Adolf Baron Steengracht von Moyland

Diplomat, Staatssekretär im Auswärtigen Amt

Joachim Lilla (Krefeld)

Adolf Steengracht von Moyland. (Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes)

Adolf Ba­ron Steen­gracht von Mo­y­land war der letz­te Staats­se­kre­tär des Aus­wär­ti­gen Am­tes in der Zeit des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus. In die­se ex­po­nier­te, wenn­gleich zeit­be­dingt letzt­lich ein­fluss­lo­se Po­si­ti­on kam der Ju­rist und Guts­be­sit­zer als di­plo­ma­ti­scher Sei­ten­ein­stei­ger durch sei­ne gu­ten Be­zie­hun­gen zu Reichs­au­ßen­mi­nis­ter Joa­chim von Rib­ben­trop. Er­staun­li­cher­wei­se ge­noss von Steen­gracht in be­stimm­ten Krei­sen des kon­ser­va­ti­ven Wi­der­stan­des, be­son­ders bei Hel­muth Ja­mes Graf von Molt­ke (1907-1945) und sei­ner Frau Freya, ei­nen re­la­tiv gu­ten Ruf und galt als ver­trau­ens­wür­dig.

Gus­tav Adolf Ba­ron Steen­gracht von Mo­y­land wur­de am 15.11.1902 auf Schloss Mo­y­land (Bür­ger­meis­te­rei Till, Land­kreis Kle­ve) als Sohn des Rit­ter­guts­be­sit­zers Ni­ko­laus Adri­an Ba­ron Steen­gracht von Mo­y­land (1834–1906) und sei­ner zwei­ten Frau Ire­ne ge­bo­re­ner Kre­mer Ed­le von Au­en­ro­de (1876–1930) ge­bo­ren. Die Fa­mi­lie war evan­ge­li­scher Kon­fes­si­on. In sei­ner Kind­heit hat­te er ei­ne fran­zö­si­sche Kin­der-frau, der er in frü­hen Jah­ren gu­te Fran­zö­sisch­kennt­nis­se ver­dank­te und ei­ne Sym­pa­thie für Frank­reich. Bis zu sei­nem 10. Le­bens­jahr er­hielt Steen­gracht Pri­vat­un­ter-richt, ab Os­tern 1913 be­such­te er das hu­ma­nis­ti­sche Gym­na­si­um in Frei­berg/Sach­sen und ab Os­tern 1915 das Gym­na­si­um in Kle­ve. Dort leg­te er Os­tern 1922 das Ab­itur ab. Ab Os­tern 1922 war er prak­tisch in der Land­wirt­schaft tä­tig. Am 3.11.1922 be­gann er mit dem Stu­di­um der Land­wirt­schaft; ab dem 26.11.1923 eben-so der Rechts­wis­sen­schaf­ten an der Uni­ver­si­tät Bonn. 1923 trat er dem Korps Bo­rus­sia in Bonn (Kö­se­ner SC) bei. Hier lern­te er un­ter an­de­rem die Söh­ne des in Doorn le­ben­den Kai­sers Wil­helms II. (1859–1941) ken­nen, den er in der Fol­ge wie­der­holt in den Nie­der­lan­den be­such­te. Der By­zan­ti­nis­mus am kai­ser­li­chen Exil­hof wirk­te auf den jun­gen Nie­der­rhei­ner aber eher be­fremd­lich. Zu sei­nen Be­kannt­schaf­ten bei den Bon­ner Bo­rus­sen ge­hör­te auch Paul Graf Yorck von War­ten­burg (1902–2002), der ihn als „Mann von sel­te­nen Fä­hig­kei­ten und Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten“ be­schrieb: Ei­nen gro­ßen phy­si­schen Mut ver­band er mit den Ga­ben ei­nes war­men Her­zens. Stets hilfs­be­reit und ein­satz­freu­dig war er fern von je­dem ei­gen-süch­ti­gen Stre­ben und sich der Ver­ant­wor­tung be­wusst, die ihm aus sei­nem geis­ti­gen und ma­te­ri­el­len Er­be zu­ge­fal­len war. Das Win­ter­se­mes­ter 1924/25 ver­brach­te er an der Uni­ver­si­tät Lau­sanne, an der er in der Rechts­fa­kul­tät ein­ge­schrie­ben war. Ab dem Som­mer­se­mes­ter 1925 stu­dier­te er Rechts­wis­sen­schaf­ten an der Uni­ver­si­tät Köln, die er mit Ab­gangs­zeug­nis vom 28.7.1926 ver­ließ. Im De­zem­ber 1926 leg­te er die ers­te ju­ris­ti­sche Staats­prü­fung vor dem Ober­lan­des­ge­rich­t Köln ab. Hin­sicht­lich sei­ner Mi­li­tär­ver­hält­nis­se gibt der Per­so­nal­bo­gen des Aus­wär­ti­gen Am­tes an: „Übun­gen“ 1919 [sic!] , vom 15. März bis 15. Mai 1924 und vom 1. Ju­ni bis 1. Au­gust 1926, ver­mut­lich bei der „Schwar­zen Reichs­wehr“. Sei­ne Ver­ei­di­gung als Ge­richts­re­fe­ren­dar er­folg­te im Ja­nu­ar 1928 am Land­ge­richt Kle­ve. Die ge­le­gent­lich in der Li­te­ra­tur zu fin­den­de Be­haup­tung, er sei von 1930 bis 1933 we­gen sei­ner po­li­ti­schen Be­tä­ti­gung aus dem Jus­tiz­dienst be­ur­laubt wor­den, trifft er­kenn­bar nicht zu. Seit 1925 (nach an­de­rer An­ga­be 1928) war er Mit­glied des „Stahl­helm – Bund deut­scher Front­sol­da­ten“, vor 1933 auch des­sen „Kreis­füh­rer“ im Kreis Xan­ten. In Fa­mi­li­en-kreis be­rich­te­te Steen­gracht, wäh­rend sei­ner Zeit im Stahl­helm sei je­des Wo­chen-en­de Klein­krieg ge­we­sen. Zur Wahl des Rhei­ni­schen Pro­vin­zi­al­land­ta­ges kan­di­dier­te er er­folg­los an ers­ter Stel­le des Wahl­vor­schlags der „Kampf­front Schwarz-Weiß-Ro­t“ im Kreis Kle­ve. Schon vor 1933 un­ter­hielt er ers­te per­sön­li­che Kon­tak­te zu Franz von Pa­pen (1879–1969).

Am 16.2.1929 (Tag der münd­li­chen Prü­fung) wur­de er in Bonn „cum lau­de“ zum Dr. iur. mit ei­ner Dis­ser­ta­ti­on über „Das staats­recht­li­che Mo­ment in den §§ 99, 100 des Ent­wurfs ei­nes all­ge­mei­nen deut­schen Straf­ge­setz­bu­ches von 1927. Ei­ne staats- und straf­recht­li­che Stu­die zur Staats­rechts­re­for­m“ pro­mo­viert. Sein Dok­tor­va­ter war der seit 1926 in Bonn leh­ren­de Straf­recht­leh­rer Alex­an­der Graf zu Doh­na-Schlo­di­en (1876–1944). 1933 leg­te Steen­gracht die Gro­ße Staats­prü­fung ab und wur­de zum Ge­richt­s­as­ses­sor er­nannt. Nach An­ga­ben in sei­nem Fra­ge­bo­gen im Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ver­fah­ren soll er bis 1935 als Ge­richt­s­as­ses­sor am Land­ge­richt Kle­ve tä­tig ge­we­sen sein. In der Fol­ge­zeit ar­bei­te­te er aber auch als Rechts­be­ra­ter der Kreis­bau­ern­schaft in Kle­ve. Der NS­DAP trat er am 1.5.1933 mit der Mit­glieds­num­mer 2.837.625 bei. Von 1935 bis 1936 war er Kreis­bau­ern­füh­rer des Krei­ses Kle­ve, ab 1935 Ge­mein­de­rat der Ge­mein­de Till-Mo­y­land auf­grund der Deut­schen Ge­mein­de­ord­nung und vom 1.11.1935 bis 31.3.1937 Orts­grup­pen­lei­ter der NS­DAP-Orts­grup­pe Mo­y­land-Schnep­pen­baum. Als Stahl­helm-Füh­rer wur­de er am 1.9.1933 in die SA über­führt, wur­de am 20.4.1934 SA-Sturm­füh­rer und war, oh­ne dass Da­ten be­kannt sind, Füh­rer des SA-Sturms 11/56 bzw. des Re­ser­ve-Sturm­banns II/R 56. Vom 1.4. bis 26.5.1936 und vom 7.1. bis 17.2.1938 ab­sol­vier­te Steen­gracht zwei wei­te­re Wehr­übun­gen und war hier­nach Un­ter­of­fi­zier der Re­ser­ve und Re­ser­ve­of­fi­ziers­an­wär­ter. Am 16.5.1933 hei­ra­te­te Steen­gracht in Ber­lin die aus dem Bal­ti­kum stam­men­de Ilse­ma­rie Ba­ro­nes­se von Hahn (1908–1964). Aus der Ehe ging ein Sohn her­vor, der am 16.11.1936 in Mo­y­land ge­bo­re­ne Ni­ko­laus Adri­an.

