Moses Heß

Publizist (1812-1875)

Ursula Reuter (Köln)

Moses Heß, Skulptur am Kölner Rathausturm, 1992, Bildhauer: Heribert Calleen. (Stadtkonservator Köln)

Mo­ses Heß (auch Hess), ei­ner der ers­ten deut­schen So­zia­lis­ten, wuchs als Kind ei­ner jü­di­schen Fa­mi­lie in Bonn und Köln auf. Als po­li­ti­scher Ak­ti­vist und Pu­bli­zist setz­te er sich sein gan­zes Le­ben lang für den So­zia­lis­mus und die so­zi­al­de­mo­kra­ti­sche Be­we­gung ein. Heu­te ist Mo­ses Heß vor al­lem als Vor­läu­fer des Zio­nis­mus be­kannt. Schon 1862 ent­warf er sein Kon­zept zur Er­rich­tung ei­nes jü­di­schen Na­tio­nal­staats. Heß, der lan­ge Zeit in Pa­ris leb­te, kehr­te im­mer wie­der in das Rhein­land zu­rück.

Mo­ses Heß wur­de am 21.1.1812 als äl­tes­tes Kind der Ehe­leu­te Da­vid Heß und Jean­net­te, ge­bo­re­ne Flörs­heim in Bonn ge­bo­ren. (Sei­ne El­tern ga­ben ihm den Ruf­na­men Mo­ritz und – für den re­li­giö­sen Ge­brauch – den he­bräi­schen Na­me Mo­ses). Zu die­sem Zeit­punkt ge­hör­te das Rhein­land zum na­po­leo­ni­schen Herr­schafts­be­reich. Die Be­set­zung und An­nek­ti­on der links­rhei­ni­schen Ge­bie­te durch das re­vo­lu­tio­nä­re Frank­reich 1794/1801 hat­te ne­ben an­de­ren mo­der­nen Er­run­gen­schaf­ten die recht­li­che Eman­zi­pa­ti­on der Ju­den mit sich ge­bracht. Die staats­bür­ger­li­che Gleich­stel­lung wur­de al­ler­dings teil­wei­se schon un­ter Na­po­le­on (1808 „Schänd­li­ches De­kret") und vor al­lem in der preu­ßi­schen Zeit ab 1815 wie­der ein­ge­schränkt.

Was be­deu­te­te es in die­ser Zeit des Um­bruchs, Ju­de zu sein und wie konn­te ei­ne mo­der­ne (deutsch-) jü­di­sche Iden­ti­tät aus­se­hen?

Die­se Fra­gen wa­ren in der ers­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts noch ganz of­fen. Zu­dem wa­ren die Mög­lich­kei­ten, die sich ei­nem jun­gen jü­di­schen Mann mit geis­ti­gen oder künst­le­ri­schen Am­bi­tio­nen in Deutsch­land bo­ten, be­grenzt. Wie nicht we­ni­ge sei­ner jü­di­schen (und nicht­jü­di­schen) Zeit­ge­nos­sen war Heß in sei­nen jun­gen Jah­ren da­her von den neu­en, po­li­tisch „ra­di­ka­len" Strö­mun­gen fas­zi­niert, die die Eman­zi­pa­ti­on – die Be­frei­ung – der ge­sam­ten Mensch­heit aus den Fes­seln der po­li­ti­schen, so­zia­len und wirt­schaft­li­chen Un­ter­drü­ckung und ei­ne neue Ge­sell­schafts­ord­nung der Gleich­heit und Frei­heit in Aus­sicht stell­ten.

 

