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Mathilde Franziska Anneke, geborene Giesler, geschiedene Tabouillot, gilt neben Johanna Kinkel als bedeutendste rheinische Protagonistin der Frauenrechtsbewegung im 19. Jahrhundert. Während der Revolution 1848/1849 engagierte sie sich an der Seite ihres zweiten Ehemannes Fritz Anneke im demokratisch-sozialistischen Lager, nahm am Badischen Aufstand teil und emigrierte nach dessen Niederschlagung in die USA, wo sie sich ebenfalls für die Gleichberechtigung der Frauen einsetzte.
Mathilde Franziska Anneke wurde am 3.4.1817 auf Gut Overleveringhausen bei Blankenstein in Westfalen als ältestes von zwölf Kindern des Bergwerksbesitzers und Ratsherrn Karl Giesler (1791-1847) und dessen Ehefrau Elisabeth Hülswitt (1795-1869) geboren. Die Zeit der Kindheit und Jugend in Westfalen behielt für sie auch in der Rückschau stets den Charakter einer idyllischen Unbeschwertheit. Ihr weiteres, auch von schwersten Schicksalsschlägen begleitetes Leben sollte sich davon deutlich unterscheiden.
Eine erste Zäsur markierte das Jahr 1836, in dem sich ihr Vater bei der Investition in ein Eisenbahnprojekt verspekuliert und einen großen Teil seines Vermögens verloren hatte. In dieser kritischen Situation ging Mathilde mit dem aus einer begüterten Familie in Mülheim an der Ruhr stammenden Weinhändler Albert von Tabouillot (1808-1878) die Ehe ein, durch dessen Einwirken die Schulden des Schwiegervaters beglichen werden konnten. Konnte die Familie Giesler auf diese Weise auch vor dem Ruin bewahrt werden, hatte Mathilde doch im Privaten unter ihrem alkoholsüchtigen und zur Gewalt neigenden Gatten zu leiden. Gemeinsam mit der am 27.11.1837 zur Welt gekommenen Tochter Johanna (1837-1877) verließ sie noch im Dezember des gleichen Jahres die eheliche Wohnung in Mülheim an der Ruhr, übersiedelte nach Wesel und reichte beim Kreisgericht in Duisburg die Scheidung ein. Ein langer, von zahlreichen Rückschlägen begleiteter Rechtsstreit sollte folgen, in dem sie nicht nur ihren Ehemann zum Gegner hatte, sondern auch auf Konfrontation mit den vorherrschenden gesellschaftlichen Strukturen ging. Den Aufforderungen von richterlicher Seiten zu ihrem Ehemann zurückzukehren, widersetzte sie sich energisch.
Zwischen 1838 und 1841 lebte sie unter materiell stark eingeschränkten Bedingungen, entwickelte aber aus diesen Erfahrungen heraus den ihr weiteres Leben prägenden Antrieb, sich für die Gleichberechtigung der Frau einzusetzen. In dieser Zeit begann sie ihren Lebensunterhalt als Schriftstellerin zu verdienen und eine Reihe von Gedichtbänden zu veröffentlichen. Zunächst von unpolitischem Inhalt, gewannen ihre Arbeiten im Lauf der 1840er Jahre einen zunehmend gesellschaftskritischen Charakter. Seit 1839 wohnte sie in Münster und kam hier in Kontakt mit demokratischen und kommunistischen Zirkeln. In diesen Kreisen lernte sie auch den wegen seiner politischen Gesinnung aus der preußischen Armee ausgeschlossenen Leutnant Fritz Anneke kennen und lieben. 1847 veröffentlichte sie eine Aufsehen erregende Verteidigungsschrift für die Berliner Frauenrechtlerin Louise Aston (1814-1871) unter dem Titel „Das Weib im Conflict mit den socialen Verhältnissen“, eine rigorose Abrechnung mit Staat, Kirche und Gesellschaft im monarchistisch-absolutistischen Preußen.
