Der 46. Deutsche Wandertag 1937 in Mayen. Bürgerliche Vereinsidylle im Dritten Reich?
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1. Einleitung
Ein unscheinbarer Gedenkstein an der Roten Brücke, 2014 durch eine lobenswerte Initiative der Ortsgruppe Mayen des Eifelvereins wieder instand gesetzt[1], erinnert an ein nahezu vergessenes Ereignis der Mayener Stadtgeschichte: Vom 16.-20.7.1937 fand hier der 46. Deutsche Wandertag statt. Wir werden mit einer Ankündigung der Veranstaltung beginnen, dann die Frage stellen, was ein Deutscher Wandertag ist, wer der veranstaltende Verein war und welche Rolle der Sport beziehungsweise das Wandern im Dritten Reich gespielt haben. Im dritten Teil soll die Veranstaltung in Mayen näher vorgestellt und im Vierten eine Antwort auf die Frage nach dem Ausmaß der Verstrickung beziehungsweise Instrumentalisierung der Wanderbewegung durch das Dritte Reich gesucht werden. Dazu gehört auch die Frage, was damit gemeint ist, wenn in der Einladung dazu aufgefordert wird, „in Eifeler Tracht“ zu erscheinen.
2. „Erscheint zum Reichswandertag in Mayen … in Eifeler Tracht“
Im April 1937 erschien in der Zeitschrift „Die Eifel. Das schöne deutsche Grenzland im Westen“ eine Einladung: „Mayen / die Stadt der Burgen und Türme rüstet zum festlichen Empfang.“ Zunächst werden in dem Artikel ausführlich die Glanzlichter von Stadt und Region geschildert: Burg Bürresheim, die Stadt Mayen mit ihrem schiefen Kirchturm, das Rathaus und der Marktplatz, die Genovevaburg und das 1921 eröffnete Eifelvereinsmuseum, der ab 1933 entstandene Märchenhort und der Aussichtsturm auf dem Hochsimmer.
„Die Basaltindustrie, die vor dem Kriege beinahe 5000 Volksgenossen Arbeit und Brot gab, lag lange Jahre untätig darnieder. Nationalsozialistischer Initiative und Tatkraft war es vorbehalten, sie zu einem großen Teile wieder in Gang zu bringen. Heute hören wir wieder den so vertrauten melodischen Zweiklang, der durch das Behauen der Basaltlavablöcke hervorgerufen wird. Ein herzliches Lied der Arbeit, das über das weite Grubenfeld herauftönt.“ Verfasser des Artikels ist Georg Schlitt , der Schriftführer der Ortsgruppe Mayen.[2]
Dann wird das Programm veröffentlicht: Donnerstags reisen die Teilnehmer zum "großen Deutschen Wandertag" an. Am Freitag gibt es Sitzungen der Fachausschüsse. Die Wanderer können mit „Großkraftwagen“ eine „Tagesfahrt zu den Talsperren des Grenzkreises Schleiden“ unternehmen und dabei auch die Ordensburg Vogelsang besichtigen. Alternativ gibt es eine Busfahrt entlang der Mosel nach Cochem. Am Samstag tagt der „Führerrat“, die Vorsitzendenrunde des Dachverbandes, nachmittags wird die heimatkundliche Ausstellung „Die Eifel in Kunst, Industrie und Handwerk“ eröffnet, zudem gibt es einen „Spaziergang der anwesenden Damen“ nach Schloss Bürresheim. Anschließend findet die Hauptversammlung des Eifelvereins statt und abends der „Begrüßungs- und Heimatabend“. Der Sonntag beginnt mit „Gottesdiensten“, danach folgen die Hauptversammlung, ein Platzkonzert und anschließend der Festzug mit einer öffentlichen Kundgebung. Anschließend bringen Sonderzüge die Teilnehmer zu den nächst gelegenen Bahnhöfen. Die Unentwegten können montags noch eine Busfahrt zum Nürburgring und dann über Daun und Münstereifel nach Dernau (mit Weinprobe) machen.
Im Maiheft erschien ein kurzer Nachtrag: „Eifeler Trachten kommen wieder zu Ehren! Erscheint zum Reichswandertag (!) in Mayen nach Möglichkeit in Eifeler Tracht!“[3] Die farbenfrohen Stoffmuster der Trachten seien nicht nur ein Kulturgut, sondern auch eine wichtige Erwerbsquelle, „Handgewebt und handgemacht, das ist echte Eifler Tracht.“ Die Wanderer werden also gebeten, sich nicht als Wanderer zu verkleiden, sondern in Eifeler Tracht zu erscheinen, um ihre Zugehörigkeit und ihren Stolz auf die Eifel zum Ausdruck zu bringen. Der Verfasser „G. Schl.“ war der wortgewaltige Schriftführer Georg Schlitt, der seinen zahlreichen Artikeln nach zu urteilen Parteigenosse war.
3. Wandervereine im Dritten Reich
1937 war das 1000-jährige Reich vier Jahre alt und hatte die Olympiade von 1936 weidlich dazu genutzt, sich der Weltöffentlichkeit im besten Licht zu präsentieren. Der Begriff Machtergreifung bedeutet, dass sich 1933 schnell und oft auch zunächst unbemerkt ein totalitäres Regime etablieren konnte, das mit Brachialgewalt und massiven Rechtsverstößen die Weimarer Republik und ihre Institutionen beseitigte. Nach der Kommunalwahl vom 12.3.1933 hatte die NSDAP in Mayen 9, das Zentrum 8, die SPD 5 und die KPD 2 Sitze. Wenige Tage später war der Stadtrat ausgeschaltet.
In einem totalitären Staat wurde auch der Sport gleichgeschaltet. Zur Ideologie des Herrenmenschen gehörte ein gestählter Körper, der durch Siege im Krieg die Überlegenheit der arischen Rasse unter Beweis stellte. Im Frieden waren Wettkämpfe wie die olympischen Sommerspiele von 1936 angesagt, bei denen ausgerechnet der „schwarze Amerikaner“ Jesse Owens (1913-1980) vier Goldmedaillen gewann. Sport war nicht nur ideologisch wichtig, er diente zudem der Körperertüchtigung der Jugend, der Wehrertüchtigung der künftigen Soldaten und bot außerdem eine hervorragende Möglichkeit, breite Kreise der Bevölkerung und vor allem die Jugend organisatorisch zu erfassen sowie politisch zu indoktrinieren. Deshalb wurden die mitgliederstarken Sportorganisationen der Arbeiterschaft oder kirchliche Gruppen wie die Pfadfinder zerschlagen und gleichschaltet.