Mo­ses Heß wuchs zu­nächst in Bonn bei sei­nem re­li­gi­ös or­tho­do­xen Gro­ßva­ter auf, un­ter des­sen An­lei­tung er ei­ne tra­di­tio­nel­le jü­di­sche Er­zie­hung er­hielt. Erst nach dem Tod der Mut­ter im Jahr 1825 zog er zu sei­nem in­zwi­schen in Köln an­säs­si­gen Va­ter und den jün­ge­ren Ge­schwis­tern. Auch in Köln be­such­te er nie ei­ne öf­fent­li­che Schu­le. Doch bil­de­te er sich au­to­di­dak­tisch fort, so dass er 1837 ei­ne be­son­de­re Ge­neh­mi­gung zur Im­ma­tri­ku­la­ti­on an der Bon­ner Uni­ver­si­tät er­hielt. Dort stu­dier­te er meh­re­re Se­mes­ter, ei­nen Ab­schluss er­warb er al­ler­dings nicht. Da­für ver­öf­fent­lich­te er schon 1837 sei­ne ers­te Schrift, „Die Hei­li­ge Ge­schich­te der Mensch­heit. Von ei­nem Jün­ger Spi­no­za‘s" – ei­ne der frü­hes­ten, wenn nicht so­gar die ers­te so­zia­lis­ti­sche Schrift in Deutsch­land. Die­se und die fol­gen­de Pu­bli­ka­ti­on, „Die eu­ro­päi­sche Tri­ar­chie" (1841), be­grün­de­ten sei­nen Ruf als ei­ner der ers­ten deut­schen Kom­mu­nis­ten. Statt an das Kom­men ei­nes Mes­sias – wie im tra­di­tio­nel­len Ju­den­tum – glaub­te Heß, dass ein in­ner­welt­li­ches mes­sia­ni­sches Zeit­al­ter be­gon­nen ha­be, in dem in na­her Zu­kunft un­ter dem Zei­chen des So­zia­lis­mus al­le Men­schen und Na­tio­nen im Ein­klang le­ben könn­ten.

In den Jah­ren 1841 und 1842 war Mo­ses Heß Mit­grün­der und dann Re­dak­teur der be­rühm­ten Rhei­ni­schen Zei­tung, die von Ja­nu­ar 1842 bis März 1843 in Köln er­schien. Hier lern­te er Karl Marx ken­nen, den er als den Mann er­kann­te, der „der mit­tel­al­ter­li­chen Re­li­gi­on und Po­li­tik den letz­ten Stoß ver­set­zen wird"; ei­ni­ge Mo­na­te spä­ter be­geg­ne­te er Fried­rich En­gels und „be­kehr­te" ihn, nach sei­ner ei­ge­nen Aus­sa­ge, zum Kom­mu­nis­mus. Nach ei­ner Pha­se in­ten­si­ver Zu­sam­men­ar­beit in der Mit­te der 1840er Jah­re kam es al­ler­dings zum Bruch mit Marx und En­gels, der nicht nur mit welt­an­schau­li­chen und po­li­ti­schen Dif­fe­ren­zen, son­dern auch mit un­ter­schied­li­chen Tem­pe­ra­men­ten zu tun hat­te.

En­de 1842 zog Heß nach Pa­ris. In der fran­zö­si­schen Haupt­stadt soll­te er, wenn auch mit vie­len Un­ter­bre­chun­gen, den grö­ß­ten Teil sei­nes wei­te­ren Le­bens ver­brin­gen. Doch kehr­te er im­mer wie­der nach Köln zu­rück. Hier lern­te er auch sei­ne Le­bens­ge­fähr­tin ken­nen, die in ei­nem Ei­fel­dorf ge­bo­re­ne Si­byl­le Pesch (1820-1903), ei­ne Putz­ma­che­rin ka­tho­li­scher Kon­fes­si­on, die er erst nach dem Tod sei­nes Va­ters zu hei­ra­ten wag­te.

Nach lan­ger Pau­se wand­te sich Heß zu Be­ginn der 1860er Jah­re er­neut jü­di­schen The­men zu. 1862 er­schien die Schrift, we­gen der Heß noch heu­te be­kannt ist: „Rom und Je­ru­sa­lem. Die letz­te Na­tio­na­li­täts­fra­ge" (der Ti­tel nimmt Be­zug auf die da­mals ak­tu­el­len Er­fol­ge der ita­lie­ni­schen Ei­ni­gungs­be­we­gung). Heß leg­te hier sei­ne Auf­fas­sung dar, dass die Ju­den wie al­le an­de­ren un­ter­drück­ten Völ­ker als Vor­stu­fe zur all­ge­mei­nen Eman­zi­pa­ti­on der Mensch­heit ei­nen ei­ge­nen Staat brauch­ten. Im Ge­gen­satz zu den Ver­tre­tern des zeit­ge­nös­si­schen li­be­ra­len Ju­den­tums, die Ju­den­tum al­lein als Re­li­gi­on, nicht als Na­tio­na­li­tät ver­stan­den, ent­wi­ckel­te er ein Kon­zept für die Wie­der­her­stel­lung des jü­di­schen „Na­tio­nal­staats", wo­bei er den „Geist des Ju­den­tums" mit so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Ide­en iden­ti­fi­zier­te.

