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Adolf Baron Steengracht von Moyland war der letzte Staatssekretär des Auswärtigen Amtes in der Zeit des Nationalsozialismus. In diese exponierte, wenngleich zeitbedingt letztlich einflusslose Position kam der Jurist und Gutsbesitzer als diplomatischer Seiteneinsteiger durch seine guten Beziehungen zu Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop. Erstaunlicherweise genoss von Steengracht in bestimmten Kreisen des konservativen Widerstandes, besonders bei Helmuth James Graf von Moltke (1907-1945) und seiner Frau Freya, einen relativ guten Ruf und galt als vertrauenswürdig.
Gustav Adolf Baron Steengracht von Moyland wurde am 15.11.1902 auf Schloss Moyland (Bürgermeisterei Till, Landkreis Kleve) als Sohn des Rittergutsbesitzers Nikolaus Adrian Baron Steengracht von Moyland (1834–1906) und seiner zweiten Frau Irene geborener Kremer Edle von Auenrode (1876–1930) geboren. Die Familie war evangelischer Konfession. In seiner Kindheit hatte er eine französische Kinder-frau, der er in frühen Jahren gute Französischkenntnisse verdankte und eine Sympathie für Frankreich. Bis zu seinem 10. Lebensjahr erhielt Steengracht Privatunter-richt, ab Ostern 1913 besuchte er das humanistische Gymnasium in Freiberg/Sachsen und ab Ostern 1915 das Gymnasium in Kleve. Dort legte er Ostern 1922 das Abitur ab. Ab Ostern 1922 war er praktisch in der Landwirtschaft tätig. Am 3.11.1922 begann er mit dem Studium der Landwirtschaft; ab dem 26.11.1923 eben-so der Rechtswissenschaften an der Universität Bonn. 1923 trat er dem Korps Borussia in Bonn (Kösener SC) bei. Hier lernte er unter anderem die Söhne des in Doorn lebenden Kaisers Wilhelms II. (1859–1941) kennen, den er in der Folge wiederholt in den Niederlanden besuchte. Der Byzantinismus am kaiserlichen Exilhof wirkte auf den jungen Niederrheiner aber eher befremdlich. Zu seinen Bekanntschaften bei den Bonner Borussen gehörte auch Paul Graf Yorck von Wartenburg (1902–2002), der ihn als „Mann von seltenen Fähigkeiten und Charaktereigenschaften“ beschrieb: Einen großen physischen Mut verband er mit den Gaben eines warmen Herzens. Stets hilfsbereit und einsatzfreudig war er fern von jedem eigen-süchtigen Streben und sich der Verantwortung bewusst, die ihm aus seinem geistigen und materiellen Erbe zugefallen war. Das Wintersemester 1924/25 verbrachte er an der Universität Lausanne, an der er in der Rechtsfakultät eingeschrieben war. Ab dem Sommersemester 1925 studierte er Rechtswissenschaften an der Universität Köln, die er mit Abgangszeugnis vom 28.7.1926 verließ. Im Dezember 1926 legte er die erste juristische Staatsprüfung vor dem Oberlandesgericht Köln ab. Hinsichtlich seiner Militärverhältnisse gibt der Personalbogen des Auswärtigen Amtes an: „Übungen“ 1919 [sic!] , vom 15. März bis 15. Mai 1924 und vom 1. Juni bis 1. August 1926, vermutlich bei der „Schwarzen Reichswehr“. Seine Vereidigung als Gerichtsreferendar erfolgte im Januar 1928 am Landgericht Kleve. Die gelegentlich in der Literatur zu findende Behauptung, er sei von 1930 bis 1933 wegen seiner politischen Betätigung aus dem Justizdienst beurlaubt worden, trifft erkennbar nicht zu. Seit 1925 (nach anderer Angabe 1928) war er Mitglied des „Stahlhelm – Bund deutscher Frontsoldaten“, vor 1933 auch dessen „Kreisführer“ im Kreis Xanten. In Familien-kreis berichtete Steengracht, während seiner Zeit im Stahlhelm sei jedes Wochen-ende Kleinkrieg gewesen. Zur Wahl des Rheinischen Provinziallandtages kandidierte er erfolglos an erster Stelle des Wahlvorschlags der „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot“ im Kreis Kleve. Schon vor 1933 unterhielt er erste persönliche Kontakte zu Franz von Papen (1879–1969).
Am 16.2.1929 (Tag der mündlichen Prüfung) wurde er in Bonn „cum laude“ zum Dr. iur. mit einer Dissertation über „Das staatsrechtliche Moment in den §§ 99, 100 des Entwurfs eines allgemeinen deutschen Strafgesetzbuches von 1927. Eine staats- und strafrechtliche Studie zur Staatsrechtsreform“ promoviert. Sein Doktorvater war der seit 1926 in Bonn lehrende Strafrechtlehrer Alexander Graf zu Dohna-Schlodien (1876–1944). 1933 legte Steengracht die Große Staatsprüfung ab und wurde zum Gerichtsassessor ernannt. Nach Angaben in seinem Fragebogen im Entnazifizierungsverfahren soll er bis 1935 als Gerichtsassessor am Landgericht Kleve tätig gewesen sein. In der Folgezeit arbeitete er aber auch als Rechtsberater der Kreisbauernschaft in Kleve. Der NSDAP trat er am 1.5.1933 mit der Mitgliedsnummer 2.837.625 bei. Von 1935 bis 1936 war er Kreisbauernführer des Kreises Kleve, ab 1935 Gemeinderat der Gemeinde Till-Moyland aufgrund der Deutschen Gemeindeordnung und vom 1.11.1935 bis 31.3.1937 Ortsgruppenleiter der NSDAP-Ortsgruppe Moyland-Schneppenbaum. Als Stahlhelm-Führer wurde er am 1.9.1933 in die SA überführt, wurde am 20.4.1934 SA-Sturmführer und war, ohne dass Daten bekannt sind, Führer des SA-Sturms 11/56 bzw. des Reserve-Sturmbanns II/R 56. Vom 1.4. bis 26.5.1936 und vom 7.1. bis 17.2.1938 absolvierte Steengracht zwei weitere Wehrübungen und war hiernach Unteroffizier der Reserve und Reserveoffiziersanwärter. Am 16.5.1933 heiratete Steengracht in Berlin die aus dem Baltikum stammende Ilsemarie Baronesse von Hahn (1908–1964). Aus der Ehe ging ein Sohn hervor, der am 16.11.1936 in Moyland geborene Nikolaus Adrian.
