Deutsche Dienststellen für das Saargebiet (1919–1935)
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1. Einleitung
Gemäß Artikel 45 bis 49 des Versailler Vertrags von 1919 sollte das Saargebiet, dessen Kohleproduktion zugleich Frankreich zufiel, für 15 Jahre dem Völkerbund unterstellt werden. Nach Ablauf dieser Frist sollte eine Volksabstimmung über die weitere staatliche Zugehörigkeit des Saargebietes entscheiden. Dem Saargebiet wurden aus der Rheinprovinz die Kreise Saarlouis, Ottweiler, Saarbrücken-Land und Saarbrücken-Stadt, ferner Teile der Kreise Merzig und St. Wendel, aus der bayerischen Pfalz das Bezirksamt St. Ingbert und Teile der Bezirksämter Homburg und Zweibrücken zugeschlagen. Für die Erledigung von Saarangelegenheiten und die Verbindung zum Saargebiet, für die Übergabe des Saargebiets, für den amtlichen Verkehr mit der vom Völkerbund ernannten Internationalen Regierungskommission im Saargebiet sowie schließlich dessen Rückgliederung an das Deutsche Reich wurden beim Reich und den beteiligten Ländern Preußen und Bayern offizielle, teils auch unter anderem Namen arbeitende Dienststellen errichtet, die hier vorgestellt werden sollen. Bei der Tätigkeit der diversen Saarstellen im Reich „erstaunt die durchgehende Einheitlichkeit der Zielsetzung wie in den Methoden, Eifersüchteleien untereinander gab es so gut wie nie“[1].
2. Auswärtiges Amt
Als aus dem Versailler Vertrag resultierende Angelegenheit und da das Saargebiet hiernach bis auf weiteres nicht mehr zum deutschen Staatsgebiet gehörte, ressortierten die Saarangelegenheiten zum Auswärtigen Amt, bei dem in der Abteilung II (Westeuropa, später West- und Südosteuropa) ein besonderes Saarreferat gebildet wurde, das auch für die übrigen besetzten Gebiete einschließlich Eupen-Malmedy zuständig war. Leiter des Saarreferats war von März 1920 bis August 1935 Dr. Hermann Voigt (1889–1968). Zuvor wurden diese Fragen noch in der alten Abteilung IA (Politik) von Friedrich Werner Graf von der Schulenburg (1875–1944) bearbeitet. Die Federführung des Auswärtigen Amtes in Saarangelegenheiten war nicht unumstritten. Zweimal versuchte das Reichsministerium des Innern in den folgenden Jahren, die Zuständigkeiten für die Saarangelegenheiten in seine Regie zu übernehmen, blieb damit aber erfolglos. Das Reichsministerium des Innern war aber in einigen Fragen, vor allem Beamtenangelegenheiten, auch mit Saarfragen befasst. Das Auswärtige Amt blieb bis zur Rückgliederung des Saargebiets 1935 die für Saarfragen zuständige oberste Reichsbehörde.
3. Reichskommissar für die Übergabe des Saargebiets
Die Übergabe des Saargebietes wurde praktisch eingeleitet durch die Beauftragung des Landrats und Polizeidirektors in Saarbrücken, Karl von Halfern (1873–1937), am 2.10.1919 mit der vertretungsweisen Verwaltung der dem Regierungspräsidenten in Trier zustehenden Verwaltungsgeschäfte im zukünftigen Saarstaat und der Beilegung des Titels „Verwaltungspräsident“. Mit dessen Ausweisung am 8.12.1919 endete faktisch bereits die deutsche Regierungshoheit im Saargebiet.