Federführend war dabei Hans von Tschammer und Osten (1897-1943), der als Anführer von SA-Schlägertrupps einschlägige Erfahrungen gesammelt hatte. Er wurde im April 1933 Reichskommissar für Turnen und Sport und im Juli 1933 Reichssportführer. 1934 wurde der Deutsche Reichsbund für Leibesübungen gegründet. Der Reichsverband der deutscher Gebirgs- und Wandervereine war gleichzeitig „Gruppe 1 des Fachamtes Bergsteigen und Wandern im Reichsbund für Leibesübungen“. 1938 wurde er in den Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen umgewandelt. Dieser war in 15 Fachämter und zehn Fachverbände gegliedert. Die Wanderer fanden sich mit 2.961 Vereinen und 198.346 Mitgliedern (davon 28.536 Frauen) in Abteilung 18 wieder, die Bergsteiger bildeten mit 168.450 Mitgliedern die Abteilung 17. An der Spitze des Reichsverbands der deutschen Gebirgs- und Wandervereine stand der Reichswanderführer Ferdinand Werner (1876-1961).
Werner war Lehrer, Landeshistoriker und Mitglied der Historischen Kommission für Hessen. Er war in verschiedenen völkischen Parteien aktiv, zunächst in der Deutschsozialen Partei, dann im Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund und in der Deutschnationalen Volkspartei, für die er seit 1924 im Reichstag saß. 1933 wechselte er zur NSDAP und wurde der erste nationalsozialistische Ministerpräsident Hessens. Die Popularität Werners, der bestens in der Region vernetzt war (er war Vorsitzender des Odenwaldklubs und des Reichsbundes der Kinderreichen), lieferte einen Deckmantel für die Machtergreifung in Hessen. Nach einem Machtkampf mit dem Reichsstatthalter Jakob Sprenger (1884-1945) wurde Werner im September 1933 entlassen und 1936 als Leiter des höheren Schulwesens in Schlesien nach Breslau versetzt.
Werner blieb weiterhin Führer des Reichsverbandes deutscher Gebirgs- und Wandervereine, wo er viel zur ideologische Indoktrination der Wanderbewegung beitrug: „Unverzagt wie Dürers Ritter zwischen Tod und Teufel müssen wir den uns vorbestimmten Weg verfolgen. … Deutsches Wandertum ist deutscher Wille.“ Den letzten Satz schrieb er auch unter einen „Neujahrsgruß des Deutschen Wanderführers“ an die Mitglieder des Eifelvereins.[4] 1938 begrüßte Werner im Oktoberheft der Zeitschrift „Deutsches Wandern“ die „Wanderkameraden im Sudetendeutschland als Brüder vom gemeinsamen Geiste im Großreiche Adolf Hitlers.“ Im August 1940 lud er zum „Kriegswandertag“ in Marburg ein, bei dem in Anbetracht der Zeitumstände auf Fahnen- und Wimpeleinzug, Auf- und Vorbeimarsch der Tausende … und öffentliche Kundgebungen“ verzichtet wurde. Seit 1935 hatte sich der Reichsverband der deutschen Gebirgs- und Wandervereine der Einführung einer Einheitssatzung des NS-Reichsverbandes für Leibesübungen widersetzt, 1940/1941 kam es in dieser Frage zu so massiven Auseinandersetzungen, dass Werner zurücktrat; er wurde durch den Landeshauptmann der Rheinprovinz, Heinrich Haake (1892-1945), ersetzt.
Auch der Eifelverein wurde 1933 gleichgeschaltet. Der Verein erhielt eine neue Satzung, wonach aus dem Vorsitzenden der Vereinsführer wurde. Die Vorsitzenden der Ortsgruppen ernannten die Mitglieder des Vorstandes, es gab keine Sitzungen mehr, auf denen Beschlüsse gefasst wurden, sondern nur noch Versammlungen und Befehlsausgaben. Der Vorsitzende musste Mitglied der NSDAP sein. Juden und Sozialdemokraten wurden ausgeschlossen. Im Rahmen der Gleichschaltung wurde die Jugendarbeit der HJ und dem BDM übertragen. Auch für die Tourismuswerbung und die Wirtschaftsförderung waren jetzt andere Dienststellen zuständig. Es blieben Wandern und die Kulturarbeit, die der NS-Propaganda sehr wichtig erschien.
4. „Mitten im schönen Eifelland: Jahresschau der deutschen Wanderer / Großkundgebung in Mayen“
Noch ein Wort zu den Deutschen Wandertagen: Das 19. Jahrhundert war das Jahrhundert der Vereine. Und so entstanden im Gefolge von Romantik und Biedermeier Wandervereine, die die Förderung der Geselligkeit, aber auch die touristische Erschließung der Region zum Ziel hatten. So zum Beispiel der 1888 gegründete Eifelverein, der Westerwaldverein und der Hunsrückverein. Die Vereine schlossen sich zu Dachverbänden zusammen, 1883 wurde der Deutsche Wanderverband gegründet, der heute 57 Wandervereine mit 600.000 Mitgliedern in 3.000 Ortsgruppen vertritt. Er veranstaltet seit 1883 jährlich den Deutschen Wandertag, der in den 1930er Jahren als „Reichstreffen der deutschen Wanderer“ bezeichnet wurde.
Die Festschrift der Ortsgruppe Mayen des Eifelvereins von 1938 berichtet, dass sich die Stadt 1933 in Frankfurt beworben hatte, dies 1934 in Plauen und 1935 in Freiburg wiederholt hatte und es 1936 in Eisenach gelang, den „Reichswandertag“ (!) für Mayen zu gewinnen. In der offiziellen Danksagung des Eifelvereins werden als Hauptverantwortliche Bürgermeister Rudolf Neuenhofer, der Ortsgruppenvorsitzende, der Lehrer Jacob Hürter, und „der rührige, heimatbegeisterte Georg Schlitt“ genannt.[5]
Im Archiv der Ortsgruppe hat sich ein maschinenschriftliches Exemplar der „Richtlinien für die Arbeit der Ausschüsse zur Durchführung des Reichswandertages (!)“ erhalten.[6] Die „Richtlinien“ lassen ein hohes Maß an Professionalität erkennen. Für das gemütliche Zusammensein am Freitagabend sollten humoristische Beiträge vorbereitet und Lieder herausgesucht sowie hektographiert werden. Für die Kaffeerast beim Spaziergang der „Damen“ sollte der Besitzer des Waldfriedens für „etwas Konzert“ sorgen, „natürlich auf seine Kosten“. Den Begrüßungsabend sollte Bürgermeister Neuenhofer leiten, und zwar „ohne Zeitverlust und reibungslos.“ Dabei sollte er ständig Tuchfühlung halten mit dem ebenfalls veranstaltungserfahrenen Geheimrat Karl Leopold Kaufmann (1863-1944), dem Vorsitzenden des Eifelvereins. Geplant war der Auftritt von zwei Humoristen, einem Doppelquartett Mayener Sänger und einer Tanzgruppe, „die die Weinpoesie des Rheines, der Mosel und der Ahr tänzerisch darstellt.“ Die Herstellung der Weinflaschen aus Pappe wurde ebenso detailliert geregelt wie die Beschaffung der Scheinwerfer und die Aufstellung einer Lautsprecheranlage.
