Der Klavierbau im Rheinland
Zu den Kapiteln
1. Die Entstehung des Klavierbaus als eigenständiger Wirtschaftszweig
Die große Bedeutung des Klaviers im heutigen Konzertleben ebenso wie als Instrument für Hobbymusiker darf als unumstritten gelten. Seinen herausragenden Status innerhalb des Kulturlebens in der westlichen Welt erwarb sich das Klavier im Laufe des 19. Jahrhunderts. Nachdem bis ins 18. Jahrhundert hinein die Aufführung von Musik außerhalb des privaten Kreises dem Adel und der Kirche vorbehalten gewesen war, entstand mit dem Erstarken des Bürgertums eine eigene Musikkultur, die zunächst der bürgerlichen Oberschicht, langfristig jedoch auch der breiten Bevölkerung Kunstmusik durch öffentliche Konzerte zugänglich machte. Die tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen, die diese Entwicklung vorantrieben, führten zu einer steigenden Nachfrage nach den immer beliebter werdenden Tasteninstrumenten. Neben öffentlichen Konzerten war die von Laien praktizierte Hausmusik ein wichtiger Bereich in dem neuen Musikleben, was dazu führte, dass im 19. Jahrhundert das Klavier bald zum beliebtesten Instrument des Bürgertums avancierte, auf dem im Sinne des bürgerlichen Bildungsideals insbesondere die weiblichen Familienmitglieder populäre Stücke zu Gehör brachten. Zahlreich sind die Stellen in der Literatur der Zeit, welche über die Herabwürdigung des Klaviers zum dekorativen Möbelstück und vor allem die mangelnden künstlerischen Fähigkeiten der Ausführenden spotten; exemplarisch sei hier Johanna Kinkel zitiert: „Kaum, daß man eine Gesellschaft besuchen kann, ohne Musik ausstehen zu müssen, und was für entsetzliche Musik! Musikfreunde und Musikfeinde werden gleich empfindlich durch den Anblick eines geöffneten Claviers mit zwei Lichtern darauf berührt, wenn sie einen Salon zur Erholung betreten. Dieß Musiciren zwischen der Unterhaltung ist eine auflösende Säure für das Gespräch.“[1]
Darüber hinaus mussten auch für die zahlreichen neu entstehenden musikalischen Vereine, in denen die Bürger im Chor oder anderen Formationen musizierten, Klaviere angeschafft werden. Die Entstehung der modernen Industriegesellschaft im 19. Jahrhundert, in deren Zuge die Produktion von Waren, die zuvor von Hand gefertigt worden waren, auf industrielle Verfahren umgestellt wurde, wirkten sich auf den Bau der Tasteninstrumente ebenso aus wie Wirtschaftskrisen, Kriege, Erfindungen und gesellschaftliche Veränderungen, so dass der Klavierbau viele Entwicklungen bis in die heutige Zeit hinein anschaulich widerzuspiegeln vermag.
Ursprünglich wurde die Bezeichnung „Klavier“ für Instrumente verwendet, die den Klang mittels einer „Claviatur“ (von lateinisch clavis = Taste) erzeugten, was sowohl für Saiteninstrumente gelten konnte also auch für Orgeln, deren Pfeifen mit Luft zum Klingen gebracht werden. Der Oberbegriff „Klavier“ wurde erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts von differenzierteren Ausdrücken allmählich abgelöst. Die begriffliche Abspaltung der Orgel von dieser Einheit erfolgte ausgehend davon, dass die Saiteninstrumente sehr viel leichtgängiger waren und andere klangliche Wirkungen hervorbrachten. Die beiden Vorläufer der heute bekannten und gängigen Tasteninstrumente „Klavier“ und „Flügel“ waren in erster Linie das Clavichord und das Cembalo. Letzteres war zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert als Solo- und Generalbassinstrument unentbehrlich für die Kammermusik, während das deutlich leisere Clavichord eher im privaten Rahmen zum Einsatz kam. Beide Instrumente verfügten über Eigenschaften, die Ende des 18. Jahrhunderts geschätzt und darum in dem neuen Instrumententyp des Hammerklaviers vereinigt wurden: Die Saiten des Cembalos wurden mit Kielen angerissen, wodurch eine für damalige Verhältnisse eindrucksvolle Lautstärkte erreicht werden konnte, doch es gab praktisch keine Möglichkeit, die Dynamik zu variieren sprich den Wechsel zwischen laut und leise für die Gestaltung des Spiels einzusetzen. Diese Fähigkeit besaß zwar das Clavichord, doch seine geringe Lautstärke schränkte den Gebrauch erheblich ein.
Das neuartige, von Bartolomeo Cristofori (1655-1731) erfundene Hammerklavier verband nun Qualitäten beider Instrumente miteinander: Es übernahm die „Flügel“-Form des Cembalos, hatte wie dieses einen lauteren Klang und einen größeren Tonumfang als das Clavichord und besaß eine Mechanik, bei der die gespannten Saiten durch das Anschlagen mit Hämmern zum Klingen gebracht wurden. Die beiden Vorläufer Cembalo und Clavichord verschwanden während des 19. Jahrhunderts nahezu in der Bedeutungslosigkeit. Erst im 20. Jahrhundert erwachte wieder das Interesse an ihnen im Rahmen einer historisch orientierten Aufführungspraxis. Bisweilen kommen sie auch in Werken der Neuen Musik, im Jazz beziehungsweise in der gelegentlich noch praktizierten Hausmusik zum Einsatz. Da die komplizierte Begrifflichkeit wechselnder Bauarten von Saiteninstrumenten mit Tastaturen über die Jahrhunderte in diesem Artikel nicht näher thematisiert werden können, sei hier nur festgelegt, dass der Ausdruck „Klavier“ im Folgenden als Sammelbegriff für besaitete Tasteninstrumente mit Hammermechanik verwendet wird.