Die Eheschließung leitete mittelbar auch eine berufliche Umorientierung Steengrachts ein. Die junge Baronin Steengracht fühlte sich am Niederrhein nicht sonderlich heimisch. Ihr Mann fand den provinziellen NS-Hurra-Patriotismus und die Pflicht, jeder lokalen NS-Größe, den deutschen Gruß entbieten zu müssen, entsetzlich. Das junge Paar war sich darin einig, den Niederrhein möglichst bald verlassen zu wollen. In Steengracht keimte der Gedanke auf, in den diplomatischen Dienst einzutreten. Zunächst versuchte er wohl aufgrund seiner persönlichen Kontakte nach Berlin, Landwirtschaftsattaché in Paris zu werden. Warum er letztlich nicht den direkten Weg in die diplomatische Laufbahn wählte, sondern stattdessen zunächst in die „Dienststelle Ribbentrop“ eintrat, wird sich wohl nicht mehr klären lassen. Der klassische Weg hätte ihm aufgrund seiner juristischen Ausbildung zweifelsohne offen gestanden.
Wann genau Steengracht die persönliche Bekanntschaft Ribbentrops gemacht hat, ist nicht bekannt. Jedenfalls behauptete er bei seiner Vernehmung in Nürnberg, er habe ihn zum Zeitpunkt der „Wiederbesetzung des Rheinlandes“ im März 1936 noch nicht gekannt und ihn „erstmalig im Jahr 1936 gesehen“. Vom 1.10.1936 bis 2.10.1938 war Steengracht Referent im Vertragsverhältnis in der „Dienststelle Ribbentrop“ und gehörte somit zu dem Personenkreis, mit dem Ribbentrop auf Dauer aus dem Auswärtigen Amt eine in personeller Hinsicht einwandfreie nationalsozialistische Behörde machen wollte. Steengracht arbeitete seit der Ernennung Joachim von Ribbentrops zum neuen deutschen Botschafter im Vereinigten Königreich in London. Ribbentrop hatte einen großen Stab von Mitarbeitern mitgebracht, die zunächst nicht zur Anmeldung zur Diplomatenliste kamen, so auch im Falle Steengracht. In der Botschaft selbst scheint Steengracht keine Funktion gehabt zu haben, denn sein Name ist auf den Unterschriftslisten von botschaftsinternen Umläufen nie aufgeführt. Im August 1937 schlug die Botschaft dem Auswärtigen Amt vor, nun die bisher noch nicht angemeldeten Personen des persönlichen Stabes des Botschafters anzumelden – insgesamt 22 Personen – und regte für Steengracht die Bezeichnung „Hilfsreferent“ („Assistant Staff Officer“) an. Das Auswärtige Amt lehnte diesen Vorschlag mit der besorgten Begründung ab, daß diese Personen, zumal wenn sie sich als ‚Referenten‘ bezeichnen, aus ihrer offiziellen Anmeldung in dieser Eigenschaft eines Tages Ansprüche an das Auswärtige Amt herleiten können, was vermieden werden muß. Dagegen habe ich keine Einwendungen dagegen zu erheben, daß die in Frage kommenden Persönlichkeiten zwar nicht als Botschaftspersonal, wohl aber als der Person des Herrn Botschafters vorübergehend zugeteilte Hilfskräfte angemeldet werden. Die Vorschlagsliste wurde entsprechend abgeändert; ihr Konzept trägt Ribbentrops Randvermerk Ich möchte dies selbst im F.O. [Foreign Office] abgeben. Auf einer Liste der Mitglieder der Botschaft, die am 13.6.1937 auf eine entsprechende Aufforderung des Foreign Office diesem übersandt wurde, ist Steengracht als „Honorary Attaché“ bezeichnet. Eine Abmeldung Steengrachts in London bei seiner Rückkehr nach Deutschland im Frühjahr 1938 ist entweder unterblieben oder das entsprechende Dokument fehlt in der Akte. Welche Funktionen er genau während seiner Tätigkeit für die „Dienststelle Ribbentrop“ in London ausgeübt hat, ist nicht bekannt. Bekannt ist, dass er - ohne nennenswerte Englischkenntnisse - zahlreiche Vorträge über die deutsche Landwirtschaft gehalten hat. Hierauf ist möglicherweise die immer wieder auftauchende Bezeichnung Steengrachts als „Landwirtschaftsattaché“ in London zurückzuführen. Als solcher hätte er offiziell zum Botschaftspersonal gehören müssen, was aber eindeutig nicht der Fall war. Diese Angabe ist offenbar auf den Wilhelmstraßenprozeß zurückzuführen, wo Steengrachts Funktion in London als „landwirtschaftlicher Attaché“ beschrieben wird. Diese unzutreffende Angabe geistert auch durch die Entnazifizierungsakte Steengrachts. Durch seine Tätigkeit im persönlichen Stab des Botschafters kam er in nähere Berührung mit Ribbentrop und fiel ihm wohl angenehm auf, weil er aufgrund seines Herkommens und seiner persönlichen Stellung nicht mit Abhängigkeiten „belastet“ war.