Geregelt wurde auch der Verkauf der „Festabzeichen“ und der Programme. Bei jedem Deutschen Wandertag werden ansteckbare Zeichen verkauft, die die Teilnehmer ausweisen. In Mayen entschied man sich für einen „Wanderburschen“, ein von Heller-Kunst aus Holz gesägt und bunt bemalter rucksacktragender Wanderbursche, den junge Mädchen auf den Straßen verkauften. Lebensgroße „Wanderburschen“ wurden in der Stadt aufgestellt. Bei der großen Kundgebung auf dem Marktplatz musste der Fahneneinmarsch geregelt werden, betreffs des „Massenchors der Mayener Gesangsvereine“ war mit dem „Kreissängerführer“ zu verhandeln und eine Lautsprecheranlage aufzubauen. Geplant war weiter ein „Vergnügungspark“, für den Schausteller Buden aufstellen sollten. Es ist erstaunlich, mit wie wenig Aufwand damals eine Großveranstaltung organisiert wurde, es gab keine Notfallpläne, kein Rot-Kreuz-Zelt und auch keine Security.
Außerdem wurde ein offizielles Programm gedruckt: Unter einem Bild der Genovevaburg liest man: „Einladung zum 46. Deutschen Wandertag des Reichsverbandes der deutschen Gebirgs- und Wandervereine vom 16. bis 20. Juli 1937 in Mayen. Frischauf zur frohen Wanderfahrt in die Eifel! Bei sämtlichen Veranstaltungen wird Wanderkleidung (!) getragen.“[7] Politischer wird dann schon das Grußwort. „Wanderkameraden! Kommt heuer wieder in hellen Scharen zum Deutschen Wandertag ... Euch erwartet ein ebenso schönes wie eigenartiges Grenzland! Euch empfängt eine echte deutsche Volksgemeinschaft und Heimatwanderer-Gesinnung … Heil Hitler Euer Werner.“ Darunter folgt das etwas weniger martialische das Grußwort des Eifelvereinsvorsitzenden Karl Leopold Kaufmann. Dieser war Landrat in Malmedy und Euskirchen, ein renommierter Landeshistoriker, stellvertretender Vorsitzender des Vereins für Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande, Ehrendoktor der Universität Bonn und von 1904 bis 1938 Vorsitzender des Eifelvereins. Und das, obwohl er zu keinem Zeitpunkt Mitglied der NSDAP war (laut freundlicher Auskunft des Bundesarchivs Berlin vom 20. 4. 2015).
Auf der Rückseite sind einige organisatorische Hinweise abgedruckt. Die Teilnahmegebühr betrug 3 Mark, dafür gab es neben dem Wandertagszeichen mehrere Festschriften, Wanderkarten und freien Eintritt, zum Beispiel in Schloss Bürresheim (Bus 40 Pfennige). Zimmer standen zur Verfügung in Gasthäusern (2,75 M) und in Privathäusern (2,35 M), beides „einschl. gutem Frühstück und Bedienungsgeld“. Als Mittagessen gab es zum „Einheitspreis“ von 1,30 M einen Eintopf, „mit Einlage“ für zusätzlich 0,70 M.
Über den Verlauf des Deutschen Wandertags in Mayen sind wir vor allem aus der Presse recht gut informiert. Auf der einen Seite hat die Mitgliederzeitschrift des Eifelvereins, die seit 1933 von dem linientreuen Historiker und Journalisten Viktor Baur (1898-1967) redigiert wurde, ausführlich darüber berichtet. Umfangreich ist auch die Berichterstattung in der Mayener Ausgabe des Nationalblattes.[8] Eine Reihe von Artikeln erschien im Koblenzer General-Anzeiger und in der Koblenzer-Volks-Zeitung (Mikrofilm im Stadtarchiv Koblenz). Interessanterweise findet man in der Koblenzer Lokalausgabe des Nationalblattes keinen[9] und in der Trierer gerade einmal am 19. Juli einen kleinen Artikel (Bibliothek des Priesterseminars Trier). Die Sittlichkeitsprozesse gegen die Koblenzer Barmherzigen Brüder oder der Tod sieben deutscher Bergsteiger am Nanga Parbat fanden ein wesentlich größeres Medienecho. Es lässt sich festhalten: Der Deutsche Wandertag in Mayen war für die gleichgeschaltete Presse kein Thema von überregionaler Bedeutung.