Die Entwicklung des Hammerklaviers fand nicht über Nacht statt. Schon seit dem 17. Jahrhundert wurde an technischen Neuerungen gearbeitet und experimentiert, und ab dem Ende des 18. Jahrhunderts begann der Klavierbau allmählich serienmäßig und damit ein Marktfaktor zu werden. Die steigende Bedeutung des Klaviers – neben weiteren Instrumenten, die diese Entwicklung ebenfalls betraf – schuf neue Berufe und Bedürfnisse: Benötigt wurden Zulieferer von Baumaterial, spezialisierte Handwerker, zahlreiche Händler, die die Instrumente verkauften und vermieteten, Klavierstimmer, Musiklehrer, Verleger, Betreiber von Konzertsälen und Konzertveranstalter. Auch Komponisten und Virtuosen waren Teil dieses wirtschaftlichen Systems. Da die Spezialisierung auf den Klavierbau erst bei allmählich steigender Nachfrage erfolgte, waren die Hersteller von Instrumenten vor Beginn des 19. Jahrhunderts in vielen Fällen besonders geschulte Schreiner oder Tischler, die gleichzeitig auch Möbel und andere Gebrauchsgegenstände herstellten.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs der Bedarf an Klavieren mit jedem Jahr und durch die Umstellung auf kostengünstige industrielle Fertigung in der Zeit zwischen 1860 und 1880 stieg die Nachfrage noch einmal sprunghaft an. Kleinere Handwerksbetriebe und Manufakturen wurden von den Unternehmen, denen der Sprung in die industrielle Fertigung gelungen war, bald vom Markt verdrängt. Das Klavier war als Produkt so bedeutsam, dass die Hersteller bis zum Ersten Weltkrieg sogar weitgehend von den Auswirkungen von Wirtschaftskrisen verschont blieben.[2]
Als wichtige Zentren des Klavierbaus galten außerhalb von Deutschland beispielsweise Paris, wo die Firmen Erard, Pleyel, Herz und Gaveau ansässig waren, in den USA New York, wo Steinway produzierte, und in Wien, wo Bösendorfer saß. In Deutschland gehört neben Blüthner, Bechstein, Förster und Sauter die im Raum Wuppertal beheimatete Firma Ibach zu den bekanntesten und traditionsreichsten Klavierbauern. Der internationale Export deutscher Klaviere erlangte im 19. Jahrhundert und insbesondere in der Kaiserzeit Weltgeltung.[3]
Einige bedeutende Entwicklungen im Klavierbau trugen zu der immer weiter ansteigenden Beliebtheit des Instrumentes im 19. Jahrhundert bei. Die Konstruktion von aufrechtstehenden Klavieren, die in England bereits um 1800 bekannt war, wurde in Deutschland erst ungefähr ab den 1830er Jahren umgesetzt und um die Mitte des 19. Jahrhunderts allmählich gängig. Diese sogenannte „englische Bauweise“ brachte den Mehrwert mit sich, dass weniger Materialien verbaut werden mussten, wodurch der Preis im Vergleich zu dem eines Konzertflügels spürbar sank. Außerdem nahmen die aufrechtstehenden Instrumente weniger Platz ein, so dass sie leichter Einzug in die Bürgerhäuser fanden. Ungefähr ab den 1840er Jahren ersetzten allmählich Eisengussrahmen die ursprünglich aus Holz gefertigten Rahmen, was einen lauteren Klang ermöglichte sowie eine größere Stabilität und Haltbarkeit der Instrumente mit sich brachte, zugleich wurden sie dadurch jedoch deutlich schwerer.
Zwei weitere Neuerungen waren weniger offensichtlich, aber dennoch für den Klavierbau folgenreich: Die aus Holz gefertigten Hammerköpfe, welche die Saiten anschlagen, wurden im 18. Jahrhundert mit Leder bezogen. Etwa ab den 1830er Jahren ging man dazu über, Filz als Bezugsmaterial zu verwenden. Der Anschlag wurde dadurch weicher und ließ sich besser modifizieren, was es dem Klavierbauer erlaubte, seinen Instrumenten einen charakteristischeren Klang zu verleihen und sich so besser von Konkurrenzprodukten absetzen zu können. Eine weitere wichtige Entwicklung war die Doppel-Repetitionsmechanik, die ungefähr ab der Mitte des 19. Jahrhunderts gängig wurde. Für den musikalischen Laien bedeutete sie kaum praktischen Nutzen, doch den Profis ermöglichte sie es, ihre Geschwindigkeit an den Tasten und damit auch die Virtuosität ihrer Darbietung weiter zu steigern, was langfristig Einfluss auf das Konzertleben nahm.
Neben Werken, die explizit für das Klavier komponiert wurden, erschienen im 19. Jahrhundert auch eine unübersehbare Fülle von Bearbeitungen für Klavier populärer Orchester- und Opernwerke, die es den Bürgern ermöglichten, neue Stücke der Zeit im häuslichen Umfeld kennenzulernen. Wegen seiner Vielstimmigkeit und seinem großen Tonumfang von über sieben Oktaven war das Klavier für diese Aufgabe geradezu prädestiniert.
2. Die Firma Ibach im Raum Wuppertal bis zum Ersten Weltkrieg
Insgesamt ist die Quellenlage zum Klavierbau im Rheinland als spärlich zu bezeichnen. Im 19. Jahrhundert entstanden neben Großbetrieben wie Ibach zahllose kleine Firmen, deren Aktivität – wenn überhaupt – meist nur sporadisch dokumentiert wurde. Nicht nur aufgrund seines langen Bestehens und seiner großen Bedeutung als Wirtschaftsfaktor in der Region, sondern auch wegen seiner gut aufgearbeiteten Geschichte stellt Ibach ein anschauliches Beispiel für die Entwicklung des Klavierbaus im Rheinland dar.
In der Region Wuppertal und später durch Niederlassungen auch in anderen Teilen des Rheinlands ist kein Unternehmen für Instrumentenbau so bedeutsam geworden wie die Orgel- und Klavierbaufirma Ibach, die sich von einem kleinen Handwerksbetrieb am Ende des 18. Jahrhunderts in ein weltweit bekanntes Unternehmen verwandelte, das bis zu seiner Auflösung im Jahr 2007 stets in Familienbesitz blieb. Angemerkt sei an dieser Stelle, dass der Ort Beyenburg, wo das Unternehmen 1794 als „Werkstatt für Klavier- und Orgelbau“ offiziell gegründet wurde, eine selbständige Ortschaft war, bevor er 1929 ein Stadtteil von Wuppertal wurde. Die erste Hälfte der Firmengeschichte, das heißt das 19. Jahrhundert, hat Florian Speer detailliert erforscht.[4] Seine Arbeit bietet einen Überblick über das Unternehmen und seine Einbindung in Wirtschaft und Gesellschaft der Zeit.