Die Ehe­schlie­ßung lei­te­te mit­tel­bar auch ei­ne be­ruf­li­che Um­ori­en­tie­rung Steen­grachts ein. Die jun­ge Ba­ro­nin Steen­gracht fühl­te sich am Nie­der­rhein nicht son­der­lich hei­misch. Ihr Mann fand den pro­vin­zi­el­len NS-Hur­ra-Pa­trio­tis­mus und die Pflicht, je­der lo­ka­len NS-Grö­ße, den deut­schen Gruß ent­bie­ten zu müs­sen, ent­setz­lich. Das jun­ge Paar war sich dar­in ei­nig, den Nie­der­rhein mög­lichst bald ver­las­sen zu wol­len. In Steen­gracht keim­te der Ge­dan­ke auf, in den di­plo­ma­ti­schen Dienst ein­zu­tre­ten. Zu­nächst ver­such­te er wohl auf­grund sei­ner per­sön­li­chen Kon­tak­te nach Ber­lin, Land­wirt­schaft­sat­ta­ché in Pa­ris zu wer­den. War­um er letzt­lich nicht den di­rek­ten Weg in die di­plo­ma­ti­sche Lauf­bahn wähl­te, son­dern statt­des­sen zu­nächst in die „Dienst­stel­le Rib­ben­trop“ ein­trat, wird sich wohl nicht mehr klä­ren las­sen. Der klas­si­sche Weg hät­te ihm auf­grund sei­ner ju­ris­ti­schen Aus­bil­dung zwei­fels­oh­ne of­fen ge­stan­den.

 

Wann ge­nau Steen­gracht die per­sön­li­che Be­kannt­schaft Rib­ben­trops ge­macht hat, ist nicht be­kannt. Je­den­falls be­haup­te­te er bei sei­ner Ver­neh­mung in Nürn­berg, er ha­be ihn zum Zeit­punkt der „Wie­der­be­set­zung des Rhein­lan­des“ im März 1936 noch nicht ge­kannt und ihn „erst­ma­lig im Jahr 1936 ge­se­hen“. Vom 1.10.1936 bis 2.10.1938 war Steen­gracht Re­fe­rent im Ver­trags­ver­hält­nis in der „Dienst­stel­le Rib­ben­trop“ und ge­hör­te so­mit zu dem Per­so­nen­kreis, mit dem Rib­ben­trop auf Dau­er aus dem Aus­wär­ti­gen Amt ei­ne in per­so­nel­ler Hin­sicht ein­wand­freie na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Be­hör­de ma­chen woll­te. Steen­gracht ar­bei­te­te seit der Er­nen­nung Joa­chim von Rib­ben­trops zum neu­en deut­schen Bot­schaf­ter im Ver­ei­nig­ten Kö­nig­reich in Lon­don. Rib­ben­trop hat­te ei­nen gro­ßen Stab von Mit­ar­bei­tern mit­ge­bracht, die zu­nächst nicht zur An­mel­dung zur Di­plo­ma­ten­lis­te ka­men, so auch im Fal­le Steen­gracht. In der Bot­schaft selbst scheint Steen­gracht kei­ne Funk­ti­on ge­habt zu ha­ben, denn sein Na­me ist auf den Un­ter­schrifts­lis­ten von bot­schafts­in­ter­nen Um­läu­fen nie auf­ge­führt. Im Au­gust 1937 schlug die Bot­schaft dem Aus­wär­ti­gen Amt vor, nun die bis­her noch nicht an­ge­mel­de­ten Per­so­nen des per­sön­li­chen Sta­bes des Bot­schaf­ters an­zu­mel­den – ins­ge­samt 22 Per­so­nen – und reg­te für Steen­gracht die Be­zeich­nung „Hilfs­re­fe­ren­t“ („As­sis­tant Staff Of­fi­ce­r“) an. Das Aus­wär­ti­ge Amt lehn­te die­sen Vor­schlag mit der be­sorg­ten Be­grün­dung ab, daß die­se Per­so­nen, zu­mal wenn sie sich als ‚Re­fe­ren­ten‘ be­zeich­nen, aus ih­rer of­fi­zi­el­len An­mel­dung in die­ser Ei­gen­schaft ei­nes Ta­ges An­sprü­che an das Aus­wär­ti­ge Amt her­lei­ten kön­nen, was ver­mie­den wer­den muß. Da­ge­gen ha­be ich kei­ne Ein­wen­dun­gen da­ge­gen zu er­he­ben, daß die in Fra­ge kom­men­den Per­sön­lich­kei­ten zwar nicht als Bot­schafts­per­so­nal, wohl aber als der Per­son des Herrn Bot­schaf­ters vor­über­ge­hend zu­ge­teil­te Hilfs­kräf­te an­ge­mel­det wer­den. Die Vor­schlags­lis­te wur­de ent­spre­chend ab­ge­än­dert; ihr Kon­zept trägt Rib­ben­trops Rand­ver­merk Ich möch­te dies selbst im F.O. [For­eign Of­fice] ab­ge­ben. Auf ei­ner Lis­te der Mit­glie­der der Bot­schaft, die am 13.6.1937 auf ei­ne ent­spre­chen­de Auf­for­de­rung des For­eign Of­fice die­sem über­sandt wur­de, ist Steen­gracht als „Ho­no­ra­ry At­ta­ché“ be­zeich­net. Ei­ne Ab­mel­dung Steen­grachts in Lon­don bei sei­ner Rück­kehr nach Deutsch­land im Früh­jahr 1938 ist ent­we­der un­ter­blie­ben oder das ent­spre­chen­de Do­ku­ment fehlt in der Ak­te. Wel­che Funk­tio­nen er ge­nau wäh­rend sei­ner Tä­tig­keit für die „Dienst­stel­le Rib­ben­trop“ in Lon­don aus­ge­übt hat, ist nicht be­kannt. Be­kannt ist, dass er - oh­ne nen­nens­wer­te Eng­lisch­kennt­nis­se - zahl­rei­che Vor­trä­ge über die deut­sche Land­wirt­schaft ge­hal­ten hat. Hier­auf ist mög­li­cher­wei­se die im­mer wie­der auf­tau­chen­de Be­zeich­nung Steen­grachts als „Land­wirt­schaft­sat­ta­ché“ in Lon­don zu­rück­zu­füh­ren. Als sol­cher hät­te er of­fi­zi­ell zum Bot­schafts­per­so­nal ge­hö­ren müs­sen, was aber ein­deu­tig nicht der Fall war. Die­se An­ga­be ist of­fen­bar auf den Wil­helm­stra­ßen­pro­zeß zu­rück­zu­füh­ren, wo Steen­grachts Funk­ti­on in Lon­don als „land­wirt­schaft­li­cher At­ta­ché“ be­schrie­ben wird. Die­se un­zu­tref­fen­de An­ga­be geis­tert auch durch die Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ak­te Steen­grachts. Durch sei­ne Tä­tig­keit im per­sön­li­chen Stab des Bot­schaf­ters kam er in nä­he­re Be­rüh­rung mit Rib­ben­trop und fiel ihm wohl an­ge­nehm auf, weil er auf­grund sei­nes Her­kom­mens und sei­ner per­sön­li­chen Stel­lung nicht mit Ab­hän­gig­kei­ten „be­las­te­t“ war.

