Die Bayer AG nach 1945

Rouven Janneck (München)

Verschiedene Bayer-Produkte, darunter Aspirin, undatiert. (Bayer AG, Bayer Archives Leverkusen)

1. Einleitung

Das un­ter dem Na­men Bay­er (fort­an Bay­er oder Bay­er AG) be­kann­te Un­ter­neh­men wur­de im Jahr 1863 von Fried­rich Bay­er (1825-1880) und Jo­hann Fried­rich Wes­kott (1821-1876) in El­ber­feld (heu­te Stadt Wup­per­tal), ge­grün­det. Es fir­mier­te zu­nächst un­ter dem Na­men „Friedr. Bay­er et comp.“[1] Zweck der ge­grün­de­ten Ge­sell­schaft war die Pro­duk­ti­on von Anil­in­farb­stof­fen, die zur Fär­bung von Tex­ti­li­en ein­ge­setzt wur­den. Aus­ge­hend von der Farb­stoff­pro­duk­ti­on ex­pan­dier­te die jun­ge Fir­ma nach an­fäng­li­chen Kri­sen rasch, ver­leg­te ih­ren Sitz 1912 nach Le­ver­ku­sen und di­ver­si­fi­zier­te ih­re Pro­duk­ti­ons­pa­let­te bis 1914 ste­tig. Ne­ben Farb­stof­fen ka­men Phar­ma­zeu­ti­ka, Pflan­zen­schutz­mit­tel so­wie die Her­stel­lung von Grund­che­mi­ka­li­en hin­zu. Ein wich­ti­ger Bau­stein des Auf­stiegs war der Auf­bau ei­ner un­ter­neh­mens­in­ter­nen For­schung, die für die Ent­wick­lung der ge­sam­ten che­mi­schen In­dus­trie cha­rak­te­ris­tisch war und bis heu­te ih­re Ge­stalt prägt. Der Be­ginn des Ers­ten Welt­kriegs wur­de zu ei­nem har­ten Ein­schnitt. Roh­stoff- und Ab­satz­märk­te bra­chen fak­tisch über Nacht weg und ver­setz­ten dem stark ex­port­ori­en­tier­ten Un­ter­neh­men ei­nen schwe­ren Schlag. Den Her­aus­for­de­run­gen der Nach­kriegs­zeit, wie ein welt­weit um sich grei­fen­der Pro­tek­tio­nis­mus und Über­ka­pa­zi­tä­ten, be­geg­ne­te die Bay­er AG im Ver­bund mit den an­de­ren deut­schen Teer­far­ben­her­stel­lern mit dem Zu­sam­men­schluss zur I.G. [In­ter­es­sen­ge­mein­schaft] Far­ben­in­dus­trie AG (fort­an I.G. oder I.G. Far­ben) 1925. Da­mit ent­stand der grö­ß­te Che­mie­kon­zern der Welt, der ne­ben Bay­er auch die ehe­ma­li­gen Kon­kur­ren­ten BASF und Hoechst ein­schloss. Bis zur Zer­schla­gung der I.G. Far­ben 1945, die auf das al­li­ier­te Kriegs­ziel der De­kar­tel­li­sie­rung zu­rück­ging, blieb Bay­er ein in­te­gra­ler Be­stand­teil des Che­mie­rie­sen. Was blieb, wa­ren die in den knapp 20 Jah­ren Zu­ge­hö­rig­keit ge­leis­te­ten Er­fol­ge in For­schung und Ent­wick­lung, an die die neu­ge­grün­de­te Or­ga­ni­sa­ti­on an­knüp­fen konn­te. Die für den Wie­der­auf­bau so be­deu­tungs­vol­le Zu­ge­hö­rig­keit zur I.G. Far­ben wird da­her im ers­ten Teil die­ses Bei­trags zur Neu­grün­dung des Un­ter­neh­mens knapp skiz­ziert. Im zwei­ten Teil steht der Zeit­raum bis zum Be­ginn der 1970er Jah­re im Mit­tel­punkt, der durch ein star­kes Un­ter­neh­mens­wachs­tum und den suk­zes­si­ven Auf­bau ei­ner Welt­markt­po­si­ti­on ge­kenn­zeich­net ist. Im drit­ten Teil wid­met sich die Dar­stel­lung dem Zeit­raum von den 1970er bis in die 2000er Jah­re, die im Zei­chen von Kon­so­li­die­rung und In­ter­na­tio­na­li­sie­rung stan­den und in de­nen die Wei­chen zur Spe­zia­li­sie­rung auf den Life­sci­ence-Be­reich ge­stellt wur­den. Den Ab­schluss bil­det ein knap­per Aus­blick auf die jüngs­te Ak­qui­si­ti­on von Bay­er, das US-ame­ri­ka­ni­sche Un­ter­neh­men Mons­an­to.

2. Die Auflösung der I.G. und die Neugründung des Unternehmens

Die De­kar­tel­li­sie­rung der deut­schen In­dus­trie ge­hör­te zu den wich­ti­gen Kriegs­zie­len der Al­li­ier­ten, in dem sich öko­no­mi­sche und po­li­ti­sche Zie­le der Frie­dens­si­che­rung ver­ban­den. Im Be­reich der che­mi­schen In­dus­trie kon­zen­trier­te sich dies auf den Che­mie­rie­sen I.G. Far­ben­in­dus­trie AG. Sie hat­te die Bran­che im Deut­schen Reich do­mi­niert und in der Kriegs­wirt­schaft ei­ne zen­tra­le Rol­le ein­ge­nom­men. Wie kaum ein an­de­rer stand der Na­me I.G. Far­ben durch den Bau des Wer­kes Ausch­witz-Mo­no­witz für die Be­tei­li­gung ei­nes deut­schen Un­ter­neh­mens an den Ver­bre­chen wäh­rend der NS-Herr­schaft.[2] Gleich­zei­tig ge­lan­gen un­ter sei­ner Re­gie weg­wei­sen­de tech­ni­sche Leis­tun­gen wie die Ben­zin- und Kau­tschuk­syn­the­se so­wie das Auf­fin­den bis heu­te wich­ti­ger Kunst­stof­fe, auf de­nen die drei gro­ßen Nach­fol­ge­ge­sell­schaf­ten Bay­er, BASF und Hoechst auf­bau­en konn­ten.

Die Veränderung des Bayer-Logos im Laufe der Zeit. (Bayer AG, Bayer Archives Leverkusen)

 

Aber nicht nur von den ge­wal­ti­gen im­ma­te­ri­el­len Hin­ter­las­sen­schaf­ten im For­schungs­be­reich, son­dern auch von sei­nen eins­ti­gen Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tu­ren pro­fi­tier­ten die west­deut­schen I.G.-Nach­fol­ger. Für das 1951 un­ter dem Na­men „Far­ben­fa­bri­ken Bay­er AG“ neu­ge­grün­de­te Un­ter­neh­men ge­hör­te da­zu ins­be­son­de­re die Bin­nen­or­ga­ni­sa­ti­on der I.G. So or­ga­ni­sier­te die I.G.-Kon­zern­lei­tung 1925 auf­grund der star­ken geo­gra­phi­schen Zer­split­te­rung vier Be­triebs­ge­mein­schaf­ten. Die­se or­ga­ni­sa­to­ri­sche Maß­nah­me re­sul­tier­te aus der Viel­zahl der in der I.G. fu­sio­nier­ten, einst ei­gen­stän­di­gen Un­ter­neh­men. Die Be­triebs­ge­mein­schaf­ten fass­ten die Un­ter­neh­mens­stand­or­te nach re­gio­na­len Clus­tern un­ter ei­ner Ober­lei­tung zu­sam­men. Ei­ne da­von war die Be­triebs­ge­mein­schaft Nie­der­rhein, die ab 1943 von Ul­rich Ha­ber­land (1900-1961) ge­lei­tet wur­de. Zu ihr ge­hör­ten un­ter an­de­rem die Wer­ke in Le­ver­ku­sen, El­ber­feld, Dor­ma­gen und Uer­din­gen (Stadt Kre­feld). Sie wur­de nach lan­gen Ver­hand­lun­gen letzt­lich zur Keim­zel­le der spä­te­ren Bay­er AG. Dar­über hin­aus konn­te sich Bay­er auch das un­ter dem Na­men AG­FA zu­sam­men­ge­fass­te Ge­schäft im Be­reich Fo­to­che­mi­ka­li­en ein­glie­dern. Die ent­spre­chen­de Fa­brik auf dem Ge­biet West­deutsch­lands be­fand sich am Stand­ort Le­ver­ku­sen. Der Schwer­punkt der ehe­ma­li­gen AG­FA-Pro­duk­ti­on im Raum Wol­fen lag hin­ge­gen auf dem Staats­ge­biet der spä­te­ren DDR und floss da­her nicht in die Ver­tei­lungs­mas­se ein. Zu­sam­men mit den Wer­ken erb­te die Bay­er AG auch wich­ti­ge For­schungs­ein­rich­tun­gen wie das Kau­tschuk­zen­tral­la­bo­ra­to­ri­um, das bei sei­ner Er­rich­tung in den spä­ten 1930er Jah­ren zu den mo­derns­ten der Welt ge­hört hat­te und Bay­er nach Auf­he­bung der al­li­ier­ten Be­schrän­kun­gen 1955 ein wich­ti­ges Stand­bein im Be­reich des syn­the­ti­schen Gum­mis si­cher­te.[3]  Eben­falls am Stand­ort in Le­ver­ku­sen fan­den sich gro­ße Tei­le der For­schungs- und Ver­triebs­ein­rich­tun­gen für Phar­ma­zeu­ti­ka und Pflan­zen­schutz­mit­tel kon­zen­triert. Hin­zu kam, dass im Zu­ge der in­ter­nen Ra­tio­na­li­sie­rung der I.G. Far­ben auch das ge­sam­te phar­ma­zeu­ti­sche und Pflan­zen­schutz­sor­ti­ment un­ter dem Na­men „Bay­er“ ver­trie­ben wur­de.

