Die Pilgerfahrt des Ritters Arnold von Harff zu den Pilgerstätten der Christenheit, nach Rom, Jerusalem und Santiago de Compostela (1496–1498)
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1. Einleitung
Der Ritter Arnold Harff machte in den Jahren 1496 bis 1498 eine Pilgerreise zu den damals wichtigsten Stätten der Christenheit. Nach seiner Rückkehr hat er einen umfangreichen, mit farbigen Federzeichnungen geschmückten Bericht über seine Reise verfasst, den er seinem Landesherrn, Herzog Wilhelm III. von Berg beziehungsweise Wilhelm IV. von Jülich (1455–1511) und dessen Gemahlin Sibylla von Brandenburg (1467–1524), Tochter des Kurfürsten Albrecht Achilles (1414–1486), widmete.
Arnold von Harff wurde Ende 1471 als zweiter Sohn des Adam von Harff (gestorben 1479) und der Richardis von Hoemen (gestorben 1495) geboren. Adam von Harff war Landdrost von Jülich und Amtmann zu Kaster und entstammte einem niederrheinischen Adelsgeschlecht. Sein Sohn Arnold studierte in Köln (Immatrikulation vom 24.11.1483), war also von hoher Bildung, was sich in seinen Lateinkenntnissen und dem Wissen, dass die Erde eine Kugel ist, zeigte. Im Jahre 1504 heiratete er Margarete von dem Bongart und wurde im gleichen Jahr Erbkämmerer des Herzogtums Geldern. Erst 33 Jahre alt, starb er im Januar 1505.
Der Bericht des Arnold von Harff wird in der Literatur als eine der bedeutendsten Reisebeschreibungen des deutschen Spätmittelalters bewertet, in dem Einzelheiten erzählt werden, die sonst kaum zu finden sind. Bei seinen länder- und völkerkundlichen, städtebaulichen, wirtschaftlichen, botanischen und zoologischen sowie sprach- und kulturhistorischen Schilderungen zeigte Harff eine exzellente Beobachtungsgabe, ein vielseitiges Interesse, allerdings auch eine sehr große Naivität.
Der Bericht ist in Harffs ripuarischer Mundart geschrieben, was manchem als beinahe niederländisch vorkommen mag. Das ist wahrscheinlich der Grund dafür, dass die Sprache in der Literatur unterschiedlich bewertet wird. Einige betrachten sie als schlicht, unbeholfen und schwerfällig, ohne künstlerische Schulung und „in einem etwas schwadronierenden Ton“, wobei der Häufung des Verbindungspartikels „item“ keine stilistischen Qualitäten abzugewinnen seien. Andere loben die „lebendige und anschauliche Schilderung des erzählerisch begabten niederrheinischen Landedelmanns“. Neutraler ist die Beurteilung, in dem Bericht ein wertvolles Zeugnis für die spätmittelripuarische Schreibsprache zu sehen. Vermutlich hat Harff bewusst keine andere Sprache gewählt, weil sie, wie er selbst schreibt, dem gemeynen manne onverstentlich ist (dem gemeinen [allgemeinen, normalen] Mann unverständlich ist).
Obwohl Arnold von Harff auf seiner Fahrt - nicht wie damals üblich - nur einen, sondern alle drei großen Wallfahrtsorte des Mittelalters, nämlich Rom, Jerusalem und Santiago de Compostela, aufsuchte, kann seine Reise nicht als reine Pilgerfahrt gesehen werden, sondern eher als Bildungsreise oder „Kavalierstour“, vergleichbar einer Abenteuerfahrt des 16. und 17. Jahrhunderts. Dafür spricht, dass er sich keiner organisierten Pilgergesellschaft anschloss, sondern meistens in Begleitung von Kaufleuten reiste, von den üblichen Wallfahrerrouten abwich und seine Reise weit über die Pilgerziele hinaus ausdehnte. Der „Pilger“ Harff trat dabei etwas in den Hintergrund. Aber Harff war auch Abenteurer und Entdecker und, wie er selbst sagt, dichter, denn eyn schone loegen tzeirt wael eyn reeden (eine schöne Lüge ziert wohl eine Rede), und als solcher brauchte er zur Unterhaltung der Leser auch Fabelwesen, Wunder, Phantastereien und Übertreibungen, die über das tatsächlich Erlebte weit hinausgingen. Das hat die Leser im 19. Jahrhundert peinlich berührt und Zweifel an der Wahrhaftigkeit einiger Passagen im Bericht geweckt. Zwischenzeitlich ist die wissenschaftliche Forschung sich einig, dass Harff über den Sinai hinaus nicht in den Orient vorgedrungen ist, weder Arabien (mit Mekka), Vorderindien und Madagaskar gesehen noch die Nilquellen entdeckt hat.
Bei seinen Fiktionen hat Harff nachgewiesenermaßen schriftliche Quellen benutzt sowie antike Literatur und ältere Reiseberichte insoweit herangezogen, als er „Anleihen“ bei Marco Polo (um 1254–1324), John Mandeville (vor 1322–1372), Hans Tucher (1428–1491), Bernhard von Breydenbach (um 1440–1497), Odorico von Pordenone (um 1270–1331), Hermann Künig von Vach (um 1450–nach 1495) und dem 1486 von Stephan Plannck (um 1457–1501) gedruckten deutschen „Mirabilia Romae“ machte. Das beweisen auch die verwirrende Chronologie, die rätselhaften Entfernungs- und Richtungsangaben sowie die selbst erfundenen Ortsnamen, wie zum Beispiel Madach, Kangera, Lack, Besoch oder Phasagar.