An der Bot­schaft in Lon­don mach­te Steen­gracht auch die Be­kannt­schaft des Völ­ker­recht­lers und spä­te­ren Wi­der­stands­kämp­fers Hel­muth Ja­mes Graf v. Molt­ke und sei­ner Frau Freya. Die­se er­in­ner­te sich nach dem Krieg, dass Steen­gracht zu den Leu­ten ge­hört ha­be, die glaub­ten, von in­nen mehr er­rei­chen zu kön­nen als von au­ßen. Zwi­schen den Steen­grachts, ins­be­son­de­re der Ba­ro­nin, und den Molt­kes ent­wi­ckel­te sich in den fol­gen­den Jah­ren ein na­he­zu freund­schaft­li­cher Kon­takt mit Be­su­chen in Krei­sau.

Mit der Rück­kehr Rib­ben­trops nach Ber­lin als Reichs­mi­nis­ter des Aus­wär­ti­gen im Fe­bru­ar 1938 kam auch Steen­gracht nach Deutsch­land zu­rück und war zu­nächst wei­ter in der „Dienst­stel­le Rib­ben­trop“ tä­tig. Am 21.9.1938 wur­de er dann (mit Wir­kung vom 3.10.) als Le­ga­ti­ons­se­kre­tär im Aus­wär­ti­gen Amt, zu­nächst als Be­am­ter auf Wi­der­ruf, ein­ge­stellt. Um die der Ein­stel­lung Steen­grachts und an­de­rer Per­so­nen aus der „Dienst­stel­le Rib­ben­trop“ und aus Or­ga­ni­sa­tio­nen der NS­DAP ent­ge­gen­ste­hen­den be­am­ten­recht­li­chen Schwie­rig­kei­ten zu über­win­den, ließ sich Rib­ben­trop im Früh­jahr 1939 von Hit­ler zu ei­ner grund­le­gen­den Re­or­ga­ni­sa­ti­on und Um­ge­stal­tung des aus­wär­ti­gen Diens­tes er­mäch­ti­gen. Im Aus­wär­ti­gen Amt war Steen­gracht zu­nächst im Pro­to­koll, ab 1939 im Per­sön­li­chen Stab des Reichs­au­ßen­mi­nis­ters tä­tig. In der Fol­ge mach­te er die für ei­nen vom Mi­nis­ter pro­te­gier­ten Sei­ten­ein­stei­ger nicht un­ty­pi­sche Blitz­kar­rie­re: am 20.4.1939 wur­de er Le­ga­ti­ons­rat, am 16.4.1940 Le­ga­ti­ons­rat I. Kl., am 28.1.1941 Vor­tra­gen­der Le­ga­ti­ons­rat und am 10.7.1941 Ge­sand­ter I. Kl. als Mi­nis­te­ri­al­di­ri­gent im Per­sön­li­chen Stab des Reichs­au­ßen­mi­nis­ters – in der Funk­ti­on ei­nes Chef­ad­ju­tan­ten Rib­ben­trops. Am 10.4.1942 er­folg­te die Er­nen­nung zum Be­am­ten auf Le­bens­zeit. An­ge­sichts sei­ner Tä­tig­keit im aus­wär­ti­gen Dienst war er ab Kriegs­be­ginn u. k. ge­stellt. Par­al­lel zu sei­ner Kar­rie­re im Aus­wär­ti­gen Amt stieg er auch in der SA rasch zu hö­he­ren Rän­gen auf: am 9.11.1940 wur­de er zum SA-Stan­dar­ten­füh­rer er­nannt, am 9.11.1942 zum SA-Ober­füh­rer und am 20.4.1944 zum SA-Bri­ga­de­füh­rer. An Or­den und Eh­ren­zei­chen wur­den ihm bis En­de 1944 ver­lie­hen: das SA-Sport­ab­zei­chen in Bron­ze, die Me­dail­le zur Er­in­ne­rung an den 1.10.1938 (Su­de­ten-Me­dail­le) mit Span­ge „Pra­ger Bur­g“, die Me­dail­le zur Er­in­ne­rung an die Heim­kehr des Me­mel­lan­des 1939, das Dan­zig-Kreuz II. Kl., das Kriegs­ver­dienst­kreuz II. Kl. und I. Kl.

Adolf von Steengracht (2. v. l.) auf der Anklagebank in Nürnberg. (National Archives | ID 169157607)

 

Zwar be­zeich­ne­te er sei­ne Stel­lung im Aus­wär­ti­gen Amt vor der Er­nen­nung zum Staats­se­kre­tär spä­ter mit of­fen­bar ge­lin­dem Un­der­state­ment und in exkul­pa­to­ri­scher Ab­sicht als Ad­ju­tant, das hei­ßt, ich ha­be mit den tech­ni­schen Sa­chen zu tun ge­habt. Ich ha­be nie­mals zu der Zeit ihm ei­nen po­li­ti­schen Be­richt vor­ge­legt. Dass Steen­gracht sehr wohl auch mit po­li­ti­schen Din­gen be­fasst war, geht deut­lich aus den Ak­ten her­vor. So gab er et­wa im Herbst 1941 ei­ne Äu­ße­rung Hit­lers über even­tu­el­le Pres­sa­li­en ge­gen deut­sche Ju­den im Fal­le ei­nes Kriegs­ein­tritts der USA wei­ter, im März 1942 wur­de er vom deut­schen Ge­ne­ral­gou­ver­neur in Po­len, Hans Frank (1900–1946), ge­mein­sam mit dem Ge­sand­ten Alex­an­der Frei­herr von Dörn­berg zu Hau­sen (1901–1983), dem Chef des Pro­to­kolls des Aus­wär­ti­gen Am­tes, emp­fan­gen, und im Ok­to­ber 1942 in­for­mier­te ihn Un­ter­staats­se­kre­tär Mar­tin Lu­ther (1895–1945) über die Ab­sicht des Reichs­kom­mis­sars in den Nie­der­lan­den, Ar­thur Seyß-In­quart (1892–1946), Hit­ler um sein Ein­ver­ständ­nis für die be­ab­sich­tig­te Ein­set­zung des nie­der­län­di­schen NS-Füh­rers An­ton Adria­an Mus­sert (1894–1946) zum nie­der­län­di­schen Mi­nis­ter­prä­si­den­ten zu bit­ten.

Die in der Li­te­ra­tur ge­le­gent­lich be­haup­te­te Funk­ti­on Steen­grachts als „Ver­tre­ter des AA im Füh­rer­haupt­quar­tier“ ist in die­ser Form un­zu­tref­fend. Stän­di­ger Be­auf­trag­ter des RAM beim Füh­rer war von Sep­tem­ber 1940 bis Kriegs­en­de Bot­schaf­ter Wal­ter Hewel (1904–1945). Ein län­ge­rer Auf­ent­halt Steen­grachts im Füh­rer­haupt­quar­tier ist für die Zeit vom 17.12.1942 bis 15.3.1943 nach­weis­bar. In die­ser Zeit weil­te er als Chef­ad­ju­tant des Herrn RAM be­zw. als Be­auf­trag­ter des RAM in Wolfs­schan­ze. Dies recht­fer­tigt die An­nah­me, dass es sich da­bei um ei­ne Art Ur­laubs­ver­tre­tung für Hewel ge­han­delt ha­ben muss, der am 26.12.1942 von der Wolfs­schan­ze nach Ber­lin reis­te und an Steen­grachts Ab­rei­se­tag 15.2.1943 dort­hin zu­rück­kehr­te.