An der Botschaft in London machte Steengracht auch die Bekanntschaft des Völkerrechtlers und späteren Widerstandskämpfers Helmuth James Graf v. Moltke und seiner Frau Freya. Diese erinnerte sich nach dem Krieg, dass Steengracht zu den Leuten gehört habe, die glaubten, von innen mehr erreichen zu können als von außen. Zwischen den Steengrachts, insbesondere der Baronin, und den Moltkes entwickelte sich in den folgenden Jahren ein nahezu freundschaftlicher Kontakt mit Besuchen in Kreisau.
Mit der Rückkehr Ribbentrops nach Berlin als Reichsminister des Auswärtigen im Februar 1938 kam auch Steengracht nach Deutschland zurück und war zunächst weiter in der „Dienststelle Ribbentrop“ tätig. Am 21.9.1938 wurde er dann (mit Wirkung vom 3.10.) als Legationssekretär im Auswärtigen Amt, zunächst als Beamter auf Widerruf, eingestellt. Um die der Einstellung Steengrachts und anderer Personen aus der „Dienststelle Ribbentrop“ und aus Organisationen der NSDAP entgegenstehenden beamtenrechtlichen Schwierigkeiten zu überwinden, ließ sich Ribbentrop im Frühjahr 1939 von Hitler zu einer grundlegenden Reorganisation und Umgestaltung des auswärtigen Dienstes ermächtigen. Im Auswärtigen Amt war Steengracht zunächst im Protokoll, ab 1939 im Persönlichen Stab des Reichsaußenministers tätig. In der Folge machte er die für einen vom Minister protegierten Seiteneinsteiger nicht untypische Blitzkarriere: am 20.4.1939 wurde er Legationsrat, am 16.4.1940 Legationsrat I. Kl., am 28.1.1941 Vortragender Legationsrat und am 10.7.1941 Gesandter I. Kl. als Ministerialdirigent im Persönlichen Stab des Reichsaußenministers – in der Funktion eines Chefadjutanten Ribbentrops. Am 10.4.1942 erfolgte die Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit. Angesichts seiner Tätigkeit im auswärtigen Dienst war er ab Kriegsbeginn u. k. gestellt. Parallel zu seiner Karriere im Auswärtigen Amt stieg er auch in der SA rasch zu höheren Rängen auf: am 9.11.1940 wurde er zum SA-Standartenführer ernannt, am 9.11.1942 zum SA-Oberführer und am 20.4.1944 zum SA-Brigadeführer. An Orden und Ehrenzeichen wurden ihm bis Ende 1944 verliehen: das SA-Sportabzeichen in Bronze, die Medaille zur Erinnerung an den 1.10.1938 (Sudeten-Medaille) mit Spange „Prager Burg“, die Medaille zur Erinnerung an die Heimkehr des Memellandes 1939, das Danzig-Kreuz II. Kl., das Kriegsverdienstkreuz II. Kl. und I. Kl.
Zwar bezeichnete er seine Stellung im Auswärtigen Amt vor der Ernennung zum Staatssekretär später mit offenbar gelindem Understatement und in exkulpatorischer Absicht als Adjutant, das heißt, ich habe mit den technischen Sachen zu tun gehabt. Ich habe niemals zu der Zeit ihm einen politischen Bericht vorgelegt. Dass Steengracht sehr wohl auch mit politischen Dingen befasst war, geht deutlich aus den Akten hervor. So gab er etwa im Herbst 1941 eine Äußerung Hitlers über eventuelle Pressalien gegen deutsche Juden im Falle eines Kriegseintritts der USA weiter, im März 1942 wurde er vom deutschen Generalgouverneur in Polen, Hans Frank (1900–1946), gemeinsam mit dem Gesandten Alexander Freiherr von Dörnberg zu Hausen (1901–1983), dem Chef des Protokolls des Auswärtigen Amtes, empfangen, und im Oktober 1942 informierte ihn Unterstaatssekretär Martin Luther (1895–1945) über die Absicht des Reichskommissars in den Niederlanden, Arthur Seyß-Inquart (1892–1946), Hitler um sein Einverständnis für die beabsichtigte Einsetzung des niederländischen NS-Führers Anton Adriaan Mussert (1894–1946) zum niederländischen Ministerpräsidenten zu bitten.
Die in der Literatur gelegentlich behauptete Funktion Steengrachts als „Vertreter des AA im Führerhauptquartier“ ist in dieser Form unzutreffend. Ständiger Beauftragter des RAM beim Führer war von September 1940 bis Kriegsende Botschafter Walter Hewel (1904–1945). Ein längerer Aufenthalt Steengrachts im Führerhauptquartier ist für die Zeit vom 17.12.1942 bis 15.3.1943 nachweisbar. In dieser Zeit weilte er als Chefadjutant des Herrn RAM bezw. als Beauftragter des RAM in Wolfsschanze. Dies rechtfertigt die Annahme, dass es sich dabei um eine Art Urlaubsvertretung für Hewel gehandelt haben muss, der am 26.12.1942 von der Wolfsschanze nach Berlin reiste und an Steengrachts Abreisetag 15.2.1943 dorthin zurückkehrte.