Lange umstritten war die Dauer der Harff-Reise. Während als Reisebeginn einheitlich der 7.11.1496 verzeichnet ist, wird das Ende der Reise unterschiedlich auf den 10. Oktober oder November 1498/1499 datiert. Bezüglich des Monats gibt Harff am Anfang seines Berichtes octobri und am Schluss sent Martins abent, also den 10. November an. Die Jahresangabe ist in den vorhandenen Handschriften teils mit 1498, teils mit 1499 verzeichnet. Eberhard von Groote (1789–1864) schreibt in seiner Edition „1499“, wie auch die Handschrift im (eingestürzten) Historischen Archiv der Stadt Köln, Bestand 382. Arnold von Harff hat am 1. Februar, 9. März, 13. Juli, 5. August und 17.8.1499 geurkundet, sodass er bereits 1498 zurückgekehrt sein muss und 1499 somit falsch ist.
Die Handschrift des Bestandes 382 im Historischen Archiv der Stadt Köln stammt ursprünglich aus der ehemaligen Blankenheimer Schlossbibliothek, wie der Besitzeintrag auf dem Vorsatzblatt beweist: „Bibliothecae Blanckenheim“. Von Blankenheim aus ist die Handschrift in den Besitz Clemens von Brentanos gekommen. Von dort aus wurde sie im Januar 1820 versteigert. Die Stadt Köln erwarb die Handschrift 1929 von dem Antiquariat Tiedemann in Berlin. Die Ausstattung der Handschrift kann wegen ihrer Illustration mit 42 farbigen Federzeichnungen und sieben Fremdalphabeten als prächtig bezeichnet werden. Wahrscheinlich waren Maler und Schreiber des Buches verschiedene Personen. Die Bilder sind im Stil ihrer Zeit gemalt, gesehen mit den Augen des spätmittelalterlichen, abendländischen Reisenden. Möglicherweise waren für die Tierzeichnungen dem Maler zur Verfügung stehende Bilder die Grundlage. Die farbigen Federzeichnungen wirken zweifelsohne frischer und ausdrucksstärker als die Holzschnitte in der Edition von Grootes. Sie sind allerdings nicht nur Buchschmuck, sondern auch eine bildgemäße Textinterpretation, die den Text möglichst realistisch erläutern, die Vorstellungskraft des Lesers unterstützen und die genaue Beobachtung des Autors demonstrieren sollen. So werden Begebenheiten auf der Reise als „sprechende Szenen“, Trachten fremder Volksstämme, fremde Tiere und fremde Bräuche dargestellt. Unabhängig von ihrer künstlerischen Qualität zeigen die Bilder außer dem Pilger Arnold von Harff unter anderem fremde Personen, fremde Tiere, fremde Bräuche und mythologische Figuren. Der Ritter Arnold von Harff ist auf allen Bildern, bis auf das als Gefangener, an dem beigegebenen Familienwappen zu erkennen. Als Pilger zeichnen ihn Pilgerhut, Pilgerstab und Rosenkranz aus, außerdem trägt er einen langen Bart.
Neben den Bildern enthält die Handschrift Abbildungen von Fremdalphabeten mit entsprechenden Sprachproben. Harffs zum Teil fehlerhaften Sprachbeispiele sind in der internationalen Sprachforschung auf großes Interesse gestoßen. Offen bleibt, ob Harff die Schrift- und Sprachproben irgendwo abgeschrieben oder selbst erstellt hat, letzteres gilt als wahrscheinlicher. Dagegen sind die Schriftproben zweifelsfrei dem Reisebericht Bernhards von Breydenbach entnommen.
2. Die Motive für die Pilgerreise
Die Motive für eine Pilgerreise waren natürlich in erster Linie religiöser Art und galten als allegorische Gleichsetzung des Lebens. Den Reliquien der Heiligen und den Dingen, womit sie in Berührung gekommen waren, wurden übernatürliche Kräfte zugeschrieben, sie brachten eine Verbindung mit Gott zustande. Das war auch dem Ritter Arnold von Harff bekannt, der, wie er selbst schreibt zo troist ind heyll mijner selen selicheyt (zum Tost und Heil der Seligkeit meiner Seele) sich vorgenommen hatte, eyne loebliche pylgrymmacie zu vollenbrengen (eine lobenswerte Pilgerreise zu vollbringen).
Harff bekam auf seiner Pilgerfahrt überall Reliquien und Heilige Stätten zu sehen, wenn er auch selbst manchmal leichte Zweifel äußerte. Er kommentierte beispielsweise das (angebliche) Vorhandensein der Gebeine des Apostels Matthias (gestorben 63) sowohl in Rom als auch in Padua mit „der paffen yrronge layss ich got scheiden (der Pfaffen Irrungen lasse ich von Gott entscheiden). Ähnlich verhielt es sich mit den Reliquien des Apostels Jacobus des Älteren (gestorben 44), die in Santiago de Compostela und Toulouse aufbewahrt werden, und mit dem Armknochen des Apostels Thomas (gestorben um 72), der in Rom, in Rhodos, in Calmia (Indien) und in Maastricht zu sehen war.
Wesentlicher Bestandteil einer Pilgerreise war der Erwerb von Ablässen, was sich im ausgehenden 15. Jahrhundert zu schweren Missbräuchen gesteigert hatte und wenige Jahre später zu einem der Anlässe der Reformation Martin Luthers (1483–1546) wurde. So gewährte beispielsweise Papst Nikolaus V. (Pontifikat 1447–1455) anlässlich der Kaiserkrönung Friedrichs III. (1415–1493) im Jahre 1452, allen Anwesenden einen Ablass „soviel in allen Kirchen zu Rom ist“, und das waren mehrere 1.000 Jahre. Auch Harff „heimste“ an allen besuchten Heiligtümern den Ablass ein, so zum Beispiel in Rom beim Besuch der Kirchen des Heiligen Laurentius (gestorben 258) und des Heiligen Stephanus (gestorben um 40) 7.000 Jahre, des Heiligen Paulus (gestorben um 65) 40.000 Jahre, am Altar der Heiligen Veronica (fromme Frau in Jerusalem, die Jesus ihr Schweißtuch gereicht haben soll) im Petersdom 12.000 Jahre.