Steen­gracht wur­de am 31.3.1943 zum Staats­se­kre­tär des Aus­wär­ti­gen Am­tes und so­mit zum stän­di­gen Ver­tre­ter des Reichs­au­ßen­mi­nis­ters er­nannt. Of­fen­bar in Kennt­nis der mitt­ler­wei­le aus­weg­lo­sen po­li­ti­schen und mi­li­tä­ri­schen La­ge des Deut­schen Rei­ches lehn­te er die Er­nen­nung zum Staats­se­kre­tär zu­nächst ab und schlug so­gar sei­ne Ver­set­zung an die Front vor. Rib­ben­trop gab ihm dar­auf­hin un­miss­ver­ständ­lich zu ver­ste­hen, dass sei­ne Wei­ge­rung als Feig­heit vor dem Feind an­ge­se­hen wür­de mit al­len hier­mit ver­bun­de­nen Kon­se­quen­zen für Leib und Le­ben. Steen­grachts Frau wirk­te nach der Nach­richt voll­kom­men ver­zwei­felt und auf­ge­löst. Hel­muth Ja­mes Graf von Molt­ke, dem sie da­von er­zähl­te, mein­te, das sei si­cher ein gi­gan­ti­scher April­scherz[,] den ihr Adolf sich da leis­te­te, aber sie blieb da­bei und er­klär­te mir auf mei­ne heu­ti­ge Rück­fra­ge, er ha­be es ihr heu­te er­neut be­stä­tigt. Die­ser Wech­sel im Amt er­folg­te im Zu­sam­men­hang mit ei­ner Um­or­ga­ni­sa­ti­on im Aus­wär­ti­gen Amt im Früh­jahr 1943. In der Fol­ge wur­den zum 1.4.1943 und spä­ter meh­re­re Spit­zen­po­si­tio­nen neu be­setzt. We­ni­ge Ta­ge nach Be­kannt­wer­den des Re­vi­re­ments no­tier­te der bis­he­ri­ge Staats­se­kre­tär Ernst von Weiz­sä­cker (1882–1951), dass nicht zu­letzt vor dem Hin­ter­grund der Tä­tig­keit Steen­grachts als Ver­tre­ter des Aus­wär­ti­gen Am­tes im Füh­rer­haupt­quar­tier der Wech­sel von mir zu dem beim Füh­rer u. be­son­ders bei H. v. Rib­ben­trop wohl­an­ge­se­he­nen H. v. Steen­gracht ... die Ver­bin­dung vom Haupt­quar­tier zum A. A. sehr be­le­ben u. dem A. A. nütz­lich wer­den kön­ne. Was Rib­ben­trop von sei­nem neu­en Staats­se­kre­tär er­war­te­te, hat er ihm deut­lich bei des­sen Amts­an­tritt mit­ge­teilt: Sei­ne Auf­ga­be als Staats­se­kre­tär sei ei­ne drei­fa­che: 1. Ver­bin­dung mit den Di­plo­ma­ten in Ber­lin zu hal­ten; 2. das Aus­wär­ti­ge Amt recht­zei­tig zu dis­zi­pli­nie­ren; 3. mit rück­sichts­lo­ser En­er­gie die Zu­stän­dig­keit des Aus­wär­ti­gen Am­tes ge­gen­über al­len an­de­ren Dienst­stel­len zu wah­ren. Steen­grachts An­nah­me, er wür­de auch in po­li­ti­schen Din­gen et­was zu sa­gen ha­ben, wies Rib­ben­trop zu­rück, denn das sei sein dau­ern­der Kampf mit Weiz­sä­cker ge­we­sen, der sich im­mer in die Po­li­tik ein­zu­mi­schen ver­sucht ha­be, die aus­schlie­ß­lich Hit­ler und ihn selbst an­gin­ge, Steen­gracht ha­be ein­fach die von ihm er­hal­te­nen An­ga­ben aus­zu­füh­ren. In die­sem Zu­sam­men­hang mag es nicht oh­ne Be­lang sein, dass Steen­gracht auch nach sei­ner Er­nen­nung zum Staats­se­kre­tär zu­min­dest no­mi­nell Chef des „Per­sön­li­chen Stabs RAM“ blieb. 

Steen­gracht über­nahm am 30.4.1943 die Ge­schäf­te von sei­nem Amts­vor­gän­ger Ernst von Weiz­sä­cker. Die Amts­über­ga­be ver­lief wohl für Steen­gracht et­was ent­täu­schend, denn Weiz­sä­cker gab kei­ner­lei sach­li­che Er­klä­run­gen: Über Po­li­tik brauch­te ich mit Herrn Steen­gracht nicht zu re­den. Da er von der Quel­le der Ent­schlüs­se kommt, könn­te höchs­tens er mich be­leh­ren. Statt­des­sen hän­dig­te er ihm nur den Schlüs­sel zu ei­nem Safe aus, in dem nur ein al­tes völ­lig un­in­ter­es­san­tes Ge­heim­do­ku­ment und 59 Mark wa­ren. Bei der Über­ga­be glaub­te Weiz­sä­cker zu spü­ren, daß man­ches an­ders wer­den wird und kei­nes­falls schlech­ter. Herr von Steen­gracht hat hol­län­di­sches Blut und ei­nen ent­spre­chend prak­ti­schen Sinn. Er or­ga­ni­siert gern und küm­mert sich um Din­ge, die ich gern An­de­ren über­ließ.