Steengracht wurde am 31.3.1943 zum Staatssekretär des Auswärtigen Amtes und somit zum ständigen Vertreter des Reichsaußenministers ernannt. Offenbar in Kenntnis der mittlerweile ausweglosen politischen und militärischen Lage des Deutschen Reiches lehnte er die Ernennung zum Staatssekretär zunächst ab und schlug sogar seine Versetzung an die Front vor. Ribbentrop gab ihm daraufhin unmissverständlich zu verstehen, dass seine Weigerung als Feigheit vor dem Feind angesehen würde mit allen hiermit verbundenen Konsequenzen für Leib und Leben. Steengrachts Frau wirkte nach der Nachricht vollkommen verzweifelt und aufgelöst. Helmuth James Graf von Moltke, dem sie davon erzählte, meinte, das sei sicher ein gigantischer Aprilscherz[,] den ihr Adolf sich da leistete, aber sie blieb dabei und erklärte mir auf meine heutige Rückfrage, er habe es ihr heute erneut bestätigt. Dieser Wechsel im Amt erfolgte im Zusammenhang mit einer Umorganisation im Auswärtigen Amt im Frühjahr 1943. In der Folge wurden zum 1.4.1943 und später mehrere Spitzenpositionen neu besetzt. Wenige Tage nach Bekanntwerden des Revirements notierte der bisherige Staatssekretär Ernst von Weizsäcker (1882–1951), dass nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Tätigkeit Steengrachts als Vertreter des Auswärtigen Amtes im Führerhauptquartier der Wechsel von mir zu dem beim Führer u. besonders bei H. v. Ribbentrop wohlangesehenen H. v. Steengracht ... die Verbindung vom Hauptquartier zum A. A. sehr beleben u. dem A. A. nützlich werden könne. Was Ribbentrop von seinem neuen Staatssekretär erwartete, hat er ihm deutlich bei dessen Amtsantritt mitgeteilt: Seine Aufgabe als Staatssekretär sei eine dreifache: 1. Verbindung mit den Diplomaten in Berlin zu halten; 2. das Auswärtige Amt rechtzeitig zu disziplinieren; 3. mit rücksichtsloser Energie die Zuständigkeit des Auswärtigen Amtes gegenüber allen anderen Dienststellen zu wahren. Steengrachts Annahme, er würde auch in politischen Dingen etwas zu sagen haben, wies Ribbentrop zurück, denn das sei sein dauernder Kampf mit Weizsäcker gewesen, der sich immer in die Politik einzumischen versucht habe, die ausschließlich Hitler und ihn selbst anginge, Steengracht habe einfach die von ihm erhaltenen Angaben auszuführen. In diesem Zusammenhang mag es nicht ohne Belang sein, dass Steengracht auch nach seiner Ernennung zum Staatssekretär zumindest nominell Chef des „Persönlichen Stabs RAM“ blieb.
Steengracht übernahm am 30.4.1943 die Geschäfte von seinem Amtsvorgänger Ernst von Weizsäcker. Die Amtsübergabe verlief wohl für Steengracht etwas enttäuschend, denn Weizsäcker gab keinerlei sachliche Erklärungen: Über Politik brauchte ich mit Herrn Steengracht nicht zu reden. Da er von der Quelle der Entschlüsse kommt, könnte höchstens er mich belehren. Stattdessen händigte er ihm nur den Schlüssel zu einem Safe aus, in dem nur ein altes völlig uninteressantes Geheimdokument und 59 Mark waren. Bei der Übergabe glaubte Weizsäcker zu spüren, daß manches anders werden wird und keinesfalls schlechter. Herr von Steengracht hat holländisches Blut und einen entsprechend praktischen Sinn. Er organisiert gern und kümmert sich um Dinge, die ich gern Anderen überließ.