Arnold von Harff war aber nicht nur eifriger Sammler von Ablässen, sondern desgleichen auch von Rittertiteln, was seine Reise überdies als mittelalterliche Ritterfahrt erscheinen lässt. Ausführlich schilderte er, wie er in Jerusalem von Hans von Preußen, einem franziskanischen Laienbruder, der seit 1446 in Jerusalem lebte, in Vollmacht des Papstes zum Ritter vom Heiligen Grab geschlagen wurde:
Dar nae was dae eyn alt ritter broeder, her Hans van Pruyssen genant, der die pylgrum die des begerende sijnt zo ritter sleyt, der vff die tzijt by yem hat eyn gulden swert ind tzweyn gulden spoeren, mich fraegende, of ich ritter werden wolde. Ich antwort, jae. Hee fraeget, off ich ritter genoiss ind eelich van vader ind moder were, des ich hoeffde also. Hee heyss mir eynen voiss vur ind den andren nae vff dat heylige graeff settzen. Dae speyn er mir beyde spoeren vmb. Dar nae guyrt er mir dat sweert vff mijne lyncke sijdt ind spraich: tzuych vss dat sweert ind sitz vff dijn knee vur das heylige graeff, nym dan dat sweert in die lyncke hant ind lege tzweyn finger vss der rechter hant dar vff ind sprich mir nae: As ich eelich ritter man eynen wijden vernen weech gewandelt, groiss druck lijden ind ongemaich geleden hane vmb ere ind dat heylige lant Jherusalem zo suechen ind nv die stede der martiryen vnsers heren Jhesu Crist ind dat heylige graeff funden het, mijne sunden zu besseren ind eyn rechtferdich leuen an mich nemen wil, begeren dar vmb alhie goetz ritter zowerden ind geloeue dat bij mijner truwen ind eren die weduwen weysen kirchen kluysen ind arm lude zo beschirmen, ouch nyemantz noch vmb guet noch vmb gelt noch fruntschafft noch maichschafft vnrecht helffen zo recht maichen ind ich mich halden sal, as eyme eirbaren ritter zoe getzempt, as mir got helff ind dat heylige graeff. Doe ich dit gedayn ind nae gesprochen hat, nam hee mir dat sweert vsser mijner hant ind sloich mich dae mit vff mijnen ruck sprechende: stant vff ritter in ere des heyligen graeffs ind des ritters sijnt Joerijen ere. Soe moiss got van hemelrich geuen, dat ich ritter ind ander mijne mit gesellen die ritter sijnt aeder geslagen werdent den eyt nyet brechen enmoissen. Amen.
(Danach war da ein alter Ritterbruder, Herr Hans von Preußen genannt, der die Pilger, die das begehrten, zum Ritter schlägt. Er hatte um die Zeit ein goldenes Schwert und zwei goldene Sporen bei sich. Er fragte mich, ob ich Ritter werden wolle. Ich antwortete, ja. Er fragte, ob ich Rittergenosse und ehelich von Vater und Mutter wäre, was ich zu sein hoffte. Er hieß mich einen Fuß nach dem anderen auf das heilige Grab zu setzen. Dann spannte er mir beide Sporen um. Danach gürtete er mir das Schwert auf meine linke Seite und sprach: „Zieh das Schwert heraus und falle auf deine Knie vor dem heiligen Grab, nimm dann das Schwert in die linke Hand und lege zwei Finger der rechten Hand darauf und sprich mir nach: ‚Da ich, ehelicher Rittersmann, einen weiten fernen Weg gewandelt [gepilgert] bin, großen Druck und Ungemach gelitten habe, um Ehre und das Heilige Land Jerusalem zu suchen und nun die Stätte der Martyrien unseres Herrn Jesu Christ und das Heilige Grab gefunden habe, um meine Sünden zu bessern und ein Recht schaffendes Leben auf mich nehmen will, begehre ich darum, hier Gottes Ritter zu werden und gelobe bei meiner Treue und Ehre, die Witwen, Waisen, Kirchen, Klöster und armen Leute zu beschützen, auch niemandem, weder um Gut noch Geld noch Freundschaft noch Verwandtschaft, Unrecht zu Recht zu machen zu helfen, und mich verhalten werde, wie es einem ehrbaren Ritter geziemt, so mir Gott helfe und das Heilige Grab.“ Nachdem ich dieses getan und nachgesprochen hatte, nahm er mir das Schwert aus meiner Hand und schlug mich damit auf meinen Rücken, sprechend: „Steh auf Ritter, zu Ehren des Heiligen Grabes und des Ritters St. Georg.“ So möge Gott im Himmelreich geben, dass ich [als] Ritter und meine anderen Gesellen, die Ritter sind oder noch [dazu] geschlagen werden, den Eid nie brechen müssen. Amen).
Krönender Abschluss seiner „Ritterfahert“ war dann der Ritterschlag durch König Ludwig XII. (1498–1515) von Frankreich in Paris:
_Item (…) sloich mich koeninck Loitwich van Franckrijch vur deme altaer ritter, des ich begerende was, as mich alle cristen koeninck ind heydensche herenritter geslagen hatten
_(Gleichfalls schlug mich König Ludwig von Frankreich vor dem Altar zum Ritter, was ich begehrt hatte, wie mich alle christlichen Könige und heidnische Herren zum Ritter geschlagen hatten).
Wie schon in der Einleitung zum Ausdruck gebracht, zeigen sich für Harffs Reise verschiedene Motive. Im Vordergrund stand eindeutig der Teil der Abenteuerreise, die, wenn auch nur fiktiv erlebt, wesentlich ausführlicher dargestellt wird. Möglicherweise hat Harff seine Reise erst nachträglich als Pilgerfahrt deklariert.