Ent­schei­dend für die Neu­kon­sti­tu­ie­rung der Bay­er AG war die Rol­le der bri­ti­schen Be­sat­zungs­macht, in de­ren Zo­ne die Stand­or­te der Be­triebs­ge­mein­schaft Nie­der­rhein la­gen. Die Bri­ten sorg­ten im Ge­gen­satz zu Ame­ri­ka­nern, Fran­zo­sen oder So­wjets für ei­ne ho­he Kon­ti­nui­tät des Per­so­nals. Na­he­zu das ge­sam­te Ma­nage­ment so­wie ein Gro­ß­teil des For­schungs­per­so­nals der spä­te­ren Bay­er AG hat­te be­reits zu I.G.-Zei­ten in der Nie­der­rhein­grup­pe oder an­ders­wo im Kon­zern an ent­spre­chen­der Stel­le ge­ar­bei­tet. Be­son­ders mar­kant wa­ren hier­bei zwei Per­so­na­li­en. Die ers­te be­traf Ul­rich Ha­ber­land, der noch zu I.G.-Zei­ten zum Lei­ter der Be­triebs­ge­mein­schaft Nie­der­rhein er­nannt wor­den war. Er konn­te sich über den Bruch von 1945 als ver­ant­wort­li­cher Ma­na­ger hal­ten und stieg ab 1951 zum ers­ten Vor­stands­vor­sit­zen­den der Bay­er AG auf. Durch sei­ne gu­ten Be­zie­hun­gen zu den bri­ti­schen Be­sat­zungs­be­hör­den ge­lang es ihm, dem Un­ter­neh­men Pro­duk­ti­ons­ka­pa­zi­tä­ten zu er­hal­ten und die Wer­ke der Nie­der­rhein­grup­pe zu ei­nem Auf­fang­be­cken für zahl­rei­che ehe­ma­li­ge I.G.-For­scher zu ma­chen, die aus ih­ren Stel­len ent­las­sen wor­den oder aus der so­wje­ti­schen Be­sat­zungs­zo­ne ge­flüch­tet wa­ren. Die zwei­te Per­so­na­lie be­traf Ot­to Bay­er (1902-1982), der 1934 die Lei­tung des Wis­sen­schaft­li­chen Haupt­la­bo­ra­to­ri­ums in Le­ver­ku­sen über­tra­gen be­kom­men hat­te und seit der Neu­grün­dung 1951 die Un­ter­neh­mens­for­schung der Bay­er AG ver­ant­wor­te­te. Un­ter sei­ner Lei­tung war es der Le­ver­ku­se­ner For­schung 1937 ge­lun­gen, den Kunst­stoff Po­ly­ure­than zu syn­the­ti­sie­ren. Po­ly­ure­than wur­de nach 1945 zu ei­nem der Er­folgs­pro­duk­te des Un­ter­neh­mens und stand fort­an für die gro­ßen wis­sen­schaft­li­chen Leis­tun­gen der Bay­er-For­schung und ih­res Lei­ters Ot­to Bay­er.

Fahrzeug des Verkaufsbüros Pflanzenschutz in Hannover mit Werbung für Pflanzenschutz-Produkte (Ceresan, Cupravit), 1954. (Bayer AG, Bayer Archives Leverkusen)

 

3. Wachstum im Zeichen des Booms (1951-1970)

3.1 Rechts­form und Un­ter­neh­mens­or­ga­ni­sa­ti­on
Die Neu­grün­dung der Bay­er AG 1951 be­en­de­te ei­ne Pha­se aku­ter Un­si­cher­heit über die Zu­kunft der ehe­ma­li­gen I.G.-Wer­ke am Nie­der­rhein. Mit der kon­sti­tu­ie­ren­den Auf­sichts­rats­sit­zung am 19.12.1951 wur­de die Bay­er AG wie­der ein ei­gen­stän­di­ges Un­ter­neh­men in der Rechts­form ei­ner Ak­ti­en­ge­sell­schaft.[4] Hat­ten bis zu die­sem Zeit­punkt die Di­rek­to­ren der ein­zel­nen Ab­tei­lun­gen un­ter Ge­ne­ral­di­rek­tor Ul­rich Ha­ber­land das Un­ter­neh­men ge­führt, be­rief der Auf­sichts­rat nun wie­der ei­nen ver­ant­wort­li­chen Vor­stand. Die­sem ge­hör­ten un­ter dem Vor­sitz Ha­ber­lands zu­nächst 14 wei­te­re Mit­glie­der an, die sich bis 1961 je­doch auf elf re­du­zier­ten. In die­sem Jahr kam es zu­dem zum vor­zei­ti­gen Wech­sel im Amt des Vor­stands­vor­sit­zen­den, nach­dem Ul­rich Ha­ber­land un­er­war­tet ver­stor­ben war. Kurt Han­sen (1910-2002) folg­te ihm in die­ser Po­si­ti­on bis zu sei­nem al­ters­be­ding­ten Aus­schei­den 1972 nach.

Die Organisation der Farbenfabriken Bayer 1951-1971 nach Funktionen. (Anfertigung des Autors)

 

Ge­führt wur­de das Un­ter­neh­men in die­sem Zeit­raum mit­tels ei­ner funk­tio­na­len Or­ga­ni­sa­ti­on. Die­se war stark durch die Zeit der Auf­lö­sung der I.G. Far­ben ge­prägt. Auch aus rein prag­ma­ti­schen Grün­den führ­te man die funk­tio­na­le Un­ter­neh­mens­struk­tur fort, die ent­lang der Un­ter­neh­mens­funk­tio­nen Pro­duk­ti­on, Ver­trieb, Be­schaf­fung, Ver­wal­tung oder For­schung or­ga­ni­siert war. Die dar­un­ter be­find­li­chen Ab­tei­lun­gen wur­den von ei­nem ver­ant­wort­li­chen Di­rek­tor ge­führt, der über weit­ge­hen­de Hand­lungs­frei­heit in sei­nem Zu­stän­dig­keits­be­reich ver­füg­te. Die­se wur­de durch die Zu­ge­hö­rig­keit der meis­ten Di­rek­to­ren zum Vor­stand zu­sätz­lich ge­stärkt. Auf­grund der vier Un­ter­neh­mens­stand­or­te exis­tier­te je­doch ei­ne Mo­di­fi­ka­ti­on der klas­si­schen funk­tio­na­len Or­ga­ni­sa­ti­on. So ver­füg­ten die Werks­lei­ter, die meist in Per­so­nal­uni­on auch ei­ne der Ab­tei­lun­gen lei­te­ten, über weit­ge­hen­de Kom­pe­ten­zen an ih­rem Werks­stand­ort. Die­se Kon­stel­la­ti­on stärk­te letzt­lich die Au­to­ri­tät des Vor­stands­vor­sit­zen­den, der in Per­so­nal­uni­on auch Werks­lei­ter des grö­ß­ten und be­deu­tends­ten Bay­er­werks in Le­ver­ku­sen war.