Die Juliausgabe der „Eifel“ ist ganz dem 46. Deutschen Wandertag gewidmet. Vier Grußworte eröffnen das Heft. Der Schirmherr, der Gauleiter und Oberpräsident der Rheinprovinz, Josef Terboven (1898-1945), stellt fest, der Wandertag sei „ausgerichtet nach nationalsozialistischen Zielen.“ Der „Deutsche Wanderführer“ Ferdinand Werner beginnt: „Treu und deutsch und pflichtbewußt tut ein rechter Wanderer an dem Platze, an den ihn das Schicksal gestellt hat, sein Werk bis an das Ende seiner Tage.“ Der „Vorsitzende des Eifelvereins“ – nicht „Vereinsführer“ – Kaufmann verweist auf das im folgenden Jahr anstehende Jubiläum: 50 Jahre lang habe dann der Eifelverein das „Grenzland“ gefördert. Er wünscht sich, dass das „deutsche Wandertum“ und das „schöne Heimatwerk … allzeit so fest und trutzig stehen wie die stolzen feuergetürmten Vulkanberge um die schöne Stadt des 46. Deutschen Wandertages.“ Schließlich begrüßt Bürgermeister Neuenhofer die Gäste seiner „ehrwürdigen Kulturstadt“ ... mit ihrer „reichen geschichtlichen Vergangenheit.“ Sie sei ein „Edelsitz treu-deutscher Menschen, voll von köstlichen Heimlichkeiten, Spitzwegidyllen und ragenden Wahrzeichen einer jahrhundertealten Geschichte, ausgestattet mit schönen städtebaulichen Anlagen, mit Stätten des Gewerbefleißes und der Kunst.“[10]
Im folgenden Artikel stellt Neuenhofer seine Stadt vor und verweist auf die „drückende Fremdherrschaft“ der napoleonischen Zeit und den Aufstieg unter der preußischen Regierung. Dann liest man fett und mit Einzug (der Schriftleiter verstand sein Handwerk): „Aus hoffnungsloser Zeit und tiefem Niedergang der Kriegs- und Nachkriegszeit, die schon das Wort von der ‚sterbenden Stadt an der Nette‘ geprägt hatte, ist Mayen unter dem belebenden Frühlingssturm der Rettungstat Adolf Hitlers erwacht und dem Leben zurückgegeben worden.“ Kaufmann weist noch einmal darauf hin, dass bei dem Festzug am Sonntag Eifeler Tracht, „wo solche getragen wird (!) erwünscht“ sei, ansonsten „Wanderanzug.“ Das Mitführen der Wimpel und das Tragen des Vereins- und Festabzeichens sei Pflicht.[11] Der 1938 berufene Geschäftsführer des Eifelvereins, der Landeshistoriker Dr. Emil Kimpen (gestorben 1965), behandelt das Thema „Eifel und Eifelverein“, in dem er u. a. die Leistungen des Vereins im 19. Jahrhundert lobt und den Verlust des „treudeutschen Gebietes, der Kreise Eupen und Malmedy“ beklagt.[12] Besaß der Begriff „Heimat“ eine von den braunen Machthabern missbrauchte politische Komponente, so gilt das auch für die „treudeutschen Gebiete“, das Saarland, Luxemburg, Arlon und „Deutschostbelgien“. Was die Westforscher insbesondere an der Universität Bonn erarbeiteten, diente den braunen Machthabern nach 1939 als wissenschaftliche Grundlage ihrer Annexionspläne. Diese Themen spielen in den Organen des Eifelvereins eine wichtige Rolle, und auch Kaufmann hat sich intensiv mit der Erforschung des Landkreises beschäftigt. Danach stellt Ernst Nick (1888-1971) das Eifelvereinsmuseum und die „Bücherei des Eifelvereins“ auf der Genovevaburg vor.[13]
Den offiziellen Bericht über das Mayener Großereignis verfasste Schriftleiter Viktor Baur. In monatelanger Vorbereitung hätten in Zusammenarbeit mit „Partei und Behörde die starke und emsige Ortsgruppe des Eifelvereins, treuer Hüter der heimatlichen und kulturellen Belange im Eifelland“, diese Veranstaltung vorbereitet.[14] Am Freitagvormittag begannen dann die Sitzungen, bei denen der Reichswanderführer, in seiner „herzlichen, zielklaren Art und seinem gesunden Optimismus“, immer wieder neue Akzente setzte. Die Verhandlungen waren „erfüllt von diesem Streben nach Höhe, Licht und Klarheit.“ Die Sprache erinnert in ihrer Dramatik an zeitgenössische Wochenschauen. Am Freitagabend gab es ein Treffen der „wackeren Kämpen von mehreren Dutzend deutscher Gebirgs- und Wandervereinen … mit fröhlichem Gruß, gestählte Wandermänner und auch viele Wanderfrauen“. Es sind die „Führer und Väter der großen deutschen Wanderfamilie“, ein Begriff der in den 1950er und 60er Jahren weiterhin gerne verwendet wurde. Dies war kein Zufall, denn Dr. Kimpen war bis 1955 Geschäftsführer des Vereins und Dr. Baur bis 1966 Schriftleiter der Eifelvereinspublikationen.
Am Samstag begrüßte ein Fahnenmeer die Wanderer. Neben den Fahnen des Reiches waren die Flaggen der Burgen, Schlösser und bewehrten Städte der Eifel gehisst. „Zu Fuß, mit Bahn, Kraftwagen und Autobus“ strömten die Wanderer zusammen und beherrschten das Stadtbild. Überall spürte man den „Gleichklang des Blutes und den Zusammenklang deutschen Wander- und Heimatwillens.“ Die Hauptversammlung des Eifelvereins übergeht Baur und streift auch nur kurz den „Begrüßungs- und Heimatabend“. Über diesen sind wir aus der Lokalpresse recht gut informiert. Mitwirkende waren der Gaumusikzug des Reichsarbeitsdienstes Gau 24 Mittelrhein, der Mandolinenclub Wanderlust aus Niederbrechen und der Männergesangsverein Liedertafel aus Mayen. Hinzu kamen der Bariton Heinz Ramacher und der Tenor Walter Sturm, am Flügel Emma Sagebiel und als Sprecher Eduard von der Beke. Sendeleiter war „Pg. A. Herb.“ Neben dem Reichsrundfunk zeichnete die „Kreiskulturstelle der NSDAP“ für die Veranstaltung verantwortlich. Über die Lieder sowie die humoristischen und die Mundartbeiträge berichtet die Mayener Ausgabe des Nationalblattes ausführlich: „Viele lustigen Geschichten aus dem Leben unserer Bauern, die sich trotz ihrer harten Arbeit einen urwüchsigen derben Humor bewahrt haben, gab es zu erzählen …“ Der Reichssender Frankfurt strahlte am Dienstag unter dem Titel „Frisch auf zum rüst‘gen Wandern durchs schöne Eifelland“ eine zweistündige Sendung aus. Plakate kündigten „Zwei Stunden Frohsinn beim Rundfunk“ an und mahnten ein pünktliches Erscheinen der Gäste an, denn bei Beginn der Aufzeichnung wurden die Türen verschlossen. „... durch das Mikrophon soll Eifeler Lust und Fröhlichkeit in vollen Tönen durch den Aether schwingen.“
Am Sonntagmorgen begann die Hauptversammlung des deutschen Gebirgs- und Wanderverbandes.[15] „Ungezählte Fähnlein und Wimpel bildeten Spalier“. Der Deutsche Wanderführer begrüßte zahlreiche Ehrengäste. Oberpräsident Josef Terboven ließ sich von Karl Eugen Dellenbusch (1901-1959), Vizepräsident des Regierungsbezirks Koblenz, vertreten. Dellenbusch erinnerte an den Deutschen Wandertag von 1932 in Mettlach, „als das Saargebiet noch unfrei war. … Das westdeutsche Grenzland ist deutsch, froh und frei.“ Man vermisst nicht nur den Landeshauptmann, sondern auch die politische Prominenz: Weder Gauleiter Gustav Simon (1900-1945) noch Kreisleiter Heiliger (1914-1978) ließen sich blicken. Aus der Anwesenheitsliste der Hauptversammlung erfahren wir, dass Kaufmanns Nachfolger Dr. Josef Schramm (1901-1991), seit 1934 stellvertretender Vorsitzender, anwesend war. Immerhin sehen wir auf einem Foto vom Festzug Schramm gemeinsam mit Geheimrat Kaufmann und Schatzmeister Bernhard Vonachten – alle drei übrigens ohne Armbinde. Aus der Teilnehmerliste der Versammlung des Eifelvereins erfahren wir, dass der Landeshauptmann hier durch Landesverwaltungsrat Greiner vertreten wurde; Vertreter entsandten außerdem die Reichsbahndirektion Saarbrücken, die Reichspostdirektion Koblenz und der Landesfremdenverkehrsverband Rheinland.[16] Aus einem Bericht der Koblenzer Volkszeitung vom 19. Juli geht außerdem die Anwesenheit von Forstmeister Neuwinger, der die persönlichen Grüße des Reichsforstmeisters Hermann Göring (1893-1946) übermittelte, der Wehrmacht und der Kreisführung des Reichsbundes für Leibesübungen, des Gauobmannes für Wandern und des Jugendherbergswerks hervor.