Das Motiv für die Abfassung seines Berichtes gab Harff selbst, indem er den Wunsch äußerte, sein Auftraggeber (ure vurstliche gnaede [Eure fürstliche Gnaden]) möge in dem Buch eyn guede wegewijsonge (einen guten Wegweiser) finden. Und in der Peroratio empfahl er sich nachfolgenden Pilgern als weech wijser. So sind in dem Bericht immer wieder bis ins Einzelne hinein Hinweise gegeben zu Unterkunft und Verpflegung, Ortsangaben, Entfernungen oder anderen praktischen Dingen, beispielsweise mit dem Rat, den Beutel unten mit Gold und oben mit wijssen gelde (weißem Geld) zu füllen. Auch mahnte er zur vursichticheyt, wijsheyt und paciencia (Vorsicht, Weisheit und Genügsamkeit [Geduld]).
Der Santiagoteil seines Buches ist deutlich an den Pilgerführer Hermanns Künig von Vach angelehnt, beschränkt er sich doch weitgehend auf Orts- und Entfernungsangaben. Davon abgesehen, war Harffs Bericht mit seinen fiktiven Orten, diffusen Zeit- und Entfernungsangaben als Pilgerführer kaum brauchbar.
Noch ein anderes Motiv lässt sich für den Pilgerbericht Harffs entdecken: die Selbstdarstellung Harffs, sowohl bei der Schilderung eigener Erlebnisse, dem Herausheben seiner Fremdsprachenkenntnisse oder den bildlichen Selbstdarstellungen. Ähnlich wie heute Touristen ihre Reiseerlebnisse fotografisch festhalten, zeigen sie ihn beim Besuch der heiligen Stätten, als Reisenden auf einem Kamel oder als Gefangenen.
3. Der Pilgerweg
Arnold von Harff reiste von Köln nach Rom, dann über Venedig nach Ägypten (Kairo), durch den Sinai, und von Äthiopien nach Jerusalem zu den heiligen Stätten. Die Rückreise ging durch die Türkei („Constantinopel“/Istanbul), über den Balkan (Bulgarien, Albanien) durch Ungarn, Norditalien (Venedig) und Südfrankreich nach Santiago de Compostela, von dort über den normannischen Wallfahrtsort Mont St. Michael weiter über Paris und Aachen zurück nach Köln.
Die Wege nach Rom, ins St. Katharinenkloster im Sinai, von Kairo nach Jerusalem und von Venedig nach Santiago de Compostela und Mont St. Michel sind wohl, unabhängig vom tatsächlichen Motiv, als Pilgerstrecke zu werten, auch wenn Harff von der typischen Route der Jerusalempilger (Venedig-Rhodos-Jalta-Jerusalem-Rückkehr auf dem Seeweg) abwich. Die Reise durch Afrika (Nilquellen, Mekka), Vorderindien, Madagaskar und „Ceylon“, so sie denn stattgefunden hätte, müsste dem Bereich einer Abenteurer- und Bildungstour zugerechnet werden.
Wie für viele andere Pilger, war auch für Harff Köln der Ausgangspunkt seiner Pilgerreise; aber nicht Pilger, sondern Kaufleute begleiteten ihn, wie er auch später immer wieder die Gesellschaft von Kaufleuten suchte.
4. Die Pilgerziele
4.1 Rom
Als Arnold von Harff sich 1496 zu seiner Pilgerreise aufmachte, lag er damit im Trend seiner Zeit. Sein Weg führte ihn zunächst nach Rom, der heiligen Stadt, in der die Apostel Petrus und Paulus begraben sind und die Sitz des Papstes, des Nachfolgers des Apostels Petrus, ist. Hier ließ sich Harff den Segen von Papst Alexander VI. (Pontifikat 1492–1503) für seine Pilgerfahrt ins Heilige Land geben, ohne den ein Ablasserwerb nicht möglich gewesen wäre. Harff beschrieb die Stadt Rom sehr detailliert, insbesondere die Kirchen mit ihren Altären und Ablässen, was er möglicherweise den „Mirabilia Romae“ entnommen hat. Er beschrieb aber auch den Aufstand der Römer, die die Engelsburg, den Aufenthaltsort des ihnen verhassten spanischen Papstes Alexander VI. stürmen, was für tatsächlich Erlebtes spricht. Auch Anspielungen auf die Moral des Papstes, der drei Söhne und eine Tochter habe, fehlen nicht; aber dae van were vil zo schrijuen, dat nyet cristlich luden en seulde (davon wäre viel zu schreiben, was [aber] christliche Leute nicht sollen). Selbst den Hinweis auf die Päpstin Johanna („Jutte“), die der Legende nach im 11. Jahrhundert gelebt haben soll, lässt der „fromme Pilger“ Harff nicht aus.
4.2 Das St. Katharinen-Kloster im Sinai
Auf seiner Fahrt ins Heilige Land versäumte Harff es nicht, auch den Ablass des am Wege liegenden St. Katharinen-Klosters im Sinai, einem populären Pilgerziel, mitzunehmen. Er beschrieb ausführlich das Kloster, in dem die Heilige Katharina von Alexandrien (3./4. Jahrhundert) begraben sein soll, sowie die Umgebung des Klosters: die Stelle des brennenden Dornbuschs dae vss got mit Moyses gesprochen hait (wo unser Gott mit Moses gesprochen hat) und des Tanzes um das goldene Kalb: dae bij die juden eyn kalff off gericht hatten dat an bedende ind dar vmb dantzten ind vergaessen Moyses gebot (dabei [dort, wo] die Juden ein Kalb aufgerichtet hatten, das sie anbeteten und umtanzten und das Gebot des Moses vergaßen).