Am 3.6.1847 heiratete sie Fritz Anneke in Neuwied, aus der Ehe sollten sieben Kinder hervorgehen. Jedoch erreichten nur der Sohn Percy Shelly (1850-1928) sowie die Tochter Hertha (geboren 1855) das Erwachsenenalter. Vier weitere Töchter sowie der als hochbegabt geltende älteste Sohn Fritz (1848-1858) starben früh. Nach der Trauung bezog das Paar in Köln, dem Zentrum der radikalen demokratisch-kommunistischen Bewegung in der Rheinprovinz, eine gemeinsame Wohnung nahe dem Rheinufer. Diese wurde bald zu einem Treffpunkt führender Oppositioneller wie Karl Marx, Ferdinand Lassalle (1825-1864), Franz Raveaux, Carl d'Ester oder Andreas Gottschalk. Mathilde Anneke initiierte von hier aus die Gründung eines „ästhetisch-kommunistischen Clübchens“, dem Vorgänger des Kölner Arbeitervereins. Die Revolutionsjahre 1848/1849 wurden zu einem weiteren Wendepunkt im Leben Mathilde Annekes. Nach der allgemeinen revolutionären Begeisterung im Frühjahr 1848, begann sich bereits im Sommer die preußische Gegenrevolution zu formieren. Hochschwanger musste sie am Morgen des 3.7.1848 die Verhaftung ihres Mannes hinnehmen. Während er sechs Monate inhaftiert blieb, begann sie sich, da ihr als Frau die Wahl in politische Ämter versagt blieb, publizistisch zu betätigen. Sie gründete die „Neue Kölnische Zeitung“, deren erste Ausgabe am 10.9.1848 erschien. Als Vertretung der „Interessen aller Klassen des arbeitenden Volkes“ und als Gegenpart zur konservativen „Kölnischen Zeitung“ konzipiert, wurde sie im Verlauf der Septemberkrise verboten. Mathilde Anneke änderte den Namen des Blattes in „Frauen-Zeitung“, die erstmalig am 27.9.1848 erschien. Die von ihr geäußerte Vermutung, dass auch dieser „kein langes Leben“ beschieden sein würde, sollte sich bewahrheiten. Bereits die dritte Ausgabe der „Frauen-Zeitung“ wurde beschlagnahmt und kam nicht mehr zur Auslieferung.
Fritz Anneke hatte sich nach dem gescheiterten Siegburger Zeughaussturm im Mai 1849 den badisch-pfälzischen Revolutionstruppen angeschlossen. Mathilde Anneke verließ Köln im Juni, um sich ihrem Mann anzuschließen und an seiner Seite aktiv am Kampfgeschehen gegen die Preußen teilzunehmen. Ihre Erlebnisse hielt sie in der Schrift „Memoiren einer Frau aus dem badisch-pfälzischen Kriegszug“ fest. Mit dem Fall der Festung Rastatt am 23.7.1849 war der letzte Widerstand der badischen Revolutionäre gebrochen, Fritz und Mathilde Anneke flüchteten nach Frankreich. In Preußen steckbrieflich gesucht, hielten sie sich für kurze Zeit in Straßburg auf, ehe sie den Entschluss fassten, Europa in Richtung USA zu verlassen. Im Oktober 1849 erfolgte die Überfahrt von Le Havre nach New York.
Im März 1850 fand das Ehepaar eine neue Heimat in Milwaukee (Wisconsin), einer Stadt mit einem hohen Anteil deutscher Emigranten. Hier trat Mathilde Anneke zunächst mit Vorträgen über Literatur öffentlich in Erscheinung, ehe sie an der Seite ihres Ehemanns auch zu politischen Fragen Stellung nahm, unter anderem als eine entschiedene Gegnerin der Sklaverei. In der amerikanischen Frauenrechtsbewegung fand sie seit Beginn der 1850er Jahre ein breites Betätigungsfeld, unternahm Vortragsreisen und gründete 1852 die „Deutsche-Frauenzeitung“, in der sie unter anderem alltägliche Probleme amerikanischer Frauen und soziale Missstände thematisierte sowie über die Tätigkeit amerikanischer Frauenvereine informierte. Im gleichen Jahr übersiedelte die Familie nach Newark (New Jersey).
Im Juni 1860 kehrte Mathilde Anneke mit ihren Kindern nach Europa zurück und nahm ihren Wohnsitz für die Dauer von fünf Jahren in Zürich. Von hier aus unternahm sie 1863 auch eine Reise in die Rheinprovinz, besuchte das Ruhrgebiet und stattete auch der Stadt Köln einen letzten Besuch ab. Hier zeigte sie sich besonders von den Fortschritten beim Bau des Domes beeindruckt. Derweil es zwischen ihr und ihrem Mann seit den ausgehenden 1850er Jahren zu einer zunehmenden Entfremdung gekommen war, fand sie in der Feministin Mary Booth (gestorben 1865) eine neue Lebensgefährtin. Schwerpunkte ihrer intensiven publizistischen Tätigkeit blieben auch während ihres Aufenthaltes in der Schweiz die Themen Feminismus und ihr Einsatz gegen die Sklaverei.
