die Werke der Benediktinerinnen Elisabeth von Schönau und Hildegard von Bingen gelesen hatte. So übertrieben Butzbachs Vergleich mit den berühmten Nonnen auch sein mag, spricht sein begeistertes Lob in jedem Fall für eine hohe Qualität von Aleydis Arbeiten und ihre überragende Lateinkenntnis und Bildung.
Johannes Butzbach widmete ihr seine Schrift „Über berühmte und gelehrte Frauen“ („De illustribus seu studiosis doctisque mulieribus“). Die Vorrede gestaltete er als Brief an die „fromme und gelehrte Mitschwester“, in dem er seine Bewunderung für deren Intelligenz, Fleiß und umfassende literarische Gelehrsamkeit ausdrückte. Er würdigte, dass Aleydis sich sowohl mit „menschlichen als auch mit göttlichen Schriften“ beschäftigte, damit bezeichnet sind klassische antike Schriftsteller einerseits, die lateinische Bibel und Kirchenväter andererseits. Sein Mitbruder Pater Thomas, Aleydis Beichtvater, und Pater Tilmann von Bonn hätten ihm davon berichtet. Gemeint ist Tilmann Haeck (1448-1514), der zwischen 1493 und November 1495 den Beichtvater in Rolandswerth unterstützte. Pater Tilmann hatte Butzbach auch den Traktat „De modo audiendi missam“ gezeigt, eine Schrift über die Frömmigkeit während der Messe, welche Aleydis auf Wunsch Abt Adam Meyers aus dem Deutschen ins Lateinische übersetzt hatte.
Weiter rühmte Butzbach die stilistische Eleganz ihrer Briefe an verschiedene Adressaten, namentlich sich selbst, seinen Schüler Jakob Siberti, den Prior Johann von Kond, den Zellerar Benedikt Fabri (um 1468-1517) und den päpstlichen Legaten Raimund Peraudi (1435-1505). Jener hatte sie 1503 in Rolandswerth erlebt und sei von der klassischen Latinität ihrer Schriften und ihrer Klugheit beeindruckt gewesen. Kenntnis von Aleydis Korrespondenz mit Dritten konnte Butzbach besitzen, weil es in der Epoche üblich war, Briefe in einem weiteren Personenkreis herumzureichen und vorzulesen. Gelehrte Briefe wurden häufig gesammelt und abgeschrieben. In seinem Katalog listet Butzbach außerdem noch sieben Homilien über den heiligen Paulus, einen Brief an Erzbischof Hermann IV. von Köln sowie diverse Briefe an ungenannte Korrespondenten auf.
Welche Themen erörterte Aleydis mit ihren Briefpartnern? Wie war es um die theologische Qualität ihrer Schrift zum Apostel Paulus bestellt? Beides bleibt verborgen, denn nach heutigem Wissensstand ist von Aleydis Schriften nur ein einziger Brief an Johannes Butzbach und Jakob Siberti vom 31.10.1506 in einer Sammelhandschrift mit Gedichten und Korrespondenz Sibertis (Universitäts- und Landesbibliothek Bonn, Hs S 247 Bl. 1v-2r) erhalten. Der Text, der ihre intellektuelle Vernetzung und Sprachbeherrschung bezeugt, ist im Duktus betont unterwürfig gehalten. In elegantem Latein stilisiert sich Aleydis darin als schwache und ungebildete Frau vom Land, die von den Adressaten mit ganz unverdientem Lob überschüttet werde. Zu diesem rhetorischen Bescheidenheitstopos gehört, dass sie die literarischen Werke und die Begabung ihrer Briefpartner als ihr weit überlegen hervorhebt. Inhaltlich belanglos zielt das stilvolle Schreiben darauf, die Zustellung von Abschriften religiöser Gedichte der beiden Mönche zu erbitten.