Die Ernennung Steengrachts zum Staatssekretär rief bei Insidern unterschiedliche Reaktionen hervor. Helmuth James von Moltke schrieb seiner Frau am 2.4.1944, das Ganze ist wirklich eine Katastrophe und sieht doch auch nach aussen sehr merkwürdig aus, denn selbst die freundlichste Betrachtung des teuren Baron’s kann nicht zu dem Ergebnis führen, daß man ihm die für einen solchen Posten notwendige Routine zutraut. Ulrich von Hassell (1881–1944) notierte in seinem Tagebuch, er sei unbedeutend, gänzlich unerfahren und eine reine Kreatur R[ibbentrop]s, der seine Karriere abgesehen von diesen Eigenschaften seiner sehr hübschen, ehrgeizigen, intelligenten, übrigens auch erstaunlich kultivierten Frau verdankt. [...] Die Partei liebt übrigens den Baron und Rittergutsbesitzer, der erst seit 1931 dabei ist, nicht besonders. Generaloberst Ludwig Beck (1880–1944) meinte indes zu von Hassell, Steengracht sehe die Lage und Dinge richtig und sei ein Herr. Joseph Goebbels (1897–1945) stellte nach dem Antrittsbesuch von Steengrachts bei ihm im Mai 1943 fest, dieser sei eine ziemlich mittelmäßige Figur, die höchstens als besserer Sekretär gewertet werden könne. Von einem Einfluß auf die deutsche Außenpolitik von seiner Seite kann überhaupt nicht die Rede sein. Hans von Herwarth (1904–1999) berichtet über ein Gespräch, das er im Frühjahr 1943 in Simferopol mit Generalfeldmarschall Ewald von Kleist (1881–1954) führte, in dem es unter anderem um den Wechsel von Weizsäcker zu Ribbentrop ging: Ich kannte Steengracht gut, er gehörte nicht dem alten Auswärtigen Amt an, sondern hatte seine Karriere durch die Partei gemacht. Ich hatte ihn in Moskau näher kennengelernt und schätzte ihn als einen anständigen Mann, der es immer ablehnte, Dinge zu tun, die er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren konnte. Vom diplomatischen Geschäft verstand er weit weniger [...] Mein militärisches Wissen als Rittmeister der Reserve sei zwar gering, aber das diplomatische Wissen Steengrachts sei noch geringer. Der damalige Botschafter in Ankara, der frühere Reichskanzler Franz von Papen, bezeichnete Steengracht später als einen Mann von sehr klarem Verstande, und ich wusste, dass er meine Gedanken bei Ribbentrop unterstützen werde. Ein fast boshaftes Detail notierte der vormalige österreichische Minister und spätere Deutsche Bevollmächtigter General in Kroatien, Edmund Glaise von Horstenau (1882–1946), im Dezember 1944: In einem vertrauten Kreise erfuhr ich authentische Einzelheiten über die Rolle der Frau v. Ribbentrop und des Dr. Steengracht, des politischen Staatssekretärs im [!] Auswärtigen Amt. Dieser sieht seine Hauptaufgabe darin, den penetranten Einfluß der abschreckend häßlichen Ministersgattin auf ihren Mann abzuwehren. Diese rufe schon oft um 7 Uhr früh an und gebe Weisungen und Rügen, die Steengracht abzuwehren versuche. Es ist alles schon furchtbar. Sein Amtsvorgänger Ernst von Weizsäcker bescheinigte ihm aber noch nach dem Krieg, Steengracht habe sich in Fragen des Anstandes und der Fürsorge für seine Beamten bleibende Verdienste erworben. Politisch war seine Arbeit von vornherein durch die Kriegslage schwer belastet und gehemmt.
Um den Einfluss des Auswärtigen Amtes auf die Gestaltung der auswärtigen Politik wieder zu stärken, war es nach Steengrachts Auffassung erforderlich, stetig die persönlichen Beziehungen zu den führenden Persönlichkeiten und der SS zu verbessern, um ständig über deren Ansichten und Absichten informiert zu sein. Seine Tätigkeit unter dieser Prämisse während seiner rund zwei Jahre währenden Amtszeit als Staatssekretär des Auswärtigen Amtes kann in diesem Beitrag nicht im Detail dargestellt werden, denn dies wäre nahezu eine Geschichte des Auswärtigen Amtes im fraglichen Zeitraum. Zum Jahresbeginn 1945, zwischen der gescheiterten Ardennenoffensive und dem Beginn der sowjetischen Winteroffensive, schienen Ribbentrop und Steengracht erstmals über diplomatische Initiativen, etwa im Hinblick auf einen Separatfrieden mit der Sowjetunion oder auf Verhandlungen mit den Westalliierten, nachgedacht zu haben. Inwieweit hier ein Steengracht bekannter Plan Papens, nach Madrid zu gehen, um mit den Westmächten einen Plan zu vereinbaren, nach dem sie Deutschland Schritt für Schritt besetzen, während wir im Osten weiterkämpfen, auch eine Rolle spielte, muss offenbleiben. Steengracht teilte Papen mit, Herr von Ribbentrop habe geäußert, er würde jeden wegen Defaitismus erschießen lassen, der es wagen sollte, unseren Widerstandswillen durch die Diskussion solcher Pläne zu schwächen. Nachdem im Januar 1945 die sowjetische Armee an der Oder stand, wurde auch der Großteil des Personals des Auswärtigen Amtes, dessen Hauptgebäude bei einem Luftangriff am 21.11.1943 schwer zerstört worden war, aus Berlin evakuiert. In der zerstörten Reichshauptstadt blieb nur noch eine Restgruppe mit dem Minister und dem Staatssekretär an der Spitze, weil Hitler befohlen hatte, dass Berlin aus Prestigegründen weiterhin offizieller Dienstsitz der Reichsministerien sein müsse. Anfang April wurden dann auch die Restgruppen aus Berlin abgezogen. Wie und wo genau Steengracht diese Zeit verbracht hat, ist nicht bekannt. Er gelangte jedenfalls Anfang Mai nach Flensburg, wo er noch als Staatssekretär unter Ribbentrops Nachfolger Lutz Graf Schwerin von Krosigk (1887–1977) in der „Geschäftsführenden Reichsregierung“ unter Großadmiral Karl Dönitz (1891–1980) in Flensburg tätig war, ohne allerdings noch nennenswert hervorzutreten. Lediglich für den 12.5.1945 ist ein Vortrag Steengrachts über ein englisches Interview überliefert.