Im Juli 1865 erfolgte die Rückkehr Annekes nach Milwaukee. Die Ansicht vertretend, dass nur gleiche Bildungschancen langfristig zu einer tatsächlichen Gleichberechtigung der Geschlechter führen würden, gründete sie hier noch im Oktober des gleichen Jahres mit ihrer Freundin Cäcilie Kapp (geboren 1830) das „Milwaukee-Töchter-Institut“, dessen Leitung sie übernahm. In den Jahren nach dem amerikanischen Sezessionskrieg und der Aufhebung der Sklaverei in den USA, engagierte sie sich vor allem für die Einführung des aktiven und passiven Wahlrechts für Frauen. Schwere Schicksalsschläge blieben nicht aus. Fritz Anneke, mit dem sie nur noch freundschaftlich verbunden war, starb 1872 einen tragischen Unfalltod, die Tochter aus erster Ehe Johanna erlag 1877 einem Krebsleiden. Mathilde Anneke selbst zog sich 1876 eine schwerwiegende Blutvergiftung zu, in deren Folge die rechte Hand gelähmt blieb. Am 6.6.1880 hielt sie auf der Jahrestagung der „National Women's Suffrage Association“ ihre letzte öffentliche Rede, in der sie nochmals ihrer Hoffnung auf eine baldige Einführung des Frauenwahlrechts Ausdruck verlieh.
Die letzten Lebensjahre waren geprägt von Krankheiten. Ein chronisches Leberleiden und schmerzhafte Gelenkentzündungen machten ihr die Ausübung ihrer bisherigen Tätigkeiten unmöglich. Mathilde Franziska Anneke starb am 25.11.1884 in ihrem Haus in Milwaukee. Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung wurde sie an der Seite ihres Mannes auf dem dortigen Friedhof „Forrest Home“ beigesetzt.
Die Erinnerung an Mathilde Anneke geriet über lange Zeit in Vergessenheit. Erst in der zweiten Hälfte der 20. Jahrhunderts wurde sie als eine Pionierin des Feminismus wieder entdeckt. Am Geburtshaus Overleveringhausen in Sprockhövel erinnert heute eine Gedenktafel an sie. 1988 widmete die Deutsche Post ihr eine Briefmarke in der Reihe „Frauen in der deutschen Geschichte“. In den 1980er Jahren fand Anneke Aufnahme in das Figurenprogramm des Kölner Rathausturms. Die von der Bildhauerin Katharina Hochhaus gestaltete Figur wurde 1995 an der Ostseite des Turmes aufgestellt.
Werke (Auswahl)
Der Heimatgruß, Wesel 1840.
Damenalmanach, Wesel 1842.
Das Weib im Conflict mit den socialen Verhältnissen, 1847.
Der politische Tendenzprozeß gegen Gottschalk, Anneke und Esser, Köln 1848.
Memoiren einer Frau aus dem badisch-pfälzischen Kriegszug, Newark 1853.
Das Geisterhaus in New York, Jena/Leipzig 1864.
Literatur
Frohn, Christina, Der organisierte Narr. Karneval in Aachen, Düsseldorf und Köln von 1823 bis 1914, Marburg 2000.
Koppetsch, Axel, Franz Raveaux (1810-1851), in: Dascher, Ottfried (Hg.), Petitionen und Barrikaden. Rheinische Revolutionen 1848/49, Münster i.W. 1998, S. 314-317.
Müller, Michael, Karneval als Politikum, in: Düwell, Kurt/Köllmann, Wolfgang (Hg.), Rheinland – Westfalen im Industriezeitalter, Band 1, Wuppertal 1983, S. 207-233.
Schmidt, Klaus, Franz Raveaux – Karnevalist und Pionier des demokratischen Aufbruchs in Deutschland, Köln 2001.
Seyppel, Marcel, Franz Raveaux (1810-1851), in: Rheinische Lebensbilder 11 (1988), S. 125-148.
Online
Anneke, Mathilde Franziska (Biographie im Internetportal „Westfälische Geschichte“ des LWL). [Online]
Kunze, Walter, Artikel "Anneke, Mathilde Franziska", in: Neue Deutsche Biographie 1 (1953), S. 303-304. [Online]
Mathilde Franziska Anneke (1817-1884) (Biographie auf der Website der Stiftung FrauenMediaTurm). [Online]
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Thomann, Björn, Mathilde Franziska Anneke, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/mathilde-franziska-anneke/DE-2086/lido/57adb089db4d47.95031250 (abgerufen am 10.10.2024)