4.3 Jerusalem
Jerusalem, das „Abbild des Himmelreiches“, die Stadt, in der Jesus gelebt und gewirkt hatte, war das mit Abstand wichtigste Pilgerziel des mittelalterlichen Menschen. Für die Beschreibung Jerusalems und des Heiligen Landes verwendet Harff dementsprechend einen Großteil seines Berichtes, ein Indiz dafür, für wie wichtig auch Harff dieses Pilgerziel hielt. Vermeintlich suchte er die wichtigsten in der Bibel genannten Orte auf, von der ersten Wohnung Adams und Evas, über die Gräber Abrahams, Isaaks und Jakobs, dem Gewölbe, in dem Christus geboren, den Steinen, auf welchen er gepredigt, sein Grab (der heiligsten Stätte der Christenheit), die Stelle, an der das Kreuz stand bis hin zu den Fußstapfen, die er bei seiner Himmelfahrt zurückließ. Und natürlich gab es überall Ablass zu gewinnen. Harff versäumte, wie er behauptete, es auch nicht, eine Moschee oder den „Salomonischen Tempel“ aufzusuchen, was Nichtchristen allerdings verboten war.
4.4 Santiago de Compostela
Santiago de Compostela war nach Jerusalem und Rom der bedeutendste Pilgerort der westlichen Welt, weil sich dort mutmaßlich das Grab des Apostels Jacobus d. Ä. befindet. Harff beschrieb Santiago de Compostela als eyn kleyn schoyne lustich steetgen (ein kleines, schönes, anmutiges Städtchen), in dem die Deutschen wegen ihrer „Pilgerkrönung“ verspottet würden: dae die pylgrym hinden deme altaer vff stijgen ind settzen die kroin vff yre heuffter, dae mit die inwoner vns duytscher spotten (wo die Pilger von hinten an den Altar steigen und die Krone auf ihre Häupter setzen, weshalb die Einwohner über uns Deutsche spotten). Auch berichtete er von der Muschel, die die Pilger in Santiago de Compostela erwarben und an ihren Hut hefteten ind sagen du sijs dae geweest (und sagen, du seist da gewesen). Trotz der Glaubenszweifel, die Harff hegte, wird er den (nicht im Reisebericht vermerkten) Ablass, den es für Santiago seit 1198 gab, „mitgenommen“ haben. Santiago de Compostela und ganz Spanien kommt in Harffs Bericht nicht gut weg: gehoert dese pylgrymmacie den bedeler zoe, die in vnsen landen gestoellen doit geslagen yre heren vertzoirt ind verraeden haven und summa summarum is Hyspanien gar eyn buesser lant, as ich in der Turkijen mit der cristenheyt funden hane (ist diese Pilgerreise den Bettlern [dem Gesindel] zuzuordnen, die in unseren Landen gestohlen, totgeschlagen, ihre Herrschaft ruiniert und verraten haben und alles in allem ist Spanien ein schlimmeres Land für die Christenheit, als ich es in der Türkei angetroffen habe).
4.5 Mont St. Michel
Auf dem Mont St. Michel soll der Erzengel Michael im Jahre 708 dem Bischof Autbert (gestorben 725) erschienen sein und ihn mit dem Druck seines Fingers in den Schädel aufgefordert haben, dort eine Kirche zu bauen. Diese wurde seit dem 10.Jahrhundert zum Wallfahrtsort, in dem der durchbohrte Schädel Autberts „zu sehen“ war. Im Gegensatz zu Santiago de Compostela ist Mont St. Michel für Harff eyn kleyn starck steetgen (ein kleines, starkes [stark befestigtes] Städtchen). Er beschrieb die Erscheinung des Bischofs und die Erbauung der Kirche. Von einem Ablass für seinen Besuch sagte er nichts.
5. Das „Fremde“ im Pilgerbericht
Was „fremd“ für Harff auf seiner Reise gewesen sein muss, lässt sich nur über das Bedeutungspotential des Begriffes herausarbeiten. Es ist nur mit Hilfe seines Antonyms „eigen“ fassbar. „Fremd“ ist das, was jenseits des „Eigenen“ liegt. Wenn Fremdheit das Unbekannte, Unheimliche, Bedrohliche, Ausgeschlossene, Gegenteilige, aber auch das Komplementäre ist, wird man Eigenheit mit Vertrautheit, Zugehörigkeit, Verfügbarkeit (zum Beispiel des eigenen Körpers) definieren können. Mit dem Heraustreten aus den eigenen Lebensverhältnissen beginnt schon das Fremde, also in dem Augenblick, in dem sich „unser“ Ritter Harff entschloss, Pilger zu werden, war er im Wortsinn schon ein Fremder (= peregrinus), der sein Seelenheil in der Pilgerreise (in die Fremde) suchte, so, wie der Christ als Fremder auf Erden den Pilgerweg in das Reich Gottes geht. Der Pilger, der sich außer Landes begab, erlebte den Kontrast zwischen der eigenen Welt und der fremden „primitiven“ Gesellschaft in Realität, aber auch in Fiktion. Faktisch Vorgegebenes hat Harff fiktiv überformt beziehungsweise auf tradierte Vorstellungen zurückgegriffen.
Nüchterne Wirklichkeitsberichte entsprachen nicht dem Zeitgeist, ihnen wurde wenig Glauben geschenkt. So griff der Pilger in seinem Bericht auf feststehende Topoi zurück, die ein Bild des Fremden und Exotischen entstehen ließen, das den Wünschen und Ängsten des religiös verwurzelten Menschen der Zeit entsprach. Mit dem Exotischen eng verbunden ist das Fantastische, das auf den Leser, auch wenn er den Wahrheitsgehalt einschätzen konnte, eine suggestive Wirkung ausübte. Die Pilger (und später ihre Leser) standen vor neuen Gebilden der Fremde und erlebten fremde Länder, Menschen und Tiere, „sahen“ Fabelwesen und „waren dabei“, wenn Wunder geschahen.