Die Er­nen­nung Steen­grachts zum Staats­se­kre­tär rief bei In­si­dern un­ter­schied­li­che Re­ak­tio­nen her­vor. Hel­muth Ja­mes von Molt­ke schrieb sei­ner Frau am 2.4.1944, das Gan­ze ist wirk­lich ei­ne Ka­ta­stro­phe und sieht doch auch nach aus­sen sehr merk­wür­dig aus, denn selbst die freund­lichs­te Be­trach­tung des teu­ren Ba­ron’s kann nicht zu dem Er­geb­nis füh­ren, daß man ihm die für ei­nen sol­chen Pos­ten not­wen­di­ge Rou­ti­ne zu­traut. Ul­rich von Has­sell (1881–1944) no­tier­te in sei­nem Ta­ge­buch, er sei un­be­deu­tend, gänz­lich un­er­fah­ren und ei­ne rei­ne Krea­tur R[ib­ben­trop]s, der sei­ne Kar­rie­re ab­ge­se­hen von die­sen Ei­gen­schaf­ten sei­ner sehr hüb­schen, ehr­gei­zi­gen, in­tel­li­gen­ten, üb­ri­gens auch er­staun­lich kul­ti­vier­ten Frau ver­dankt. [...] Die Par­tei liebt üb­ri­gens den Ba­ron und Rit­ter­guts­be­sit­zer, der erst seit 1931 da­bei ist, nicht be­son­ders. Ge­ne­ral­oberst Lud­wig Beck (1880–1944) mein­te in­des zu von Has­sell, Steen­gracht se­he die La­ge und Din­ge rich­tig und sei ein Herr. Jo­seph Go­eb­bels (1897–1945) stell­te nach dem An­tritts­be­such von Steen­grachts bei ihm im Mai 1943 fest, die­ser sei ei­ne ziem­lich mit­tel­mä­ßi­ge Fi­gur, die höchs­tens als bes­se­rer Se­kre­tär ge­wer­tet wer­den kön­ne. Von ei­nem Ein­fluß auf die deut­sche Au­ßen­po­li­tik von sei­ner Sei­te kann über­haupt nicht die Re­de sein. Hans von Her­warth (1904–1999) be­rich­tet über ein Ge­spräch, das er im Früh­jahr 1943 in Sim­fero­pol mit Ge­ne­ral­feld­mar­schall Ewald von Kleist (1881–1954) führ­te, in dem es un­ter an­de­rem um den Wech­sel von Weiz­sä­cker zu Rib­ben­trop ging: Ich kann­te Steen­gracht gut, er ge­hör­te nicht dem al­ten Aus­wär­ti­gen Amt an, son­dern hat­te sei­ne Kar­rie­re durch die Par­tei ge­macht. Ich hat­te ihn in Mos­kau nä­her ken­nen­ge­lernt und schätz­te ihn als ei­nen an­stän­di­gen Mann, der es im­mer ab­lehn­te, Din­ge zu tun, die er mit sei­nem Ge­wis­sen nicht ver­ein­ba­ren konn­te. Vom di­plo­ma­ti­schen Ge­schäft ver­stand er weit we­ni­ger [...] Mein mi­li­tä­ri­sches Wis­sen als Ritt­meis­ter der Re­ser­ve sei zwar ge­ring, aber das di­plo­ma­ti­sche Wis­sen Steen­grachts sei noch ge­rin­ger. Der da­ma­li­ge Bot­schaf­ter in An­ka­ra, der frü­he­re Reichs­kanz­ler Franz von Pa­pen, be­zeich­ne­te Steen­gracht spä­ter als ei­nen Mann von sehr kla­rem Ver­stan­de, und ich wuss­te, dass er mei­ne Ge­dan­ken bei Rib­ben­trop un­ter­stüt­zen wer­de. Ein fast bos­haf­tes De­tail no­tier­te der vor­ma­li­ge ös­ter­rei­chi­sche Mi­nis­ter und spä­te­re Deut­sche Be­voll­mäch­tig­ter Ge­ne­ral in Kroa­ti­en, Ed­mund Glai­se von Hors­ten­au (1882–1946), im De­zem­ber 1944: In ei­nem ver­trau­ten Krei­se er­fuhr ich au­then­ti­sche Ein­zel­hei­ten über die Rol­le der Frau v. Rib­ben­trop und des Dr. Steen­gracht, des po­li­ti­schen Staats­se­kre­tärs im [!] Aus­wär­ti­gen Amt. Die­ser sieht sei­ne Haupt­auf­ga­be dar­in, den pe­ne­tran­ten Ein­fluß der ab­schre­ckend hä­ß­li­chen Mi­nis­ters­gat­tin auf ih­ren Mann ab­zu­weh­ren. Die­se ru­fe schon oft um 7 Uhr früh an und ge­be Wei­sun­gen und Rü­gen, die Steen­gracht ab­zu­weh­ren ver­su­che. Es ist al­les schon furcht­bar. Sein Amts­vor­gän­ger Ernst von Weiz­sä­cker be­schei­nig­te ihm aber noch nach dem Krieg, Steen­gracht ha­be sich in Fra­gen des An­stan­des und der Für­sor­ge für sei­ne Be­am­ten blei­ben­de Ver­diens­te er­wor­ben. Po­li­tisch war sei­ne Ar­beit von vorn­her­ein durch die Kriegs­la­ge schwer be­las­tet und ge­hemmt.

Um den Ein­fluss des Aus­wär­ti­gen Am­tes auf die Ge­stal­tung der aus­wär­ti­gen Po­li­tik wie­der zu stär­ken, war es nach Steen­grachts Auf­fas­sung er­for­der­lich, ste­tig die per­sön­li­chen Be­zie­hun­gen zu den füh­ren­den Per­sön­lich­kei­ten und der SS zu ver­bes­sern, um stän­dig über de­ren An­sich­ten und Ab­sich­ten in­for­miert zu sein. Sei­ne Tä­tig­keit un­ter die­ser Prä­mis­se wäh­rend sei­ner rund zwei Jah­re wäh­ren­den Amts­zeit als Staats­se­kre­tär des Aus­wär­ti­gen Am­tes kann in die­sem Bei­trag nicht im De­tail dar­ge­stellt wer­den, denn dies wä­re na­he­zu ei­ne Ge­schich­te des Aus­wär­ti­gen Am­tes im frag­li­chen Zeit­raum. Zum Jah­res­be­ginn 1945, zwi­schen der ge­schei­ter­ten Ar­den­nen­of­fen­si­ve und dem Be­ginn der so­wje­ti­schen Win­ter­of­fen­si­ve, schie­nen Rib­ben­trop und Steen­gracht erst­mals über di­plo­ma­ti­sche In­itia­ti­ven, et­wa im Hin­blick auf ei­nen Se­pa­rat­frie­den mit der So­wjet­uni­on oder auf Ver­hand­lun­gen mit den West­al­li­ier­ten, nach­ge­dacht zu ha­ben. In­wie­weit hier ein Steen­gracht be­kann­ter Plan Pa­pens, nach Ma­drid zu ge­hen, um mit den West­mäch­ten ei­nen Plan zu ver­ein­ba­ren, nach dem sie Deutsch­land Schritt für Schritt be­set­zen, wäh­rend wir im Os­ten wei­ter­kämp­fen, auch ei­ne Rol­le spiel­te, muss of­fen­blei­ben. Steen­gracht teil­te Pa­pen mit, Herr von Rib­ben­trop ha­be ge­äu­ßert, er wür­de je­den we­gen De­fai­tis­mus er­schie­ßen las­sen, der es wa­gen soll­te, un­se­ren Wi­der­stands­wil­len durch die Dis­kus­si­on sol­cher Plä­ne zu schwä­chen. Nach­dem im Ja­nu­ar 1945 die so­wje­ti­sche Ar­mee an der Oder stand, wur­de auch der Gro­ß­teil des Per­so­nals des Aus­wär­ti­gen Am­tes, des­sen Haupt­ge­bäu­de bei ei­nem Luft­an­griff am 21.11.1943 schwer zer­stört wor­den war, aus Ber­lin eva­ku­iert. In der zer­stör­ten Reichs­haupt­stadt blieb nur noch ei­ne Rest­grup­pe mit dem Mi­nis­ter und dem Staats­se­kre­tär an der Spit­ze, weil Hit­ler be­foh­len hat­te, dass Ber­lin aus Pres­ti­ge­grün­den wei­ter­hin of­fi­zi­el­ler Dienst­sitz der Reichs­mi­nis­te­ri­en sein müs­se. An­fang April wur­den dann auch die Rest­grup­pen aus Ber­lin ab­ge­zo­gen. Wie und wo ge­nau Steen­gracht die­se Zeit ver­bracht hat, ist nicht be­kannt. Er ge­lang­te je­den­falls An­fang Mai nach Flens­burg, wo er noch als Staats­se­kre­tär un­ter Rib­ben­trops Nach­fol­ger Lutz Graf Schwe­rin von Kro­sigk (1887–1977) in der „Ge­schäfts­füh­ren­den Reichs­re­gie­run­g“ un­ter Gro­ßad­mi­ral Karl Dö­nitz (1891–1980) in Flens­burg tä­tig war, oh­ne al­ler­dings noch nen­nens­wert her­vor­zu­tre­ten. Le­dig­lich für den 12.5.1945 ist ein Vor­trag Steen­grachts über ein eng­li­sches In­ter­view über­lie­fert.