3.2 Der lan­ge Ab­schied von der I.G. und die Rück­kehr auf den Welt­markt
Die Ent­flech­tung der I.G. Far­ben­in­dus­trie zog sich ent­ge­gen den an­fäng­li­chen Er­war­tun­gen fast zwei Jahr­zehn­te hin. Erst En­de 1970 fand sie in der weit­ge­hen­den Kon­zen­tra­ti­on der in West­deutsch­land lie­gen­den ehe­ma­li­gen I.G.-Be­stand­tei­le in den drei gro­ßen Nach­fol­ge­ge­sell­schaf­ten BASF, Bay­er und Hoechst ih­ren Ab­schluss. In meh­re­ren Ver­ein­ba­run­gen grenz­ten die­se Gro­ßen Drei der west­deut­schen Che­mie­in­dus­trie 1969/1970 ih­re Be­tei­li­gungsporte­feuilles fi­nal ab. Im Zen­trum die­ser Ver­ein­ba­run­gen stan­den die eben­falls einst zur I.G. ge­hö­ren­den Fir­men Ca­sel­la und Che­mi­sche Wer­ke Hüls. Bei letz­te­rer si­cher­te sich Bay­er die An­teils­mehr­heit und da­mit die Kon­trol­le des Un­ter­neh­mens. Erst mit die­ser Flur­be­rei­ni­gung setz­te ab den 1970er Jah­ren ei­ne stär­ke­re Aus­ein­an­der­ent­wick­lung der Gro­ßen Drei ein, die sich in ei­ner un­ter­schied­li­chen Pro­dukt­aus­rich­tung nie­der­schlug. Zu­vor wa­ren trotz der Aus­ein­an­der­set­zun­gen um Pa­tent­rech­te und um die Ab­gren­zung von Pro­dukt­porte­feuilles und Ab­satz­märk­ten, die oft aus der ge­mein­sa­men I.G.-Ver­gan­gen­heit her­rühr­ten, ein en­ger Aus­tausch so­wie re­gel­mä­ßi­ge Ab­spra­chen zur Kon­kur­renz­ver­mei­dung cha­rak­te­ris­tisch ge­we­sen. Per­so­nel­le Kon­ti­nui­tä­ten in den Füh­rungs­eta­gen der Gro­ßen Drei spiel­ten da­bei ei­ne zen­tra­le Rol­le. Die­se Ko­ope­ra­ti­ons­for­men gin­gen in ih­rer In­ten­si­tät nach 1970 zwar zu­rück. Den­noch er­lo­schen sie auch in den fol­gen­den Jahr­zehn­ten ge­nau­so we­nig wie die par­ti­el­le Zu­sam­men­ar­beit beim Zu­kauf von aus­län­di­schen Be­tei­li­gun­gen.[5] 

Auch für die Rück­kehr auf den Welt­markt er­wie­sen sich tech­ni­sche Er­run­gen­schaf­ten, Er­fah­run­gen und al­te Kon­tak­te als äu­ßerst nütz­lich. Ge­ra­de zu Be­ginn konn­te Bay­er an das tra­di­tio­nell star­ke Far­ben­ex­port­ge­schäft an­knüp­fen und da­bei auf frü­he­re Kon­tak­te und Ko­ope­ra­tio­nen zu­rück­grei­fen. Vor al­lem der Ein­stieg in den US-ame­ri­ka­ni­schen Markt ge­hör­te da­bei lang­fris­tig zu den wich­tigs­ten Wei­chen­stel­lun­gen. 1954 grün­de­te die Bay­er AG zu­sam­men mit Mons­an­to – da­mals noch ein breit auf­ge­stell­tes Che­mie­un­ter­neh­men – das Joint-Ven­ture Mo­bay, mit dem Bay­er vor al­lem sein Po­ly­ure­than­kunst­stoffsor­ti­ment auf den US-ame­ri­ka­ni­schen Markt brach­te. Die noch jun­gen Pro­dukt­grup­pen Kunst­stof­fe, Syn­the­se­fa­sern und Pflan­zen­schutz­mit­tel wur­den im Aus­lands­ge­schäft ge­ne­rell ein ent­schei­den­des Zug­pferd des Er­folgs. Sie bau­ten weit­ge­hend auf In­no­va­tio­nen der I.G.-Zeit auf und er­ober­ten nach 1945 ei­nen gro­ßen Markt. Zu ih­nen ge­hör­ten ne­ben den Po­ly­ure­tha­nen die Po­l­ya­cryl­ni­tril­fa­sern oder das Pflan­zen­schutz­mit­tel Pa­ra­thion. Ins­ge­samt wur­de das Aus­lands­ge­schäft so zum zen­tra­len Wachs­tums­mo­tor und Er­folgs­ga­ran­ten der Un­ter­neh­mens­ent­wick­lung. Laut Ge­schäfts­be­richt 1961 be­lief sich der An­teil des Aus­lands­ge­schäfts am Ge­samt­um­satz auf 46 Pro­zent. Am En­de der 1960er Jah­re hat­te der An­teil des Aus­lands­um­sat­zes den des In­lands schlie­ß­lich über­holt. Par­al­lel da­zu stieg auch die Be­deu­tung der Di­rekt­in­ves­ti­tio­nen im Aus­land, die ge­gen­über den in den 1950er und 1960er Jah­ren do­mi­nie­ren­den In­ves­ti­tio­nen der Bay­er AG in der Bun­des­re­pu­blik ei­nen ste­tig grö­ße­ren An­teil er­reich­ten. Schwer­punk­te wa­ren zu die­ser Zeit ins­be­son­de­re die USA und West­eu­ro­pa.

Die Organisation der Farbenfabriken Bayer 1951-1971. (Anfertigung des Autors)

 

Auf­bau­end auf den Er­run­gen­schaf­ten der I.G.-Zeit ent­wi­ckel­te sich die Bay­er AG in den ers­ten bei­den Jahr­zehn­ten nach der Neu­grün­dung wie­der zu ei­nem di­ver­si­fi­zier­ten Che­mie­un­ter­neh­men. En­de der 1960er Jah­re blick­te das Un­ter­neh­men auf ei­ne be­ein­dru­cken­de Er­folgs­ge­schich­te zu­rück. Das Pro­dukt­port­fo­lio reich­te zu die­ser Zeit von Farb­stof­fen über Kunst­stof­fe und La­cke, Syn­the­se­fa­sern, Phar­ma­zeu­ti­ka, Pflan­zen­schutz­mit­tel, Fo­to­che­mi­ka­li­en, che­mi­sche Zwi­schen­pro­duk­te bis zu Grund­che­mi­ka­li­en. Der Um­satz hat­te sich 1970 im Ver­gleich zur Neu­grün­dungs­zeit mehr als ver­sechs­facht. Auch die Rück­kehr auf den Welt­markt hat­te die Bay­er AG dank ei­ner ho­hen Ex­port­quo­te und des Auf­baus zahl­rei­cher Aus­lands­be­tei­li­gun­gen En­de der 1960er Jah­re ge­schafft.[6] 