Am 21.10.1919 wurde in der Reichsregierung während der Aussprache über die Ernennung von Reichs- und Staatskommissaren für die abzutretenden östlichen Gebiete auch „darauf hingewiesen, daß im Westen zur Zeit kein Kommissar für Eupen und Malmedy und für das Saargebiet besteht“. Der Reichsminister des Innern übernahm es, „mit der Preußischen Staatsregierung darüber in Verbindung zu treten, wie diese Lücke zweckmäßig auszufüllen ist“. Dieser teilte am 20. Dezember der Reichskanzlei mit, dass der Preußische Minister des Innern die Ernennung von Reichs- und Staatskommissaren für die genannten Gebiete „nicht für erforderlich halte“. Die Aufgaben sollten von den zu Übergabekommissaren ernannten Oberpräsidenten in Koblenz für das Saargebiet und den Regierungspräsidenten in Aachen für Eupen-Malmedy wahrgenommen werden.[2] Der Reichskommissar für die Übergabe des Saargebiets war dem Auswärtigen Amt unterstellt, er war zunächst zuständig für alle Angelegenheiten, die sich aus der Abtretung ergaben, wie Beamtenfragen und Aktenübergabe, dann bis 1923 auch für die politische Verhandlungsführung mit der Saarregierung, später firmierte er vor allem als zentrale Übermittlungsstelle für den amtlichen Geschäftsverkehr des Reiches mit dem Saargebiet sowie Informationsstelle über das Saargebiet. Der Geschäftsverkehr mit Dienststellen im Saarland über den Reichskommissar war für deutsche Behörden zwingend vorgeschrieben und musste diesen mehrfach in Erinnerung gebracht werden. Ein Versuch des Reichskommissars, im Sommer 1920 in Saarbrücken ein Büro einzurichten, scheiterte am Widerstand des Präsidenten der Regierungskommission. Die Tätigkeit des Reichskommissars endete mit der Rückgliederung des Saargebiets am 1. März 1935; Amtsinhaber war der jeweilige Oberpräsident der Rheinprovinz.
4. Reichszentrale für Heimatdienst
Die zum 1.3.1918 beim Auswärtigen Amt errichtete Zentrale für Heimatdienst (ab 1919 Reichszentrale für Heimatdienst) diente als Informationsbüro der Reichsregierung zum Zwecke der Aufklärung der Bevölkerung über politische, soziale und kulturelle Fragen. 1919 und 1920 wirkte die Reichszentrale auch im Saargebiet, verbreitete einerseits die deutsche Propaganda an der Saar, fungierte andererseits aber auch als Nachrichtensammelstelle, die ihre Informationen über Vorgänge im Saargebiet interessierten Stellen im Reich zur Verfügung stellte. Nach Protesten der französischen Regierung und der Internationalen Regierungskommission des Saargebiets musste die Reichszentrale 1920 ihre Tätigkeit im gesamten linksrheinischen Gebiet einstellen.
5. Preußische Saardienststellen
Die amtliche Vertretung Preußens gegenüber dem Saargebiet nahm, wie geschildert, der Reichskommissar für die Übergabe des Saargebiets wahr. Darüber hinaus gab es sowohl im preußischen Ministerium des Innern als auch bei der Regierung in Trier ein Saarreferat. Ferner arbeitete ein preußischer „Saarvertrauensmann“ in verdeckter Mission von Heidelberg (1920–1923), Kassel (1923–1926) und Köln (1926–1934) aus. Dieser hatte unter anderem die Aufgabe, sowohl Probleme des Saargebietes zu erkunden und an die preußischen Ministerien weiterzuleiten, als auch Aufträge im Saargebiet direkt auszuführen. Die Saarvertrauensleute waren nominell anderen Behörden zugeteilt, arbeiteten angesichts großzügiger politischer und finanzieller Unterstützung sehr effizient und vor allem sehr unauffällig, so dass deren Tätigkeit erst im November 1934 dem Völkerbund bekannt wurde.
Als weitere preußische Behörde für das Saargebiet blieb die Bergwerksdirektion Saarbrücken bestehen, zwar ab August 1920 mit Sitz in Bad Kreuznach, wenig später in Bonn, zunächst als deren Abwicklungsstelle, dann als Überleitungsstelle. Wie andere Dienststellen war auch diese ursprünglich als vorübergehend gedacht, hatte dann aber eine recht lange Lebensdauer, auch im Hinblick auf eine spätere Rückgliederung des Saargebiets. Erst im Dezember 1939 stellte diese Überleitungsstelle ihre Tätigkeit ein, selbst dann noch verbliebene Aufgaben gingen auf das Oberbergamt in Bonn über.