Der Höhepunkt des Wandertages waren der Festzug und die Kundgebung am Sonntagnachmittag.[17] Es versammelten sich „begeisterte Wanderer aus allen deutschen Gauen, schön nach Vereinen und Gruppen geordnet.“ Das ist heute nicht anders. „Brausend schmettern die Musikkapellen durch die Straßen. Und festlich bewegte sich der lange Zug, voran die Gliederungen der Partei (!) durch das alte Städtchen. Ungezählte Fahne und Wimpel werden dahergetragen, hell glitzern sie auf im hellen Sonnenlicht des herrlichen Tages, üppig bunt ist das Bild der Wander- und Heimattrachten.“ Neben den Fahnen und Trachten begeistert sich der Verfasser für die Jugend: „viel Jugend, gesunde, heimatbewußte, deutsche Wanderjugend marschiert im Zuge.“ Die Wandervereine – so Baur 1937 – gälten oftmals als „überalterte Bewegung“, die Zahl der Jugendlichen insbesondere im Eifelverein belege jedoch das Gegenteil. Insgesamt gesehen sei der Festzug ein „vieltausendfaches, jubelndes Bekenntnis zu Heimat und Wandertum, zu deutscher Art.“ Nicht zuletzt durfte auch ein Gruß an „die deutschen Brüder, die jenseits unserer Grenze wohnen“, nicht fehlen. Nicht minder enthusiastisch war der Bericht im Koblenzer General-Anzeiger am 20. Juli: „Das war die Heerschau des deutschen Wandertums. Ob jung oder alt, alle marschierten sie frohen Blicks und stolzen Herzens daher, ein Bild voller Kraft und echter deutscher Lebensbejahung.“
Der Festzug mündete auf den Marktplatz, wo sich die Wanderer aufstellten. Bürgermeister Neuenhofer richtete Worte an „viele Tausende deutsche Wanderer, denen er dafür dankt, dass sie im kerndeutschen Mayen und im Eifeler Grenzland zum großen Heimatbekenntnis zusammengekommen sind.“[18] Beim Umzug zum 47. Deutschen Wandertag 1938 in Stuttgart sollen 12.000 Wanderer mitmarschiert sein. In Mayen waren es nach einem Protokoll des Hauptvorstandes circa 6.000, davon 1.500 aus dem Eifelverein. Mit einem „Bekenntnis zum Führer und den Liedern der Nation klang die Kundgebung“ aus.
Den Abschluss der Veranstaltung bildete ein Feuerwerk, ein künstlicher Vulkanausbruch. Zu erwähnen ist noch die Ausstellung „Die Eifel in Kunst, Industrie und Handwerk“. Ausstellungsleiter war Professor Carl Burger (1875-1950), gezeigt wurden seine Arbeiten aus Basalt, weiter die Werke der Weblehrerin und Schriftstellerin Else Pfefferkorn (1894-1979) und Bilder der Eifelmaler Fritz von Wille (1860-1941), Pitt Kreuzberg (1888-1966) , Joseph Streib (1869-1940), Gustav Fenkohl (1872 -1950) und Alfred Holler (1888-1954), Erzeugnisse der Heimweberei Schalkenmehren und Lommersheim, gravierte Schieferplatten und Fotomappen aus Mayen, die als geschmackvolle Reiseandenken galten, „Töpferware der Steinzeugwerke Plein aus Speicher“ und „Hellerkunst aus dem Kreise Daun.“[19]
Zu der Ausstellung gab es am Sonntag eine Rundfunkreportage, eine Einlage zum Mittagskonzert. Der „Sendeleiter Pg. Herb“ berichtete über den Wandertag und führte Interviews (Zwiegespräche) mit der Leiterin der Kunstgewerblichen Weberei in Lommersdorf, mit Oberlehrer Schollmeyer, der sich um die „Verwertung einheimischen Materials zu Reiseandenken“ bemühte, und „mit dem Schriftführer des Eifelvereins G. Schlitt.“ Dass auch die künstlerische Darstellung der heimatlichen Landschaft, der Bauern und Arbeiter als Medium der nationalsozialistischen Propaganda benutzt wurde, sei nur am Rande erwähnt. Das NS-Gemeinschaftswerk Kunst und Künstler führte im Sommer 1936 insgesamt 79 ausgewählte Künstler in den Kreis Mayen, die „Hermann-Göring-Meisterschule für Malerei“ wurde 1938 in Kronenburg (heute Gemeinde Dalheim) eingeweiht.
5. Mitwanderer – Mitläufer?
Der Beitrag konnte keine großen Skandale und keine Enthüllungen aus Mayens brauner Zeit präsentieren. Die gab es sicherlich, und es ist eine wichtige Aufgabe der Stadtgeschichtsforschung, sich mit diesem Thema einmal etwas ausführlicher zu befassen. Aber unser Thema war der 46. Deutsche Wandertag von 1937, und hier handelte es sich um ein eher unspektakuläres Ereignis. Dies halte ich für ein wichtiges Ergebnis: Es gab im Dritten Reich also auch Plätze der Idylle, Orte, an denen die gute alte Zeit stillstand und an die sich die Menschen in einer Zeit beschleunigten Wachstums und rapider Veränderungen – Neuenhofer bezeichnet es als „belebenden Frühlingssturm“ – zurückziehen konnten.