Der Gründer der Orgel- und Klavierbauwerkstatt war Johann Adolph Ibach (1766–1848), der sich rasch mit seinen Instrumenten – in der ersten Zeit waren dies Flügel und Tafelklaviere – einen guten Ruf erwarb, so dass er schon bald Kunden nicht nur in der näheren Umgebung fand. Trotz des pietistischen Umfeldes und des in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eher sparsamen Musiklebens im Raum Wuppertal erwies sich der Standort als günstig, so dass Ibach seiner Heimatregion treu blieb. 1817 baute er in Barmen – seit 1929 ebenfalls zur Stadt Wuppertal gehörig – eine Produktionsstätte, in der er sich zunehmend auf den Bau von Klavieren spezialisierte. Ab den 1820er Jahren entwickelte er bereits die Strategie, neben Instrumenten, die in Lagern bereitstanden, Kunden Angebote anhand einer Modell-Liste mit festgelegten Preisen zu machen, so dass ein Klavier nach Wunsch zeitnah angefertigt werden konnte.
1839 übernahmen die Söhne Carl Rudolph (1804-1863) und Richard (1813-1889) Ibach das Unternehmen unter dem Namen „Ad. Ibach Söhne“. Erste Verkaufsniederlassungen wurden in Düsseldorf, Bonn und Essen errichtet. Ab dem Ende der 1840er Jahre waren immer größere Erfolge auf dem Gebiet des Orgelbaus zu verbuchen, so dass dieser Zweig des Unternehmens 1869 als eigenständiges Unternehmen weitergeführt wurde. Der junge Peter Adolf Rudolf Ibach (1843-1892), der nach dem Tod seines Vaters 1863 das Kerngeschäft übernahm, führte unter dem Namen „Rud. Ibach Sohn“ den Bereich Klavier- und Flügelbau fort. Unter seiner Leitung vollzog sich der Wandel der Manufaktur hin zur industriell arbeitenden Produktion, womit das Unternehmen einen in der wirtschaftlichen Entwicklung des 19. Jahrhunderts typischen Schritt tat. Im Rahmen dieser Entwicklung eröffnete Peter Adolf Rudolf Ibach eine eigene Fabrik in Barmen sowie Niederlassungen in Schwelm, Köln und Düsseldorf.
1873 bekam der Firmeninhaber die Gelegenheit, drei Instrumente zu der in Wien stattfindenden Weltausstellung zu schicken, wo er mit einem von dem Berliner Architekten Heinrich Schäffer gestalteten Flügel eine hohe Auszeichnung errang. Auch in späteren Jahren war die Firma Ibach des Öfteren auf Weltausstellungen vertreten. Die Tradition, Künstler mit der Gestaltung von Instrumentengehäusen zu beauftragen und Designwettbewerbe auszuschreiben, wurde ebenfalls in dieser Zeit begründet. Die Klaviersammlung von Rudolf Ibach übernahm 1906 das Musikhistorische Museum Köln (Sammlung Heyer); dieses wurde aus finanziellen Gründen 1926 nach Leipzig überführt, wo ein Großteil der Bestände den Krieg überstanden hat und heute im Musikinstrumente-Museum der Universität Leipzig aufbewahrt wird.
Als Peter Adolf Rudolf Ibach 1892 überraschend starb, führten zunächst seine Witwe Hulda (1845-1921) und später sein Schwager Walter das Geschäft fort. Unter ihrer Leitung expandierte das Unternehmen. Von den zahlreichen Neuerungen, welche Ibach in dieser Zeit auf den Markt brachte, sei hier exemplarisch der Ibach-Welte-Flügel 1923 genannt: Bei dem Patent der Firma Welte handelte es sich um eine Apparatur im Inneren des Flügels, mit deren Hilfe ein auf Papierrollen gestanzter Notentext mit Druckluft abgetastet werden konnte, wodurch die Klaviere von allein spielten. Diese effektvollen Instrumente waren zu ihrer Zeit bekannt, aber auch preislich recht exklusiv. Gelegentlich fanden Aufführungen mit Welte-Instrumenten in Konzertsälen statt.
Als Beispiele für noch speziellere Nischenprodukte seien hier das Jankó-Klavier sowie das Dritteltonklavier genannt: Bei einem Jankó-Klavier sind die Tasten in mehreren Reihen terrassenförmig und gleichberechtigt nebeneinander angeordnet, was dem Spieler bestimmte Griffe und Läufe deutlich erleichtert. Die hohen Wartungskosten für die empfindliche Mechanik trugen aber wohl dazu bei, dass sich das System langfristig nicht durchsetzte. Ein von Ibach gebauter Jankó-Flügel war bis zum Zweiten Weltkrieg in vielen deutschen Konzertsälen zu hören. Der Erfinder Paul von Jankó (1856-1919) hielt 1886 bei Ibach in Barmen einen öffentlichen Vortrag über die nach ihm benannte Klaviatur. Ebenfalls im Rheinland, nämlich in Aachen, fand am 25.9.1936 ein Konzert statt, bei dem der Pianist Walter Rehberg (1900-1957) das von ihm komponierte „Konzert für Jankoklavier und Orchester“ unter Leitung des damals noch wenig bekannten Dirigenten Herbert von Karajan (1908-1989) aufführte.[5] Das Drittelton-Klavier der Firma Ibach war 1930 von Albert Schulz (1864-1931) aus Rheydt (heute Stadt Mönchengladbach) konstruiert worden, der für Ibach zuvor auch eine sogenannte Strahlenklaviatur in Form eines Kreisausschnitts entwickelt hatte. Sein Drittelton-Klavier teilte wie in der indischen Tempelmusik vorgegeben die Oktave in 16 Tonstufen ein und nicht wie in Europa in zwölf. Mit dem Instrument sollten die Exportchancen auf dem indischen Markt verbessert werden, da es auf diesem bisher kaum Absatzmöglichkeiten gegeben hatte. Ein Dritteltonklavier mit sieben Oktaven wurde 1931 in Rheydt aufgestellt, wo es der Erbauer interessierten Besuchern vorführte.[6]
Die Offenheit für Experimente und Neuerungen prägten das Image der Firma Ibach mit, aber der größte Teil des Umsatzes wurde dadurch erzielt, dass man den Markt entsprechend den Wünschen der Bevölkerung bediente. In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg erreichte die Firma „Rud. Ibach Sohn“ Spitzenverkaufszahlen; hunderte von Mitarbeitern stellten jährlich bis zu 5.000 Klaviere und Flügel her. Die Unternehmerfamilie wusste durchaus, dass diese Produktionszahlen und die gleichbleibende Qualität der Instrumente von den Leistungen und der Loyalität der hochspezialisierten Handwerker in den Betrieben abhingen. Ihre Wertschätzung zeigte die Geschäftsführung durch einen hohen Lohn, die Zahlung von Prämien und die vergleichsweise frühe Einrichtung einer Firmenkrankenkasse. Die finanziell gute Position der „Ibacher“ trug ihnen im Volksmund den Namen „Arbeiter im Stehkragen“ ein.[7] Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass es unter den Mitarbeitern viele gab, die über Generationen hinweg für das Unternehmen tätig waren.