6. Der bayerische Staatskommissar für die Saarpfalz
Mit der Übergabe der bayerischen Gebiete, die dem Saargebiet zugeschlagen wurden, wurde am 2.8.1919 der bisher bei der Regierung von Oberbayern tätige Oberregierungsrat Heinrich Jolas (1866–1949) als bayerischer Staatskommissar für die Saarpfalz bestellt und dem Reichskommissar zugeteilt. Der Staatskommissar ressortierte zum bayerischen Staatsministerium des Äußern und war bis 1921 dem Staatskommissar für die Pfalz nachgeordnet, nahm seinen Sitz aber in Kaiserslautern. Jolas entfaltete rege, auch programmatische Aktivitäten gegenüber dem Saargebiet, die später in die deutsche Saarpolitik einflossen. Auch einzelne bayerische Ministerien richteten für ihren Zuständigkeitsbereich Saarreferate ein. Ebenfalls arbeiteten Vertrauensleute der bayerischen Regierung für das Saarland. Mit dem Rückgang der Aufgaben als Kommissar für die Saarpfalz wurde Jolas im Januar 1925 das Amt des bayerischen Staatskommissars für die Pfalz übertragen, das ebenfalls zum Staatsministerium des Äußern in München ressortierte und nunmehr auch für Saarangelegenheiten zuständig wurde. Jolas wurde am 1.4.1933 in den Ruhestand versetzt. In der Folgezeit versuchte Jolas noch einigen Einfluss auf die bayerische Saarpolitik zu nehmen, nicht zuletzt auf seine Anregung wurde im März 1934 Karl Barth (1896–1962) zum Beauftragten des bayerischen Generalbevollmächtigten für die Pfalz und die bayerische Saarpfalz, des bayerischen Ministerpräsidenten Ludwig Siebert (1874–1942), ernannt.
7. weitere Saar(dienst)stellen
An weiteren Saarstellen sind noch zu nennen mit Sitz im Saargebiet: je ein Delegierter des Reichskohlenkommissars und des Reichswirtschaftsministers sowie ein vom Reichsarbeitsminister 1921 ernannter Deutscher Versorgungskommissar für das Versorgungswesen im Saargebiet.
Neben diesen amtlichen Stellen seien noch als Vertreter der saarländischen Interessen der Industrielle Hermann Röchling (1872–1955) aus Völklingen und der im September 1919 in Berlin gegründete Saar-Verein erwähnt, die sich teils mit beachtlichem Erfolg dafür einsetzten, die Saarfrage und das spätere Ziel einer Rückgliederung des Saargebiets an das Reich im öffentlichen Bewusstsein aufrecht zu erhalten.
8. Saarbevollmächtigter der Reichsregierung
Im Sommer 1933 wurde in der Reichskanzlei die Frage erörtert, einen besonderen Reichskommissar für das Saarland zu bestellen, um über die Federführung des Auswärtigen Amtes hinaus eine zentrale Stelle für die Bearbeitung der Saarfragen zu schaffen, nicht zuletzt im Hinblick auf die für Anfang 1935 zu erwartende Volksabstimmung. Es bestand rasch Einmütigkeit darüber, von der Schaffung einer besonderen Behörde abzusehen, vielmehr diese Aufgabe dem im Saarland ansässigen Vizekanzler Franz von Papen (1879–1969) zu übertragen. So beschloss die Reichsregierung am 14.11.1933, den Stellvertreter des Reichskanzlers, Franz von Papen, „zum Bevollmächtigten des Reichskanzlers in allen das Saargebiet betreffenden Angelegenheiten … (Saarbevollmächtigter)“ zu bestellen. In diesen Angelegenheiten steht „dem Saarbevollmächtigten die ausschließliche Entscheidungsbefugnis zu“. Ihm wurden „die Sachbearbeiter der Reichsministerien und ihrer nachgeordneten Behörden insoweit unterstellt, als sie mit der Bearbeitung von Saarfragen befaßt sind“. Der preußische Ministerpräsident und der Reichsstatthalter in Bayern wurden ersucht, „die beiden Landesregierungen zu veranlassen, die in ihren Ministerien und nachgeordneten Behörden mit Saarfragen befaßten Mitarbeiter … zur Verfügung zu stellen.“[3] Außerdem wurde dem Saarbevollmächtigten der am 3.12.1933 konstituierte Saarpropagandausschuss unter Leitung des Saarreferenten im Auswärtigen Amt, Hermann Voigt, unterstellt. Unter diesen Voraussetzungen wäre eigentlich eine einheitliche Saarpolitik unter der Leitung des Saarbevollmächtigten möglich gewesen. Von Papen nutze die Chancen jedoch nicht aus, zudem schätzte er seine eigenen Möglichkeiten und auch die Lage im Saargebiet falsch ein. Hinzu kam eine fortwährende Auseinandersetzung um Zuständigkeiten, insbesondere mit dem sich auch in Saarfragen immer mehr in den Vordergrund drängenden Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda. Erst im Juni gelang es durch eine Vereinbarung, an der auch das Reichsministerium des Innern und das Auswärtige Amt beteiligt waren, die Ansprüche des Propagandaministeriums zurückzusetzen.