5.1 Fremde Länder
Arnold von Harff schilderte sehr detailliert, was er in den von ihm durchreisten Ländern alles gesehen haben will. Um das besser verarbeiten zu können, griff er auf Vergleiche mit seiner eigenen Welt zurück. So hatte beispielsweise Kairo für ihn mehr Einwohner als die Kurstifte Köln und Trier zusammen, Alexandria war nicht viel kleiner als Köln und der Nil so breyt as der Rijn by Coelne (so breit wie der Rhein bei Köln). Wie viele Pilger vor ihm, so hat auch Harff Faktisches überhöht oder in Fiktives übergehen lassen. So schrieb er zum Beispiel, die Insel „Candea“ sei sevenhundert mijlie wijdt (700 Meilen groß), womit aber nur der Umfang der Insel gemeint sein konnte, oder gab die Anzahl der Moscheen in Kairo mit weit übertriebenen 36.000 an. Harff konnte angeblich die Herkunft des Namens „Rotes Meer“ erklären, hat die fabelhaften Königreiche Saba und Lack besucht und den nicht existierenden Südstern sowie die sogenannten Mondberge „gesehen“. Verbotenerweise will er in Mekka die Kaaba - eyn schoyn swartz marmelsteynen (ein schöner schwarzer Marmorstein) - aufgesucht haben, die er für das Grab des Propheten Mohammeds (um 570–632) hielt, der bekanntlich in Medina begraben ist. Im Hafen von Madach hat er Schiffe wahrgenommen, die ohne Nägel gebaut sind, damit sie von den Magnetbergen nicht angezogen ind verdervent (verdorben) werden. Auf seiner Reise durch Ägypten will er sogar die Quellen des Nils gefunden haben. Das Paradies hat nach Harffs Meinung aber nicht dort, sondern in Jerusalem gelegen. Damit griff er den Topos „Paradies“ auf, das schon seit frühchristlicher Zeit im Osten vermutet wurde, von der Außenwelt durch Wasser, Feuer und eine Mauer abgeschirmt, und in dem die „Paradiesflüsse“ Tigris, Phuson, Euphrates und Geon entsprangen. Nach der Legende Brandams (um 484–577) wird das Paradies kurz vor dem Ende der Welt aufgefunden werden, womit Harff, wenn er die Legende kannte, das Weltende eingeläutet hätte.
5.2 Fremde Menschen
In den fremden Ländern, die Harff aufsuchte, lernte er natürlich auch fremde Menschen kennen, deren Aussehen, Kleidung und Gebräuche er genau beobachtete oder aus anderen Quellen entnommen hatte. Harff sah Menschen, die „gantz swartz“ oder die aller swartzte, die halff doeff (halbtaub) oder die alle ganz necketich sind, as got Adam ind Eva necketich geschaffen het. Diese Menschen haben Gütergemeinschaft (gude gemeyn), geyne eyen huysfrauwen (keine eigenen Frauen) und anbeeden oessen (beten Ochsen an). Harff lernte nicht nur „Fremde“ sondern auch „Wilde“ kennen. „Wilde“, das sind die Bewohner der neu entdeckten Welt, die nichtchristlichen Völker, also die Heiden. Heiden, besonders Araber und Türken, galten als gewalttätig und grausam, was Harff am eigenen Leib erfahren musste, als er in Gaza gefencklich gesetzt wurde in eyn ijser mit halss henden ind voessen drij wechen lanck (in ein Eisen [gelegt] mit Hals, Händen und Füßen, drei Wochen lang), was im übrigen fast jeder Pilger zu erdulden hatte. Andererseits waren die Heiden für Harff so leichtgläubig (lichtlich geleuven), daß sij weren balde zu bekeren (schnell zu bekehren wären). Aber nicht nur Heiden verachtete der fromme Ritter Harff, sondern auch die „Thomiten“, also die Thomaschristen, die die Petrusreligion der römischen Kirche ablehnen. Sie beschimpfte er als Götzendiener, die nichts anderes tun als bedriegen verraeden ind umbringen (betrügen, verraten und morden). Auch die „Mameluken“, verleugnende Christen und seit der Mitte des 13. Jahrhunderts in Ägypten an der Macht, waren ihm nicht geheuer. Er beschrieb sie als machtvoll, stets mit einem Stock und einem Säbel bewaffnet, um Heiden, Christen und Juden, die ihnen zu nahe kommen, niederzuschlagen.
Harff beschrieb auch den mythischen Priesterkönig Johannes, dem der Sultan von Ägypten tributpflichtig sei; er nannte ihn „Loblin“, womit er auf eine bereits im 12. Jahrhundert entstandene Legende Bezug nahm, wonach der sagenhafte Priesterkönig Johannes über ein mächtiges Reich im Osten verfüge. Selbst in der Chronik Ottos von Freising (um 1112–1158) tauchte der Priesterkönig auf, wie auch dessen Reich auf der Weltkarte Gerhard Mercators von 1569. Der Herrscher soll freundlich, weise und keusch gewesen sein, und seine Macht größer als die eines anderen irdischen Herrschers. Aus Demut habe der König den Titel des einfachen Priesters angenommen. Seine Untertanen sollen keine Verbrechen gekannt und niemals gelogen haben. Ein Jungbrunnen habe ihm das ewige Leben geschenkt. Sehr ausführlich berichtete Harff über Lebensweise, Gewerbe und Abstammung der Sinti und Roma (swarttzer nackedicher lude). Auch weiß er vorgeblich, warum sie zu Vagabunden wurden. Einen weiteren Topos nahm er mit seiner Schilderung der Amazonen auf, von denen bereits das Altertum und später Marco Polo erzählten. Harff übernahm fast wörtlich die (fingierte) Erzählung von Mandeville. Die „Amazonen“ lebten nach der Narration getrennt von den Männern auf einer Insel. Nur einmal im Jahr würden sie diese sehen, um „Kynder zo maichen“. Sie schnitten den Mädchen die Brust ab, damit yeme die brost nyet an deme strijden ind vechten hynderen en moechte (sie die Brust nicht während des Streites und Gefechtes hindern kann).