Bedeutsam für den Erfolg war es auch, dass es dem Unternehmen gelang, immer wieder neue Absatzmärkte zu erschließen: anfangs in den Niederlanden, im Niederrheingebiet sowie im Sieger- und Sauerland; etwa ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden erfolgreich internationale Handelsbeziehungen aufgebaut und später über die Grenzen von Europa hinaus auch mit Australien und Südamerika.
Wie viele Klavierbauer der Zeit hatte Ibach einige Konzertsäle oder auch ganze Veranstaltungshäuser in Deutschland mit seinem Namen geschmückt. Außer in Städten wie Köln und Barmen gab es beispielsweise in Düsseldorf einen Ibach-Saal, der 1900 von dem Teilhaber des Klaviergeschäftes Constans Heinersdorff (1874-1935) in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen gebaut worden war. Der für seine Akustik bekannte Saal befand sich im Ibach-Haus, das günstig zwischen Kneipen, Tanzlokalen und anderen Veranstaltungsorten gelegen war und in dem außerdem mehrere musikalische Vereine ihren Sitz hatten. Das ganz im Jugendstil erbaute Ibach-Haus wurde 1943 bei einem Bombenangriff zerstört und nicht mehr aufgebaut. Im heutigen Düsseldorfer Stadtmuseum trägt der Veranstaltungsraum wieder den Namen Ibach-Saal.
Zur Popularität und Verbreitung des Unternehmens trug darüber hinaus maßgeblich bei, dass viele berühmte Komponisten und Pianisten Ibachs Instrumente schätzten. Zu den bekennenden Anhängern gehörten im 19. Jahrhundert Künstler wie Franz Liszt (1811-1886), Richard Wagner (1813-1883), Johannes Brahms (1833-1897), Clara Schumann (1819-1896), später kamen Namen wie Richard Strauss (1864-1949), Max Reger (1873-1916), Arnold Schönberg (1874-1951), Bela Bartok (1881-1945) und Hans Werner Henze (1926-2012) hinzu. Ihre Sympathie für die Ibach-Instrumente wurde natürlich gerne für Werbemaßnahmen genutzt, wofür die stetig wachsende Berichterstattung in der Tagespresse und in Fachzeitschriften ein Forum bot: Nicht nur Kritiken über einzelne Konzertabende, sondern Berichte über Musikfeste, musikalische Wettbewerbe, Veranstaltungsorte, Musiker, Komponisten ebenso wie über ihre Werke und Instrumente finden sich in großer Zahl in den Medien des 19. Jahrhunderts.
3. Die Firma Ibach nach dem Ersten Weltkrieg
Nach dem Ersten Weltkrieg kam es zu einschneidenden Veränderungen für die Klavierhersteller und Klavierhändler: In vielen Teilen der Welt drängten amerikanische Anbieter auf den Markt, mit Russland und dem Baltikum fielen wichtige Exportländer weg und darüber hinaus veränderten technische Entwicklungen die Nachfrage nach Klavieren dauerhaft. Musikautomaten, Grammophone und insbesondere das Radio führten dazu, dass das Musizieren im eigenen Heim allmählich an Bedeutung verlor. Durch den Tonfilm schwand außerdem nach und nach der Bedarf an Klavieren, die in kleineren Kinos zur musikalischen Untermalung von Stummfilmen gebraucht worden waren. Auch die zunehmende Begeisterung der Gesellschaft für Sport und das Kino trugen dazu bei: Während früher Klaviere und Flügel als Statussymbol in der bürgerlichen Familie Ansehen genossen hatten, übernahm diese Rolle nun das Auto.
Der Erste Weltkrieg führte bei der Firma Ibach zu Produktionsausfällen, da Rohstoffe fehlten und Mitarbeiter einberufen wurden. Ab Jahresende 1914 erschien die sogenannte „Ibach-Kriegs-Zeitung“, worin Nachrichten über Angehörige der Firma und ihrer Geschäftspartner im Kriegsdienst veröffentlicht wurden.[8] In der Zeit zwischen dem Krieg und der Weltwirtschaftskrise erholte sich Ibach vorübergehend. Die Produktion der Jahre passte man an den Markt an, indem statt großer Ausstattungs- und Designerinstrumente vermehrt Kleinklaviere gebaut wurden, die in weniger geräumigen Wohnungen besser Platz fanden. Ab 1929 wurde ein solches Kleinklavier mit einer Höhe von nur 101 Zentimetern produziert.[9]
Reklame in Zeitschriften dieser Jahre zeigt, dass Ibach im Konzert- und Wirtschaftsleben nach wie vor präsent war. Als Werbung bediente sich das Unternehmen ähnlicher Strategien wie andere Klavierbauer: So verkaufte Ibach beispielsweise Instrumente zu Sonderkonditionen an Konzertsäle und Konzertveranstalter, bestückte Musikschulen und stiftete Flügel als Preise für Lotterien und Wettbewerbe.
Die Weltwirtschaftskrise ab 1929 traf den gesamten Klaviermarkt hart und zahlreiche kleinere deutsche Hersteller verschwanden von der Bildfläche. Ibach und einige andere große Firmen wie Bechstein, Blüthner und Grotrian-Steinweg überstanden die Krise, wobei sie alle jedoch massive Verluste hinnehmen mussten.[10] So verlor Ibach seine Niederlassungen in Köln und Berlin mitsamt den Konzertsälen.
Über rheinische Klavierbaufirmen in der Zeit des Nationalsozialismus existiert generell nur sehr wenig Literatur; die Geschichten einzelner Firmen sind kaum aufgearbeitet. Über das Unternehmen Ibach bleibt festzuhalten, dass während des Zweiten Weltkriegs ein Großteil der Belegschaft zum Militärdienst eingezogen wurde und dass kaum noch ein Neubau von Instrumenten stattfand. Seinen Produktionsschwerpunkt legte Ibach auf sein Werk in Schwelm und konsolidierte das Unternehmen durch Immobilienverkäufe.
Die Rolle, die das Klavier im Nationalsozialismus tendenziell spielte, lässt gewisse allgemeine Rückschlüsse zu, die sich auf die Situation des Unternehmens Ibach in dieser Zeit ebenso wie auf andere Klavierbaufirmen ausgewirkt haben dürften.