Eine nicht unwesentliche Frage ist, ob und inwieweit Steengracht in die Pläne des Kreisauer Kreises eingeweiht war und wie er zu diesen Plänen stand. So gab es beispielsweise Ende Juni, Anfang und Mitte August sowie in der zweiten Novemberhälfte 1943 mehrere Kontakte und Gespräche zwischen Steengracht und Moltke. In dem Gespräch Anfang August sollte erörtert werden, wie sich in dieser späten Stunde noch blödsinnige Untaten verhindern lassen. Die Initiative zu dieser Besprechung geht von ihm [Steengracht] aus und ich bin sehr gespannt, wie das gehen wird. Dieses Gespräch war dann allerdings nur mittlerer Art und Güte. Es ist eigentlich nicht viel dabei herausgekommen. Man hat in etwa den Eindruck, daß er nicht mehr recht will, sondern sich in das Unvermeidliche fügt. Einige Wochen später trafen beide erneut zusammen: Dabei kam nicht garzu viel raus, aber vielleicht bekomme ich ihn noch dazu, etwas zu tun. Wie diese angesichts der Briefzensur recht verklausulierten Briefzeilen Moltkes zu deuten sind, erhellt sich zumindest teilweise aus einem Bericht Freya von Moltkes aus dem Jahr 1947: Steengracht habe wenn nicht positiv gewusst, so doch fraglos geahnt, dass der Sturz Hitlers geplant war und dass Vorbereitungen für die Zeit nach dem Ende des Hitler-Regimes im Gange waren. Er hat auch gewusst, von welcher Seite diese Versuche kamen und es war ihm klar, dass Peter Graf von Yorck, ein Studienfreund, und mein Mann daran beteiligt waren. Ich weiß positiv, dass ihm die Pläne dieser beiden Männer nahe gebracht worden sind. Trotzdem hat er nicht nur nichts gegen sie unternommen, sondern hat ihnen während seiner Amtszeit in einzelnen konkreten Fällen, wo es sich um den Schutz von Menschen handelte, die durch den Nationalsozialismus gefährdet waren, beigestanden. Mein Mann und Yorck hofften immer, Steengracht auf die Dauer ganz für ihre Sache zu gewinnen. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 hat Steengracht sich nach besten Kräften für die Rettung Yorcks und meines Mannes eingesetzt. Er hat nichts unterlassen, was nützlich und aussichtsreich zur Erreichung dieses Ziels erschien und hat die Sicherung seiner Person dahinter zurückgestellt. Daß es ihm nicht gelang, lag nicht an mangelndem Einsatz, sondern daran, dass die SS zur Vernichtung der Verschwörer von vorne herein fest entschlossen war. Sein Einsatz hatte zur Folge, dass er selbst verdächtigt wurde. Mein Mann berichtete mir in einem aus dem Gefängnis Tegel geschmuggelten Brief vom Dezember 1944, dass er in der Prinz-Albrecht-Straße (Reichssicherheitshauptamt) ein Verhör hatte, das sich ausschließlich mit Steengracht befasste. Mein Mann wurde im Laufe des Verhörs gefragt, ob Steengracht nicht auch zu dem von der SS so getauften ‚Kreisauer Kreis’ gehöre. Steengracht und mein Mann waren nicht befreundet. Sein Einsatz galt weniger einem Freund als der Sache, und bewies Mut. Ich persönlich denke mit großer Dankbarkeit an Steengrachts Hilfe in den Monaten vor der Hinrichtung meines Mannes. Er empfing mich immer wieder, um mit mir mögliche Schritte zu erörtern und um mich zu orientieren. Heute mag das selbstverständlich klingen, damals war das gefährlich, und die Angst, etwas mit ‚uns’ zu tun zu haben, allgemein.
Als unbedingt positiv wurde Steengracht auch durch Adam von Trott zu Solz in einer Vernehmung nach dem 20. Juli 1944 bezeichnet. Hieraus ergibt sich, daß Steengracht einigen Kreisen des Widerstandes wohl als vertrauenswürdig galt, er sich aber letztlich gescheut hat, den entscheidenden Schritt zu einer Beteiligung am Widerstand zu unternehmen. Ob er sich hierbei von der Hoffnung leiten ließ von innen mehr erreichen zu können als von außen, ob er resigniert hatte - sich in das Unvermeidliche fügt, wie es Helmuth James von Moltke schien -, oder ob ihn letztlich die Sorge um das Schicksal seiner Familie davon abhielt, wird sich wohl nicht mehr klären lassen. Der publizierte Briefwechsel von Helmut James und Freya von Moltke aus der Haft des ersteren im Gefängnis Tegel (September 1944 bis Januar 1945) lässt mehrfach erkennen, dass manche Hoffnung des Inhaftierten bzw. zum Tode Verurteilten sowie seiner Frau auf Steengracht gesetzt wurde, der im Briefwechsel durchgängig mit dem Pseudonym „Adrian“ bezeichnet wird.
Mit der Regierung Dönitz wurde Steengracht am 23.5.1945 in Flensburg von den Alliierten inhaftiert. Nach längerer Internierung in Luxemburg wurde Steengracht vom 23.2.1946 und am 26./27.3.1946 als Zeuge im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess vernommen. Dies war auf Antrag Martin Horns (1911-1960), Verteidiger Ribbentrops, erfolgt. In Nürnberg trat Steengracht unter anderem als Entlastungszeuge für Franz von Papen in Erscheinung. Dies galt auch für Ribbentrop, der – so die Aussage Steengrachts - die Befehle Hitlers blindlings befolgt habe.