Zu dieser Zeit waren die Tage des Saarbevollmächtigten von Papen jedoch fast schon gezählt. Nach dem so genannten „Röhmputsch“ (30.6.1934) wurde auch die Stellung von Papens als Vizekanzler unhaltbar, so dass dieser wenig später als Gesandter in besonderer Mission nach Wien ging. Am 7.8.1934 gingen die Saarangelegenheiten auf den vom Führer und Reichskanzler mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Saarbevollmächtigten beauftragten Gauleiter Josef Bürckel über[4], „dem insoweit das Büro [der Vizekanzlei] nebst notwendigen Personal zur Verfügung steht“[5]. Mit Bürckel, seit 1926 Gauleiter des Gaus Rheinpfalz der NSDAP und seit 1933 zugleich kommissarischer Gauleiter des Gaus Saarland und Beauftragter der NSDAP im Saargebiet, kam ein populärer und durchsetzungsfähiger Parteimann in die Funktion des Saarbevollmächtigten. Es gelang ihm, die divergierenden Saarinteressen unter einen Hut zu bringen und bei der am 13.1.1935 angesetzten freien Volksabstimmung unter der Aufsicht des Völkerbundes eine über 90-prozentige Zustimmung zur Wiedereingliederung des Saarlandes in das Reich zu ermöglichen. In der Folgezeit wurde Bückel zunächst Reichskommissar für die Rückgliederung des Saarlandes, 1936 Reichskommissar für das Saarland, das aus dem Gefüge der Rheinprovinz ausschied und im Laufe der Jahre mit der bayerischen Pfalz zur Saarpfalz beziehungsweise Westmark ein eigenständiges Verwaltungsgebiet wurde.
Quellen
Bundesarchiv: Findbuch zum Bestand BArch 905 Reichskommissar für die Übergabe des Saargebiets (1919–1935), (1957). [online]
Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Das Kabinett Bauer, bearb. v.Anton Golecki, Boppard 1980. (AdR Bauer)
Akten der Reichskanzlei. Die Regierung Hitler, Band 1 u. 2, Boppard 1983/München 1999. (AdR Hitler I, II)
Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945. Hg. v. Auswärtigen Amt durch den Historischen Dienst, Band 4 u. 5, Paderborn [u. a.] 2012/2014.
Literatur
Herrmann, Hans-Walter, Der Oberpräsident der Rheinprovinz als Reichskommissar für die Übergabe des Saargebietes, in: Aus der Arbeit der Archive. Beiträge zum Archivwesen, zur Quellenkunde und zur Geschichte. Festschrift für Hans Booms, hg. von Friedrich P. Kahlenberg, Boppard 1989, S. 746–770.
Jacoby, Fritz, Die nationalsozialistische Herrschaftsübernahme an der Saar. Die innenpolitischen Probleme der Rückgliederung des Saargebietes bis 1935, Saarbrücken 1973.
Romeyk, Horst, Verwaltungs- und Behördengeschichte der Rheinprovinz 1914–1945 Düsseldorf 1985.
Online
Lilla, Joachim, Jolas, Heinrich, in: Lilla, Joachim, Staatsminister, leitende Verwaltungsbeamte und (NS-)Funktionsträger in Bayern 1918 bis 1945. [online]
Thomann, Björn, Josef Bürckel (1895-1944), NS-Gauleiter. [online]
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Lilla, Joachim, Deutsche Dienststellen für das Saargebiet (1919–1935), in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/deutsche-dienststellen-fuer-das-saargebiet-1919%25E2%2580%25931935/DE-2086/lido/5b7aab8ab8c529.84146686 (abgerufen am 06.10.2024)