Zwar wurde das häusliche Musizieren von den Nationalsozialisten weiterhin gefördert, wovon beispielsweise die seit 1933 regelmäßig begangenen „Tage der Hausmusik“ Zeugnis ablegen – ein Kontext, aus dem das Klavier nicht wegzudenken war –, doch zugleich wurden gezielt mit Marschmusik assoziierte, volkstümliche und freilufttaugliche Instrumente wie die Flöte, die Gitarre und die Ziehharmonika in der Bevölkerung propagiert. Obwohl die Nationalsozialisten das Klavier aufgrund seiner Rolle als bürgerliches Statussymbol des 19. Jahrhunderts tendenziell eher zurückzudrängen versuchten, war die Nachfrage nach den Instrumenten immer noch groß. Exemplarisch soll die Marktlage für das Jahr 1938 in Düsseldorf herausgegriffen werden: In diesem Jahr lassen sich laut dem amtlichen Adressbuch immerhin noch 31 selbständige Klavierbauer nachweisen, die über das Stadtgebiet verteilt ihre Produktionsstätten hatten. Darunter finden sich als das älteste Unternehmen der Klaviermacher Reuter, dessen Tätigkeit laut Adressbuch schon 1826 begonnen hatte. Die meisten der aufgeführten Anbieter waren entsprechend der Zeit und in Abkehr von den Gepflogenheiten des 19. Jahrhunderts vollständig auf den Klavierbau spezialisiert. Eine Firma wie Othmer und Wildförster, die neben selbst gefertigten Klavieren auch „feuerfeste Geldschränke, Dezimalwagen und Gußwaren“ verkaufte, war eine Ausnahme.
Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde die Beschaffung von notwendigen Materialien für den Klavierbau wie Holz und Metall jedoch zunehmend schwierig. Eine Metallbeschlagnahmung von Blei, Kupfer und Messing bei Erzeugern, Händlern und Verarbeitern im März 1942 ließ die Preise für Gebrauchtinstrumente massiv ansteigen, was in der Folge die Zahl von Klavierschülern und damit die dazugehörige Industrie verringerte. Ab dem 28.4.1942 durften Musikinstrumente für den Inlandsbedarf überhaupt nicht mehr hergestellt werden (Ausnahmen waren nur in wenigen Fällen möglich), und ab Februar 1943 wurde schließlich der Klavier- und Musikinstrumentenhandel auf amtliche Anweisung komplett geschlossen.
In der Nachkriegszeit zeigte sich ein grundlegender Wandel der Rolle, die das Klavier in Gesellschaft und Konzertbetrieb einnahm. Anders als im 19. Jahrhundert waren bautechnisch kaum noch wirkliche Neuerungen zu beobachten. Das Prinzip des Klaviers wurde allerdings auf elektronische Instrumente übertragen, die dann im Jazz, in der Unterhaltungsmusik und der Neuen Musik zum Einsatz kamen – bis hin zum Synthesizer, der über eine Klaviertastatur, aber auch ohne diese bedient werden konnte. Gerade auf dem Gebiet der Neuen Musik experimentierten Komponisten gern mit elektronischen Klängen und schufen Werke, in denen der typische Virtuose des 19. Jahrhunderts keinen Platz mehr hatte.
Die Firma Ibach nahm 1947 ihren Betrieb wieder auf. Das Werk in Schwelm hatte den Krieg überstanden, so dass zu Beginn der 1950er Jahre unter Leitung Adolf (1911-1999) und Margrit (1914-1995) Ibach die Produktion von Neuinstrumenten wieder angekurbelt werden konnte. Die Zeit des Wirtschaftswunders führte zu einer erhöhten Nachfrage nach Klavieren und damit bei der Firma Ibach wieder zu wirtschaftlichem Erfolg. 1956 konnte das Unternehmen die Fertigstellung seines 100.000. Instruments feiern. Ab dem Ende der 1960er Jahre drängten jedoch immer mehr asiatische Klavierhersteller auf den europäischen Markt, so dass Ibach – wie praktisch alle deutschen Produzenten – auf diese Konkurrenz reagieren musste. In den 1980er Jahre ging Ibach eine Kooperation mit der Firma Daewoo in Südkorea ein und ließ dort produzieren – ein Schritt, der von manchen für den Niedergang des Unternehmens mit verantwortlich gemacht wurde. Das 200-jährige Jubiläum der Firma Ibach Klavierbau wurde 1994 mit großem Echo in der Öffentlichkeit gefeiert, der Redner der Festansprache war kein geringerer als Johannes Rau (1931-2006). Aus diesem Anlass knüpfte das Unternehmen an die Tradition an, ungewöhnliche Designs auf den Markt zu bringen, und ließ von dem amerikanischen Architekten Richard Meier (geboren 1934) einen Flügel mit rechteckigem Gehäuse entwerfen, der 1998 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. 2005 übernahm Sabine Falke geborene Ibach als Vertreterin der siebten Generation der Familie die Leitung der Firma, musste aber bereits im Dezember 2007 die Produktion von Neuinstrumenten offiziell einstellen, da diese unternehmerisch nicht mehr zu vertreten war.
4. Die Klavierindustrie im Rheinland
Die Anzahl anderer Klavierbauer neben Ibach und den Unternehmen der angegliederten Wirtschaftszweige im Rheinland ist unüberschaubar. Die Geschichte der meisten Firmen lässt sich, wenn überhaupt, nur ansatzweise rekonstruieren, da viele von ihnen nur kurze Zeit auf dem Markt Fuß fassen konnten. Doch selbst zu Firmen, die über einen längeren Zeitraum bestanden, finden sich meist nur vereinzelte Informationen in Tageszeitungen, Adressbüchern oder in städtischen Archiven. Ausführliche Firmenbiographien oder gar ein eigenes Archiv sind Ausnahmen.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sich parallel zu den eigentlichen Klavierbauern ein dichtes Netzwerk von Händlern und Zuliefererbetrieben, welche auf die Fertigung kompletter Teile spezialisiert waren, zum Beispiel Klaviaturen, aber auch Einzelteile verkauften wie Hölzer, Elfenbein, Saiten, Scharniere, Pedale, Beschläge, Filze, Federn, Schlösser, Lampen, Spezialwerkzeuge, Lacke und Firmenschilder. Die vielfältigen Handelsbeziehungen ebenso wie die Konkurrenz zwischen den Klavierbauern und mit der Branche assoziierten Anbietern wuchs in gleichem Maße, wie Eisenbahnen und Dampfschiffe den Transport der Instrumente in entlegenere Gebiete ermöglichten und durch Tages- und Fachpresse sowie durch Ausstellungen überregional für die Firmen geworben werden konnte.