3.3 Tech­no­lo­gi­sche Ent­wick­lung
Die Bay­er AG pro­fi­tier­te so­wohl per­so­nell als auch in­sti­tu­tio­nell von et­li­chen tech­ni­schen Er­run­gen­schaf­ten der I.G. Far­ben. Gleich­zei­tig hat­te sie im Zu­ge der Aut­ar­kie­po­li­tik des NS-Re­gimes und der weit­ge­hen­den Ab­kopp­lung von der in­ter­na­tio­na­len wis­sen­schaft­li­chen Ent­wick­lung, ins­be­son­de­re in den USA, ei­nen er­heb­li­chen tech­no­lo­gi­schen Rück­stand an­ge­häuft. Hin­zu kam der Ver­lust des ge­sam­ten Pa­tent­port­fo­li­os, das als in­tel­lek­tu­el­le Re­pa­ra­tio­nen von den Al­li­ier­ten zur welt­wei­ten Nut­zung frei­ge­ge­ben wur­de. Die star­ke Pa­tent­po­si­ti­on als seit je­her wich­ti­ger Er­folgs­fak­tor muss­te nun wie­der neu auf­ge­baut wer­den. Dies be­traf be­son­ders das eins­ti­ge Kern­ge­biet der Farb­stoff­for­schung, auf dem die Ar­bei­ten seit Mit­te 1942 kom­plett brach ge­le­gen hat­ten.[7] Nach der Neu­grün­dung bau­te die Bay­er AG die­sen Ge­schäfts- und For­schungs­be­reich je­doch zü­gig wie­der auf und schloss hier an al­te Er­fol­ge und Stär­ken an. Deut­lich lang­sa­mer ver­lief hin­ge­gen der Auf­hol­pro­zess in der einst er­folg­rei­chen Phar­ma­for­schung. Un­ter an­de­rem hat­te das Ma­nage­ment die re­vo­lu­tio­nä­re Ent­de­ckung des Pe­ni­cil­lins lan­ge un­ter­schätzt und zu­dem im ers­ten Nach­kriegs­jahr­zehnt an der Stra­te­gie ei­ner brei­ten Pro­dukt­pa­let­te fest­ge­hal­ten. Die not­wen­di­gen In­ves­ti­ti­ons­stei­ge­run­gen und ei­ne stär­ke­re Kon­zen­tra­ti­on auf be­stimm­te For­schungs­fel­der er­folg­ten so erst in den 1960er Jah­ren und er­mög­lich­ten Bay­er erst zum En­de des Jahr­zehnts wie­der den An­schluss an die Welt­spit­ze.

Tech­no­lo­gisch am be­deu­tends­ten war je­doch der Ein­stieg in die Pe­tro­che­mie, den das Un­ter­neh­men in den 1950er und 1960er Jah­ren voll­zog. Erd­öl und Erd­gas wur­den im Zu­ge die­ser von den USA aus­ge­hen­den Re­vo­lu­ti­on zum ent­schei­den­den Roh­stoff der Che­mie­in­dus­trie. Die Roh­stoff­ba­sis der Bay­er AG be­ruh­te En­de der 1940er Jah­re ana­log zur deut­schen Kon­kur­renz auf der Koh­le. Das Un­ter­neh­men war als Farb­stoff­her­stel­ler auf Ba­sis von Stein­koh­le­teer ent­stan­den und setz­te seit­her auf den ge­si­cher­ten hei­mi­schen Roh­stoff. Die­ser ver­teu­er­te sich in den ers­ten Nach­kriegs­jahr­zehn­ten je­doch mas­siv. Al­lein dies ließ die Stück­kos­ten von Pro­duk­ten auf Ba­sis der Koh­le­che­mie stei­gen, wo­hin­ge­gen mit Erd­öl und Erd­gas deut­lich güns­ti­ge­re Roh­stof­fe zur Ver­fü­gung stan­den. Hin­zu kam ein wei­te­rer As­pekt. Klas­si­sche Bay­er-Pro­duk­te auf Ba­sis der Koh­le­che­mie wie Farb­stof­fe, Pflan­zen­schutz­mit­tel oder Phar­ma­zeu­ti­ka wur­den meist in viel­fäl­ti­gen Ty­pen, da­für je­doch in klei­ne­ren Men­gen pro­du­ziert. Mit dem Auf­stieg der Kunst­stof­fe än­der­te sich dies al­ler­dings. Im boo­men­den neu­en Ab­satz­be­reich stie­gen die Ab­satz­men­gen je Pro­dukt er­heb­lich. Kos­ten­vor­tei­le durch ei­ne Ver­grö­ße­rung der Pro­duk­ti­ons­ka­pa­zi­tä­ten (eco­no­mies of sca­le) spiel­ten fort­an ei­ne zen­tra­le Rol­le. Die leich­te­re Ver­ar­bei­tung von Erd­öl und Erd­gas als Roh­stof­fe der Che­mie­in­dus­trie, ins­be­son­de­re in sehr gro­ßen Men­gen, war für die­sen Pro­zess weg­wei­send. Die­sen tech­no­lo­gi­schen Rück­stand er­kann­te die Un­ter­neh­mens­for­schung der Bay­er AG rasch. For­schungs­ar­bei­ten in die­sem Be­reich star­te­ten spä­tes­tens im Jahr 1954.[8] 

Blechschachtel mit 20 Aspirin-Tabletten, um 1950. (Bayer AG, Bayer Archives Leverkusen)

 

Das Ri­si­ko zum Ein­stieg in die neue Tech­no­lo­gie woll­te das Bay­er-Ma­nage­ment je­doch nicht al­lei­ne un­ter­neh­men. Mit dem Bri­ti­schen Öl­kon­zern BP hol­ten sich die Le­ver­ku­se­ner ei­nen er­fah­re­nen in­ter­na­tio­na­len Part­ner ins Boot. Auf die­se Wei­se ent­stand 1957 ne­ben dem Bay­er-Werk in Dor­ma­gen das Joint-Ven­ture Erd­öl­che­mie GmbH. Eben­falls ge­lang es dem Un­ter­neh­men in nur we­ni­gen Jah­ren im Be­reich der Kunst­stoff­for­schung in die Welt­spit­ze auf­zu­rü­cken. Aus­ge­hend von der Ent­de­ckung des Syn­the­se­ver­fah­rens für Po­ly­ure­tha­ne durch Ot­to Bay­er 1937 hat­te das Un­ter­neh­men ei­ne welt­weit füh­ren­de Stel­lung im Pro­dukt­be­reich der Lack- und Kunst­stof­fe auf Po­ly­ure­than­ba­sis auf­ge­baut. La­cke auf Po­ly­ure­than­ba­sis ver­mark­te­te Bay­er un­ter an­de­rem un­ter dem Han­dels­na­men Des­mo­dur, Schaum­stof­fe bei­spiels­wei­se un­ter dem Han­dels­na­men Des­mo­phen. 1953 fand der Uer­din­ger Che­mi­ker Her­mann Schnell (1916-1999) den Kunst­stoff Po­ly­car­bo­nat, den Bay­er un­ter dem Han­dels­na­men Ma­kro­lon ver­trieb. Bei­de Kunst­stoff­li­ni­en blie­ben bis in die 2000er Jah­re die Ba­sis des sehr er­folg­rei­chen Kunst­stoff­pro­dukt­sor­ti­ments.

Gebrauchsgegenstände aus Makrolon, 1958. (Bayer AG, Bayer Archives Leverkusen)

 

3.4 Per­so­nal­ent­wick­lung und Per­so­nal­po­li­tik
Bay­er star­te­te bei der Neu­grün­dung 1951 mit ei­ner Be­leg­schaft von knapp 33.000 Per­so­nen. Das ra­san­te Wachs­tum des Un­ter­neh­mens bis 1970 schlug sich da­bei auch im Mit­ar­bei­ter­zu­wachs nie­der. 1970 ar­bei­te­ten et­wa 62.000 Men­schen bei Bay­er und da­mit fast dop­pelt so vie­le wie 1951. Eben­so stark nahm in die­sem Ent­wick­lungs­kon­text das aka­de­mi­sche Per­so­nal zu, was sich ins­be­son­de­re im For­schungs- und Ent­wick­lungs­be­reich zeig­te. Knapp 45 Pro­zent al­ler aka­de­mi­schen An­ge­stell­ten wa­ren 1972 in die­sem Be­reich tä­tig. 1951 wa­ren es noch et­wa 30 Pro­zent ge­we­sen. Mit den wirt­schaft­lich in­sta­bi­le­ren 1970er Jah­ren en­de­te das ra­san­te Per­so­nal­wachs­tum. Die Ge­samt­be­leg­schaft war seit die­ser Zeit stär­ke­ren Schwan­kun­gen un­ter­wor­fen. Deut­lich kon­stan­ter ge­stal­te­te sich die Ent­wick­lung des aka­de­mi­schen Per­so­nals, das zwar eben­falls lang­sa­mer, aber kon­stant zu­nahm. Ab Mit­te der 1990er Jah­re sank die Zahl der Bay­er-Mit­ar­bei­ter vor al­lem in Deutsch­land bis zum Jahr 2005, was mit der Kon­zern­um­struk­tu­rie­rung und der Aus­glie­de­rung von Ge­schäfts­be­rei­chen zu­sam­men­hängt, die wei­ter un­ten ge­schil­dert wer­den.[9] 