Ei­ne nicht un­we­sent­li­che Fra­ge ist, ob und in­wie­weit Steen­gracht in die Plä­ne des Krei­sau­er Krei­ses ein­ge­weiht war und wie er zu die­sen Plä­nen stand. So gab es bei­spiels­wei­se En­de Ju­ni, An­fang und Mit­te Au­gust so­wie in der zwei­ten No­vem­ber­hälf­te 1943 meh­re­re Kon­tak­te und Ge­sprä­che zwi­schen Steen­gracht und Molt­ke. In dem Ge­spräch An­fang Au­gust soll­te er­ör­tert wer­den, wie sich in die­ser spä­ten Stun­de noch blöd­sin­ni­ge Un­ta­ten ver­hin­dern las­sen. Die In­itia­ti­ve zu die­ser Be­spre­chung geht von ihm [Steen­gracht] aus und ich bin sehr ge­spannt, wie das ge­hen wird. Die­ses Ge­spräch war dann al­ler­dings nur mitt­le­rer Art und Gü­te. Es ist ei­gent­lich nicht viel da­bei her­aus­ge­kom­men. Man hat in et­wa den Ein­druck, daß er nicht mehr recht will, son­dern sich in das Un­ver­meid­li­che fügt. Ei­ni­ge Wo­chen spä­ter tra­fen bei­de er­neut zu­sam­men: Da­bei kam nicht gar­zu viel raus, aber viel­leicht be­kom­me ich ihn noch da­zu, et­was zu tun. Wie die­se an­ge­sichts der Brief­zen­sur recht ver­klau­su­lier­ten Brief­zei­len Molt­kes zu deu­ten sind, er­hellt sich zu­min­dest teil­wei­se aus ei­nem Be­richt Freya von Molt­kes aus dem Jahr 1947: Steen­gracht ha­be wenn nicht po­si­tiv ge­wusst, so doch frag­los ge­ahnt, dass der Sturz Hit­lers ge­plant war und dass Vor­be­rei­tun­gen für die Zeit nach dem En­de des Hit­ler-Re­gimes im Gan­ge wa­ren. Er hat auch ge­wusst, von wel­cher Sei­te die­se Ver­su­che ka­men und es war ihm klar, dass Pe­ter Graf von Yorck, ein Stu­di­en­freund, und mein Mann dar­an be­tei­ligt wa­ren. Ich weiß po­si­tiv, dass ihm die Plä­ne die­ser bei­den Män­ner na­he ge­bracht wor­den sind. Trotz­dem hat er nicht nur nichts ge­gen sie un­ter­nom­men, son­dern hat ih­nen wäh­rend sei­ner Amts­zeit in ein­zel­nen kon­kre­ten Fäl­len, wo es sich um den Schutz von Men­schen han­del­te, die durch den Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ge­fähr­det wa­ren, bei­ge­stan­den. Mein Mann und Yorck hoff­ten im­mer, Steen­gracht auf die Dau­er ganz für ih­re Sa­che zu ge­win­nen. Nach dem At­ten­tat vom 20. Ju­li 1944 hat Steen­gracht sich nach bes­ten Kräf­ten für die Ret­tung Yorcks und mei­nes Man­nes ein­ge­setzt. Er hat nichts un­ter­las­sen, was nütz­lich und aus­sichts­reich zur Er­rei­chung die­ses Ziels er­schien und hat die Si­che­rung sei­ner Per­son da­hin­ter zu­rück­ge­stellt. Daß es ihm nicht ge­lang, lag nicht an man­geln­dem Ein­satz, son­dern dar­an, dass die SS zur Ver­nich­tung der Ver­schwö­rer von vor­ne her­ein fest ent­schlos­sen war. Sein Ein­satz hat­te zur Fol­ge, dass er selbst ver­däch­tigt wur­de. Mein Mann be­rich­te­te mir in ei­nem aus dem Ge­fäng­nis Te­gel ge­schmug­gel­ten Brief vom De­zem­ber 1944, dass er in der Prinz-Al­brecht-Stra­ße (Reichs­si­cher­heits­haupt­amt) ein Ver­hör hat­te, das sich aus­schlie­ß­lich mit Steen­gracht be­fass­te. Mein Mann wur­de im Lau­fe des Ver­hörs ge­fragt, ob Steen­gracht nicht auch zu dem von der SS so ge­tauf­ten ‚Krei­sau­er Kreis’ ge­hö­re. Steen­gracht und mein Mann wa­ren nicht be­freun­det. Sein Ein­satz galt we­ni­ger ei­nem Freund als der Sa­che, und be­wies Mut. Ich per­sön­lich den­ke mit gro­ßer Dank­bar­keit an Steen­grachts Hil­fe in den Mo­na­ten vor der Hin­rich­tung mei­nes Man­nes. Er emp­fing mich im­mer wie­der, um mit mir mög­li­che Schrit­te zu er­ör­tern und um mich zu ori­en­tie­ren. Heu­te mag das selbst­ver­ständ­lich klin­gen, da­mals war das ge­fähr­lich, und die Angst, et­was mit ‚uns’ zu tun zu ha­ben, all­ge­mein.

Als un­be­dingt po­si­tiv wur­de Steen­gracht auch durch Adam von Trott zu Solz in ei­ner Ver­neh­mung nach dem 20. Ju­li 1944 be­zeich­net. Hier­aus er­gibt sich, daß Steen­gracht ei­ni­gen Krei­sen des Wi­der­stan­des wohl als ver­trau­ens­wür­dig galt, er sich aber letzt­lich ge­scheut hat, den ent­schei­den­den Schritt zu ei­ner Be­tei­li­gung am Wi­der­stand zu un­ter­neh­men. Ob er sich hier­bei von der Hoff­nung lei­ten ließ von in­nen mehr er­rei­chen zu kön­nen als von au­ßen, ob er re­si­gniert hat­te - sich in das Un­ver­meid­li­che fügt, wie es Hel­muth Ja­mes von Molt­ke schien -, oder ob ihn letzt­lich die Sor­ge um das Schick­sal sei­ner Fa­mi­lie da­von ab­hielt, wird sich wohl nicht mehr klä­ren las­sen. Der pu­bli­zier­te Brief­wech­sel von Hel­mut Ja­mes und Freya von Molt­ke aus der Haft des ers­te­ren im Ge­fäng­nis Te­gel (Sep­tem­ber 1944 bis Ja­nu­ar 1945) lässt mehr­fach er­ken­nen, dass man­che Hoff­nung des In­haf­tier­ten bzw. zum To­de Ver­ur­teil­ten so­wie sei­ner Frau auf Steen­gracht ge­setzt wur­de, der im Brief­wech­sel durch­gän­gig mit dem Pseud­onym „Adri­an“ be­zeich­net wird.

Adolf Steengracht von Moyland und Alexander von Dörnberg auf dem Gallenbachhof bei Fuschl, um 1943. (Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes)

 

Mit der Re­gie­rung Dö­nitz wur­de Steen­gracht am 23.5.1945 in Flens­burg von den Al­li­ier­ten in­haf­tiert. Nach län­ge­rer In­ter­nie­rung in Lu­xem­burg wur­de Steen­gracht vom 23.2.1946 und am 26./27.3.1946 als Zeu­ge im Nürn­ber­ger Haupt­kriegs­ver­bre­cher­pro­zess ver­nom­men. Dies war auf An­trag Mar­tin Horns (1911-1960), Ver­tei­di­ger Rib­ben­trops, er­folgt. In Nürn­berg trat Steen­gracht un­ter an­de­rem als Ent­las­tungs­zeu­ge für Franz von Pa­pen in Er­schei­nung. Dies galt auch für Rib­ben­trop, der – so die Aus­sa­ge Steen­grachts - die Be­feh­le Hit­lers blind­lings be­folgt ha­be.