Liest man Harffs Bericht als Erlebnisbericht, so wird deutlich, dass er dem weiblichen Geschlecht außerordentlich zugetan war. In den umbrischen Apeninnen glaubte er das Urbild der Schönheit der vrauw Venusbergh (Lebensraum der antiken Liebesgöttin) gefunden zu haben; er erwähnte die mohammedanische Vielweiberei: sij moegen nehmen zo der ee seess X. ader tzwentzich wijver (sie mögen [können] sechs, zehn oder 20 Frauen zur Ehe nehmen) und den Harem des türkischen Kaisers, der von dicke vette luyde wie bier tonnen (dicken, fetten Leuten, wie Biertonnen) bewacht werde. Nach seiner dummen erkentenyss hat Harff in Mailand die schoenste frauwen, in Venedig die koestlichste, in Köln die hoemoedichste (hochmütigste) und in Moabar die aller swartzte gesehen. Da ist es fast unumgänglich, dass er sich in seinen serbokroatischen, griechischen, arabischen, hebräischen und baskischen Sprachbeispielen in leicht abgewandelter Form den Satz vrauwe laist mich dese nacht bij uch slaeffen (Frau, lass mich diese Nacht bei dir schlafen) übersetzen ließ. Dagegen riet er an anderer Stelle davon ab, sich mit heydenscher wijffe (Heidenfrauen) einzulassen. Natürlich kann man in der häufigen und vielfältigen Erwähnung von Frauen in Harffs Bericht diese auch als Repräsentantinnen des „Fremden“ werten.
Besonders eindrucksvoll war Harffs Ausflug in die Welt der Mythologie, wenn er die „Cynocephali“ (Hundsköpfigen) oder die Menschen in ihren Schneckenhäusern beschrieb. Die „Cynocephali“ werden schon bei Aristoteles (384–322 v.Chr.), Plinius d.Ä. (23/24–79) und Hrabanus Maurus (780–856) genannt und als eine besondere Affenart (Aristoteles) beziehungsweise als Menschen mit Hundsköpfen beschrieben, die keine Sprache besitzen, sondern bellen, andere Menschen aber verstehen. Wie schon Mandeville und Marco Polo, traf auch Harff auf sie. Sie sind alle gantz swartz ind yere heuffder haven gesteltenyss na eynem hunde ind heysschen cenefalles (alle ganz schwarz und ihre Häupter haben die Gestalt eines Hundes und heißen ‚cenefalles’). Entsprechend sind sie auch bildlich dargestellt.
5.3 Fremde Tiere
Dem Pilger Harff galt auch die Fauna des Orients als fremd und exotisch. Er „sah“ Löwen, die bis zu 100 Jahre alt werden konnten, Strauße, die ihre Eier mit scharfem Blick ausbrüten, greyslich[e] Leoparden, 50-60 Fuß (cirka 16-19 Meter) lange Krokodile, Schafe mit breiten Schwänzen und langen Ohren, Giraffen, Kamele, Tauben, die Briefe befördern und - besonders furchterregend - vergifftige slangen. Nicht immer konnten die Pilger die Namen der fremden Tiere behalten. Harff schrieb saich ich gar vil selsamer dieren, … der namen ich allet nyet behalden moechte (sah ich sehr viele seltsame Tiere, deren Namen ich nicht alle behalten konnte).
Bei der bildlichen Darstellung der Tiere hat Harff unzweifelhaft auf die Holzschnitte im Reisebericht von Bernhard Breydenbachs „Reise ins Heilige Land“ (1486) zurückgegriffen. Die realistische Tierwelt des Orients reichte aber noch nicht, um die Leser der Pilgerberichte davon zu überzeugen, dass der Pilger tatsächlich in die von ihm beschriebene Gegend vorgedrungen war. Wundertiere mussten in den Bericht aufgenommen werden. Wie schon John Mandeville verließ auch Harff die Fauna des Orients, um in die Welt der Monster und Fabelwesen einzutauchen, die einer langen literarischen und bildlichen Tradition entstammen und wahrscheinlich auf die frühchristliche Naturlehre des „Physiologus“ (2.–4. Jahrhundert) zurückgehen. So hat Harff die Kämpfe zwischen einem Wal und dem Meeresdrachen („Leviacon)“ beziehungsweise zwischen dem Meeresochsen und der Meerkuh miterlebt. Beide Kämpfe sind bildlich in Harffs Bericht wiedergegeben.
5.4 Mirakelerzählungen
Faktisches, Übertriebenes, Monster und Fabelwesen waren zwar wesentliche Bestandteile der Pilgerberichte, das Optimum bildeten jedoch geschehene, erzählte oder erlebte Wunder. Sie legten Zeugnis ab von der Allmacht Gottes und kamen dem Glauben der Pilger sehr entgegen. Ferner erhöhte ihre Schilderung den Unterhaltungswert des Pilgerberichtes. Als das in der Literatur am meisten beschriebene, sei als Beispiel das „Hühnerwunder“ genannt. Diese dem Papst Calixtus II. (Pontifikat 1119–1124) im „Liber Sancti Jacobi“ zugeschriebene Mirakelerzählung soll sich im Jahre 1090 zugetragen haben: Auf ihrer Reise machten Pilger in Toulouse Rast. Der Wirt versteckte in ihrem Gepäck einen Silberbecher, der dann bei der Weiterreise bei dem Sohn der pilgernden Familie gefunden und dieser, des Diebstahls beschuldigt, zum Tode verurteilt und gehängt wurde. Die Familie setzte ihre Reise nach Santiago de Compostela fort, betete dort am Altar des Heiligen für ihren Sohn und als sie nach 36 Tagen nach Toulouse zurückkehrte, lebte der Sohn durch die Fürsprache des Heiligen noch. Daraufhin wurde der „böse“ Wirt aufgehängt.