Im Be­reich der Mit­be­stim­mung und Per­so­nal­po­li­tik ging Bay­er nach 1945 zü­gig neue We­ge. Die ent­schei­den­de Fi­gur war da­bei der von Ul­rich Ha­ber­land neu er­nann­te Per­so­nal­chef Fritz Ja­co­bi (1902-1974), der seit der Un­ter­neh­mens­neu­grün­dung auch Vor­stands­mit­glied war. Eben­so wie Ha­ber­land ge­hör­te er zu den Ver­tre­tern ei­ner so­zi­al­part­ner­schaft­li­chen Li­nie und er­kann­te das Mit­be­stim­mungs­recht des Be­triebs­rats in so­zia­len Fra­gen grund­sätz­lich an. Da­mit hob sich die Bay­er AG in den spä­ten 1940er und den 1950er Jah­ren von an­de­ren deut­schen Un­ter­neh­men ab, da die­ser An­satz zu je­ner Zeit kei­nes­wegs Kon­sens in der deut­schen Ar­beit­ge­ber­schaft war. Den durch sei­nen Vor­stands­sitz ge­si­cher­ten Ein­fluss- und Hand­lungs­spiel­raum nutz­te Ja­co­bi in den 1950er Jah­ren für ei­ne Mo­der­ni­sie­rung sei­nes Tä­tig­keits­be­reichs. Aus­ge­hend von der Per­so­nal­ab­tei­lung für Ar­bei­ter setz­te ei­ne star­ke Pro­fes­sio­na­li­sie­rung der Per­so­nal­po­li­tik ein. Sto­ß­rich­tung die­ser mit Un­ter­stüt­zung Ha­ber­lands ver­folg­ten Po­li­tik war es, die Be­zie­hung zwi­schen dem ein­zel­nen Ar­beit­neh­mer und dem Un­ter­neh­men zu fes­ti­gen und die­sen in die „Bay­er-Fa­mi­lie“ zu in­te­grie­ren. Die­ses nach 1945 eta­blier­te Kon­zept der „Bay­er-Fa­mi­lie“ führ­te das Un­ter­neh­men über vie­le Jahr­zehn­te wei­ter und wand­te sich erst in den 1990er Jah­ren im Zu­ge des Kon­zern­um­baus von ihm ab. Ei­ne wich­ti­ge Ba­sis die­ses An­sat­zes war die Ein­füh­rung hu­man­wis­sen­schaft­lich ge­stütz­ter Per­so­nal­maß­nah­men. Mit der im Fol­gen­den ge­schil­der­ten Neu­or­ga­ni­sa­ti­on des Un­ter­neh­mens wur­de die Per­so­nal- und So­zi­al­ab­tei­lung schlie­ß­lich zu ei­ner um­fas­send aus­dif­fe­ren­zier­ten Ab­tei­lung. Mit ih­rem aka­de­mi­schen Per­so­nal eta­blier­te sie sys­te­ma­tisch Maß­nah­men, die die Per­so­nal­be­ur­tei­lung und -füh­rung so­wie die in­ter­ne Fort- und Wei­ter­bil­dung für al­le Be­schäf­tig­ten­grup­pen des Un­ter­neh­mens um­fass­te. 

Makrolon-Geschirr (Probeaufbau für Messestand auf der Hannover-Messe), 1961. (Bayer AG, Bayer Archives Leverkusen)

 

4. Wirtschaftliche Herausforderungen und der Weg zum internationalen Konzern 1970-2006

4.1 Or­ga­ni­sa­ti­ons­än­de­run­gen und Un­ter­neh­mensum­bau Nach dem Wech­sel im Amt des Vor­stands­vor­sit­zen­den durch den un­er­war­te­ten Tod Ul­rich Ha­ber­lands 1961 lei­te­te des­sen Nach­fol­ger Kurt Han­sen An­fang der 1960er Jah­re den Pro­zess zur Neu­or­ga­ni­sa­ti­on des Un­ter­neh­mens ein. Die 1971 in Kraft tre­ten­de Neu­or­ga­ni­sa­ti­on er­folg­te da­bei in meh­re­ren Schrit­ten. In den Jah­ren 1965/1966 eta­blier­te die Bay­er AG als ers­ten Schritt ein hier­ar­chisch ab­ge­stuf­tes Kom­mis­si­ons­sys­tem. Da­mit stell­te die Bay­er AG die Steue­rung des Un­ter­neh­mens auf ei­ne neue Grund­la­ge, bei der die bis zu die­ser Zeit star­ke Do­mi­nanz von Per­so­nen zu­rück­ging. Fort­an wur­den die Kom­mis­sio­nen zu den neu­en Zen­tren der Ent­schei­dungs­fin­dung und Ab­stim­mung der Auf­ga­ben. Gleich­zei­tig durch­brach die Kom­mis­si­ons­ein­tei­lung die bis­he­ri­ge funk­tio­na­le Or­ga­ni­sa­ti­on und be­rei­te­te die 1971 of­fi­zi­ell ein­ge­führ­te Spar­ten­or­ga­ni­sa­ti­on vor. Die­se war auf Pro­dukt­grup­pen wie Far­ben, Phar­ma­zeu­ti­ka oder Pflan­zen­schutz­mit­tel aus­ge­rich­tet und ver­ein­te die Un­ter­neh­mens­funk­tio­nen Ab­satz, Pro­duk­ti­on so­wie For­schung und Ent­wick­lung in sich. Die ge­schaf­fe­nen neun Spar­ten wa­ren als Pro­fit­cen­ter kon­zi­piert, die auf die Op­ti­mie­rung ih­res Be­triebs­er­geb­nis­ses aus­ge­rich­tet wa­ren und die wei­te­re Un­ter­neh­mens­ent­wick­lung prä­gen soll­ten. Ne­ben den Spar­ten ent­stan­den neun Zen­tral­be­rei­che, die die über­ge­ord­ne­ten Funk­tio­nen wie das Per­so­nal­we­sen oder das Fi­nanz- und Rech­nungs­we­sen zu­sam­men­fass­ten und für al­le Spar­ten zu­stän­dig wa­ren.  

Mit dem Amts­an­tritt von Her­mann-Jo­sef Stren­ger (1928-2016) als Vor­stands­vor­sit­zen­der, dem ers­ten Kauf­mann an der Un­ter­neh­mens­spit­ze seit Grün­der­zei­ten, führ­te die Bay­er AG 1984 ei­ne er­neu­te Or­ga­ni­sa­ti­ons­än­de­rung durch. Die­se war un­ter dem Han­sen-Nach­fol­ger Her­bert Grü­ne­wald (1921-2002) seit 1980 vor­be­rei­tet wor­den. Kern war die Zu­sam­men­fas­sung der nun als Ge­schäfts­be­rei­che fir­mie­ren­den Spar­ten in sechs Sek­to­ren. 

Die Organisation der Bayer AG ab 1971. (Anfertigung des Autors)

 

Die­se soll­ten dem im­mer stär­ke­ren Fo­kus der Bay­er AG auf das in­ter­na­tio­na­le Ge­schäft Rech­nung tra­gen. Vor al­lem die Vor­stands­mit­glie­der ent­las­te­te die­se Or­ga­ni­sa­ti­ons­än­de­rung vom Ta­ges­ge­schäft und er­mög­lich­te ei­nen grö­ße­ren Fo­kus auf die stra­te­gi­sche Aus­rich­tung des Kon­zerns. Die stra­te­gi­sche Aus­rich­tung soll­te in den kom­men­den bei­den Jahr­zehn­ten von zen­tra­ler Be­deu­tung sein und die Bay­er AG zu ei­nem in­ter­na­tio­na­len Kon­zern mit Sitz in Deutsch­land trans­for­mie­ren. Wich­ti­ge Schwer­punk­te im Zu­ge die­ser Neu­aus­rich­tung trug die Or­ga­ni­sa­ti­on von 1984 be­reits in sich. Da­zu zählt der Be­deu­tungs­zu­wachs der Be­rei­che Phar­ma­zeu­ti­ka und Pflan­zen­schutz, die zu ei­gen­stän­di­gen Sek­to­ren auf­stie­gen. Die Spar­ten des Kunst­stoff-, Farb­stoff- oder Grund­che­mi­ka­li­en­be­reichs wur­den hin­ge­gen zu­sam­men­ge­fasst und auf meh­re­re Sek­to­ren ver­teilt. Vom 1984 noch gro­ßen Sek­tor Ag­fa-Ge­va­ert, der das Fo­to­ge­schäft um­fass­te, trenn­te sich Bay­er 1999.