Der Klavierbau begann sich schon früh im Rheinland als Wirtschaftszweig zu etablieren, wofür es zwei Beispiele gibt, die sogar noch vor der Gründung des Unternehmens Ibach 1794 nachweisbar sind: So inserierte ein Herr Faller in Neuss 1787 mit folgender Anzeige: „Caspar Faller zu Neuß auf dem Büchel wohnend, verfertigt und repariert aller Arten Clavier auf ganz neue Englische Art, hat auch wirklich 3 fertig. Er recommendirt sich bestens und bittet um geneigten Zuspruch, alles im billigsten Preiß.“[11] Ein Tafelklavier von Faller aus dem Jahr 1799 wurde 2004 für das Clemens-Sels-Museum in Neuss restauriert. In der Zeit zwischen 1780 und 1790 war außerdem Herr Johann Friedrich Hoffmann in Kleve als Klavierbauer tätig. Instrumente aus seiner Werkstatt sind in Museen in Brüssel, Washington und Cherry Valley (Kalifornien) zu sehen.
Von großer Bedeutung für den rheinischen Klavierbau war das Unternehmen Eck & Comp. beziehungsweise später Eck & Lefebvre[12], welches von 1839 bis 1848 in Köln aktiv und als Konkurrent Ibachs einer der größten Klavierbaubetriebe in Preußen vor 1850 war. 1839 wurde das Unternehmen Eck & Comp. von Johann Jakob Eck (1809-1849) eröffnet, ein Jahr später stieg sein Jugendfreund, der Kaufmann Joseph Maria Lefebvre (1807-1871), als Geschäftspartner mit ein. Die Produktion der Instrumente und auch sämtlicher Bestandteile fand unter einem Dach statt. Mit seiner klanglichen Ästhetik orientierten sich Eck und Lefebvre stark an Frankreich, wie folgendes Zitat anlässlich der Teilnahme an der Berliner Gewerbeausstellung im Jahre 1844 verdeutlicht: „Die Konstruktion des zur Ausstellung gelieferten Flügels im Preise von 600 Rthlr. ist der Pariser Erardschen nachgebildet. Der Ton ist imponirend, wenn auch nicht überall von gleich reicher Ansprache. Die Spielart will gekannt und geübt sein. Das in seiner Totalität vorzüglich zu nennende Instrument macht der noch jungen Fabrik, die bald auf die allgemeinste Anerkennung rechnen darf, alle Ehre, und läßt ferner bedeutende Leistungen derselben erwarten."[13] Auf der Ausstellung errang Eck & Comp. eine Goldmedaille und bekam das Prädikat „Hoflieferant des Prinzen von Preußen“, des späteren Kaisers Wilhelm I. (1797-1888). Innerhalb von Köln war das Unternehmen bekannt und in der Bevölkerung gut vernetzt. Hierzu leistete sicherlich einen Beitrag, dass der 1842 gegründete populäre Kölner Gesangsverein sich anfangs in den Geschäftsräumen der Firma einmietete. Auch die Kontakte zu mehreren Berühmtheiten der Zeit wusste das Unternehmen wohl zu nutzen: Neben dem Pianisten Sigismund Thalberg (1817-1871) ist hier insbesondere Franz Liszt zu nennen, mit dem Lefebvre befreundet war und den er mit dem Kölner Dombauverein bekannt gemacht hatte. Dieser Initiative war es zu verdanken, dass Liszt 1841 ein Benefizkonzert zu Gunsten der Fertigstellung des Domes gab. Der Komponist Joachim Raff (1822-1882) wurde von Eck und Lefebvre zwischen 1845 und 1846 verpflichtet, ihre Instrumente zu vorführen, und auch einige Adelige, die bald zur Kundschaft gehörten, wurden werbewirksam eingesetzt. Trotz großer wirtschaftlicher Erfolge konnte das Unternehmen, das 1847 70 Mitarbeiter gehabt hatte, den schwindenden Absatz in der Wirtschaftskrise vor der Revolution 1848/1849 nicht verkraften. 1848 mussten Eck und Lefebvre Konkurs anmelden.
1840 gründete der in Wien ausgebildete Klavierbauer Johann Bernhard Klems (1812-1872) in Düsseldorf sein eigenes Unternehmen. Rasch erwarb er sich den Titel „Hofinstrumentenmacher“, den er wie andere Klavierbauer auch als Werbung nutzte. Seine Instrumente wurden von vielen bekannten Komponisten und Musikern geschätzt wie beispielsweise Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847), der seit seiner Tätigkeit als Städtischer Musikdirektor in Düsseldorf (zwischen 1833 und 1835) der Stadt und generell dem Rheinland verbunden war. Auch Robert Schumann, seine Frau Clara und der mit dem Ehepaar befreundete Johannes Brahms waren um die Mitte des 19. Jahrhunderts in ihren Düsseldorfer Jahren mit Klems bekannt geworden, schätzten seine Instrumente und waren in seiner Werkstatt und seinem Salon zu Gast. Robert Schumann machte seiner Frau anlässlich ihres Geburtstags 1853 einen Klems-Flügel zum Geschenk.
Im Jahr 1851 reiste Klems nach London zur ersten Weltausstellung und präsentierte dort einen Flügel nach der Bauart „Erard“. Die Orientierung an der französischen Bauweise war in Deutschland für seine Zeit recht modern. 1880 bei der großen Gewerbeausstellung in Düsseldorf wurde das Unternehmen mit dem ersten Staatspreis ausgezeichnet. Die Firma war renommiert und die Klems-Klaviere wurden für ihren ausgeglichenen und charakteristischen Klang sehr geschätzt, wobei es jedoch auch Stimmen gab, welche die „eminent hohen Preise“ für nicht recht angemessen hielten. Nach Klems‘ Tod 1872 übernahm seine Witwe und 1878 dann sein Sohn Edmund Klems das Unternehmen, das noch bis mindestens 1899 bestand.