Der Deutsche Wandertag von 1937 führte 6.000 Besucher nach Mayen. Beim Lukasmarkt sind es heute 25.000 bis 30.000 Personen. Es handelte sich also um eine interne Veranstaltung der Wanderbewegung und des gastgebenden Eifelvereins. Auf den ersten Blick entsteht das Bild einer weitgehend politikfreien Zone: Man vermisst prominente Gäste aus Partei und Verwaltung, das Medienecho war bescheiden, das erhaltene Bildmaterial ebenfalls. Das Dritte Reich hatte offensichtlich am Wandertag wenig Interesse und ignorierte ihn weitgehend. Die wenigen Politfunktionäre, die anwesend waren oder Grußworte geschrieben hatten, lieferten Proben der NS-Prosa, die Vertreter des Eifelvereins bedienten sich mehr (Baur, Schlitt) oder weniger (Kaufmann) der zeitgenössischen Politphrasen, wobei man stets hinterfragen muss, ob man Begriffe wie Heimat und Grenzland oder Symbole wie die Wimpel und die Tracht mit traditionellen Inhalten oder in der ideologisch aufgeladenen Form verstand, die das Dritte Reich, das sie alle okkupiert hatte, ihnen beimaß.
Ein Jahr zuvor hatten die olympischen Sommerspiele in Berlin stattgefunden. Das Dritte Reich investierte erhebliche Summen, für 100 Millionen Reichsmark wurden ein Olympiastadion für 100.000 Zuschauer errichtet, weiter die Waldbühne, ein Führerturm und ein olympisches Dorf. Deutschland präsentierte sich der Weltöffentlichkeit als friedliebendes, gut regiertes, im Aufschwung befindliches Land. Nie zuvor wurden olympische Spiele so zielstrebig medial vermarktet. 1.800 Journalisten kamen nach Berlin, die Spiele wurden im Rundfunk übertragen, 3.000 Sendungen in 40 Ländern ausgestrahlt. Leni Riefenstahl (1902-2003) drehte einen Film, der viele Preise einheimste. Das Dritte Reich konnte nicht nur auf zahlreiche Medaillen, sondern auch auf eine halbe Milliarde Reichsmark Einnahmen und einen großen Propagandaerfolg stolz sein.
Dies war nicht das einzige Mal, dass die Machthaber des Dritten Reichs das Ausland täuschten. 1938 verkündete der britische Premierminister Chamberlain (1869-1940) aus München zurückkehrend „Frieden für unsere Zeit“, und 1933 erlebten die Pilger aus Frankreich, Luxemburg und Belgien bei der Heilig-Rock-Wallfahrt die SA-Männer als freundliche und hilfsbereite Zeitgenossen. 1937 – während des Deutschen Wandertages – fanden die propagandistisch weidlich ausgeschlachteten Sittlichkeitsprozesse gegen Geistliche statt und 1936 – im Olympiajahr – besetzte die Wehrmacht das entmilitarisierte Rheinland. Die Deutschen Wandertage in Mayen und im saarländischen Mettlach setzten allein schon durch die Wahl der Orte politische Zeichen.
Nicht nur die Olympiade von 1936 bietet sich als Vergleichsbeispiel an, sondern auch die Ersteigung des Nanga Parbat. Nachdem deutsche Bergsteiger keinen Zugang zum englischen Mount Everest, zum italienischen K2 und zum französischen Annapurna hatten, versuchten sie ab 1932 eine Erstbesteigung. Der Nanga Parbat galt als „Schicksalsberg der Deutschen“, weil bei den verschiedenen Expeditionen die Hälfte der deutschen Bergsteigerelite – insgesamt 31 Menschen – ums Leben kam. 1932 scheiterte ein Versuch, 1934 gab es mehrere Tote, 1937 wurden 16 Menschen unter einer Lawine begraben, deren Leichen 1938 von Paul Bauer (1896-1990) geborgen wurden. 1939 unternahm Heinrich Harrer (1912-2006) einen weiteren Versuch, der sich in dem Buch „Sieben Jahre in Tibet“ niederschlug. Erst 1953 gelang die Erstbesteigung.
Der Kampf um den „Schicksalsberg der Deutschen“ spielte in der NS-Propaganda eine große Rolle, da er die Stärke und Opferbereitschaft der arischen Herrenrasse verdeutlichte. Paul Bauer war ein gefragter Sachbuchautor, dessen Bücher mit brillanten schwarz-weiß-Fotos ausgestattet waren. Allerdings war Bauer auch Spitzenfunktionär im Reichsbund für Leibesübungen und an der Gleichschaltung der Bergwandervereine beteiligt, im Krieg Major bei den Gebirgsjägern und später bei deren Veteranenverbänden aktiv. Der Alpenverein brauchte nicht groß gleichgeschaltet zu werden, denn hier grüßen sich die Gipfelstürmer mit einem „Berg Heil“, freilich schon seit 1848. Juden wurden aus dem Deutschen und Österreichischen Alpenverein bereits 1924 ausgeschlossen, und das Übernachten in den Hütten war nur Ariern erlaubt. Insofern müssen wir auch hier erhebliche Unterschiede zwischen den Vereinen berücksichtigen.
6. Autobahn und Eifeltracht – was blieb vom Dritten Reich?
Noch heute werden der Autobahnbau, die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit und der wirtschaftliche Aufschwung nach 1933 vielfach als Erfolge des Dritten Reichs verstanden. Es handelt sich um die langfristigen Folgen einer geschickten Propaganda, die nicht nur die Zeitgenossen dies glauben ließ. Bedauerlicherweise hat sich auch der Eifelverein nicht nur vor diesen Karren spannen lassen, sondern freiwillig gespannt und seine Publikationen für Lobeshymnen auf den Führer zur Verfügung gestellt. Allerdings, und auch das muss man zur Ehrenrettung des Vereins sagen, in einer sehr überschaubaren Zahl von Beiträgen.