Die Organisation der Bayer AG 1984-2002. (Anfertigung des Autors)

 

Der nächs­te or­ga­ni­sa­to­ri­sche Um­bruch er­folg­te von 2001 bis 2003. In ei­nem ers­ten Schritt bau­te die Bay­er AG ih­ren im­mer noch be­deu­ten­den Ge­schäfts­be­reich Che­mi­ka­li­en um, der ein brei­tes Port­fo­lio von Kunst­stof­fen und Grund­che­mi­ka­li­en um­fass­te. Die nun for­mier­ten Busi­ness Units schu­fen noch kla­rer ab­ge­grenz­te Ge­schäfts­ein­hei­ten mit spe­zi­fi­schen Ge­schäfts­stra­te­gi­en. Die­se wa­ren funk­tio­nal noch stär­ker in­te­griert als die eins­ti­gen Spar­ten. Hin­zu kam auf Kon­zern­ebe­ne die For­mie­rung ei­ner Hol­dings­ge­sell­schaft, die im Jahr 2003 in Kraft trat. Un­ter dem Kon­zerndach der Bay­er AG exis­tier­ten nun die vier Teil­kon­zer­ne Bay­er Health­Ca­re, Bay­er Crop Sci­ence, Bay­er Po­ly­mers und Bay­er Che­mi­cals. Po­ly­mers und Che­mi­cals wur­den 2005 zu Bay­er Ma­te­ri­al Sci­en­ces zu­sam­men­ge­fasst. Hin­zu tra­ten die drei Ser­vice­ge­sell­schaf­ten Bay­er Busi­ness Ser­vices, Bay­er Tech­no­lo­gy Ser­vices und lo­ka­le Stand­ort­diens­te. 

Mit die­ser Or­ga­ni­sa­ti­ons­form hat­ten die frü­he­ren Ge­schäfts­fel­der von Bay­er ein ho­hes Maß an Ei­gen­stän­dig­keit er­hal­ten und er­hiel­ten den Cha­rak­ter ei­ge­ner Un­ter­neh­men. Dies soll­te für die wei­te­re Ent­wick­lung zum Life­sci­ence-Kon­zern heu­ti­gen Zu­schnitts ent­schei­dend wer­den. Ei­ne wich­ti­ge Grund­la­ge die­ser Ent­wick­lung war der Be­deu­tungs­ge­winn von Ak­tio­nä­ren und Ka­pi­tal­märk­ten für die Stra­te­gie­ent­schei­dun­gen des Un­ter­neh­mens. Denn die Hol­ding­struk­tur er­leich­ter­te die Aus­glie­de­rung von Ge­schäfts­be­rei­chen er­heb­lich. Der ers­te Schritt er­folg­te be­reits 2005, als Bay­er die Che­mie­ak­ti­vi­tä­ten ver­bun­den mit Tei­len des Po­ly­mer­ge­schäfts un­ter dem Na­men Lan­xess als ei­gen­stän­di­ges Un­ter­neh­men an die Bör­se brach­te. 2015 lei­te­te Bay­er schlie­ß­lich den Pro­zess zur völ­li­gen Kon­zen­tra­ti­on auf den Life­scie­ne-Be­reich ein. Der Teil­kon­zern Ma­te­ri­al Sci­ence ging un­ter dem Na­men Co­ve­s­tro als ei­gen­stän­di­ges Un­ter­neh­men an die Bör­se. Mit dem Ver­kauf der zu­nächst ge­hal­te­nen Mehr­heits­be­tei­li­gung trenn­te sich die Bay­er AG 2018 schlie­ß­lich kom­plett von ih­rem ehe­ma­li­gen Teil­kon­zern.

4.2 Un­ter­neh­mens­for­schung als Pio­nier der Schwer­punkt­set­zung
Mit der Neu­or­ga­ni­sa­ti­on von 1971 be­gann zu­dem ein Pro­zess der Schwer­punkt­set­zung. En­de der 1970er Jah­re zeig­te die­ser Pro­zess ers­te prak­ti­sche Kon­se­quen­zen. Die Bay­er AG ging par­al­lel zum Zu­kauf neu­er Fir­men und Be­tei­li­gun­gen da­zu über, aus ei­ni­gen Ge­schäfts­fel­dern durch den Ver­kauf von Un­ter­neh­mens­tei­len aus­zu­stei­gen. Be­son­ders deut­lich wur­de die­se Pra­xis im Mas­sen­kunst­stoff­ge­schäft. Sei­nen Aus­gangs­punkt hat­te die­se Ent­wick­lung be­reits in den 1960er Jah­ren. Im Zu­ge des Neu­or­ga­ni­sa­ti­ons­pro­zes­ses be­gann ei­ne an be­triebs­wirt­schaft­li­chen Ge­sichts­punk­ten aus­ge­rich­te­te Um­struk­tu­rie­rung der Un­ter­neh­mens­for­schung. En­de der 1960er Jah­re hat­te die Bay­er AG die in­ter­ne For­schungs­kos­ten­er­he­bung und -ana­ly­se neu auf­ge­stellt. Dies er­laub­te es, die Ren­di­te ein­zel­ner For­schungs­pro­jek­te und Pro­duk­te zu be­rech­nen. Die Ren­di­te­rech­nung bil­de­te fort­an den Er­folgs­maß­stab der Un­ter­neh­mens­for­schung. 

War die Ren­di­te­rech­nung klar auf die nach­träg­li­che Eva­lua­ti­on ge­rich­tet, be­gann ab Mit­te der 1970er Jah­re ein wei­te­rer, in die Zu­kunft ge­rich­te­ter Schritt. Da­zu en­ga­gier­te die Bay­er AG erst­mals Con­sul­ting­fir­men – ei­ne Pra­xis, die aus­ge­hend von den USA bei vie­len an­de­ren deut­schen und eu­ro­päi­schen Un­ter­neh­men längst ver­brei­tet war. Im Zu­ge des­sen führ­te die Bay­er AG die Port­fo­li­o­ana­ly­se ein. Da­mit durch­fors­te­te das Un­ter­neh­men sei­ne Pro­dukt­pa­let­te und klas­si­fi­zier­te ein­zel­ne Pro­duk­te oder auch gan­ze Pro­dukt­grup­pen nach ih­rer künf­ti­gen Er­trags­träch­tig­keit. Kon­text die­ses Ver­än­de­rungs­schubs wa­ren die wirt­schaft­li­chen Her­aus­for­de­run­gen, die ab den 1970er Jah­ren zu­nah­men. Die Zeit des ra­san­ten Wirt­schafts­wachs­tums der Nach­kriegs­zeit ging zu En­de. Der Kon­kur­renz- und Preis­druck stieg. Das Un­ter­neh­men kon­sta­tier­te die­se Ver­än­de­rung hin zu ei­nem Käu­fer­markt mit der Fest­stel­lung, dass es im­mer schwie­ri­ger wur­de, für die ent­wi­ckel­ten Pro­duk­te auch ge­nü­gend Ab­neh­mer zu fin­den. Wich­tig wur­de da­her nun ein­zig und al­lein das Markt­po­ten­ti­al neu­er Pro­duk­te. Dar­un­ter fie­len As­pek­te wie die zu er­war­ten­de Zahl der Kun­den, mög­li­che Kon­kur­ren­ten so­wie Preis- und Er­trags­struk­tu­ren. Die von der For­schung aus wis­sen­schaft­li­cher und tech­no­lo­gi­scher Sicht als gut und in­no­va­tiv ein­ge­stuf­ten For­schungs­pro­jek­te und Pro­duk­te muss­ten sich fort­an die­ser Ana­ly­se stel­len. 