Steen­gracht selbst wur­de im „Fall 11“, dem vom 4.11.1947 bis 4.4.1949 dau­ern­den „Wil­helm­stra­ßen-Pro­zes­s“, an­ge­klagt. Er wur­de für so re­le­vant er­ach­tet, dass sein Na­me hier teils noch vor Weiz­sä­ckers ge­nannt wur­de. Sein Ver­tei­di­ger war Carl Ha­en­sel (1889–1945). Das Ur­teil ge­gen Steen­gracht wur­de am 14. April ver­kün­det: Der Schuld­spruch stütz­te sich auf sei­ne Kennt­nis, die er von der Er­mor­dung von 50 Of­fi­zie­ren der Roy­al Air Force im März 1944 in Sa­gan hat­te, und die po­li­ti­sche Ver­ant­wor­tung, die Steen­gracht für die von der ihm un­ter­stell­ten Ab­tei­lung In­land II des Aus­wär­ti­gen Am­tes in­iti­ier­te De­por­ta­ti­on der un­ga­ri­schen Ju­den zu tra­gen hat­te. Zu­dem hat­te er, laut Ur­teil, ak­tiv Ret­tungs­maß­nah­men für ru­mä­ni­sche Kin­der ver­hin­dert. Frei­ge­spro­chen wur­de er in den An­kla­ge­punk­ten „Ver­fol­gung der Kir­che“ (V) und „Skla­ven­ar­beit“ (VII). Nicht be­trof­fen war er von den An­kla­ge­punk­ten I: Ver­bre­chen ge­gen den Frie­den, II: Ge­mein­sa­mer Plan und Ver­schwö­rung, VI: Raub und Plün­de­rung und VIII: Mit­glied­schaft in ver­bre­che­ri­schen Or­ga­ni­sa­tio­nen, da er we­der in der NS­DAP ei­ne ex­po­nier­te Rol­le ge­spielt noch der SS an­ge­hört hat­te. Er wur­de we­gen der An­kla­ge­punk­te III: Er­mor­dung und Miss­hand­lung von An­ge­hö­ri­gen der kriegs­füh­ren­den Mäch­te und V: Greu­el­ta­ten und Ver­ge­hen ge­gen die Zi­vil­be­völ­ke­rung und Ver­fol­gung von Ju­den und an­de­ren Min­der­hei­ten „zu ei­ner Ge­fäng­nis­stra­fe von sie­ben Jah­ren“ ver­ur­teilt: Die von ihm be­reits vor und wäh­rend des Pro­zes­ses in Haft ver­brach­te Zeit­span­ne wird auf die Ge­fäng­nis­stra­fe an­ge­rech­net. Die nun aus­ge­spro­che­ne Ge­fäng­nis­stra­fe soll da­her mit dem 23. Mai 1945 be­gin­nen.

Am 20.5.1949 be­an­trag­te Steen­gracht die Auf­he­bung der nach den An­kla­ge­punk­ten III und V er­folg­ten Ver­ur­tei­lung. Steen­gracht er­reich­te sei­ne Ein­stu­fung in Grup­pe V („Mit­läu­fer“) mit dem Ar­gu­ment „er ha­be durch ein ge­fälsch­tes Te­le­gramm wahr­schein­lich Tau­sen­de von Ju­den ge­ret­tet.“ Frei­ge­spro­chen wur­de er am 12.12.1949 schlie­ß­lich von der An­kla­ge der „Er­mor­dung und Miss­hand­lung von An­ge­hö­ri­gen der kriegs­füh­ren­den Mäch­te“, nicht aber von „Greu­el­ta­ten und Ver­ge­hen ge­gen die Zi­vil­be­völ­ke­rung und Ver­fol­gung von Ju­den und an­de­rer Min­der­hei­ten.“ Die ver­häng­te Haft­stra­fe ver­rin­ger­te sich von sie­ben auf fünf Jah­re. Der An­trag zur Auf­he­bung der Ver­ur­tei­lung un­ter An­kla­ge­punkt V wur­de in to­to ver­wor­fen. Es ging um die Fra­ge, ob Steen­gracht von den Sa­ga­ner Mor­den ge­wusst hat­te und um die Ab­sicht sei­ner Mit­ar­bei­ter, die­sen Sach­ver­halt ge­gen­über der Schutz­macht Schweiz zu ver­schlei­ern. Für das Ge­richt war das er­for­der­li­che Wis­sen Steen­grachts nicht über je­den ver­nünf­ti­gen Zwei­fel her­aus er­wie­sen, wenn­gleich es der An­sicht war, dass ihm die­ses Wis­sen al­ler Wahr­schein­lich­keit nach zu ei­gen war. We­gen die­ser Zwei­fel wur­de die Ver­ur­tei­lung un­ter An­kla­ge­punkt III au­ßer Kraft ge­setzt. Hin­sicht­lich sei­ner Ver­ur­tei­lung im An­kla­ge­punkt V we­gen der un­ga­ri­schen Ju­den hielt das Ge­richt den er­gan­ge­nen Schuld­spruch für un­um­gäng­lich. Steen­gracht wur­de am 28.1.1950 aus dem Ge­fäng­nis in Lands­berg am Lech we­gen gu­ter Füh­rung vor­zei­tig ent­las­sen.

Es folg­te ein Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ver­fah­ren in Nord­rhein-West­fa­len. Der zu­stän­di­ge Un­ter­aus­schuss vo­tier­te am 14.7.1951 zu­nächst für ei­ne Ein­stu­fung in Ka­te­go­rie IV mit dem Ver­bot der Be­klei­dung öf­fent­li­cher Äm­ter auf ein Jahr. Der Deut­sche Ent­na­zi­fi­zie­rungs­aus­schuss im Re­gie­rungs­be­zirk Düs­sel­dorf b­zw. der Be­ru­fungs­aus­schuss stuf­ten ihn je­doch zwei­mal, am 6.8. und am 19.12.1951, in „Ka­te­go­rie V“ ein. Die Ent­schei­dung stütz­te sich auf die von zahl­rei­chen Ent­las­tungs­zeu­gen be­stä­tig­te An­nah­me, Steen­gracht ha­be sei­ne Äm­ter an­ge­nom­men und wä­re dar­in ver­blie­ben, um Schlim­me­res zu ver­hü­ten, Steen­gracht ha­be nach bes­ten Kräf­ten sei­nen Ein­fluß in dämp­fen­der Rich­tung ge­gen die kras­se-na­zis­ti­sche Po­li­ti­k“ ein­ge­setzt bzw. ein­zu­set­zen ver­sucht. Un­ter den Für­spre­chern wa­ren Paul Graf Yorck von War­ten­burg, Freya von Molt­ke und Has­so von Etz­dorf (1900–1989). Die­se Ent­schei­dung wur­de vom Son­der­be­auf­trag­ten für die Ent­na­zi­fi­zie­rung an­schlie­ßend nicht be­stä­tigt, weil ich die recht­li­che Wür­di­gung des Sach­ver­hal­tes […] nicht für zu­tref­fend hal­te. Das Ver­fah­ren [ge­gen Steen­gracht] ist ge­mäß § 1 des Ge­set­zes zum Ab­schluß der Ent­na­zi­fi­zie­rung vom 5.2.1952 mit In­kraft­tre­ten des Ge­set­zes oh­ne Ent­schei­dung ein­ge­stellt.

Steen­grachts Frau leb­te mit ih­rem Sohn min­des­tens bis 1952 in Spa­ni­en. Die Ehe wur­de am 22.9.1950 ge­schie­den. Steen­gracht kehr­te nach sei­ner Haft­ent­las­sung nach Mo­y­land zu­rück, das in den letz­ten Kriegs­ta­gen beim Vor­marsch der Al­li­ier­ten am Nie­der­rhein be­schä­digt wor­den war. Dort wid­me­te er sich der Be­treu­ung sei­nes Guts­be­sit­zes und dem Wie­der­auf­bau von Schloss Mo­y­land. Es war ihm nicht ver­gönnt, die Voll­endung des Wie­der­auf­bau­es „die­ses für die Ge­schich­te des Nie­der­rheins be­deut­sa­men Schlos­ses zu er­le­ben“, wie die Rhei­ni­sche Post in ei­nem Nach­ruf schrieb. Die Be­mü­hun­gen um den Wie­der­auf­bau von Schloss Mo­y­land wur­den durch ei­nen Brand im Schloss im Jah­re 1956 zu­nich­te­ge­macht. Steen­gracht wur­de am 3.2.1956 als Rechts­an­walt beim Amts­ge­richt und beim Land­ge­richt in Kle­ve zu­ge­las­sen Sei­ne Ver­ei­di­gung als An­walt er­folg­te am 2.3. und sei­ne Ein­tra­gung in die An­walts­lis­te am 7.3.1956. Sei­nen Sitz als An­walt hat­te er in Kle­ve, Klei­ner Markt. Hier ar­bei­te­te er of­fen­bar mit dem Kle­ver An­walt Adri­an Ver­s­teyl in ei­ner Kanz­lei zu­sam­men. Er üb­te die an­walt­li­che Tä­tig­keit bis zu ei­nem Herz­in­farkt im Jah­re 1961 aus. In ei­nem zeit­ge­nös­si­schen Per­so­nal­ver­zeich­nis fir­mier­te er als „Staats­se­kre­tär a.D., Guts­be­sit­zer Mo­y­land b. Kle­ve“ . Po­li­tisch hat er sich nach 1950 nicht mehr en­ga­giert.