Ein „Höhepunkt“ ist dabei ein Leitartikel des linientreuen Schriftleiters Dr. Viktor Baur über die „Eifel im Aufstieg“, der mit einem Foto „Der Führer auf Burg Vogelsang in der Eifel“ illustriert wird.[20] Baur lobt die „stolzen Werke des Aufbaues“, darunter die Ordensburg Vogelsang und die Talsperren in der Nordeifel, ferner den Bau von Straßen, Kasernen und Jugendherbergen und nicht zuletzt den Nürburgring. Als Zweites feiert er die „verheißungsvolle kulturelle Aufwärtsentwicklung“. Neben zwei Führerbesuchen und zahlreichen KdF-Reisenden weist er auf die Eifelmalerei hin und nennt die Hermann-Göring-Meisterschule in Kronenburg. „Bodenständige Heimatkunst marschiert in der Eifel mächtig voran, mag es sich nun dabei handeln um besagte Schnitzkunst oder um die klassische Steinmetzkunst von Mayen, um die Kunsttöpferei und Keramik in Speicher und an einigen anderen Eifelorten oder um die Web- und Wirkkunst von Hellenthal, Lommersdorf und Schalkenmehren –, immer ist diese Kunst bodenständig, erdverwachsen und heimattreu. Und das Wesentliche dabei ist auch das, daß diese ganzen Dinge echter Heimatkunst auch in das Eifelvolk selbst in breitem Maße eindringen und mit den mannigfachen ähnlichen Bestrebungen von Partei und Reichsnährstand Wohnkultur und Lebensart, Tracht und Brauchtum arteigen und lebendig mitgestalten halfen.“
Stimmt das alles, was Baur behauptet? Die Töpferwerkstatt in Speicher nahm ihren Fabrikbetrieb bereits um 1920 auf, Anna Droste-Lehnert (1892-1976) förderte die Heimweberei in Schalkenmehren (Maartuch) seit 1922, ebenso die künstlerisch und literarisch ambitionierte Else Pfefferkorn (1894-1979), die 1926 ein Pädagogik-Examen ablegte, um als Wanderlehrerin das Fach Weberei unterrichten zu können; 1936 machte sie in Trier die Meisterprüfung als „Wanderwebmeisterin“. Der „Eifelmaler“ Fritz von Wille hatte seine beste Schaffensphase in den 1880er und 1890er Jahren. Der Bau des Nürburgringes erfolgte als Notstandsmaßnahme in den Jahren 1925/1927, die Jugendherberge in Mayen eröffnete die Ortsgruppe des Eifelvereins 1929 und die spätere A 48 wurde erst 1939/1941 begonnen, und zwar von luxemburgischen Zwangsarbeitern. Baur sagt also nicht ganz die Wahrheit, wenn er den kulturellen Aufschwung der Eifel allein den neuen Machthabern zuschreibt, aber er hat auch nicht so ganz Unrecht, denn Kunst und Kunstgewerbe, Trachten und Volkstum wurden im Dritten Reich intensiv gefördert.
Bei der Frage der Eifeler Tracht sollten wir zum Abschluss noch einen Moment verweilen. 1937 hatte Georg Schlitt an die Leser der Eifelzeitschrift appelliert: „Eifeler Trachten kommen wieder zu Ehren! Erscheint zum Reichswandertag in Mayen nach Möglichkeit in Eifeler Tracht!“[21]. Zwei Worte machen stutzig: „wieder“ und „nach Möglichkeit.“ Das heißt: Viele potentielle Besucher trugen keine Tracht und sie besaßen auch keine mehr. Diese Deutung unterstreicht der folgende Satz: „Um den schönen Eifeler Trachten in allen Volkskreisen wieder Eingang zu verschaffen und dadurch der Nachwelt auch den landsmannschaftlichen Charakter der Eifel lebendig zu erhalten, beabsichtigen (!) bereits verschiedene Ortsgruppen, ständige Trachtengruppen ins Leben zu rufen.“ Dann lobt Schlitt die „Eifeler Heimweberei“ namentlich in Hellenthal und Schalkenmehren, die „wichtige Erwerbsquelle“ und „wertvolles Kulturgut“ zugleich seien. Außerdem kämen sie bei ihrer „entzückenden Machart nie aus der Mode“ und seien, ähnlich wie die „Dirndl-Kleider“ zudem ungeheuer praktisch.
Gab es also 1937 gar keine Eifeler Tracht mehr? Und wurde sie, wie das genannte Dirndl, im Dritten Reich (neu) erfunden? Einer der besten Kenner der Eifeler Volkskultur, Adam Wrede (1875-1960), schrieb 1913: „Was man in der Eifel noch Volkstracht nennen oder zu ihr rechnen kann, ist im Verschwinden begriffen. Leicht erklärlicherweise hat sich besonders das jüngere Geschlecht der Eifeler auch schon der städtischen Mode und ‚Konfektion‘ zugewandt. So sieht man denn in einzelnen Strichen vornehmlich nur ältere Männer den herkömmlichen Kittel in starker blauer Leinwand tragen und in ihm selbst des Sonntags in der Kirche erscheinen. … Von der früheren Frauentracht hat sich auch nur noch wenig erhalten.“
In seiner „Eifeler Volkskunde“ von 1922 kann sich Wrede dann schon darüber freuen, dass in den Kreisen Malmedy und Schleiden wieder schöne Stoffe entstehen. Der blaue Kittel sei ab 1880 nach und nach von der städtischen Mode verdrängt worden. Auch der „altüberlieferte Kopfputz der Frauen und Mädchen“ sei „seit Beginn dieses Jahrhunderts gänzlich geschwunden.“ Die Anzahl der Zeitzeugen, die das Verschwinden der alten Trachten beklagten, ließe sich sicherlich vermehren, so versuchte Anna Lehnert bereits vor 1927, „Frauen und Mädchen zu veranlassen, mit mir diese Stoffe der alten Trachten zu tragen. Pater Pauels schrieb 1930: „Ich dachte der Zeit, von der der Vater uns so oft erzählte, da die ganze Familie selbstgewebtes Zeug trug; die Männer blau gefärbte Leinenhosen und Jacken, die Frauen die kleidsamen, buntgestreiften Tirtigröcke“[22]. Eine aufschlussreiche Quellengruppe sind Fotos aus den 1920er und 1930er Jahren, etwa von Familienfeiern oder von Wanderungen des Eifelvereins, die die Dargestellten stets im feinsten Zwirn zeigen.