Die Be­deu­tung die­ses in der For­schung eta­blier­ten Pro­zes­ses ist kei­nes­wegs zu un­ter­schät­zen. Die Bay­er AG setz­te seit der Eta­blie­rung der un­ter­neh­mens­ei­ge­nen For­schung En­de des 19. Jahr­hun­derts kon­se­quent und er­folg­reich auf ei­ne Stra­te­gie, neue und in­no­va­ti­ve Pro­duk­te in den Markt ein­zu­füh­ren, die der ei­ge­nen For­schung ent­stamm­ten. Auf­grund des re­la­tiv lan­gen Zeit­raums von der Auf­nah­me der Ar­bei­ten bis zur Markt­ein­füh­rung war die Eta­blie­rung der ge­schil­der­ten be­triebs­wirt­schaft­li­chen Ana­lys­e­in­stru­men­te auf For­schungs­ebe­ne ei­ne ein­schnei­den­de Wei­chen­stel­lung. Bis zum Aus­schei­den des lang­jäh­ri­gen For­schungs­lei­ters Ot­to Bay­er Mit­te der 1960er Jah­re hat­te da­bei im weit­ge­hend aus pro­mo­vier­ten Che­mi­kern zu­sam­men­ge­setz­ten Ma­nage­ment das Ver­trau­en in die von der For­schung als zu­kunfts­träch­tig an­ge­se­he­nen For­schungs- und Ent­wick­lungs­pro­jek­te die Ar­bei­ten be­stimmt. Eben dies än­der­te sich mit der Ein­füh­rung der be­triebs­wirt­schaft­lich aus­ge­rich­te­ten Ana­lys­e­in­stru­men­te ra­di­kal. Zum En­de der 1970er Jah­re zeig­te sie ers­te sicht­ba­re Kon­se­quen­zen. Die letzt­lich aus­ge­glie­der­ten Un­ter­neh­mens­be­rei­che wur­den ei­ni­ge Jah­re zu­vor for­schungs­in­tern be­reits als we­nig zu­kunfts­träch­tig ein­ge­stuft. 

Die Organisation der Bayer AG 2003-2015. (Anfertigung des Autors)

 

Ins­ge­samt führ­te das be­triebs­wirt­schaft­lich fo­kus­sier­te Ana­ly­se­ras­ter im Kunst­stoff­be­reich zu ei­ner Aus­rich­tung auf die we­ni­ger preis­sen­si­blen Spe­zi­al- und Hoch­leis­tungs­kunst­stof­fe, die ins­be­son­de­re die Po­ly­ure­than- und Po­ly­car­bo­nat­fa­mi­lie um­fass­ten. Den tra­di­ti­ons­träch­tigs­ten Be­reich des Un­ter­neh­mens, die Farb­stof­fe, glie­der­te das Bay­er-Ma­nage­ment kom­plett aus. Ihm wur­de schon 1980 ein nach­las­sen­der In­no­va­ti­ons­spiel­raum at­tes­tiert. Zu­sam­men mit Hoechst grün­de­te Bay­er 1995 das Joint-Ven­ture Dystar, in das bei­de ihr Farb­stoff­ge­schäft ein­brach­ten. Ein­deu­ti­ge Pro­fi­teu­re der neu ein­ge­führ­ten Ana­lys­e­in­stru­men­te wa­ren hin­ge­gen die Spar­ten Phar­ma­zeu­ti­ka und Pflan­zen­schutz. Sie iden­ti­fi­zier­te man als die ren­di­te­stärks­ten Be­rei­che. Bei­de bo­ten das höchs­te Po­ten­ti­al, äu­ßert um­satz- und ge­winn­träch­ti­ge Pro­duk­te, so­ge­nann­te Block­bus­ter, her­vor­zu­brin­gen. Kon­se­quen­ter­wei­se er­reich­ten die Be­rei­che Phar­ma und Pflan­zen­schutz bis 1985 ei­nen An­teil von 57 Pro­zent an den ge­sam­ten For­schungs­aus­ga­ben des Un­ter­neh­mens, das zu die­sem Zeit­punkt noch ein di­ver­si­fi­zier­tes Che­mie­un­ter­neh­men war. Auch mit Blick auf die gro­ßen Er­folgs­pro­duk­te von Bay­er, die weit­ge­hend aus dem Life­sci­ence-Be­reich stamm­ten, be­stä­tig­te sich die­se Ent­wick­lung. Im Be­reich Phar­ma­zeu­ti­ka ka­men un­ter an­de­rem 1973 das An­ti­my­ko­ti­kum (ge­gen Pilz­er­kran­kun­gen) Ca­nes­ten, 1975 das Herz-Kreis­lauf­mit­tel Ada­lat, 1986 das Breit­spek­trum-An­ti­bio­ti­kum Ci­pro­bay oder 2008 der Blut­ge­rin­nungs­hem­mer Xar­el­to auf den Markt. Der Er­folg der Block­bus­ter schlug sich ab den 1970er Jah­ren in der Um­satz­ent­wick­lung nie­der. Der Phar­ma­be­reich konn­te seit die­ser Zeit sei­nen An­teil am Ge­samt­um­satz deut­lich aus­bau­en. En­de der 1980er Jah­re lag der ge­sam­te Ge­schäfts­be­reich Ge­sund­heit bei den Um­satz­zu­wäch­sen welt­weit an der Kon­zern­spit­ze. Zu­dem präg­te der Be­reich Phar­ma im­mer stär­ker das Kon­zern­er­geb­nis. Die­sen Be­deu­tungs­zu­wachs konn­te in et­was ge­rin­gem Um­fang auch der Pflan­zen­schutz­sek­tor ver­bu­chen. Hier ge­hör­ten bei­spiels­wei­se das Un­kraut­be­kämp­fungs­mit­tel Sen­cor seit 1971, das Fun­gi­zid (ge­gen Pilz­er­kran­kun­gen) Bayle­ton seit 1976 oder das In­sek­ti­zid (ge­gen In­sek­ten) Con­fi­dor seit An­fang der 1990er Jah­re zu den kom­mer­zi­ell sehr er­folg­rei­chen Pro­duk­ten. Gleich­zei­tig brach­ten die­se Ge­schäfts­fel­der je­doch auch recht­li­che Ri­si­ken mit sich. Vor dem in der Un­ter­neh­mens­ge­schich­te grö­ß­ten Rechts­streit um das Pflan­zen­schutz­mit­tel Gly­pho­sat sah sich Bay­er bei­spiels­wei­se 2001 mit sei­nem bis da­hin kom­mer­zi­ell sehr er­folg­rei­chen Cho­le­ste­rin­sen­ker Li­po­bay ei­ner Kla­ge­wel­le aus­ge­setzt. Die­se stürz­te Bay­ers Phar­ma­be­reich zeit­wei­lig in ei­ne der­art schwe­re Kri­se, dass die Fort­füh­rung die­ses Ge­schäfts­fel­des zur Dis­po­si­ti­on stand.