Das Wunder wurde in der Folgezeit durch seine Übernahme in die „Legenda aurea“ des Jacobus de Voragine (um 1230–1298) in ganz Europa bekannt. Im 13. Jahrhundert erhielt es seine erste Erweiterung, wonach der Wirt über die Nachricht, der gehängte Pilger lebe noch, spottete, eher würden die Brathühner vom Herd fliegen, was diese dann taten. Eine von den in der Folgezeit noch vielen Neuerungen bestand im Passional von circa 1300 darin, dass die Hühner in die Stadt Santo Domingo de la Calzada flogen, wo Harff sie dann auch vorgeblich angetroffen hat: vff die lyncke hant des hoigen altaers sijnt gesatzt in die locht eyn wischer haen ind hen in ein geremtz (auf der linken Seite des Hochaltars sind in der Luft [Höhe] ein weißer Hahn und eine Henne in eine Einfriedung [einen Käfig] gesetzt.
6. Ergebnis
Der Reisebericht des Ritters Arnold von Harff, der sich selbst als pylgerom, weechwijser ind dichter (Pilger, Wegweiser und Dichter) bezeichnet, hat seine Bedeutung darin, dass er in der Literatur als einer der besten Vertreter der Gattung Reisebeschreibung gilt. Zugleich ist er aber auch eine geistliche Pilgerschrift, wenngleich das weltliche Element doch stark in den Vordergrund tritt. Der Bericht endet fast wie ein Abenteuer-Roman, wenn Harff beschreibt, dass in Spanien zwei aus seiner Pilgergruppe erschlagen wurden, und er selbst sich nur durch Flucht retten konnte.
Der Wert des Werkes liegt in dem außergewöhnlich großen Informationsgehalt, insbesondere dadurch, dass Harff andere als die üblichen Pilgerwege benutzte. So gibt der Bericht wertvolle Hinweise für Geografie, Völkerkunde, Linguistik, Kultur- und Sittengeschichte. Das sah schon der Editor Eberhard von Groote in der Mitte des 19. Jahrhunderts so, als er urteilte, dass Arnold von Harff „mit einer scharfen Beobachtungsgabe ausgerüstet alle Interessen verfolgt, die für den damaligen Standpunkt des Ritterthums, der Geographie, der Naturforschung und der Sprachkunde irgend von Wichtigkeit waren. Sein Bericht ist demnach als ein schätzbarer Beitrag zur Culturgeschichte des XV. Jahrhunderts anzusehen.“
Zusammenfassend ist dem Historiker Helmut Lahrkamp zuzustimmen, der Harff „unter die hervorragendsten Reisenden des anbrechenden Entdeckungszeitalters“ zählen würde, könnte denn sein Bericht glaubhaft gemacht werden.
Quellen
Arnold von Harff: Arnold Harven Reiss nach Jherusalem (Handschrift im Historischen Archiv der Stadt Köln, Bestand 382).
Groote, Eberhard von (Hg.), Die Pilgerfahrt des Ritters Arnold von Harff von Cöln durch Italien, Syrien, Aegypten, Arabien, Aethiopien, Nubien, Palästina, die Türkei, Frankreich und Spanien, Köln 1860.
Literatur
Brall-Tuchel, Helmut/Reichert, Folker (Hg.), Rom – Jerusalem – Santiago. Das Pilgerbuch des Ritters Arnold von Harrf (1496–1498). Nach dem Text der Ausgabe von Eberhard von Groote, Köln [u.a.] 2007.
Herbers, Klaus, Der Jakobsweg. Mit einem mittelalterlichen Pilgerführer unterwegs nach Santiago de Compostela, Tübingen 1986.
Herbers, Klaus/Plötz, Robert, Nach Santiago zogen sie. Berichte von Pilgerfahrten aus „Ende der Welt“, München 1996.
Honemann, Volker, Zur Überlieferung der Reisebeschreibung Arnolds von Harff, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 107 (1978), S. 165–178.
Huiskes, Manfred, Die Orient-Fahrt des Ritters von Harff, in: Boberach, Heinz/Franz, Eckhart E. (Hg.), In der Gemeinschaft der Völker. Dokumente aus deutschen Archiven über die Beziehungen zwischen Deutschen und anderen Nationen in elf Jahrhunderten, Koblenz 1984, S. 148-149.
Korth, Leonhard, Die Reisen des Ritters Arnold von Harff in Arabien, Indien und Ost-Afrika. Ein Beitrag zur Geschichte der Erdkunde, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 5 (1883), S. 191-218.
Schmidt, Herm[ann] Jos[ef] (Hg.), Pilgerbuch des Ritters Arnold von Harff, Düsseldorf [1930].
Spiertz, Willi, Eberhard von Groote. Leben und Werk eines Kölner Sozialpolitikers und Literaturwissenschaftler (1789-1864), Köln/Weimar/Wien 2007.
Online
Lahrkamp, Helmut, Harff, Arnold von, in: Neue Deutsche Biographie 7 (1966), S. 672-673. [Online]
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Spiertz, Willi, Die Pilgerfahrt des Ritters Arnold von Harff zu den Pilgerstätten der Christenheit, nach Rom, Jerusalem und Santiago de Compostela (1496–1498), in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/die-pilgerfahrt-des-ritters-arnold-von-harff-zu-den-pilgerstaetten-der-christenheit-nach-rom-jerusalem-und-santiago-de-compostela-1496%25E2%2580%25931498/DE-2086/lido/57d1218eb58f88.19019651 (abgerufen am 11.11.2024)