In den 1930er Jahren wurde die Eifeltracht also von verschiedenen Seiten gefördert und gefordert, auf der einen Seite von der Kunstgewerbe- und von der Heimatbewegung (Eifelverein) und auf der anderen Seite vom Dritten Reich. Dies im Einzelfall sauber zu trennen, ist schwierig, aber nicht das Ziel dieses Beitrags, denn wir sollten zum Schluss wieder auf die Wanderbewegung zurückkommen. 1937 erschien der Artikel „Eifeler Weberei im Grenzkreise Schleiden“ eines ungenannten Autors[23] „Das Bestreben, alte Eifeltracht wieder zu beleben, und dadurch die Verbundenheit der Bewohner mit der Scholle zu vertiefen, führte Pfarrer [Leopold] Wiggers [1895-1979] zu Lommerdorf dazu, nach alten Trachten der Eifel forschen zu lassen. Dem Direktor der Handwerkerschule [Werkschule] in Köln [Nach der Gleichschaltung Meisterschule der Hansestadt Köln], Professor [Karl] Berthold [1889-1975], gelang es, sie in einem Trachtenbuche zu finden, und anhand dieser Vorlage schuf dann die Handwerkerschule Vorbild und Schnitt und entwarf die Stoffproben.“
Ein Bild des Eifelmalers Curtius Schulten (1893-1967) zeigt ein Mädchen in der „neu erstandenen Eifeltracht“: Ein Miederrock mit weißer Bluse und halblangen Puffärmeln, darüber ein Mieder und eine enge Jacke, weiter Schürze und Halstuch und eine Haube. „Die Tracht soll nicht etwa nur der bäuerlichen Frauenwelt vorbehalten sein; in ihrer däftigen (!) handgewebten Art, wie in der Form und Farbe, ist sie vielmehr als das Kleid der Eifel gedacht.“ Darauf hoffen auch die Heimweber im „Grenzkreis“ Schleiden, wo derzeit 20 Webstühle in Betrieb sind. „Der große vorliegende Auftragsbestand sichert schon jetzt arbeitslosen Volksgenossen für mindestens ein Jahr den Lebensunterhalt.“
1939 gründete die Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink (1902-1999) die Mittelstelle Deutsche Tracht, die von Gertrud Pesendorfer (1895-1982) als Reichsbeauftragte für Trachtenarbeit geleitet und am Tiroler Volkskunstmuseum in Innsbruck angesiedelt wurde – die bayerischen und österreichischen Alpenbewohner hielt man für weniger von der Zivilisation verdorben als die der Mittelgebirge, hier hoffte man, noch „urwüchsige“ und „reine“ Trachten vorzufinden. Die Förderung der Tracht war also eine politische Angelegenheit, der von den Machthabern eine große Bedeutung zugemessen wurde. Dabei gab es einen grundsätzlichen Widerspruch zwischen der Agrarromantik auf der einen (Blut und Boden, Scholle, Erbhofbauer) und der Modernität des städtischen Lebens wie auch der Mode auf der anderen Seite. Ein weiterer Widerspruch bestand in der Uniformierung der gleichgeschalteten Gesellschaft (Braunhemden) und der bunten Individualität regionaler oder lokaler Trachten. Aber dahinter steckt wohl ebenfalls eine Botschaft: Bauern oder Wanderer in Tracht symbolisierten bei Großveranstaltungen die Stämme beziehungsweise Gaue, die das Reich bildeten.
Die Förderung von Trachten ist also ein Rückverweis auf die angeblich intakte Lebens- und Arbeitswelt des Bauerntums in vorindustrieller Zeit und hat ein politisches Ziel: Wer Trachten trägt, bringt seine Zugehörigkeit zur Dorfgemeinschaft, seine Heimatverbundenheit und Schollengebundenheit zum Ausdruck. Das Land ist dabei ein positiv verklärtes Gegenmodell zur Stadt, die bereits in der kulturpessimistischen Literatur des 18. Jahrhunderts, dann in der Heimatbewegung und auch im Dritten Reich stets mit den Attributen „krank“ und „dekadent“ belegt wurde. Die Tracht als traditionelles Kleid des arischen Erbhofbauern sollte aber – wie der Artikel über die Eifelmode gezeigt hat – von allen Bewohnern der Region getragen werden. Insofern konnten durchaus auch die Mitglieder der Ortsgruppe Mayen in Eifeltracht – oder was man dafür hielt – aufmarschieren.
Ein Paradebeispiel für die Instrumentalisierung der Tracht ist das urbayerische Dirndl, das es auch dem Mayener Georg Schlitt angetan hatte. Es kam in den 1880er Jahren als Kombination von Mieder, Rock und Schürze in der städtischen Oberschicht in Mode, man trug es vor allem bei der Sommerfrische, so dass es aufs Land zurückimportiert wurde. Im Dritten Reich wurde es für die attraktive und selbstbewusste deutsche Frau „entkatholisiert“, indem man den geschlossenen Kragen entfernte und den Blick auf den Ausschnitt freigab. Außerdem kürzte man die Ärmel, um wie bei der „Eifeltracht“ den Blick auf die Arme freizugeben. Dass Trachten nicht nur Gemeinschaften bildeten, sondern auch Personengruppen ausschlossen, zeigt das Verbot für Juden und Nichtarier wie Ostarbeiter, sie zu tragen.
Zwei Folgerungen sind festzuhalten: Bei der Analyse der Rolle der Wander-, aber auch der Trachtenbewegung im Dritten Reichzeigt sich ein außerordentlich komplexes Bild, weil bereits zuvor eine Heimat- beziehungsweise Grenzlandbewegung bestand, die glaubte, in den Programmen des Dritten Reichs ihre alten Ziele wiederzuerkennen. Die neuen Machthaber haben den Arbeitern, den Bauern und den Wanderern sehr viel versprochen, was sich eigentlich gegenseitig ausschloss und dann durch die Kriegsvorbereitung auch nicht umsetzen ließ. Die 1930er Jahren waren eine Zeit des wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwungs, der propagandistisch bestens vermarktet wurde; zudem profitierten viele Volksgenossen von den „Wohltaten“ des Regimes. Zu dieser durchaus komplexen Struktur gehört, dass es den Wandervereinen gelang, Rückzugsorte für biedermeierliche Idylle zu bewahren, in denen Politik eine zumindest geringere Rolle spielte als an anderen Orten. Das Dritte Reich hat diese Freiräume toleriert. Der Zuwachs an Mitgliedern des Eifelvereins belegt, dass dieses Konzept auch angesichts der NS-Massenorganisationen sehr erfolgreich war.
Zum Zweiten besitzen in den Wander- und Trachtenvereinen die Schlagworte Tradition und Heimat einen hohen Stellenwert. Wir konnten sehen, wie das Dritte Reich viele Elemente adaptierte, zum Teil modifizierte und umdeutete und somit langfristig diskreditierte. Was die Beurteilung der Situation weiter kompliziert, ist die Tatsache, dass das Jahr 1945 keinen gravierenden Einschnitt bedeutete, sondern dass es zahlreiche Kontinuitätslinien in die Nachkriegszeit gab. Häufig setzten die gleichen Personen in den gleichen Positionen über Jahrzehnte hinweg und ohne größere inhaltliche Veränderungen ihre Arbeit fort. Dies gilt für Karl Eugen Dellenbusch wie für Josef Schramm, für Victor Baur und Emil Kimpen, aber auch für Gertrud Pesendorfer. So konnte es in den 1950er Jahren zu einem weiteren Höhepunkt der Heimatbewegung kommen (Heimatfilme, Heimatromane), der durch die Vertriebenenverbände, die bei ihren Veranstaltungen auch heute noch in „alten Trachten“ aufmarschieren, durchaus auch revanchistische Züge besaß.
Quellen
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Schmid, Wolfgang, Der 46. Deutsche Wandertag 1937 in Mayen. Bürgerliche Vereinsidylle im Dritten Reich?, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/der-46.-deutsche-wandertag-1937-in-mayen.-buergerliche-vereinsidylle-im-dritten-reich/DE-2086/lido/5b83fd551b4f89.98754927 (abgerufen am 06.10.2024)