4.3 In­ves­ti­tio­nen als Mo­tor der In­ter­na­tio­na­li­sie­rung
Die in den Ana­ly­sen der For­schung iden­ti­fi­zier­te Ren­di­te­träch­tig­keit des Phar­ma- und Pflan­zen­schutz­be­reichs fand auch im Zu- und Ver­kauf von Un­ter­neh­men(sbe­rei­chen) sei­nen Aus­druck. Als ein wich­ti­ges In­stru­ment die­ser Po­li­tik fun­gier­te da­bei die ka­na­di­sche Fi­nan­zie­rungs­ge­sell­schaft Bay­fo­rin. Über sie konn­te die Bay­er AG steu­er- und kos­ten­güns­tig Ka­pi­tal am in­ter­na­tio­na­len Fi­nanz­markt für die zu­neh­men­de In­ter­na­tio­na­li­sie­rung mo­bi­li­sie­ren. In­ves­tier­te das Le­ver­ku­se­ner Un­ter­neh­men wei­ter­hin in al­len Ge­schäfts­fel­dern in­ter­na­tio­nal be­deu­ten­de Sum­men in den Er­werb von Fir­men, um die ei­ge­nen Markt­po­si­ti­on zu ver­bes­sern, hob sich der Be­reich Phar­ma- und Pflan­zen­schutz durch die star­ke For­schungs­kom­po­nen­te in der In­ves­ti­ti­ons­po­li­tik ab. So un­ter­nahm Bay­er in den 1970er Jah­ren gro­ße Zu­käu­fe von for­schungs­star­ken Phar­ma­fir­men in den USA. 1974 kauf­te man die Cut­ter La­bo­ra­to­ries, 1978 die Mi­les La­bo­ra­to­ries. Ne­ben ei­ner stär­ke­ren Markt­po­si­ti­on in den USA ziel­te Bay­er hier­bei auf die Er­wei­te­rung der ei­ge­nen For­schungs­ba­sis. Neue Ar­beits­ge­bie­te stan­den eben­so im Fo­kus wie der Ein­stieg in die lan­ge ver­nach­läs­sig­te Bio- und Gen­tech­no­lo­gie. Mit dem Er­werb die­ser Fir­men gin­gen zu­dem mas­si­ve In­ves­ti­tio­nen in die Bay­er-For­schungs­ein­rich­tun­gen in den USA ein­her. 1988 er­öff­ne­te Bay­er in West Ha­ven, Con­nec­ti­cut, ein ei­ge­nes Phar­ma­for­schungs­zen­trum. Zur stra­te­gi­schen Ak­qui­si­ti­ons­po­li­tik ge­hör­te auch der Er­werb des Selbst­me­di­ka­ti­ons­ge­schäfts der Fir­ma Ster­ling Win­throp 1994. Auf die­se Wei­se kauf­te Bay­er die Rech­te am Fir­men­na­men Bay­er in den USA zu­rück, die im Zu­ge des Ers­ten Welt­kriegs ver­lo­ren ge­gan­gen wa­ren. Erst seit die­ser Zeit konn­te das Le­ver­ku­se­ner Un­ter­neh­men in den USA wie­der un­ter dem Na­men Bay­er auf­tre­ten. Ei­nen der be­deu­ten­den Zu­käu­fe, der die Be­deu­tung der Phar­maak­ti­vi­tä­ten des Kon­zerns mas­siv auf­wer­te­te, tä­tig­te Bay­er in Deutsch­land. 2006 er­warb Bay­er das deut­sche Tra­di­ti­ons­un­ter­neh­men Sche­ring für 17 Mil­li­ar­den Eu­ro. Dies stand in­so­fern in ei­ner lang­fris­ti­gen Tra­di­ti­on, als die Bay­er AG auch in den 1980er Jah­ren trotz ih­rer ver­stärk­ten in­ter­na­tio­na­len Tä­tig­keit wei­ter­hin be­deu­ten­den Sum­men in ih­re Ak­ti­vi­tä­ten und Stand­or­te in Eu­ro­pa lenk­te. 

Bayleton Verpackung, undatiert. (Bayer AG, Bayer Archives Leverkusen)

 

Ne­ben dem Be­reich Phar­ma in­ves­tier­te Bay­er mas­siv in den Aus­bau sei­nes Pflan­zen­schutz­ge­schäfts. 1979 be­gann der Bau des Pflan­zen­schutz­zen­trums in Mon­heim am Rhein (Kreis Mett­mann), der 1988 ab­ge­schlos­sen war und ein In­ves­ti­ti­ons­vo­lu­men von 800 Mil­lio­nen DM um­fass­te. Zu­dem bau­te Bay­er sei­ne Pflan­zen­schutz­for­schung in Ja­pan aus und er­öff­ne­te 1985 ein gro­ßes For­schungs­zen­t­raum in Yu­ki na­he To­kio. Ein wich­ti­ger Schritt für den wei­te­ren Ge­schäfts­aus­bau er­folg­te 2001. In die­sem Jahr über­nahm Bay­er das Pflan­zen­schutz­ge­schäfts vom deutsch-fran­zö­si­schen Kon­kur­ren­ten Aven­tis, der 1999 aus der Fu­si­on der Hoechst AG und Rhô­ne-Pou­lenc ent­stan­den war. Mit dem zu die­sem Zeit­punkt grö­ß­ten Zu­kauf der Fir­men­ge­schich­te rück­te der Le­ver­ku­se­ner Kon­zern in die­sem Ge­schäfts­feld zur welt­wei­ten Spit­zen­grup­pe auf. Die­se Ak­ti­vi­tä­ten un­ter­strei­chen die ge­gen En­de des 20. Jahr­hun­derts im­mens ge­stie­ge­ne und schlie­ß­lich do­mi­nie­ren­de Be­deu­tung des Aus­lands­ge­schäfts für die Bay­er AG. Be­reits Mit­te der 1980er Jah­re hat­te der Aus­lands­an­teil am Um­satz des Bay­er-Kon­zerns die 80 Pro­zent­mar­ke er­reicht. Bei ei­nem wei­ter­hin ho­hen Ex­port­an­teil be­ruh­te der ge­nann­te Aus­lands­um­satz je­doch im­mer stär­ker auf Ge­sell­schaf­ten, die Bay­er im Aus­land er­wor­ben hat­te und un­ter­hielt. Ins­be­son­de­re die USA rück­ten da­bei Mit­te der 1980er Jah­re in die Spit­zen­po­si­ti­on auf und nah­men auch bei den ge­tä­tig­ten In­ves­ti­tio­nen ei­nen grö­ße­ren Raum ein. Zur glei­chen Zeit be­gann der Be­deu­tungs­zu­wachs Asi­ens für das Bay­er-Ge­schäft. Be­reits in den 1980er Jah­ren iden­ti­fi­zier­te das Bay­er-Ma­nage­ment Chi­na als wich­ti­gen Wachs­tums­markt, der seit die­ser Zeit zu­neh­men­de In­ves­ti­tio­nen er­fuhr und nach 2010 zum dritt­grö­ß­ten Markt auf­stieg.

5. Ausblick: Die Übernahme von Monsanto

Im Sep­tem­ber 2016 gab Bay­er be­kannt, das um­strit­te­ne Agro­che­mie­un­ter­neh­men Mons­an­to aus St. Louis, USA, für 66 Mil­li­ar­den US-Dol­lar zu über­neh­men. Dies war die mit Ab­stand grö­ß­te Ak­qui­si­ti­on der Un­ter­neh­mens­ge­schich­te und ei­ne der grö­ß­ten Aus­lands­über­nah­men durch ein deut­sches Un­ter­neh­men über­haupt. Als rei­ner Life­scie­ne-Kon­zern hat­te die Bay­er AG nach der Aus­glie­de­rung von Co­ve­s­tro ei­nen kla­ren Schwer­punk im Be­reich Phar­ma­zeu­ti­ka. Durch den Zu­kauf von Mons­an­to stieg sie nun zu ei­nem der grö­ß­ten Agro­che­mie­kon­zer­ne der Welt auf. Der Un­ter­neh­mens­be­reich Pflan­zen­schutz prägt seit­dem die Um­satz­ent­wick­lung ent­schei­dend.[10] Gleich­zei­tig über­nahm das Le­ver­ku­se­ner Un­ter­neh­men die ge­wal­ti­gen recht­li­chen Ri­si­ken des US-ame­ri­ka­ni­schen Kon­kur­ren­ten. Mons­an­tos um­satz­stärks­tes Pro­dukt, das Un­kraut­ver­nich­tungs­mit­tel Gly­pho­sat, stand 2016 schon seit Jah­ren in der Kri­tik, da es im Ver­dacht steht Krebs aus­zu­lö­sen. Zahl­rei­che Pro­zes­se in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten wa­ren an­hän­gig, et­li­che Ur­tei­le zu Las­ten der Bay­er AG folg­ten. Der Rechts­streit und der den Klä­gern zu­ge­spro­che­ne Scha­dens­er­satz kos­te­ten den Le­ver­ku­se­ner Kon­zern seit der Über­nah­me Mil­li­ar­den Dol­lar. In der Fol­ge ging der Kurs der Bay­er-Ak­tie auf Tal­fahrt, zwi­schen­zeit­lich fiel der Bör­sen­wert von Bay­er un­ter den Preis, der für die Mons­an­to­über­nah­me ge­zahlt wor­den war. Wo­hin die wei­te­re Ent­wick­lung geht, ist of­fen. Si­cher scheint je­doch die Zu­kunft als mul­ti­na­tio­na­ler Kon­zern, des­sen Stand­or­te über den Glo­bus ver­teilt sind, der aber wei­ter­hin von Le­ver­ku­sen aus ge­lei­tet wird.

Nachtaufnahme der Hochhausverhüllung am 6. März 1999 anlässlich des 100. Jubiläums von Aspirin. (Bayer AG, Bayer Archives Leverkusen)

 

Quellen

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Online

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Zitationshinweis

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Janneck, Rouven, Die Bayer AG nach 1945, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/die-bayer-ag-nach-1945/DE-2086/lido/646353c4c36d37.10295300 (abgerufen am 27.04.2024)