Aus Butzbachs Widmungsbrief ist bekannt, dass Benedikt Fabri Aleydis Lehrer in den „litterae humanitatis“ war, sie also mit den lateinischen Klassikern vertraut gemacht, auf die der Brief wiederholt anspielt, und zur Perfektion im Lateinischen gebracht hat. Benedikt Fabri ist um 1484 in Groß St. Martin in Köln eingetreten, etwa 1492 wurde er nach Laach entsandt. Die Verbindung zwischen Groß St. Martin und Rolandswerth legt es nahe, dass er schon von Köln aus mit Aleydis korrespondiert und Bücher ausgetauscht haben könnte. Ab 1493 sind dann Beziehungen zwischen der Abtei Laach und Rolandswerth bezeugt, die bis 1512 andauerten. Lehrer und Schülerin müssen eng befreundet gewesen sein, denn Benedikt Fabri wählte Aleydis als Widmungsträgerin für die meisten seiner Schriften, welche heute nur noch durch Butzbachs Auctarium bekannt sind. Auch Jakob Siberti, ausgebildet bei den Brüdern vom Gemeinsamen Leben in Emmerich, seit 1503 Mönch in Laach, widmete ihr Werke und dichtete im antikisierenden Stil über Aleydis, sein „Panegyricum ad Aleydem“ pries sie für ihre Tugend und ihr Bildungsstreben.
In der Literatur wird Aleydis Raiscop gelegentlich Humanistin genannt. Ihre Eloquenz und Literaturkenntnis ebenso wie die Korrespondenz mit entsprechend interessierten Mönchen berühren zwar Merkmale des Humanismus, die Bezeichnung ist aber unpassend. Denn Aleydis betrieb ihre Studien in dem begrenzten Rahmen, den ihre klösterliche Lebensform vorgab. Ihr Bildungsstreben war kein Selbstzweck, sondern stand unter dem Primat des Religiösen. Als Autorin und Übersetzerin behandelte sie geistliche Themen. Sprach- und Schreibfertigkeit dienten, selbst wenn sie an Literatur nicht christlicher Autoren der Antike eingeübt wurden, nicht zur intellektuellen Bereicherung, sondern als Hilfsmittel zum besseren Verständnis der Heiligen Schrift.
Schriften
Universitäts- und Landesbibliothek Bonn, Hs S 247 Bl. 1v- 2r.
Literatur
Ennen, Edith, Aleydis Raiscop, Klosterfrau und Humanistin, in: Becht, Hans-Peter/Schadt, Jörg (Hg.), Wirtschaft-Gesellschaft-Städte. Festschrift für Bernhard Kirchgässner zum 75. Geburtstag, Ubstadt-Weiher 1998, S. 137-138.
Floß, Heinrich Joseph, Das Kloster Rolandswerth, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 19, 1868, S. 76-219.
Hammer, Elke-Ursel, Monastische Reform zwischen Person und Institution. Zum Wirken des Abtes Adam Meyer von Groß St. Martin in Köln (1454-1499), Göttingen 2001.
Kossert, Karl, Aleydis Raiscop. Die Humanistin von Nonnenwerth, Witterschlick 1979.
Müller, Harald, Habit und Habitus. Mönche und Humanisten im Dialog, Tübingen 2006.
Schwester Paula [=Maria Paula Münster], Geschichte der Insel Nonnenwerth, 3. vermehrte u. umgearbeitete Auflage, Regensburg [um 1925].
Resmini, Bertram, Die Benediktinerabtei Laach, Berlin/New York 1993.
Schwarz, Brigide, Erfolg verpflichtet: Kurienkarriere, Pfründen und Stiftungsprojekte des Kanzleischreibers und Abbreviators de parco maiori Heinrich Raiskop, in: Wensky, Margret (Hg.), Uedem – eine kleine Stadt im Herzogtum Kleve, Uedem 2020, S. 91-111.
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Ostrowitzki, Anja, Aleydis Raiscop, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/aleydis-raiscop/DE-2086/lido/651d2cd31882c4.02847836 (abgerufen am 06.10.2024)