1952 war er ei­ner der Mit­be­grün­der und spä­ter Eh­ren­vor­sit­zen­der des Land­ten­nis­clubs „Grün-Wei­ß“ Mo­y­land, der sei­ne An­la­ge auf den frü­he­ren pri­va­ten Ten­nis­plät­zen der Fa­mi­lie Steen­gracht am Schloss Mo­y­land er­rich­te­te. Zu­dem war er Grün­dungs­prä­si­dent des am 14.7.1958 ge­grün­de­ten Li­ons-Club Nie­der­rhein, der die Krei­se Kle­ve, Gel­dern, Mo­ers um­fass­te. Fa­mi­li­en­ge­schicht­lich nicht un­be­deu­tend ist der Ver­zicht auf das Pa­tro­nat über die evan­ge­li­sche Kir­che in Mo­y­land, den er im Jah­re 1968 des­we­gen voll­zog, weil ein Kir­chen­pa­tro­nat we­gen der hier­mit ver­bun­de­nen Kos­ten für ei­ne Pri­vat­per­son mit schwer kal­ku­lier­ba­ren Ri­si­ken ver­bun­den war. Steen­gracht starb am 7.7.1969 im Kran­ken­haus zu Kra­nen­burg an den Fol­gen ei­nes schwe­ren Kreis­lauf­kol­laps. Sei­ne Bei­set­zung er­folg­te am 11.7.1969 auf dem Fried­hof in Mo­y­land, das Grab liegt un­mit­tel­bar hin­ter dem Chor der Kir­che.

Die Rol­le, die Steen­gracht in den letz­ten Jah­ren des „Drit­ten Reichs“ ge­spielt hat­te, brach­te sein Ver­tei­di­ger im Wil­helm­stra­ßen-Pro­zess nicht un­zu­tref­fend auf den Punkt: Mein An­ge­klag­ter war ei­ne klei­ne Maus, die manch­mal an übel­rie­chen­den Sa­chen ge­knab­bert hat. Sonst war er ein sehr fei­ner Mensch. Hier­durch soll sei­ne Ver­stri­ckung in die Ge­scheh­nis­se des „Drit­ten Reichs“, die auch sei­ne re­la­tiv ex­po­nier­te dienst­li­che Stel­lung zwi­schen 1943 und 1945 zwangs­läu­fig mit sich brach­te, we­der re­la­ti­viert noch ver­harm­lost wer­den. Der vor­ste­hen­de Bei­trag kann nicht mehr als der Ver­such sein, die ver­füg­ba­ren bio­gra­phi­schen An­ga­ben über Steen­gracht auf­zu­be­rei­ten und für wei­te­re For­schun­gen zu­gäng­lich zu ma­chen. Ei­ne An­nä­he­rung an sei­ne Men­ta­li­tät ist zu­dem schwie­rig, weil Steen­gracht au­ßer dienst­li­chen Schrift­stü­cken kei­ne per­sön­li­chen Auf­zeich­nun­gen hin­ter­ließ. Sein Sohn cha­rak­te­ri­sier­te ihn ge­gen­über dem Ver­fas­ser als nie­der­rhei­ni­schen Preu­ßen.

Archivquellen und Auskünfte

Po­li­ti­sches Ar­chiv des Aus­wär­ti­gen Am­tes, Ber­lin: Be­sol­dungs­ak­te Steen­gracht, Aus­künf­te aus wei­te­ren Ak­ten.

Lan­des­ar­chiv Nord­rhein-West­fa­len, Ab­tei­lung Rhein­land: NW 1000/20005 (Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ak­te Steen­gracht).

Münd­li­che Mit­tei­lun­gen von Adri­an Ba­ron Steen­gracht, Bed­burg-Hau.

Das Ur­teil im Wil­helm­stra­ßen­pro­zess. Der amt­li­che Wort­laut der Ent­schei­dung im Fall 11 des Nürn­ber­ger Mi­li­tär­tri­bu­nals ge­gen von Weiz­sä­cker und an­de­re, mit ab­wei­chen­der Ur­teils­be­grün­dung, Be­richt, Schwä­bisch-Gmünd 1950.

Gedruckte Quellen

Ak­ten zur Deut­schen Aus­wär­ti­gen Po­li­tik, Se­rie E: 1941–1945, Bde. VI bis VIII [Mai 1943 bis Mai 1945], Göt­tin­gen 1979–1980.

Ja­cob­sen, Hans Adolf (Hg.), Op­po­si­ti­on ge­gen Hit­ler und der Staats­streich vom 20. Ju­li 1944.

Ge­hei­me Do­ku­men­te aus dem ehe­ma­li­gen Reichs­si­cher­heits­haupt­amt, Stutt­gart 1989.

Molt­ke, Hel­muth Cas­par von/Molt­ke, und Ul­ri­ke (Hg.), Hel­muth Ja­mes und Freya von Molt­ke: Ab­schieds­brie­fe Ge­fäng­nis Te­gel Sep­tem­ber 1939–Ja­nu­ar 1945, 3. Aufl., Mün­chen 2011. Op­pen, Bea­te Ruhm von (Hg.), Hel­muth Ja­mes von Molt­ke: Brie­fe an Freya 1939–1945, 2. Aufl., Mün­chen 1991.

Literatur (Auswahl)

Bla­si­us, Rai­ner A., Ar­ti­kel Steen­gracht in: Weiß, Her­mann (Hg.), Bio­gra­phi­sches Le­xi­kon zum Drit­ten Reich, Frank­furt a.M. 1998, S. 441f.

Bla­si­us, Rai­ner A., Fall 11: Der Wil­helm­stra­ßen-Pro­zess ge­gen das Aus­wär­ti­ge Amt und an­de­re Mi­nis­te­ri­en, in: Ue­ber­schär, Gerd R. (Hg.), Der Na­tio­nal­so­zia­lis­mus vor Ge­richt. Die al­li­ier­ten Pro­zes­se ge­gen Kriegs­ver­bre­cher und Sol­da­ten 1943-1952, Frank­furt a.M. 1999, S. 187–198.

Con­ze, Eck­art/Frei, Nor­bert/Hayes Pe­ter/Zim­mer­mann, Mos­he, Das Amt und die Ver­gan­gen­heit. Deut­sche Di­plo­ma­ten im Drit­ten Reich und in der Bun­des­re­pu­blik, Bonn 2011.

Dös­cher, Hans-Jür­gen, Das Aus­wär­ti­ge Amt im Drit­ten Reich. Di­plo­ma­tie im Schat­ten der ‚End­lö­sung‘, Ber­lin 1987.Is­phor­ding, Bernd/Kei­per, Ger­hard/Krö­ger, Mar­tin (Be­arb.), Bio­gra­phi­sches Hand­buch des deut­schen Aus­wär­ti­gen Diens­tes 1871–1945, Band 4: S, Pa­der­born u.a. 2012, S. 331f.

Lil­la, Joa­chim, Adolf Ba­ron Steen­gracht von Mo­y­land (1902-1969) – Letz­ter Staats­se­kre­tär des Aus­wär­ti­gen Am­tes im „Drit­ten Reich“, in: Der Nie­der­rhein 71 (2004), S. 129–136 (mit de­tail­lier­ten Quel­len­nach­wei­sen).

Adolf Steengracht von Moyland in alliierter Gefangenschaft. (National Archives | ID 169157561)

 
Zitationshinweis

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Lilla, Joachim, Adolf Baron Steengracht von Moyland, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/adolf-baron-steengracht-von-moyland-/DE-2086/lido/66018136992dc3.77826585 (abgerufen am 27.04.2024)