Steengracht selbst wurde im „Fall 11“, dem vom 4.11.1947 bis 4.4.1949 dauernden „Wilhelmstraßen-Prozess“, angeklagt. Er wurde für so relevant erachtet, dass sein Name hier teils noch vor Weizsäckers genannt wurde. Sein Verteidiger war Carl Haensel (1889–1945). Das Urteil gegen Steengracht wurde am 14. April verkündet: Der Schuldspruch stützte sich auf seine Kenntnis, die er von der Ermordung von 50 Offizieren der Royal Air Force im März 1944 in Sagan hatte, und die politische Verantwortung, die Steengracht für die von der ihm unterstellten Abteilung Inland II des Auswärtigen Amtes initiierte Deportation der ungarischen Juden zu tragen hatte. Zudem hatte er, laut Urteil, aktiv Rettungsmaßnahmen für rumänische Kinder verhindert. Freigesprochen wurde er in den Anklagepunkten „Verfolgung der Kirche“ (V) und „Sklavenarbeit“ (VII). Nicht betroffen war er von den Anklagepunkten I: Verbrechen gegen den Frieden, II: Gemeinsamer Plan und Verschwörung, VI: Raub und Plünderung und VIII: Mitgliedschaft in verbrecherischen Organisationen, da er weder in der NSDAP eine exponierte Rolle gespielt noch der SS angehört hatte. Er wurde wegen der Anklagepunkte III: Ermordung und Misshandlung von Angehörigen der kriegsführenden Mächte und V: Greueltaten und Vergehen gegen die Zivilbevölkerung und Verfolgung von Juden und anderen Minderheiten „zu einer Gefängnisstrafe von sieben Jahren“ verurteilt: Die von ihm bereits vor und während des Prozesses in Haft verbrachte Zeitspanne wird auf die Gefängnisstrafe angerechnet. Die nun ausgesprochene Gefängnisstrafe soll daher mit dem 23. Mai 1945 beginnen.
Am 20.5.1949 beantragte Steengracht die Aufhebung der nach den Anklagepunkten III und V erfolgten Verurteilung. Steengracht erreichte seine Einstufung in Gruppe V („Mitläufer“) mit dem Argument „er habe durch ein gefälschtes Telegramm wahrscheinlich Tausende von Juden gerettet.“ Freigesprochen wurde er am 12.12.1949 schließlich von der Anklage der „Ermordung und Misshandlung von Angehörigen der kriegsführenden Mächte“, nicht aber von „Greueltaten und Vergehen gegen die Zivilbevölkerung und Verfolgung von Juden und anderer Minderheiten.“ Die verhängte Haftstrafe verringerte sich von sieben auf fünf Jahre. Der Antrag zur Aufhebung der Verurteilung unter Anklagepunkt V wurde in toto verworfen. Es ging um die Frage, ob Steengracht von den Saganer Morden gewusst hatte und um die Absicht seiner Mitarbeiter, diesen Sachverhalt gegenüber der Schutzmacht Schweiz zu verschleiern. Für das Gericht war das erforderliche Wissen Steengrachts nicht über jeden vernünftigen Zweifel heraus erwiesen, wenngleich es der Ansicht war, dass ihm dieses Wissen aller Wahrscheinlichkeit nach zu eigen war. Wegen dieser Zweifel wurde die Verurteilung unter Anklagepunkt III außer Kraft gesetzt. Hinsichtlich seiner Verurteilung im Anklagepunkt V wegen der ungarischen Juden hielt das Gericht den ergangenen Schuldspruch für unumgänglich. Steengracht wurde am 28.1.1950 aus dem Gefängnis in Landsberg am Lech wegen guter Führung vorzeitig entlassen.
Es folgte ein Entnazifizierungsverfahren in Nordrhein-Westfalen. Der zuständige Unterausschuss votierte am 14.7.1951 zunächst für eine Einstufung in Kategorie IV mit dem Verbot der Bekleidung öffentlicher Ämter auf ein Jahr. Der Deutsche Entnazifizierungsausschuss im Regierungsbezirk Düsseldorf bzw. der Berufungsausschuss stuften ihn jedoch zweimal, am 6.8. und am 19.12.1951, in „Kategorie V“ ein. Die Entscheidung stützte sich auf die von zahlreichen Entlastungszeugen bestätigte Annahme, Steengracht habe seine Ämter angenommen und wäre darin verblieben, um Schlimmeres zu verhüten, Steengracht habe nach besten Kräften seinen Einfluß in dämpfender Richtung gegen die krasse-nazistische Politik“ eingesetzt bzw. einzusetzen versucht. Unter den Fürsprechern waren Paul Graf Yorck von Wartenburg, Freya von Moltke und Hasso von Etzdorf (1900–1989). Diese Entscheidung wurde vom Sonderbeauftragten für die Entnazifizierung anschließend nicht bestätigt, weil ich die rechtliche Würdigung des Sachverhaltes […] nicht für zutreffend halte. Das Verfahren [gegen Steengracht] ist gemäß § 1 des Gesetzes zum Abschluß der Entnazifizierung vom 5.2.1952 mit Inkrafttreten des Gesetzes ohne Entscheidung eingestellt.
Steengrachts Frau lebte mit ihrem Sohn mindestens bis 1952 in Spanien. Die Ehe wurde am 22.9.1950 geschieden. Steengracht kehrte nach seiner Haftentlassung nach Moyland zurück, das in den letzten Kriegstagen beim Vormarsch der Alliierten am Niederrhein beschädigt worden war. Dort widmete er sich der Betreuung seines Gutsbesitzes und dem Wiederaufbau von Schloss Moyland. Es war ihm nicht vergönnt, die Vollendung des Wiederaufbaues „dieses für die Geschichte des Niederrheins bedeutsamen Schlosses zu erleben“, wie die Rheinische Post in einem Nachruf schrieb. Die Bemühungen um den Wiederaufbau von Schloss Moyland wurden durch einen Brand im Schloss im Jahre 1956 zunichtegemacht. Steengracht wurde am 3.2.1956 als Rechtsanwalt beim Amtsgericht und beim Landgericht in Kleve zugelassen Seine Vereidigung als Anwalt erfolgte am 2.3. und seine Eintragung in die Anwaltsliste am 7.3.1956. Seinen Sitz als Anwalt hatte er in Kleve, Kleiner Markt. Hier arbeitete er offenbar mit dem Klever Anwalt Adrian Versteyl in einer Kanzlei zusammen. Er übte die anwaltliche Tätigkeit bis zu einem Herzinfarkt im Jahre 1961 aus. In einem zeitgenössischen Personalverzeichnis firmierte er als „Staatssekretär a.D., Gutsbesitzer Moyland b. Kleve“ . Politisch hat er sich nach 1950 nicht mehr engagiert.