Dass die­ser Text ein­mal als Klas­si­ker des Zio­nis­mus gel­ten soll­te, er­leb­te der Au­tor nicht mehr. Die ers­te Auf­la­ge ver­kauf­te sich so­gar aus­ge­spro­chen schlecht, was si­cher auch an dem sper­ri­gen Stil des Au­tors, vor al­lem aber an dem Un­zeit­ge­mä­ßen sei­ner Ge­dan­ken lag. Erst 1899 er­schien ei­ne zwei­te Auf­la­ge, ver­an­lasst von Max Bo­den­hei­mer, der in Köln auf Heß’ Schrift auf­merk­sam ge­macht wor­den war. Und erst jetzt ent­deck­ten die „Zio­nis­ten" (der Be­griff ent­stand um 1890) den „Pro­phe­ten" Mo­ses Heß als ei­nen Vor­den­ker ih­rer Be­we­gung.

Mo­ses Heß, der sich, ne­ben na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Stu­di­en, in den 1860er Jah­ren auch in der ent­ste­hen­den deut­schen So­zi­al­de­mo­kra­tie en­ga­gier­te, starb am 6.4.1875 in Pa­ris. Ge­mäß sei­ner letzt­wil­li­gen Ver­fü­gung wur­de er ne­ben sei­nen El­tern auf dem jü­di­schen Fried­hof in Köln-Deutz be­gra­ben. Der Grab­stein, auf den die Köl­ner So­zi­al­de­mo­kra­ten 1903 den Eh­ren­ti­tel „Va­ter der deut­schen So­zi­al­de­mo­kra­tie" ein­mei­ßeln lie­ßen, ist dort heu­te noch zu se­hen. Die sterb­li­chen Über­res­te von Mo­ses Heß wur­den 1961 nach Is­ra­el über­führt und ru­hen nun auf dem Fried­hof des Kib­buz Kin­ne­ret am See Ge­ne­za­reth.

In Köln wur­de ihm 1992 ei­ne Fi­gur am Rat­haus­turm (Bild­hau­er: He­ri­bert Cal­le­en) ge­wid­met. Zu­dem er­in­nert in Köln-Stamm­heim ei­ne nach ihm be­nann­te Stra­ße an den So­zia­lis­ten.

Werke

Aus­ge­wähl­te Schrif­ten, hg. von Horst La­de­ma­cher, Wies­ba­den 1981
Brief­wech­sel, hg. von Ed­mund Sil­ber­ner, ’s-Gra­ven­ha­ge 1959.
Die eu­ro­päi­sche Tri­ar­chie, Leip­zig 1841.
Die Hei­li­ge Ge­schich­te der Mensch­heit. Von ei­nem Jün­ger Spi­no­za’s, Stutt­gart 1837.
Rom und Je­ru­sa­lem. Die letz­te Na­tio­na­li­täts­fra­ge, Leip­zig 1862.

Literatur

Avi­ne­ri, Shlo­mo, Mo­ses Hess. Pro­phet of Com­mu­nism and Zio­nism, New York u.a. 1985.
Hirsch, Hel­mut, Mo­ses Heß und Köln – bis zur Emi­gra­ti­on im Jah­re 1842, in: Jut­ta Bohn­ke-Koll­witz (Hg.), Köln und das rhei­ni­sche Ju­den­tum. Fest­schrift Ger­ma­nia Ju­dai­ca 1959-1984, Köln 1984, S. 165-176.
Kol­tun-Fromm, Ken, Mo­ses Hess and Mo­dern Je­wish Iden­ti­ty, Bloo­m­ing­ton 2001.
Na’aman, Shlo­mo, Eman­zi­pa­ti­on und Mes­sia­nis­mus. Le­ben und Werk des Mo­ses Heß, Frank­furt (Main) u.a. 1982.
Sil­ber­ner, Ed­mund, Mo­ses Hess. Ge­schich­te sei­nes Le­bens, Lei­den 1966.

Online

Bren­ner, Mi­cha­el, Was ist Zio­nis­smus? Ei­ne Ein­füh­rung(In­for­ma­ti­on der Bun­des­zen­tra­le für po­li­ti­sche Bil­dung)
Sil­ber­ner, Ed­mund, Ar­ti­kel "Hess, Mo­ses", in: Neue Deut­sche Bio­gra­phie 9 (1972), S. 11-12.

Grabplatte des Moses Heß auf dem Jüdischen Friedhof in Köln-Deutz. (Rheinisches Bildarchiv)

 
Zitationshinweis

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Reuter, Ursula, Moses Heß, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/moses-hess/DE-2086/lido/57c82fafd08135.34429812 (abgerufen am 06.10.2024)