Neben Ibach und Eck & Lefebvre konkurrierten auch andere Klavierbauer um prominente Künstler und besonders um den berühmten Franz Liszt. In der Region Barmen wirkte seit 1849 die Pianofabrik Höhle Söhne G. A..[14] Der Gründer Georg Adam Höhle (1809-1879) produzierte selbst, verkaufte aber auch andere Instrumente. Für seinen langjährigen Erfolg waren wohl kaum nur seine eifrig beworbenen „mäusesicheren Pianinos und Harmoniums“ verantwortlich. Auch konnte er sich rühmen, mit seinen Klavieren Franz Liszt beliefert zu haben, der in der Tat bei einem Weimarer Hofkonzert wie auch bei einer Privatsoirée auf Instrumenten von Höhle gespielt hatte, was er diesem 1878 als Dank für ein Klavier in einem Schreiben offiziell bestätigte. Auch Ibach warb später mit seinen guten Kontakten zu dem berühmten Virtuosen, doch zu dieser Zeit gab Liszt noch den Klavieren der Firma Höhle den Vorzug. Das Unternehmen wurde nach Höhles Tod von seinen Söhnen weitergeführt. Da diese kinderlos starben, blieb die Firma nicht dauerhaft in Familienhand. Unter Leitung eines neuen Besitzers war sie noch bis 1964 aktiv.
Unüberschaubar war die Anzahl von Patenten, die im Laufe der Zeit von Klavierbauern im Rheinland angemeldet wurden, wobei jedoch längst nicht jede Neuheit auf diesem Gebiet auch wirklich unter Patentschutz gestellt wurde. Aus heutiger Perspektive wirken manche der Innovationen etwas gewöhnungsbedürftig, doch die Zeit brachte es mit sich, dass neue bautechnische Ansätze auf dem Markt erprobt wurden: Ein um 1837 in Neuss aktiver Klavierbauer beispielsweise mit Namen Stadeler – einer der zahlreichen, über dessen Wirken keine näheren Informationen vorliegen –, versuchte, mit einer Erfindung Personen zu einem Klavier zu verhelfen, in deren Haus für ein handelsübliches Instrument zu wenig Platz war. Ein Artikel von 1837 wies nicht ohne Stolz darauf hin, dass diese rheinische Erfindung in der Kölner Instrumentenhandlung Bruch und Almenräder zu besichtigen sei: Dort stehe ein besonderes „Pianino“, „welche man bis jetzt nur in Paris und in London zu fabriziren pflegte, und die ein deutscher Künstler, Namens Stadeler, der in ersterm Orte sich bei den vorzüglichsten Meistern ausgebildet, von dort nach Deutschland zu verpflanzen sucht. Das Eigenthümliche und Werthvolle der Erfindung besteht darin, daß das neue Instrument durch Stärke und Vollheit des Tones alle Vorzüge und Eigenschaften eines Patentflügels besitzt, ohne die vielfachen Unbequemlichkeiten desselben. Denn in der Gestalt und Größe eines mäßigen Schreibsecretairs läßt es sich im kleinsten Zimmer an der Wand aufstellen, und kann, auf Rollen befestigt, beim Gebrauche von jeder Damenhand mit Leichtigkeit ins Zimmer geschoben werden […] Wie wir hören, hat der wackere Künstler, der aus den Rheinlanden gebürtigk ist, mehrere solcher Instrumente in Arbeit, und er verdient in der That die Aufmunterung seiner Landsleute, da er zuerst eine so nützliche Erfindung auf den rheinischen Boden verpflanzt hat.“[15]
Eine andere Erfindung machte Wilhelm Neuhaus, der seit mindestens 1861 als Klavierbauer und Instrumentenhändler in Duisburg tätig und dort gleichzeitig Vertreter für Ibach-Klaviere war. Nach 1879 wird sein Geschäft in den Adressbüchern nicht mehr erwähnt; offenbar verlegte er seinen Wirkungsschwerpunkt auf seine zweite 1840 gegründete Klavierfabrik in Kalkar, die bis zum Ende des Ersten Weltkrieges nachweisbar ist. 1881 wurde Neuhaus das Patent mit der Nummer 16947 für ein „Pianoforte mit kreisförmiger Tastatur und kreisförmiger Anschlaglinie“ erteilt. Eine Rezension über das „Patent-Piano mit concav-radiärer Klaviatur“ beschrieb, dieses „gestattet dem Spieler, ohne den Oberkörper zu bewegen, jede Taste mühelos zu erreichen. Bei einiger Gewöhnung an die neue Klaviatur findet jeder Spieler die alte unbequem.“[16] Trotz des hier herausgestellten Spielkomforts hat sich das Prinzip bekanntermaßen nicht durchgesetzt.
Einem oft beschriebenen Problem in den Bürgerhäusern des 19. Jahrhunderts, der Belästigung durch exzessives Klavierspiel der Nachbarn, versuchte der Klavierbauer und Musikverleger Emil Höfinghoff (1852-1932) aus Barmen Herr zu werden. 1883 meldete er das Patent Nr. 26402 für einen „Harfenzug mit Kautschukplatten für Pianofortes“ an, der ab 1885 als „Höfinghoff-Klavier-Nervenschoner“ angeboten und auch wirklich von mehreren Firmen verbaut wurde.
In zahlreichen Fällen kam es jedoch vor, dass Patente aus unterschiedlichsten Gründen nicht erteilt wurden. Das Elberfelder Unternehmen Herde & Zapp unter der Leitung von Anton Herde und Robert Zapp, das 1841 erwähnt wird und offenbar nur einige Jahre lang aktiv war, reichte 1846 ein Gesuch um den Patentschutz für eine „oberschlägige Pianoforte-Mechanik“ beim Preußischen Staat ein. Da jedoch kurz zuvor der Klavierbauer Johann Peter Becker aus Winderscheid (heute Gemeinde Ruppichteroth) das gleiche Prinzip zur Begutachtung vorgelegt hatte, bekam Becker lediglich einen Schutz für eine weitere Verbesserung, Herde & Zapp hingegen überhaupt kein Patent. Vergleichbare Konkurrenzkämpfe zwischen Klavierbauern, die vermeintlich oder wirklich bahnbrechende Erfindungen machten, fanden in großer Zahl statt.
Bisweilen kam es sogar wegen unlauteren Wettbewerbs zu Gerichtsverfahren: So betrieb beispielsweise der Klavierbauer Erwin Wever zwischen 1885 und 1895 in Elberfeld (heute Stadt Wuppertal) sein Klaviergeschäft. Dieses meldete er nach einiger Zeit auf den Namen seiner Frau an und inserierte dann für „billige“ oder sogar „spottbillige“ Klaviere, die er jedoch von seiner Wohnung aus anbot, wodurch er die Interessenten glauben machte, er handele als Privatperson und nicht als Kaufmann. Die Täuschung flog auf, Wever wurde vor Gericht gestellt und zu einer Geldstrafe verurteilt.