1952 war er einer der Mitbegründer und später Ehrenvorsitzender des Landtennisclubs „Grün-Weiß“ Moyland, der seine Anlage auf den früheren privaten Tennisplätzen der Familie Steengracht am Schloss Moyland errichtete. Zudem war er Gründungspräsident des am 14.7.1958 gegründeten Lions-Club Niederrhein, der die Kreise Kleve, Geldern, Moers umfasste. Familiengeschichtlich nicht unbedeutend ist der Verzicht auf das Patronat über die evangelische Kirche in Moyland, den er im Jahre 1968 deswegen vollzog, weil ein Kirchenpatronat wegen der hiermit verbundenen Kosten für eine Privatperson mit schwer kalkulierbaren Risiken verbunden war. Steengracht starb am 7.7.1969 im Krankenhaus zu Kranenburg an den Folgen eines schweren Kreislaufkollaps. Seine Beisetzung erfolgte am 11.7.1969 auf dem Friedhof in Moyland, das Grab liegt unmittelbar hinter dem Chor der Kirche.
Die Rolle, die Steengracht in den letzten Jahren des „Dritten Reichs“ gespielt hatte, brachte sein Verteidiger im Wilhelmstraßen-Prozess nicht unzutreffend auf den Punkt: Mein Angeklagter war eine kleine Maus, die manchmal an übelriechenden Sachen geknabbert hat. Sonst war er ein sehr feiner Mensch. Hierdurch soll seine Verstrickung in die Geschehnisse des „Dritten Reichs“, die auch seine relativ exponierte dienstliche Stellung zwischen 1943 und 1945 zwangsläufig mit sich brachte, weder relativiert noch verharmlost werden. Der vorstehende Beitrag kann nicht mehr als der Versuch sein, die verfügbaren biographischen Angaben über Steengracht aufzubereiten und für weitere Forschungen zugänglich zu machen. Eine Annäherung an seine Mentalität ist zudem schwierig, weil Steengracht außer dienstlichen Schriftstücken keine persönlichen Aufzeichnungen hinterließ. Sein Sohn charakterisierte ihn gegenüber dem Verfasser als niederrheinischen Preußen.
Archivquellen und Auskünfte
Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin: Besoldungsakte Steengracht, Auskünfte aus weiteren Akten.
Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland: NW 1000/20005 (Entnazifizierungsakte Steengracht).
Mündliche Mitteilungen von Adrian Baron Steengracht, Bedburg-Hau.
Das Urteil im Wilhelmstraßenprozess. Der amtliche Wortlaut der Entscheidung im Fall 11 des Nürnberger Militärtribunals gegen von Weizsäcker und andere, mit abweichender Urteilsbegründung, Bericht, Schwäbisch-Gmünd 1950.
Gedruckte Quellen
Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik, Serie E: 1941–1945, Bde. VI bis VIII [Mai 1943 bis Mai 1945], Göttingen 1979–1980.
Jacobsen, Hans Adolf (Hg.), Opposition gegen Hitler und der Staatsstreich vom 20. Juli 1944.
Geheime Dokumente aus dem ehemaligen Reichssicherheitshauptamt, Stuttgart 1989.
Moltke, Helmuth Caspar von/Moltke, und Ulrike (Hg.), Helmuth James und Freya von Moltke: Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel September 1939–Januar 1945, 3. Aufl., München 2011. Oppen, Beate Ruhm von (Hg.), Helmuth James von Moltke: Briefe an Freya 1939–1945, 2. Aufl., München 1991.
Literatur (Auswahl)
Blasius, Rainer A., Artikel Steengracht in: Weiß, Hermann (Hg.), Biographisches Lexikon zum Dritten Reich, Frankfurt a.M. 1998, S. 441f.
Blasius, Rainer A., Fall 11: Der Wilhelmstraßen-Prozess gegen das Auswärtige Amt und andere Ministerien, in: Ueberschär, Gerd R. (Hg.), Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943-1952, Frankfurt a.M. 1999, S. 187–198.
Conze, Eckart/Frei, Norbert/Hayes Peter/Zimmermann, Moshe, Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, Bonn 2011.
Döscher, Hans-Jürgen, Das Auswärtige Amt im Dritten Reich. Diplomatie im Schatten der ‚Endlösung‘, Berlin 1987.Isphording, Bernd/Keiper, Gerhard/Kröger, Martin (Bearb.), Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, Band 4: S, Paderborn u.a. 2012, S. 331f.
Lilla, Joachim, Adolf Baron Steengracht von Moyland (1902-1969) – Letzter Staatssekretär des Auswärtigen Amtes im „Dritten Reich“, in: Der Niederrhein 71 (2004), S. 129–136 (mit detaillierten Quellennachweisen).
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Lilla, Joachim, Adolf Baron Steengracht von Moyland, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/adolf-baron-steengracht-von-moyland-/DE-2086/lido/66018136992dc3.77826585 (abgerufen am 10.12.2024)