Der Wandel der Rolle, welche das Klavier im 20. Jahrhundert spielte, wurde bereits anhand der Firma Ibach thematisiert. Zwar ging die Anzahl gerade von kleineren Unternehmen zunächst nach der Weltwirtschaftskrise ab 1929 und dann nach dem Zweiten Weltkrieg erheblich zurück, doch auch nach dem Krieg wurden im Rheinland noch neue Unternehmen gegründet, die mitunter über einen langen Zeitraum aktiv waren. Der Klavierbauer Martin Sassmann beispielsweise, der ab 1948 seine Ausbildung bei J. C. Neupert absolviert hatte, betrieb seine Firma von 1955 bis 2009 in Lennep/Hückeswagen/Radevormwald und machte sich einen Namen als Spezialist für den Nachbau historischer Instrumente. Vor allem seine Cembali waren bekannt, doch er baute auch Clavichorde, Virginale und Hammerflügel. Ab 1987 fungierte das Unternehmen als Sassmann & Kramer. 1990 machte sich der Geschäftspartner Matthias Kramer selbständig, wonach die Firma in Sassmann GmbH umbenannt wurde. Von 1966 bis 2002 produzierte sie in Hückeswagen, wo Sassmann auch Gründer der Schlosskonzerte war. Die Firmenleitung gab er 1992 an seinen langjährigen Mitarbeiter Gunther Karnstein ab.
Abschließend sei noch die besondere Klavierkonstruktion eines viele Jahre in Bonn ansässigen Klavierbauers erwähnt: David Klavins (geboren 1954) absolvierte zwischen 1971 und 1974 seine Lehre bei der Firma Schimmel. 1987 präsentierte er sein „Modell 370“, bis heute größtes Klavier der Welt, welches vertikal gebaut circa 3,70 Meter hoch und etwa 2 Tonnen schwer ist. Die Basssaiten kommen auf die stattliche Länge von 3 Metern. Das Instrument wurde 2012 von dem Computerprogramm „Native Instruments“ gesampelt und ist als Software-Version erhältlich. Die Entwicklung seines „Una Corda Pianos“ mit nur einer Seite pro Ton führte 2014 zur Gründung der „Klavins Piano Manufaktur KG“ in Balingen/Baden-Württemberg, wohin der Erbauer umzog. Aktuell arbeitet David Klavins an weiteren Neukonstruktionen.
Literatur
Henkel, Hubert, Lexikon deutscher Klavierbauer, Frankfurt a.M. 2000.
Kammertöns, Christoph/Mauser, Siegfried (Hg.), Lexikon des Klaviers. Baugeschichte – Spielpraxis – Komponisten und ihre Werke – Interpreten, Lilienthal 2006.
Speer, Florian, Klaviere und Flügel aus dem Wupperthale - Instrumentenbau in der Wupperregion und am Niederrhein während des 19. Jahrhunderts am Beispiel der Orgel- und Klavierbauerfamilie Ibach, Diss. phil. 2000. [Online] (letzter Aufruf: 18.05.2020). Druck unter dem Titel: Ibach und die Anderen. Rheinisch-bergischer Klavierbau im 19. Jahrhundert, Wuppertal 2002. Hier zitiert nach der online-Ausgabe.
Speer, Florian, Rud. Ibach Sohn. Weltälteste Klaviermanufaktur, Erfurt 2006.
- 1: Johanna Kinkel: Acht Briefe an eine Freundin über Clavier-Unterricht, Stuttgart/Tübingen, 1852, S. 38.
- 2: Vgl. Speer, Rud. Ibach Sohn, S. 27-28.
- 3: Vgl. Speer, Rud. Ibach Sohn S. 16.
- 4: Speer, Klaviere und Flügel.
- 5: Einige Solo-Kompositionen von Rehberg für Jankó-Klavier sind heute auf CD erhältlich.
- 6: ls Beispiele für noch speziellere Nischenprodukte seien hier das Jankó-Klavier sowie das Dritteltonklavier genannt: Bei einem Jankó-Klavier sind die Tasten in mehreren Reihen terrassenförmig und gleichberechtigt nebeneinander angeordnet, was dem Spieler bestimmte Griffe und Läufe deutlich erleichtert. Die hohen Wartungskosten für die empfindliche Mechanik trugen aber wohl dazu bei, dass sich das System langfristig nicht durchsetzte. Ein von Ibach gebauter Jankó-Flügel war bis zum Zweiten Weltkrieg in vielen deutschen Konzertsälen zu hören. Der Erfinder Paul von Jankó (1856-1919) hielt 1886 bei Ibach in Barmen einen öffentlichen Vortrag über die nach ihm benannte Klaviatur. Ebenfalls im Rheinland, nämlich in Aachen, fand am 25.9.1936 ein Konzert statt, bei dem der Pianist Walter Rehberg (1900-1957) das von ihm komponierte „Konzert für Jankoklavier und Orchester“ unter Leitung des damals noch wenig bekannten Dirigenten Herbert von Karajan (1908-1989) aufführte.
- 7: Vgl. Speer, Klaviere und Flügel, S. 334.
- 8: „Seidels Reklame“, Jg. 3 Nr. 1 (15.1.1915), S. 36.
- 9: Vgl. Speer, Klaviere und Flügel, S. 203.
- 10: Vgl. Speer, Klaviere und Flügel, S. 202.
- 11: Gülich und bergische wöchentliche Nachrichten, 27.3.1787, XXII.
- 12: Vgl. hierzu Speer, Klaviere und Flügel, S. 117-135.
- 13: Amtlicher Bericht über die allgemeine Deutsche Gewerbe-Ausstellung zu Berlin im Jahre 1844, Dritter und letzter Teil, Berlin 1845, S. 206-207.
- 14: Vgl. Speer, Klaviere und Flügel, S. 254.
- 15: Pianino von Stadeler, in: Allgemeines Organ für Handel und Gewerbe und damit verwandte Gegenstände, Jg. 3 Nr. 27, Beilage [2.4.1837], S. 162.
- 16: Der Klavier-Lehrer, Jg. 6 Nr. 14 (15.7.1883), S. 176.
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Sträter, Nina, Der Klavierbau im Rheinland, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/der-klavierbau-im-rheinland/DE-2086/lido/61922dac245845.96086041 (abgerufen am 10.12.2024)